Jagged Alliance: Rage!17.12.2018, Marcel Kleffmann
Jagged Alliance: Rage!

Im Test: Befreiungsk(r)ampf

Alle Jahre wieder versuchen sich Entwickler und Publisher an einem neuen Spiel aus der Jagged-Alliance-Reihe. Nach dem legendären zweiten Teil (1999) ging bisher jegliches Unterfangen in die Hose - egal ob es Back in Action, Crossfire oder Flashback war. Wie sich da das neue Jagged Alliance: Rage! (ab 9,10€ bei kaufen) schlägt, erfahrt ihr im Test.

Das unerreichbare Meisterwerk

Mittlerweile habe ich die Hoffnung aufgegeben, dass Jagged Alliance 2 (1999) einen gescheiten und komplexen Nachfolger bekommt - oder zumindest ein adäquates Remake. Nach Unfinished Business und Wildfire versuchten es 2012 sowohl Jagged Alliance: Back in Action als auch Jagged Alliance: Crossfire, aber die beiden von Coreplay entwickelten Titel passten nicht in die übergroßen Fußstapfen und das lag überraschenderweise nicht an dem verwendeten Echtzeit-Kampfsystem. Auch Jagged Alliance: Flashback (2014) von Full Control versagte, da fast jeder Bestandteil zu oberflächlich und unfertig war. Nun versucht es Cliffhanger Productions mit Jagged Alliance: Rage!, die bisher Shadowrun Chronicles: Boston Lockdown und Jagged Alliance Online: Reloaded entwickelt hatten, wobei ihr neuer Titel ohnehin als kleiner Ableger bezeichnet wird, damit Rage! es erst gar nicht mit dem übergroßen Meilenstein aufnehmen muss.

Vom Schwachkopf zum Drogenbaron

20 Jahre nach dem ersten Jagged Alliance werden mitten auf einer Tropeninsel zwei wohlbekannte Söldner als Versuchskaninchen für Modedrogen verwendet.

Dr. Q und Grunty stoppen einen Konvoi. Hier visiert Dr. Q gerade einen gegnerischen Soldaten an. Die Treffergenauigkeit lässt sich durch den Einsatz zusätzlicher Aktionspunkte erhöhen.

Doch ein namenloser Wissenschaftler bekommt auf einmal Gewissensbisse, lässt die Söldner frei, beschafft ihnen Ausrüstung und schon beginnt der Inselbefreiungskampf gegen einen Drogenbaron und seine irre Gefolgschaft aus willenlosen Marionetten-Söldnern. Der Drogenbaron ist übrigens Elliot, der im zweiten Teil der Reihe immer die "Geschenke" an Deidranna Reitman überbringen durfte und stets bestraft wurde.

Im Laufe des Befreiungskampfes lernt man Rebellen und andere Einwohner kennen, die von den Soldaten fies unterdrückt werden. Viel mehr Geschichte sollte man in Jagged Alliance: Rage! nicht erwarten. Und mit der Inszenierung ist es ebenfalls so eine Sache, denn die Dialoge aus der isometrischen Standard-Perspektive, die Kamerafahrten und die spärlichen Charakterporträts wollen nicht wirklich mitreißen. Immerhin gibt es deutsche Sprachausgabe, die stellenweise sogar gut gelungen ist. Gewöhnungsbedürftig sind die detailarmen 3D-Modelle der Figuren und die Schmalspurporträts, die trotz comichafter Überzeichnung irgendwie billig wirken.

Eine kleine A.I.M.-Truppe

Die zwei Söldner, die am Anfang aus dem Drogenversuchslabor befreit werden, darf man sich vorher aussuchen. Aus den A.I.M.-Archiven stehen sechs bekannte Figuren zur Verfügung: Dr. Q Huaong, Iwan, Shadow, Raven, Vicki und Grunty. Weitere Figuren aus dem Jagged-Alliance-Universum kehren nicht zurück. Ein eigener Charakter fehlt ebenfalls. Im späteren Spielverlauf des Guerilla-Befreiungskampfes wird das Zweier-Team übrigens vergrößert; alle Figuren kann man jedoch nicht auf einmal mitnehmen.

Mit Iwan Dolwitsch kehrt eine wichtige Figur aus dem Jagged-Alliance-Universum zurück - leider ohne seinen Bruder Igor. Damit bleibt das I-Team unvollständig.

Jeder Söldner verfügt über individuelle Stärken und Schwächen: Iwan ist zum Beispiel ein Alkoholiker mit Schrumpfkopf und muss regelmäßig mit Fusel versorgt werden - dafür richtet der Muskelberg höheren Nahkampfschaden an und dient für seine Kollegen als lebende Deckung. Grunty ist ein Experte für Feuerstöße, hat jedoch weniger Lebenspunkte und leidet unter hohem Blutdruck (Herzanfallrisiko bei hoher Wut). Shadow kann Wurfmesser für Stealth-Kills nutzen und seine "getarnten Kills" sind definitiv lautlos, dafür ist er Bluter und anfällig für Entzündungen bei Verletzungen. Durch die Unterschiede ergeben sich keine Vor- und Nachteile bei den taktischen Gefechten und manche Söldner-Kombinationen sind sinnvoller als andere, was wirklich ein guter und lobenswerter Ansatz ist. Allerdings fehlt es dafür an der Interaktion zwischen den Söldner im eigentlichen Spielgeschehen und das seltsame Charakterdesign hatte ich ja schon angesprochen.

Wenn der Runden-Modus nervt ...

Der Befreiungskampf findet ausschließlich im Runden-Modus statt, sowohl in den Kämpfen als auch bei der Fortbewegung auf den tendenziell zu kleinen Karten im Diorama-Stil. Selbst an Schauplätzen, an denen man nur schnurstracks zu einer Person hinläuft, um zu reden, muss man auf Basis der Aktionspunkte die Bewegung der Söldner dosieren.

Die Echtzeit-Fortbewegung der Söldner in Situationen ohne Feindkontakt vermisse ich enorm, schließlich hat solch ein System jüngst in Mutant Year Zero: Road to Eden hervorragend funktioniert - und in Jagged Alliance 2 sowieso. Bei den eben genannten Spielen ist es so, dass man sich in Echtzeit frei auf der Karte bewegen kann, bis man ein Gefecht eröffnet oder die Feinde die eigenen Aktivitäten bemerken. Entbrennt ein Gefecht, geht es im Runden-Modus weiter. Diese gelungene Verknüpfung von Echtzeit und Runde gibt es in Jagged Alliance: Rage! nicht. Obgleich der Runden-Modus für die taktischen Gefechte wunderbar geeignet ist, verlangt er viel Zeit und Geduld, wenn man das Gelände erkunden, die Söldner in Stellung bringen und Gegenstände plündern möchte, trotz agiler Söldner.

20 Gegner warten im Gefängnis auf zwei Söldner. Ohne lautlose Kills wird man förmlich überrannt. Leichen lassen sich aufheben und verstecken.

Richtig nervtötend ist es, die Laufwege der Gegner im Runden-Modus zu beobachten, um Schwachstellen zu finden und einzelne Feinde unbemerkt ausschalten zu können, da man Runde um Runde dafür beenden muss. Zumindest helfen einblendbare Sichtkegel der Feinde und die Visualisierung der Schrittgeräusche beim Laufen.

Die schleichende Vorgehensweise ist zu Beginn übrigens ein wichtiges Spielelement, da die Gegner zunächst lautlos dezimiert werden sollten. Bei lautem Pistolen- oder Gewehrfeuer bewegen sich nahezu sofort alle Gegner wie aufgeschreckte Hühner zur Geräuschquelle, attackieren das meist hoffnungslos unterlegene Söldnerteam und begeben sich in Deckung. Stealth ist also wichtig, bevor es zu den eigentlichen Feuergefechten kommt, zum Beispiel im Gefängnis, wo 20 Gegner auf zwei Söldner treffen.

In Echtzeit wäre das Auskundschaften, das Anschleichen und die Positionierung der Leute wesentlich angenehmer gewesen. Es hat schon einen Grund, warum Commandos, Shadow Tactics und Mutant Year Zero in diesem Stealth-Ansatz auf Echtzeit setzen. Wenn ich an Jagged Alliance 2 zurückdenke, der Vergleich muss an dieser Stelle einfach sein, kann ich mich nicht erinnern, dass Stealth im damaligen Spiel einen so großen Raum eingenommen hat wie hier, wobei damals auch die Karten weitläufiger waren. Prinzipiell ist der Schleich-Ansatz nicht verkehrt und bereichert die Angriffsmöglichkeiten mit spannenden Hinterhalten, nur ist Umsetzung leider zu umständlich und behäbig.

Die gegnerische Verstärkung wird bereits erwartet. Hier wäre eine Granate praktisch gewesen.

Wenn der Runden-Modus Spaß bereitet ...

Für jede Aktion verbrauchen die Söldner ihre Aktionspunkte, egal ob es Sprinten, Schleichen, Pfeifen (Gegner anlocken), Plündern, auf dem Boden kriechen, Nachladen oder Schießen ist. Es wird also nicht das Zwei-Aktionen-System aus XCOM und Co. verwendet, was ich durchaus begrüße. Apropos Schießen: Je genauer man einen ggf. gepanzerten Körperteil (drei Trefferzonen: Kopf, Torso, Beine) anvisiert und damit die Trefferwahrscheinlichkeit erhöht, desto mehr Aktionspunkte sind erforderlich. Da muss man sich überlegen, ob ein Einzelschuss reichen soll, der ggf. den Gegner nicht tötet oder ob man eine Salve riskiert - sofern man sich nicht durch das hohe Gras heranschleicht und den Gegner aus nächster Distanz lautlos ausschaltet, wobei man sich die lautlose Armbrust im Hubschrauber-Absturzsektor nicht entgehen lassen sollte. Außerdem gibt es noch Deckungsmöglichkeiten (volle und halbe Deckung) wie bei XCOM. Zerstörbares Gelände - zum Beispiel durch Granaten - fehlt.

Die meisten Feinde können übrigens relativ viele Schüsse einstecken, was wiederum lautlose Kills wichtiger macht, da man Feinde so auf einen Schlag ausschalten kann. Zumal man durchschlagskräftige Waffen erst nach mehreren Stunden erhält, die dann die Schusswechsel aus den Deckungen spürbar aufleben lassen.

Gänzlich neu ist die Rage-Mechanik. Wenn die eigenen Söldner Schaden anrichten, Treffer erleiden oder jemanden beim Sterben zusehen, steigt ihre "Wut". Diese Wut bietet mehrere Spezialaktionen je nach Söldner. Raven kann zum Beispiel einen Präzisionsschuss einsetzen, der Rüstungen ignoriert. Dr. Huaong kann Wut in zusätzliche Aktionspunkte umwandeln. In manchen Situationen kann die Wut (notfalls in Spritzenform) den Söldnern den Tag retten.

Aufgeschreckte Hühner

Die Computerintelligenz der Gegner zeigt sich durchwachsen. Manchmal gehen die Feinde clever in Deckung, fordern Verstärkung an, rücken langsam vor oder erblicken mit ihren Adleraugen selbst durch ein mannshohes Maisfeld eine Leiche am anderen Ende des Levels. Dann wiederum laufen sie orientierungslos umher, klettern irgendwo hoch, wieder runter und wiederholen ihre sinnlosen Laufwege pausenlos und ohne Ende. Die gegnerischen Aktionen nach dem eigenen Zug lassen sich übrigens nicht beschleunigt wiedergeben oder abbrechen. Man muss sich stets das ganze Geschehen anschauen, obwohl man zum Beispiel nur einen Spielstand laden möchte. Zwischensequenzen lassen sich ebenso nicht abbrechen.

Abgesehen von den KI-Macken und der umständlichen Stealth-Gewichtung sind die taktischen Duelle zumindest spannend, recht nah am Klassiker und weitgehend verständlich visualisiert. Sie sind das stärkste Element in Jagged Alliance: Rage!.

Auch der Widerstand geht mit harter Hand gegen die Besatzer vor.

Sehr unglücklich ist hingegen das Inventarmangement und die Verwaltung der Gegenstände der Söldner. Hat man einen Sektor komplett gesäubert, wird die Fernbeute-Option aktiviert. Fortan kann man Waffen, Munition, Wasser, Erste-Hilfe-Pakete, Verbände und Co. aus der Ferne und Aktionspunkte-Begrenzung plündern. Nur gibt es einen Haken: Jeder Söldner kann nur einzeln die Leichen und die Kisten der Reihe nach plündern. Es gibt kein übergreifendes Sektorinventar, in das einfach alles eingelagert wird, das man erbeutet oder entdeckt hat. Man muss also alles einzeln und umständlich durchklicken. Bessere Vergleichsmöglichkeiten zwischen den Waffen wären ebenfalls schön.

Der Fluch der Weltkarte

Verbunden werden die einzelnen Aufträge durch eine Übersichtskarte der Drogen-Insel. Dort kann sich das Söldnerteam zwischen den Schauplätzen bewegen, zwischen mehreren Laufwegen/Zielen wählen und zum Beispiel Waffen reparieren bzw. verbessern, wenig zielgerichtetes Crafting angehen und die schweren Wunden der Söldner versorgen, die sich in den Missionen nur rudimentär behandeln lassen. Hierzu schlägt man ein Lager auf und muss den Söldnern etwas Zeit geben, wodurch sie ein Ziel für herumstreifende Patrouillen werden.

Auf der Inselkarte kann man zwischen verschiedenen Zielen und Wege wählen.

Die Protagonisten müssen mit Wasser (oder Alkohol bei Iwan) versorgt werden, damit sie im Kampf gegen die deutlich überlegene Streitmacht nicht dehydrieren. Um die W&W-Survival-Mechanik (Wunden und Wasser) muss man sich anfänglich aufgrund weniger Ressourcen kümmern, später ist die spärliche Mechanik nur schmuckes und unnötiges Beiwerk. Das hätte man komplett streichen und zumindest durch eine minimale Form der Charakterentwicklung ersetzen können. Richtig gelesen, abgesehen von der Beschaffung neuer Ausrüstung kann man die Söldner nicht verbessern. Es gibt keine Charakterwerte, kein Training, keine Erfahrung, keine Level-Ups, keine Sektoren zu erobern, keine Milizen zu bestellen und keine Möglichkeit Waffen/Ausrüstung zu kaufen. Sowohl Weltkarte als auch Charaktere bieten dem Spiel kaum einen Mehrwert. Man kann höchstens einen Konvoi mit Milizen aufhalten.

Überflüssiger Mehrspieler-Modus

Last but not least bietet das Spiel einen aufgesetzten kooperativen Mehrspieler-Modus für zwei Personen, den ich nicht ausprobieren konnte. Prinzipiell teilen sich die Spieler die zu steuernden Figuren und das war es. Auch diese Zugabe ist in der Form völlig überflüssig und hat Ressourcen für sinnvollere Features verschwendet.

Fazit

Es ist zum Mäusemelken: Auch Jagged Alliance: Rage! schafft es trotz Entschuldigung als Serienableger nicht an die legendäre Serie anzuknüpfen und muss sich auch aktuellen Titel wie jüngst Mutant Year Zero: Road to Eden klar geschlagen geben. Dabei ist das grundlegende taktische Kampfsystem rund um Aktionspunkte, lautlose Attacken, Trefferchancen und Deckung eigentlich vernünftig und vor allem gut umgesetzt. Nur fehlt den Gefechten die Dynamik und die bessere Planbarkeit durch Echtzeit-Fortbewegung (außerhalb der Kämpfe), wovon gerade die Stealth-Ansätze mächtig profitiert hätten, die sich nun sehr zäh spielen. Abseits der Gefechte wurden falsche Prioritäten gesetzt und ein unnötiger kooperativer Mehrspieler-Modus sowie ein oberflächliches Survival-System eingebaut, anstatt Charakter-Entwicklung, vielfältigere Spielstile sowie Interaktion zu liefern. Hinzu kommen KI-Macken, ein umständliches Inventar-Management, fragwürdige Charakter-Modelle und eine Schmalspur-Inszenierung. Je mehr Jagged-Alliance-Versuche in die Hose gehen, umso mehr wünsche ich mir einfach nur ein Remake des zweiten Teils ...

Pro

Stärken und Schwächen der einzelnen Söldner
taktische Gefechte mit Aktionspunkten und Deckung
Visualisierung von Aufmerksamkeit und Geräuschen
lautlose Vorgehensweise macht sich bezahlt
odentliche Ausrüstungsvielfalt
meist mehrere Möglichkeiten zum Angriff
freies Speichern
drehbare Kamera
Referenzen auf die JA-Vorgänger
drei Schwierigkeitsgrade

Kontra

keine Charakterentwicklung und wenig Söldnervielfalt
stark reduzierte Möglichkeiten auf der Inselkarte
sehr umständliche Inventarverwaltung
Stealth-Vorgehensweise hätte von Echtzeit-Bewegung profitiert
auffällige Macken bei der Computerintelligenz
aufgesetzt wirkendes Survival-System
schwache Story und Inszenierung
Karten könnten größer sein
unnötiger Mehrspieler-Modus
günstig wirkendes Charakterdesign
schwankende Qualität der Sprachausgabe
Schwierigkeitsgrad lässt sich im Spiel nicht mehr ändern

Wertung

PC

Abseits der ordentlichen Gefechte leidet Jagged Alliance: Rage! an unglücklicher Prioritätensetzung, fehlender Charakter-Entwicklung und diversen Macken.

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