Unbarmherzig bis aufs Mark
Beim Design der Levels macht sich ebenfalls die Erfahrung bezahlt, die das Team mit dem Mehrspieler-Plattformer
Towerfall gesammelt hat. Meist geht es darum, in der passenden Richtung durch geleeartige Kugeln oder eine Art Antimaterie zu flutschen. Nur wenn man im passenden Winkel hineinspringt, zerschellt man nicht an der Wand, sondern „surft“ elegant in Richtung Ausgang. So ergeben sich schöne kleine Puzzles, die den knallharten Hüpfalltag ein wenig auflockern. Und damit sind wir auch schon beim größten Problem des Spiels: Dem absolut unbarmherzigen Schwierigkeitsgrad. Wer schon in
Oris Fluchtpassagen geflucht hat, sollte hier gar nicht erst sein Glück versuchen. Auch Cuphead ist der reinste Spaziergang gegen das, was einem Celeste in punkto Hand-Auge-Koordination abverlangt. Der Vergleich hinkt natürlich etwas, da es sich um verschiedene Genres handelt, trotzdem wollte ich es anmerken.
Was hat es mit diesen geleeartigen Blöcken auf sich? Nach und nach werden weitere Mechaniken eingeführt.
Speedrunner und knallharte Fans von
Super Meat Boy oder
Spelunky dürften frohlocken, doch mir war dieser Aufstieg der Selbstgeißelung zu krass: Vor allem im späteren Spielverlauf sind die Hüpfpassagen derart erbarmungslos mit Fallen zugepflastert, dass man sich nicht den kleinsten Fehler erlauben darf. Jede Millisekunde und jeden Millimeter, den man vom Weg abweicht, führt dann unweigerlich in die Stacheln, einen Gegner oder den Abgrund. Irgendwann ist es einfach nur noch ermüdend, jedes noch so kleine Detail auswendig zu lernen und im Muskelgedächtnis zu verinnerlichen, um nach dem 30. Tod doch noch ans andere Ende des Raums zu gelangen. Oder schlimmstenfalls sogar ans Ende mehrerer scrollender Räume.
Hilfe!
Offenbar bemerkten auch die Entwickler irgendwann, dass sie es etwas übertrieben haben, so dass sie ihrem Spiel einige Hilfe-Optionen verpasst haben. Man kann z.B. die Ausdauer der Heldin beim Klettern erhöhen oder ihr unendlich viele „Sprints“ verpassen, so dass sie knifflig verwinkelte Passagen einfach „umfliegt“. Eine echte Alternative zum normalen Spiel sind die Hilfen aber nicht, weil man mit aktivierten Tricks einige spaßige Feinheiten des Level-Designs einfach links liegen lässt. Noch unpassender wirken die Optionen, mit denen man dauerhaft die Spielgeschwindigkeit senkt oder die Figur gleich komplett unbesiegbar macht.
Vorsicht, bissiger Boss!
Warum hat man stattdessen nicht eine temporäre Zeitlupe als Special-Move eingebaut – wie es in einigen anderen Plattformern gängig ist? Schade drum, denn erzählerisch schwingt sich Celeste kurz vorm Gipfel zur Höchstform auf. Die Geschichte ist zwar vorhersehbar, ihre Inszenierung hat mich aber richtig mitgenommen. In den Verfolgungsjagden mit Madelines missmutiger Gegenspielerin geht es zum Schluss immer intensiver hin und her. Während der Überlebenskampf immer dramatischer wird und ich mich auch vorm Bildschirm schon richtig ausgelaugt fühlte, kocht auch der Streit in den Dialogen noch einmal richtig hoch. Ein besonderes Lob geht dabei an Komponistin Lena Raine und Power Up Audio, welche die aufgeladene Stimmung unheimlich gut einfangen und die Abmischung dynamisch an die Action anpassen.
Mischmasch mit Pixeln
Die dynamische Musik unterstreicht die Stimmungsschwankungen unheimlich gut.
Mal versacken die Synthie-Melodien in einem Sumpf aus Niedergeschlagenheit, um in einem hektischen Augenblick plötzlich scharf klirrend zu explodieren oder am romantischen Lagerfeuer locker-flockig gen Himmel zu flattern. Wirklich erhebend! Der grafische Stilmix trifft dagegen nur bedingt meinen Nerv. Dazu wirkt der Mischmasch aus groben Pixeln und hochaufgelösten Portrait-Bildern einfach zu uneinheitlich, zumal im Hauptmenü sogar ein rotierender Polygon-Berg einen weiteren Stilbruch mit sich bringt. Wer seine Pixel noch gröber mag, kann übrigens auch das Vorbild des Spiels ("Celeste Classic") freischalten, das die Entwickler im Jahr 2015 als Konzepttitel für die Fantasiekonsole PICO-8 entwarfen.
Auch die Online-Version ist nach wie vor kostenlos spielbar.