Fictorum10.08.2017, Mathias Oertel
Fictorum

Im Test: Rachsüchtiger Badass-Zauberer

In Fictorum ist man nicht als Zauberlehrling unterwegs, der von einem mysteriösen Meister angeleitet langsam die magische Leiter erklimmt. Hier kann man sein Zerstörungspotenzial von Beginn an voll ausschöpfen. Das ist auch bitter nötig. Denn als Letzter seiner Zunft wird man von einer Inquisition durch eine prozedural generierte Story gejagt, während man Zauber per Mausgeste modifiziert. Ob dabei auch zauberhafter Spaß entsteht, klären wir im Test.

Auf der zufälligen Flucht

Die Ausgangslage scheint aussichtlos: Man ist in der Rolle des so genannten „Fictorum“ als letzter seines Zauberordens nur knapp der Hinrichtung entkommen. Die anderen Magier wurden von der Inquisition getötet. Verfolgt von den Feinden muss man über die gut 30 Gebiete pro Kapitel irgendwie zum Großinquisitor gelangen, um Rache zu nehmen. Doch der Weg dorthin kann mitunter beschwerlich sein. Denn mit jedem Neustart werden nicht nur die Areale auf den Karten per Zufall bestimmt. Auch die Inhalte jedes Gebiets und wie sie miteinander verbunden sind, werden ausgewürfelt. Die Reise wird einem aber dadurch erleichtert, dass man nicht alle Schauplätze durchwandern muss, sondern auch versuchen kann, so viel Strecke wie möglich mit einem Ziehen der Figur auf der Übersichtskarte zu überwinden.

In Fictorum ist man kein gut erzogener Zauberlehrling, sondern ein mächtiger Magier auf einem tödlichen sowie zerstörerischem Rachefeldzug.
Interessanterweise wird man nicht mit jedem Schritt in das Gebiet gesetzt, wo man nun in klassischer Schulterperspektive (es lässt sich auch Ego-Sicht aktivieren) die mitunter recht großen Areale nach Kämpfern der Inquisiton sowie nützlichen Gegenständen durchsucht. Denn mit jedem neuen Bereich gibt es erst einmal einen einleitenden Text sowie ein paar Auswahlmöglichkeiten bzgl. Gesprächen, Ereignissen usw. Mit diesem Ansatz des klassischen Abenteuerbuches wird ein interessanter Kontrapunkt zu den mitunter hektischen sowie dank der prozeduralen Generierung auch mal frustrierenden Gebietserforschungen geschaffen. Schön, dass man über bestimmte Antworten den Gefechten auch aus dem Weg gehen kann oder sich die Voraussetzungen für den Ausflug ändern können. Hilft man z.B. dem für die Exekution vorgesehenen Bettler oder verhöhnt ihn bzw. bestraft ihn zusätzlich? Je nachdem kann es sein, dass man ohne Konfrontation auf die Suche nach Gegenständen gehen kann oder dass man sich erst einmal gegen einen wütenden Mob zur Wehr setzen muss.

Luft nach oben

Diese Mischung aus erzählerischer sowie aktiver Levelerkundung ist in jedem Fall interessant. Noch schöner, wäre es allerdings gewesen, wenn man einerseits Entscheidungen und Konsequenzen nicht nur auf den jeweiligen Erzähl-Abschnitt bezogen, sondern auch mit globalen Auswirkungen versehen hätte. Und wenn es innerhalb der zwar visuell variantenreichen Bereiche mehr Abwechslung beim Missionsdesign geben würde. Letztlich läuft alles darauf hinaus, dass man die Bannstrahlen deaktiviert, die einem den Teleport aus dem Level verwehren. Und der Weg dorthin ist entweder mit simplen Abklappern aller Gebäude gefüllt, um dort Ausrüstung, neue Zauber etc. zu finden.  Oder aber mit Kämpfen gegen eine nicht immer ausgewogene oder den Fähigkeiten der Spielfigur angepasste Feindesmacht. Es gibt keinerlei Rätsel oder ähnliche mechanische Variation. Immerhin ist die KI nicht sehr clever, sondern nur auf direkte Konfrontation eingestellt, so dass man

Auf den prozedural generierten Übersichtskarten sitzt einem die Inquisition permanent im Nacken.
sich keine Sorgen machen muss, in einen Hinterhalt zu laufen. Auch die Möglichkeit, die durch die Zaubereinwirkung maroden Mauern einstürzen und auf die Gegner fallen zu lassen, ist eine nette Beigabe.

Doch hier haben wir schon das nächste Problem: Die Darstellung der Auswirkung dieser eingangs pompösen Zerstörung ist höchst inkonsequent. Denn zum Schluss bleiben immer ein paar Wände und die nahezu unbeschädigte Einrichtung stehen – was letztlich einen sehr merkwürdigen Eindruck hinterlässt. Zwar kann man nun auch das Mobiliar unter Beschuss nehmen und dem Erdboden gleichmachen, eine physikalisch korrekte Konsequenz beim Zerstören der Gebäude fehlt dennoch. Aber es fällt einem spätestens jetzt leicht, die durch ein kleines Blinken markierten Gegenstände zu erfassen und aufzunehmen. Doch die (zumeist ohnehin wenigen) NPCs nehmen alles ohne Mucken und Murren hin: Dass man ihnen die Behausung zerbombt ebenso wie den eigentlichen Diebstahl. Natürlich ist man ein mächtiger Zauberer, mit dem man sich besser nicht anlegt. Doch Fictorum hätte ungleich interessanter sein können, wenn man Boni erhält, falls man so wenig Schaden in der Umgebung anrichtet wie möglich. Oder wenn einem die Bürger aus Dankbarkeit helfen und sie einem Hinweise geben, wie man möglichst sicher die nächsten Bereiche durchschreiten kann. Irgendwas, um die auf Dauer vorhersehbare Missions-Monotonie aufzubrechen, die auch durch die Spannung des optionalen Hardcore-Modus (ohne die Option, nach einem Tod am letzten Kontrollpunkt erneut einzusteigen) nicht wettgemacht wird.

Angriff ist die einzige Verteidigung

Der Fokus des Teams von Scraping Bottom Games lag eindeutig auf der Art und Weise, wie der Kampf gestaltet und visualisiert wird. Und der hat es in der Tat in sich. Man ist zweifelsfrei kein Zauberlehrling mehr, sondern lässt Tod und Zerstörung regnen. Wahlweise legt man sich am Anfang auf Feuer-, Eis- oder Blitzmagie fest – man kann keine Waffen nutzen. Ähnlich wie bei Lichdom: Battlemage kann man sein Zauberrepertoire aber später nicht nur aufstocken und z.B. auch Blitzvarianten oder Spruchrollen mit Abkühlzeit hinzufügen, falls man sich bei der überschaubaren Charakterpersonalisierung zu Beginn auf Frost festlegt hat. Zusätzlich darf man alle ausgerüsteten Magieangriffe noch mit maximal drei Modifikatoren versehen. Von diesen gibt es eine enorme Auswahl,  die man allerdings erst finden bzw. bei den spärlich vorhandenen Händlern käuflich erwerben und ausrüsten muss. Reicht der Standardzauber, kann man diesen mit der linken Maustaste abfeuern. Hat man allerdings Bereichsschaden oder eine höhere Geschwindigkeit als veränderbares Element ausgerüstet, muss man all dies mit der rechten Maustaste aktivieren. Die Crux: Sobald man den Zauber spricht (also die Taste drückt), wird das sich relativ schnell wieder aufladende Mana verbraucht. Ist die Leiste leer, bevor man gezielt, modifiziert und abgefeuert hat, wird die nötige Energie aus der Lebensleiste gezogen – autsch!

Man kann auch wie Darth Sidious Blitze durch seine Feinde jagen.
Da Gesundheit in erster Linie über die nicht transportierbaren, sondern nur akut zu entleerenden sowie vergleichsweise geringe Wirkung zeigenden Phiolen aufgefüllt wird, die man ab und an finden kann, muss man immer taktisch kalkulieren, ob man jetzt wirklich noch eine halbe Sekunde länger wartet oder doch ohne genau gezielt zu haben abfeuert. Man hat aber die klassisch in verschiedene Seltenheitsstufen eingeteilte Ausrüstung  zur Verfügung, um seine Gesundheitswerte zu steigern. Von der Option, die Lebensenergie bei den wenigen Händlern auffüllen zu lassen, kann ich nur abraten. Sie verlangen Unsummen, die besser in Zauber oder deren Erweiterungen investiert werden können. Zusätzlich kann man sich auf der Karte für eine „Rast“ entscheiden, die aber der unaufhörlich hinter einem über die Gebiete rollenden Inquisitions-Welle die Chance gibt, aufzuschließen. Da die Gegnergruppen munter zusammengewürfelt werden und nicht nur Standard-Infanterie, sondern auch mit Schilden bewaffnete Feinde, Bogenschützen oder Magier bieten, ist man trotz der angesprochenen schwachen KI stets gefordert. Schade ist allerdings, dass der Kampf in diesem Action-Rollenspiel komplett auf die Offensive ausgerichtet ist. Defensive Bewegungsoptionen sucht man abseits des dafür kaum brauchbaren und eigentlich für schnelle Fortbewegung vorgesehehen Warpsprungs vergebens, so dass man sein Heil entweder in der Flucht oder aber noch mehr im effektiven Zaubern suchen sollte.

Das Rad der Zeit

Egal, ob Feuer, Blitz oder Eis: Das Zerstörungspotenzial des Protagnoisten ist enorm.
Schaltet man in die Ego-Sicht, könnte Fictorum auch eine moderne Variante des Spiele- sowie Fantasyroman-Klassikers The Wheel of Time darstellen. In dieser Hinsicht ist es zwar wohl eher Zufall und Notwendigkeit, dass die Zauber damals wie heute von der Unreal Engine angefeuert werden – hier natürlich in ihrer neuesten Variante. Allerdings hat Scraping Bottom den Grafikmotor nicht immer im Griff. Die Zaubereffekte sehen gut aus und nach den häufig längeren Ladezeiten bekommt man stimmungsvolle Landschaften zu Gesicht. Während die Animationen der Hauptfigur zu weiten Teilen überzeugen, kann man das von denen der Gegner nicht immer behaupten. Zudem zeigen sich in der Version 1.0.5. einige visuelle Bugs und Mankos wie Texturflackern, spät eingeblendete Detailanstriche oder fiese Clippings, die ab und an von Bildratenproblemen begleitet werden. Die zwar häufig imposante, dann aber auch mitunter unrealistische Zerstörung von Objekten, Gebäuden, Bäumen etc. wurde bereits angesprochen, ist aber sinnbildlich für die Gratwanderung, die Fictorum in nahezu jedem Bereich zu bewältigen versucht.

Fazit

Fictorum bietet eine Menge Potenzial: Einerseits bietet es actionreiche sowie mit mächtigen, beim Wirken modifizierbaren Zaubern gefüllte Kämpfe, die sich optimal kontrollieren lassen. Und als Ruhepol zwischen der Erforschung der gut 30 Gebiete pro zufällig generierter Kapitelkarte wartet eine sauber geschriebene Erzählung im Stile eines Abenteuerspielbuches mitsamt einiger Entscheidungen sowie Konsequenzen. Doch im Detail passt nicht immer alles zusammen. Die KI ist zwar aggressiv, aber letztlich schwach und setzt einen nur mit Masse unter Druck. Die zerstörbare Umgebung ist anfangs nett anzuschauen, aber in sich zu inkonsequent. Dazu kommt ein schnell redundantes Missionsdesign während der Erforschung, das komplett den facettenreichen Auswahlmöglichkeiten im "Buchmodus" widerspricht, der wiederum davon profitieren würde, wenn die Konsequenzen spätere oder globale Wirkung zeigen würden als nur zum jeweiligen Zeitpunkt bzw. für den Zeitraum eines Gebietsbesuchs. Kurzzeitig ist Fictorum mit seiner düsteren Rachegeschichte aber dennoch unterhaltsam. Allerdings bleibt immer wieder der Eindruck, das hier viel mehr möglich gewesen wäre.

Pro

umfangreiches Zaubersystem mit Sofort-Modifikation
zerstörbare Umgebung
spannendes Abenteuerbuch mit Entscheidungen zwischen der Gebietserforschung
actionreiche Auseinandersetzungen
gute Steuerung
solide Kulisse

Kontra

keinerlei defensive Bewegungsoptionen
schwache Gegner-KI
Konsequenzen immer nur lokal, keine globalen Veränderungen in der Welt möglich
auf Dauer redundantes Missionsdesign
Gegner-Animationen schwächeln immer wieder

Wertung

PC

Fictorum zeigt mit seinem variantenreichen Zaubersystem und den Abenteuerbuch-Intermezzi samt Sofort-Modifikationen eine Menge Potenzial, das allerdings nie ausgeschöpft wird.

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