Pathfinder: Kingmaker07.12.2018, Jens Bischoff

Im Test: Der Weg zum eigenen Königreich

Ende September fehlte uns die Zeit, die Fantasywelt des PC-Rollenspiels Pathfinder: Kingmaker (ab 13,06€ bei kaufen) von Owlcat, My.com und Deep Silver ausführlich zu erkunden. Inzwischen haben wir die Adaption der Pen-&-Paper-Vorlage jedoch unter die Lupe nehmen können und unsere Eindrücke in einem Test zusammengefasst.

Willkommen in den Raublanden

Als erstes isometrisches Computer-Rollenspiel im Pathfinder-Universum richtet sich Kingmaker neben Freunden der Pen&Paper-Vorlage vor allem an Fans klassischer Rollenspielkost à la Baldur's Gate, Planescape: Torment, Neverwinter Nights oder Arcanum, welche die Entwickler auch explizit als Inspirationsquellen für ihr erfolgreich per Crowdfunding finanziertes Spiel benannt haben.

Nach dem Erhalt des Adelstitels wird man Herr über seine eigene kleine Baronie.
Dank über 18.000 Unterstützern auf Kickstarter , die mehr als 900.00 Dollar zugesagt haben, konnten sogar prominente Namen wie Chris Avellone als Narrative Designer und Inon Zur als Komponist rekrutiert werden.

Als Spieler verschlägt es einen in die raue Wildnis der Raublande, wo man einen selbst ernannten König zur Strecke bringen soll, während rivalisierende Gruppen um Einfluss ringen und Intrigen schmieden. Man selbst erhält als Lohn für den Sturz des sogenannten Hirschkönigs eine eigene kleine Baronie, die es trotz aller Konflikte und Bedrohungen auszuweiten und zu verteidigen gilt. Dazu tritt man sowohl als Regent und Bauherr als auch als Führer einer bis zu sechsköpfigen Abenteurergruppe in Erscheinung, die aktiv in unbekanntes Terrain vordringt, Herausforderungen annimmt und Gefahren beseitigt. Letzteres steht dabei eindeutig im Vordergrund.

Die Geburt eines Helden

Zunächst muss man sein Alter-Ego aber erst einmal erschaffen - entweder durch die Wahl eines von fünf vorgefertigten Helden oder von Hand via Editor, wo man aus acht Rassen (Mensch, Elf, Zwerg, Gnom, Halbling, Halbelf, Halbork oder Aasimar) sowie 20 Klassen

Den Protagonisten kann man aus einer Reihe vorgefertigter Helden wählen oder selbst kreieren.
(Alchemist, Barbar, Barde, Kleriker, Druide, Kämpfer, Inquisitor, Kampfmagus, Mönch, Paladin, Waldläufer, Schurke, Hexenmeister, Magier, Arkaner Betrüger, Standhafter Verteidiger, Mystischer Ritter, Drachenjünger, Mystischer Theurg oder Duellant) seinen ganz persönlichen Favoriten aussuchen und anschließend individuell anpassen kann.

Neben Name, Geschlecht, Geburtstag, Grundgesinnung, Stimme und Aussehen dürfen auch Attributs- und Fertigkeitspunkte vergeben sowie Anfangsfähigkeiten festgelegt werden. Die angenehm vielfältigen und markanten Gefährten, die sich im Lauf des Abenteurers anschließen, sind hingegen vorgegeben. Bei der Weiterentwicklung durch Stufenanstiege kann man allerdings bei allen Charakteren entscheiden, ob die damit verbundenen Werterhöhungen und Fähigkeitszuwächse manuell oder automatisch vonstatten gehen sollen.

Maßgeschneiderte Herausforderung

Ähnlich facettenreich wie Charaktererstellung und -entwicklung ist auch die Festlegung des jederzeit anpassbaren Schwierigkeitsgrads: Neben sechs generellen Stufen lassen sich auch viele Parameter wie Schadensfaktoren und Gegnerstärke, automatische Heilungen und Wiederbelebungen oder die Art der Erfahrungspunktevergabe individuell regeln.

In seinem eigenen Reich ist man Abenteurer, Regent und Bauherr zugleich.
Spielsysteme wie der Einfluss der Traglast auf die Bewegungsgeschwindigkeit oder die Art der Königreichsverwaltung können hier ebenfalls an persönliche Vorlieben angepasst werden.

Sobald man seine eigene Baronie zugesprochen bekommt, ist man nicht mehr nur als tatkräftiger Abenteurer, sondern auch als fähiger Regent gefragt, der wichtige Probleme angehen, günstige Gelegenheiten nutzen, Aufgaben passend delegieren, Zeitpläne berücksichtigen und Finanzen überwachen muss. Man empfängt Bittsteller und Berater, veranlasst den Bau von neuen Siedlungen und Gebäuden, schließt Handelsabkommen, beansprucht Ressourcen, vergrößert sein Herrschaftsgebiet und trifft wichtige Entscheidungen, die der Baronie je nach Ausgang spürbar helfen oder schaden können. Die Möglichkeiten sind vielfältig, aber nicht allzu komplex.

Die Macht der Würfel

Vieles wird der Pen-&-Paper-Vorlage gemäß ausgewürfelt, wobei passend eingesetzte Charaktere natürlich entsprechende Bonusaugen mit sich bringen und im Zweifelsfall immer der am besten geeignete Kandidat automatisch ausgewählt wird. Der Spielstand lässt sich trotzdem jederzeit sichern, automatische Zusatzspeicherungen aktivieren.

Die Kämpfe laufen in einer Art rundenbasierter Echtzeit ab, die sich jederzeit verlangsamen oder pausieren lässt, um den Gruppenmitgliedern in aller Ruhe Befehle erteilen zu können.
Selbst in den Kämpfen wird im Prinzip ständig gewürfelt, auch wenn oft nur die Endresultate wie verursachte Schäden und erfolgreich zugefügte Statusleiden angezeigt werden.

Die Auseinandersetzungen laufen direkt an Ort und Stelle in einer Art rundenbasierter Echtzeit ab, in der Kampfhandlungen in bestimmten Intervallen ausgeführt werden. Dabei kann man auf Automatismen vertrauen, aber auch manuelle Anweisungen geben. Zudem lässt sich das Geschehen auch verlangsamen oder beliebig pausieren, um in Ruhe taktische Entscheidungen zu treffen und neue Befehle zu erteilen. Man kann Formationen einnehmen, Positionen ändern, Zauber und Fertigkeiten aktivieren, bereitgehaltene Gegenstände einsetzen oder Waffen wechseln, während man normale Angriffe der KI überlässt. Das Ändern der Ausrüstung ändert zudem das Erscheinungsbild.

Eine Frage der Gesinnung

Wer seine auch enzyklopädisch festgehaltenen Gegner kennt, weiß, welche Waffen und Elemente ihnen an meisten zusetzen und welche womöglich völlig wirkungslos sind. Eine gewisse Flexibilität beim Waffen- und Zauberrepertoire ist entsprechend Pflicht, auch wenn es Einschränkungen hinsichtlich Charakterklasse, -entwicklung, -geschlecht oder -gesinnung geben kann.

Die Gesinnung des Protagonisten orientiert sich an den getroffenen Entscheidungen.
Während sich der moralische Kompass des Protagonisten entsprechend der von ihm im Spielverlauf getroffenen Entscheidungen stetig anpasst, sind die sehr unterschiedlichen Weltanschauungen seiner Begleiter fest vorgegeben, was auch zu internen Konflikten führen kann.

Generell kann man die Gruppenzusammensetzung aber bei jeder Abreise frei bestimmen und je nach Zusammensetzung eben sehr unterschiedliche Erlebnisse haben und Gespräche führen. Viele Dialoge bieten je nach Gesinnung, Charakterfertigkeiten und Würfelglück auch zusätzliche Antwortmöglichkeiten. Oft lassen sich mit der richtigen Wortwahl sogar Konflikte vermeiden und trotzdem Erfahrungspunkte sammeln. Auch sonst können viele Aufgaben auf unterschiedliche Weisen gelöst werden.

Die Uhr tickt

Spielbalance und -führung sind allerdings etwas holprig. Oft weiß man trotz automatisch aktualisiertem Reisetagebuch gar nicht, wo man als nächstes hin sollte oder welche Aufgabe wie wichtig ist. Auch die Gefährlichkeit vieler Gegner findet man oft nur durch häufig tödlich endendes Trial-&-Error heraus.

Das Erkunden der riesigen Weltkarte ist trotz anfänglichen Zeitdrucks unglaublich motivierend.
Am Anfang bekommt man zudem noch ein Zeitlimit gesetzt, das zwar großzügig bemessen ist, aber trotzdem vorschreibt wie man zu spielen hat. Wer sich gern Zeit lässt und jeden Winkel erkundet, kommt jedenfalls völlig unnötig unter Druck, obwohl einem ohnehin ein Nebel daran hindert, weiter als vorgesehen in die Raublande vorzudringen.

Dabei macht das Entdecken der Spielwelt über eine symbolisch erkundbare, wenn auch leider nicht zoombare Weltkarte, die unterwegs sämtliche Wege und Lokalitäten in Sichtweite kartografisch festhält, ungemein Laune. Immer wieder entdeckt man verborgene Orte, Abzweigungen und Rohstoffquellen. Betritt man neu entdeckte Schauplätze, lernt man meist auch neue Gesichter, Konflikte und Herausforderungen kennen, die zusätzliche Erfahrung sowie Beute und manchmal sogar neue Weggefährten versprechen. Auf der Weltkarte selbst lauern zudem klassische Zufallskämpfe, die es auf kleinen Feldern, Lichtungen oder Weggabelungen zu meistern gilt.

Zeit zum Rasten

Ist man erschöpft, kann man sowohl auf der Weltkarte als auch geeigneten Freiflächen vor Ort ein Lager aufschlagen und sich ausruhen. Allerdings haut man sich dabei nicht einfach nur aufs Ohr, sondern muss sich auch um die Verpflegung kümmern.

Beim Campieren in freier Wildnis gilt es Posten mit passenden Kandidaten zu besetzen.
Wer keinen Proviant mehr dabei hat, begibt sich vor dem Essen auf die Jagd, sofern möglich, und wer die Leistungen bestimmter Gefährten steigern möchte, kann versuchen, ihnen ihr Lieblingsessen zuzubereiten. Zudem können Wachen aufgestellt, das Lager getarnt und spezielle Talente genutzt werden.

Trotzdem kann es jederzeit zu Überfällen kommen, die sich bei geringerer Sorgfalt oder unpassender Aufgabenverteilung natürlich häufen. Neben Müdigkeit und Traglast kann auch das sich dynamisch verändernde Wetter das Verhalten und Vorankommen der Gruppe beeinflussen. Tages- und Jahreszeiten unterliegen ebenfalls einem dynamischen Wechsel. Charaktere mit hohem Wahrnehmungswert können zudem Fallen und Geheimgänge entdecken. Kleinere Rätseleinlagen stehen ebenfalls auf dem Programm, während die Hauptstory immer wieder längere Zeit in den Hintergrund tritt, aber spannend bleibt.

Kein Schmuckstück

Technik und Inszenierung sind eher unspektakulär, fast bieder. Neben Problemen mit Kollisionsabfrage und Wegfindung treten auch immer wieder kleinere Ton- und Anzeigefehler auf. Abstürze sind hingegen selten. Die englische Sprachausgabe gefällt, ist aber rar gesät, die deutsche Übersetzung gut, aber lückenhaft.

Bestimmte Spielereignisse werden in stimmungsvollen interaktiven Buchepisoden erzählt.
Am meisten verflucht habe ich jedoch die vielen langen Ladezeiten, die bei jedem Ortswechsel und Zufallskampf einsetzen und den Spielfluss letztendlich spürbar beeinträchtigen.

Auch dass Diebstähle nur in ganz speziellen Fällen Konsequenzen haben, wirkt angesichts leerer Drohungen oft inkonsequent. Man kann sogar seine eigenen Untertanen oder die Lager von Banditen vor deren Augen ausrauben, ohne dass die irgendwelche Reaktionen zeigen. Gefallen haben mir hingegen die sporadischen Ereignisse in Form illustrierter Buchepisoden, bei denen es Hindernisse und Gefahren mit passenden Entscheidungen und etwas Würfelglück zu überwinden gilt. Erwähnenswert ist auch der Artefakte sammelnde und bei Vollständigkeit Geschichten über deren Besitzer erzählende und sich davon zur Herstellung spezieller Ausrüstungsgegenstände inspirierende Schmied.

Fazit

Pathfinder: Kingmaker ist ein echtes Umfangsmonster. Wer will, kann problemlos wochen- oder auch monatelang durch die Raublande ziehen und immer wieder etwas Neues entdecken. Die Inszenierung mag zwar trotz gelungenen Pen-&-Paper-Flairs bieder, Spielführung und -balance holprig sein, aber die Doppelrolle als frisch gebackener Baron und Abenteurer gefällt: Vom spannenden Erkunden der Fantasywelt über die taktischen Auseinandersetzungen mit deren Bewohnern bis hin zum motivierenden Aufbau des eigenen Herrschaftshauses. Hier und da wollen auch schwierige Entscheidungen getroffen, individuelle Fertigkeiten und Gesinnungen beachtet sowie klassische Buchepisoden bestritten werden. Charaktere und Schwierigkeitsgrad lassen sich facettenreich individualisieren, Waffen und Formationen rasch wechseln, die Echtzeitkämpfe jederzeit verlangsamen oder pausieren. Schade nur, dass Diebstähle nur in sehr speziellen Fällen geahndet werden, die an sich gute deutsche Lokalisierung nach wie vor einige Lücken hat und die ausufernden Ladezeiten einen fast um den Verstand bringen können. Doch auch wenn die Klasse eines Pillars of Eternity oder Divinity: Original Sin 2 nicht erreicht wird, bin ich immer wieder gern in meine aufstrebende Baronie zurückgekehrt.

Zweites Fazit von Jörg Luibl:

Zu Beginn wirkte dieses Pathfinder: Kingmaker fast schon anachronistisch mit seiner konservativen Fantasy. Wenn man zwanzig Jahre Dungeons & Dragons gespielt hat, sorgen diese allzu bekannten Völker und Klassen sowie die biedere Spielwelt nicht gerade für Feuereifer in den ersten Stunden. Vor allem nicht, weil selbst andere Titel wie Torment, Pillars of Eternity, Tyranny oder Divinity: Original Sin 2 zwar auch an die isometrische Tradition à la Baldur's Gate anknüpfen, aber sie kreativer und interessanter interpretieren. Auch Story, Diebstahl-, Kampf- und Magiesystem sind dort jeweils besser entwickelt. Aber je länger man dieses Pathfinder spielt, desto interessanter und charmanter wird es. Mir gefallen vor allem die direkten Bezüge zu Pen&Paper-Mechanismen, die für nostalgisches Flair sorgen, dazu die offene Art der Erkundung auf der Karte sowie die spürbaren moralischen Unterschiede sowie die Fülle an interaktiven Möglichkeiten. Hinzu kommt der Umfang von über hundert Stunden, daher kann ich Jens' gute Wertung sekundieren und dieses klassische Abenteuer für lange Winterabende empfehlen.

Pro

paralleles Dasein als Abenteurer und Baron
spannende Erkundung der Spielwelt
motivierender Aufbau einer eigenen Baronie
verlangsam- und pausierbare Echtzeitkämpfe
freie Charaktererschaffung und -entwicklung
moralische Gesinnungen und Entscheidungen
wechselbare Formationen und Waffensets
vielschichtige Rastfunktion
spürbare Einflüsse durch Traglast und Schlafmangel
illustrierte Buchepisoden
facettenreich anpassbarer Schwierigkeitsgrad
dynamische Zeit- und Wetterwechsel
sichtbare Ausrüstungswechsel
praktische Nachschlagewerke

Kontra

teils recht biedere Inszenierung
Spieleinstieg mit unnötigem Zeitdruck
holprige Spielführung und -balance
keine zoombare Weltkarte
nur sehr eingeschränkte Ahndung von Diebstählen
durchwachsene Lokalisierung
sehr lange Ladezeiten

Wertung

PC

Trotz mancher Macken und Unzulänglichkeiten ist das ein richtig gutes Fantasy-Rollenspiel für Pen-&-Paper-Fans.

Echtgeldtransaktionen

Wie negativ wirken sich zusätzliche Käufe auf das Spielerlebnis, die Mechanik oder die Wertung aus?

Gar Nicht
Leicht
Mittel
Stark
Extrem
  • Season Pass, dessen Inhalte Auswirkungen auf Design und Balance haben können, z.B. XP-Boosts, Waffen, etc.
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Kommentare

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solomomchuk



Das gleiche, also das Würfeln, gilt ja auch für den Kampf. Da startet man nen Kampf, kann noch nichts machen, und einer deiner Charaktere bekommt nen kritischen Pfeiltreffer in den Kopf und ist tot. Ohne, dass du irgendwas falsch gemacht hast. Neuladen, Kampf noch einmal probieren - und du gewinnst ohne Probleme, weil die Würfel dir gewogen waren. Würfel, bzw. RNG, tun mir bei Pathfinder irgendwie mehr weh, als z.B. bei einem Darkest Dungeon, wo es irgendwie gepasst hat.
Am Schlimmsten fand ich das Würfel-System, wenn ein Gegner eine oder mehrere Stufen zu hoch war. Gewürfelt wird auch bei der Verteidigung. Ist der angreifende Charakter zu schwach (Lvl, krank, Fluch), kann er angreifen wie er will, die Rettungs- und Verteidigungswürfe werden nicht geschlagen. Das ist insbesondere unangenehm, wenn ein ganzer Dungeon (die haben durchaus mehrere Etagen) wie im Selbstlauf niedergemetzelt wurde, nur um am Ende einen Boss stehen zu haben, der die Gruppe in drei Zügen plättet. Ich habe aufgrund von Frust mit einem Mod meine Gruppe dann hochgelevelt. Ich empfand das als ein großes Balance-Problem

vor 4 Jahren