The Red Strings Club01.02.2018, Michael Krosta

Im Test: Cocktails mit Seele

Deconstructeam und Devolver Digital laden den Spieler in den Red Strings Club ein – eine Bar, in der sowohl spezielle Cocktails als auch wertvolle Informationen serviert werden. Und die haben es in sich: Nach ersten Hinweisen auf die mysteriösen Pläne eines mächtigen Konzerns scheint nicht weniger als der freie Wille der Menschheit auf dem Spiel zu stehen! Wir haben uns in das pixelfreudige Cyberpunk-Adventure gestürzt, um das Vorhaben zu durchkreuzen...

Wie im Kunstunterricht

Schon in der Grundschule habe ich den Kunstunterricht immer gehasst! Ob Malen, Zeichnen, Basteln, Nähen oder Töpfern: Ich war in jeder dieser Disziplinen komplett talentfrei und konnte mich entsprechend niemals für dieses Fach begeistern. Und jetzt sitze ich hier vor dem Monitor und soll als Android Akara-184 durch feinfühlige Bewegungen mit der Maus und einer Auswahl an Werkzeugen Hightech-Implantate formen, mit denen Kunden ihr Selbstbewusstsein, ihre Potenz oder ihr Verhandlungsgeschick steigern können. Ihr habt nicht genügend Follower in den sozialen Netzwerken? Gönnt euch ein Implantat! Die vielen Hasskommentare setzen euch zu? Dann filtert die seelische Belastung einfach durch ein Implantat aus eurem Leben!

Das "Töpfern" der Implantate ist einfach nur fummelig und nervig.
Leider ist das Formen der Implantate eine ähnliche Qual für mich wie damals das elendige Töpfern in der Schule: Die Steuerung ist mir einfach viel zu fummelig – gerade angesichts der Präzision, die hier beim Zurechtschneiden verlangt wird und eine gewisse Geduld erfordert. Hat man nur eine kleine Stelle übersehen und nicht richtig bearbeitet, wandert die Platine in den Müll und man darf wieder von vorne anfangen. Oder man gibt sich gleich richtig Mühe, um das nötige Dauergehämmer auf den Mausknopf mit dem gefühlvollen Zurechtschneiden und der Wahl des richtigen Werkzeug-Aufsatzes in Einklang zu bringen. Und zum Glück gibt es da noch die Funktion, um Fehler umgehend rückgängig zu machen, bevor man die Produktion anwirft.

Spielerisch mau

Das Implantate-Töpfern ist nur eines von drei Spielelementen abseits der Multiple-Choice-Dialoge. Leider sind die beiden anderen auch nicht viel besser: Das Mischen von Cocktails, mit denen man durch den richtigen Anteil von Bourbon, Rum, Tequila, Wodka sowie anderen Zutaten gezielt die Emotionen seiner Gäste anspricht und beeinflusst, ist auf jeden Fall eine coole Idee. Doch die Umsetzung leidet ebenfalls an der gewöhnungsbedürftigen Steuerung und der Redundanz der Mechanik. Auch wenn sich später noch ein Shaker sowie weitere Elemente für die richtige Mischung hinzugesellen, habe ich schnell die Lust an der Arbeit als virtueller Barkeeper verloren.

Manchmal geht es am Tresen auch dramatisch zu.
Gegen Ende des etwa sechsstündigen Abenteuers ist ebenfalls wieder Durchhaltevermögen gefragt: Hier baut man sich zuerst ein Telefonverzeichnis auf und klappert dann all die Leute immer wieder mit vorgetäuschten Identitäten ab, für die man sich erst deren Stimmen-Profile beschaffen muss. Zwar ist es schön zu sehen, wie sich durch diesen „Telefonterror“ die Puzzleteile innerhalb der Handlung aber auch hinsichtlich der Suche nach Passwörtern langsam zusammensetzen. Aber auch hier verliert man rasant das Interesse daran, sich gefühlt nur noch durch die Festnetzanschlüsse zu wählen. Tatsächlich stellt für mich jedes der gebotenen Minispiele aufgrund der schlechten Umsetzung oder Implementierung einen gewaltigen Störfaktor dar, der mich immer wieder aus der fesselnden Handlung herausreißt. Statt für einen gewissen Spielspaß zu sorgen und eine willkommene Abwechslung zu den Dialogen zu bieten, verkommen die wenigen Mechaniken leider zu einem notwendigen Übel, auf das ich gut und gerne hätte verzichten können.

Rebellion gegen die Macht der Konzerne

Während man auf spielerischer Ebene versagt, glänzt The Red Strings Club (ab 14,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) in den Bereichen Story, Handlung und Figuren. Auch wenn die typischen Cyberpunk-Klischees von bösen Konzernen, der Menschlichkeit von Androiden und den Gefahren künstlicher Implantate wie auf einer Liste abgehakt werden, regen die gut geschriebenen Dialoge und glaubwürdigen Figuren zum Nachdenken an. Mitunter wird man aber auch regelrecht dazu genötigt, sich eine Meinung zu bilden und Standpunkte einzunehmen. Dabei wird man aber auch häufig feststellen, dass es gar nicht immer so einfach ist, sich in den Dialogoptionen für eine Antwort zu entscheiden, da es nicht selten zwei Seiten einer Medaille gibt. Und manchmal weist einen das Drehbuch sogar auf amüsante Weise zurecht: Zweifelt man an einer Stelle z.B. an, dass Frauen in der heutigen Gesellschaft nicht länger unterdrückt werden und die Gleichberechtigung beider Geschlechter mittlerweile die Norm darstellt, bekommt man erst einmal eine kleine Standpauke vom Androiden und im Story-Strang wird ein „Ankara hält Sie für dumm“ vermerkt – herrlich! Bei manchen Auswirkungen der Implantate oder Gesprächen über austauschbare Penis-Modelle kann man sich ein Schmunzeln ebenfalls nicht verkneifen.

Eine gute Frage...
Obwohl die Handlung in einer nicht näher definierten Zukunft angesiedelt ist, wird zudem immer wieder der Bogen zur Gegenwart und Videospiel-Klassikern gespannt – sei es durch Themen wie das Hinterfragen von Firmware-Updates, das Streben nach Macht um jeden Preis oder direkten Bezügen zu Steam und sogar Metal Gear Solid. Es macht einfach Spaß, sich mit den Figuren zu unterhalten, ihnen zuzuhören und über manche ihrer Aussagen zu reflektieren. Aber auch die richtigen Schlüsse zu ziehen: Nur durch die passende Kombination aus Gemütszuständen und den richtigen Fragen kommt man den Antworten langsam näher, welche Ziele der angeblich so altruistische Konzern Supercontinent verfolgt, wer da im Hintegrund überhaupt die Fäden zieht und wie man die Pläne durchkreuzen kann. Schade nur, dass es keine Sprachausgabe gibt, doch dafür wurden die Texte immerhin sauber ins Deutsche übersetzt.

Prächtige Pixel-Kulisse

Welcher Cocktail darf es sein?
Kann man dem Pixel-Look von klassischen Adventures Anfang der Neunziger etwas abgewinnen, wird einem der Anblick von The Red Strings Club ohne Zweifel ein Lächeln ins Gesicht zaubern: Die leider viel zu wenigen Schauplätze wurden liebevoll gestaltet und auch die toll animierten Figuren strahlen einen unwiderstehlichen Retro-Charme aus. Es ist bedauerlich, dass man nicht viel mehr von dieser dystopischen Welt zu sehen bekommt, sondern sich abseits der eigenen Vorstellungskraft nur auf kurze Einblicke beschränken muss und den Großteil der Spielzeit in der namensgebenden Bar verbringt. Der Soundtrack will zwar in eine ähnliche Kerbe schlagen, kann aufgrund der schwankenden Qualität der einzelnen Stücke aber nicht so überzeugen wie die durchweg ansprechende Pixelkunst, die sicher auch meinen verhassten Kunstunterricht aufgewertet hätte.

Fazit

The Red Strings Club serviert seine stärksten sowie qualitativ hochwertigsten Cocktails im Bereich Story und Figuren: Obwohl so ziemlich jedes Cyberpunk-Klischee von mächtigen Konzernen über menschelnde Androiden bis hin zu den gesellschaftlichen Auswirkungen von Implantaten abgearbeitet wird, regen die Themen vor allem Dank gut geschriebener Dialoge und dem Treffen schwieriger Entscheidungen zum Nachdenken an. Welchen Preis ist man bereit zu zahlen, um glücklich zu sein? Nimmt man den Leuten durch die künstliche Unterdrückung von Emotionen ihre Menschlichkeit oder würden solche Maßnahmen zu einer besseren Welt führen? Tatsächlich lassen sich bereits viele der aufgegriffenen Themen auf die heutige Zeit übertragen, wenn etwa der Einfluss von Marketing oder das Kleingedruckte von AGBs zur Debatte stehen. Doch so gerne man mit den Gästen plaudert und neben den Dialogen das ansprechende Pixel-Ambiente der Bar genießt: In spielerischer Hinsicht ist The Red Strings Club eine herbe Enttäuschung! Sowohl das „Töpfern“ von Implantaten als auch das Mixen der Cocktails leidet unter der fummeligen Steuerung sowie Redundanz, während das ständige Telefonieren am Ende ebenfalls an den Nerven zehrt. Daher empfindet man die Interaktionen abseits der Dialoge eher als überflüssigen Störfaktor, der den positiven Gesamteindruck spürbar schmälert. Wer aber Lust auf eine gute Geschichte in einem Cyberpunk-Szenario hat, sich gerne auf interessante Gespräche einlässt und über spielerische Mängel oder die sehr wenigen Schauplätze hinwegsehen kann, sollte dem Red Strings Clubs einen Besuch abstatten. Wie man hört, mixt der Barkeeper dort die besten Cocktails, die nicht nur die Geschmacksnerven, sondern auch die Emotionen zum Sprudeln bringen...

Pro

tolle Dialoge, die zum Nachdenken anregen
schwierige Entscheidungen
interessante Figuren
schicke Pixel-Kulisse
nettes Cocktail-Konzept
Fehler lassen sich einfach korrigieren

Kontra

fummeliges Töpfern von Implantaten
sehr wenige Schauplätze
keine Sprachausgabe
nerviges Telefon-Minispiel

Wertung

PC

The Red Strings Club greift interessante Themen und Fragestellungen auf, enttäuscht aber in spielerischer Hinsicht.

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