Neverwinter Nights 206.11.2006, Jörg Luibl
Neverwinter Nights 2

Im Test:

Der Winter naht, das trübe Wetter ist schon da und die Tage werden kürzer. Hurra, es ist Rollenspielzeit! Auch wenn sich der Jubel angesichts der mageren Auswahl und der letzten Pleiten in Grenzen halten dürfte, sollte man die Hoffnung auf ein Winterepos nicht aufgeben. Mit Neverwinter Nights 2 (ab 29,99€ bei kaufen) meldet sich immerhin ein Klassiker mit komplexem Regelwerk und echtem Partyleben zurück. Hat er den Zauber alter Schule im Gepäck?

D&D-Nostalgie

Melfs Säurepfeil, ein Langeschwert +1 und ein Unsichtbarkeitstrank. Dazu eine Gruppe zickiger Helden, die Schwertküste

Ein Halb-Ork soll es sein? Mit mächtigem Brustkorb und einem Hang zur Zerstörung?
voraus und einen Sack voller Quests auf dem Buckel. Wie lange ist das her? Waren das herrliche Abenteuer! Neverwinter Nights 2 (NN2) weckt gerade zu Beginn all die nostalgischen Gefühle, die Veteranen schnell in die Zeit von Baldur's Gate 1 und 2 (BG1,2), Eiswindtal und wie sie alle heißen zurückversetzen. Sobald das edle Hauptmenü strahlt und die ersten epischen Akkorde aus den Boxen schallen, sieht man sich schon wieder knietief und schwer beladen durch finstere Katakomben waten.

Allerdings nutzte sich das Phänomen der D&D-Fantasy schon damals mit der Zeit ab. Dem Premierenfeuer von BG1 folgte eine regelrechte Flut an Abenteuern, die Schwertküste mutierte innerhalb weniger Jahre zum Mallorca der isometrischen Rollenspielwelt. Die inflationäre Flut an Items, Klischees und ewig gleichen Quests sorgte für eine Übersättigung. Den Tiefpunkt des Genres markierten auch Spiele aus anderen Universen wie Lionheart  oder kürzlich Dungeon Lords

Aber zurück zu den Forgotten Realms: Im Juli 2002 leitete BioWare mit Neverwinter Nights (NN) die Verschmelzung zweier großer Traditionen ein: Pen&Paper-

Schon im Tutorial lernt hier ansehnliche Zauber wie die Vergrößerung kennen: Euer Kumpel wächst gen Himmel.
traf endlich auf PC-Rollenspiel. In einer 3D-Kulisse konnte man entweder dem vorgefertigten Abenteuer der Kanadier folgen oder ganz eigene entwickeln, tauschen und mit Freunden spielen. Nach dem ersten Add-On Neverwinter Nights: Der Schatten von Undernzit (2003), das atmosphärisch und erzählerisch selbst das Original schlug, setzte Neverwinter Nights: Hordes of the Underdark (2004) schon Staub an - schwache Cutscenes, schwache Story, nervige Automatismen.

Charakter nach Maß

Aber all das ist lang her. Als Rollenspieler will man sich gerne von NN2 neu verzaubern lassen. Am Anfang steht die Charaktererschaffung, mit der versierte Kenner und unentschlossene Freaks wie ich schon Stunden zubringen können. Ihr dürft zwar keine ganze Gruppe aus dem Boden stampfen, was unheimlich schade ist, aber später kommen zahlreiche Nebenfiguren hinzu, so dass ihr inklusive beschworener Tiere schon mal mit einem halben Dutzend unterwegs seid. Für

Trotz komplett deutscher Vertonung: Die Zwischenseqeunzen können nicht mit guter Mimik oder Gestik überzeugen.
euren Held bzw. die Heldin könnt ihr zunächst aus dem Vollen des D&D-Genpools schöpfen: Egal ob Zwerg, Halbork, Elf oder Berührter - es gibt genug Auswahl, darunter erstmals Abstufungen wie Goldelfen, Grauzwerge oder Tiefengnome. Von der einfachen Klasse des Kämpfers oder Magiers bis zur Prestigeklasse der Marke "Arkaner Bogenschütze" habt ihr alle Möglichkeiten einen Allrounder oder Spezialisten nach Maß zu schnitzen. Neu dabei sind u.a. der "Schattendieb von Amn" oder der "Duellant".

Wer keine Lust auf das Studium der Attribute, Talente, Fähigkeiten und Boni hat, die auch das aktuelle D&D-Regelwerk 3.5 füllen, darf sich auch mit ein paar Klicks auf die Empfehlungen automatisch ausstatten lassen - diesen Komfort werdet ihr auch später zu schätzen wissen, wenn eure Helden aufsteigen und eine Lawine an Möglichkeiten herabrollt. Übrigens haben sich inhaltlich nur Details verändert: Barden und Hexer dürfen jetzt ohne Malus ein Kettenhemd tragen; die Art der Waffe ist für die Durchschlagskraft entscheidender - alles andere fällt kaum ins Gewicht. Wer mal ein D&D-Abenteuer gespielt hat, wird sich schnell zurechtfinden.

Allerdings solltet ihr spätestens bei den aktiven Talenten wie Spezialschläge der Marke "Kernschuss" oder "heftiger Angriff" sowie den Zaubern selbst eingreifen, denn dort wird manchmal eine unsinnige Auswahl getroffen, die vielleicht im Pen&Paper auf dem Tisch interessant ist, aber in der virtuellen Welt von Maus&Monitor nutzlos verpufft. Festzuhalten bleibt, dass der Reiz der Charakterentwicklung aufgrund des komplexen Geflechts aus Eigenschaften wesentlich größer ist als bei Gothic & Co. Hier kann man sich richtig reinwühlen, bei jedem Aufstieg brüten und die Karriere gezielt planen. Und ihr dürft auch euer Aussehen von der Augenbraue über die Frisur bis hin zur Bartfarbe bestimmen; nur die Statur lässt sich nicht anpassen.

           

Verheißungsvoller Einstieg?

Sehr angenehm für Einsteiger ist das als Volksfest inszenierte Tutorial: Ihr nehmt mit einigen Freunden an vier Wettbewerben in dem kleinen Dorf Westhafen teil und lernt so, wie man seine Figur und die Kamera bewegt, Waffen

Diese blau leuchtenden Markierungen kennzeichnen das Levelende: Auf einen Klick wird die Karte eingeblendet, auf der ihr reisen könnt.
ausrüstet, das pausierbare Kampfsystem nutzt, die multiplen Dialoge führt, Schlösser knackt und einen Charakter aufsteigen lässt. Diese Einführung ist aber auch für Kenner wichtig, denn die Bedienung ist etwas umständlich, da die Menüs recht verschachtelt sind und selbst das Ausrüsten trotz Drag&Drop nicht immer ganz intuitiv abläuft: Warum kann man Items nicht sortieren? Wo sind z.B. die Automatisierungen für ein zweites Waffenset der Marke Schild+Schwert oder Langschwert+Dolch, die ich übereinander legen und auf einen Klick auswählen kann?

Außerdem wird man schon im Tutorial Bekanntschaft mit der Kamera machen, die immer wieder zu unglücklichen Wechseln oder Perspektiven neigt. Das Drehen und Zoomen hat zwar Vorteile, aber manchmal wünscht man sich fast eine altmodische Isosicht zurück. Immerhin könnt ihr auf einen Doppelklick schnell zu jeder Figur springen und diese sogar direkt über WSAD steuern - allerdings sieht die Spielwelt aus der Distanz weitaus besser aus. Wer hätte vor vier, fünf Jahren gedacht, dass Offline- Rollenspiele in Sachen Grafik den Kürzeren gegen Online-Rollenspiele ziehen würden? Schaut euch Guild Wars an und danach NN2, dann müsste der technische Graben deutlich werden.

Modulenge & Feuerwerk

Auf dem Weg zum Ziel werdet ihr, wie in BG, des Öfteren überfallen. Und wie im Klassiker füllt sich die Karte bald mit Orten, die ihr unabhängig voneinander bereisen könnt - ihr wollt erst die Untoten besiegen und dann den Sumpfriesen finden? Kein Problem: Ein Klick auf das Icon und die Reise beginnt. Selbst kleine Gebiete werden dann nachgeladen, um dort den Kampf abzuhalten oder Dörfer aufzubauen. Das wirkt heutzutage jedoch antiquiert. Warum muss ich im Jahr 2006 noch durch so

Was ist das für ein Scherge? Er ist für den Mord eurer Freundin verantwortlich und verschwindet dann...
enge Levelschläuche geschleust werden? Okay, das machen Jade Empire und Final Fantasy auch. Aber da sehen die Schläuche wenigstens besser aus. NN2 kann in Sachen Landschaft und Kulisse einfach nicht begeistern. Wer sich das Gras, die Bäume oder die Hügel anschaut, wird nicht gerade mit Details empfangen, braucht aber dennoch ordentlich Rechenpower, wenn er alle Licht- und Textureffekte ohne Performance-Einbrüche sehen möchte - das ist ein Missverhältnis, das der Vorgänger nicht zeigte.

Es ist nicht so, dass NN2 schlecht aussieht, denn es gibt hier und da idyllische Fleckchen und schaurige Katakomben, die neugierig machen. Gerade die Licht- und Schattenspiele können sich hier sehen lassen. Hier gibt es nur einen Bug, wenn zwei Partymitglieder Fackeln anzünden - eine will dann partout nicht brennen. Auch das Charakterdesign ist gelungen, die Größenverhältnisse stimmen, Kettenhemden glänzen prächtig und vor allem die Zauber haben es in sich.

Wer mit Feuerball, Kältestrahl & Co hantiert, darf sich auf ein farbenfrohes Spektakel freuen. Diese arkanen Finessen bringen eine angenehme grafische Würze ins Spiel: Druiden verwandeln sich in Wölfe, Spinnennetze halten wabernd Feinde fest, der Vergrößerungszauber lässt Helden aus dem Bildschirm wachsen und wenn Nekoromanten ihre rot glühenden Runen in den Boden brennen, kommt echte D&D-Stimmung auf. Schade ist nur, dass die Ausrüstung der Charaktere nicht komplett angezeigt wird: Wer seinen Gefährten neue Helme, Hüte oder Stirnbänder verpasst, sieht gar nichts.

Auf der Suche nach Lebendigkeit

Monster im Visier: In den Katakomben könnt ihr diverse Perspektiven wählen; leider zickt die Kamera immer wieder.
Die Spielwelt ist insgesamt zu leblos: Warum sind die Gasthäuser so schrecklich steril, statisch und ungemütlich? Warum kann man so wenig Häuser betreten? In Fort Locke sind alle Hütten unzugänglich; man bekommt nicht mal den Hinweis, dass sie verschlossen sind, sie sind einfach nicht anklickbar - sogar das hübsch anzuschauende Hauptquartier bleibt nur Atrappe. Warum kann man da nicht mal rein und stöbern? Warum erklärt nicht wenigstens jemand, weshalb alles zu ist? Erst wenn man Niewinter endlich erreicht, hat man wieder das Gefühl, in eine lebendige Welt zu kommen und erst hier zieht die Story wieder an, weil sich plötzlich die Pfade öffnen und ihr euch zwischen dem rechtschaffenen und gesetzlosen Weg entscheiden müsst: Brandstiftung und Waffenschmuggel im Namen der Diebesgilde auf der einen, den bestrafenden Pfad der Stadtwachen auf der anderen Seite. Egal für welches Schicksal ihr euch entscheidet: es folgen die unterhaltsamsten Quests des Spiels.

Aber selbst die Räumlichkeiten in Niewinter bieten zu wenig Interaktivität, zu wenig klickbares Interieur: Manchmal entdeckt man auf den ersten Blick prall gefüllte Zimmer, die voller Gemälde, Kisten, Krempel und Regale stehen. Obwohl die hübschen Texturen hier Üppigkeit suggerieren, ist rein gar nichts anwählbar. Und in einem Dungeon erwarte ich nach dem Öffnen einer Tür und einem prall gefüllten Raum wenigstens ein paar Dinge, die man mitnehmen kann oder ein paar Textzeilen mit Beschreibungen dazu...

Zur Lebendigkeit gehört auch die Bewegung bzw. der Tagesablauf der NPCs. Auch hier zeigt NN2 eine erschreckende Statik: Die Nebenfiguren stehen teilweise ohne eine einzige Animation an ihrem Fleck - selbst bei Gefahr bleiben sie stehen. Das ändert sich zwar ebenfalls ein wenig in Niewinter selbst, aber insgesamt vermisst man das Gewusel in den Gassen. Selbst BG2 konnte mit seiner Isografik eine bessere Illusion einer lebendigen Spielwelt erschaffen. Dazu gehören in einem modernen Rollenspiel natürlich auch glaubwürdige Reaktionen der Bewohner, wenn man eine Waffe zieht oder ihre Sachen stiehlt. Hier spielt all das keine Rolle, ihr könnt mit gezückter Klinge losziehen, was weniger schwer wiegt als die Tatsache, dass es Bewohnern scheinbar vollkommen egal ist, ob ihr sie beklaut oder nicht. Wird der Taschendiebstahl noch geahndet, könnt ihr die meisten Häuder oder Räume einfach ohne Konsequenzen plündern. Wer einen Dieb spielt, wird in NN2 nur aufgrund der hinterhältigen Attacken auf seine Kosten kommen - das Schleichen und Stehlen bietet kaum Nervenkitzel.

       

Die Party-Interaktion

Edel designt ist NN2 trotzdem - ich mag die Menüs, die Schrift, die Icons. Und schließlich hat es auch innere Werte in Sachen Party-Interaktion. Wenn man über lebendiges Gruppenverhalten spricht, muss man die Meister dieser Disziplin erwähnen:

Mit Rindenhaut kann man Schwerthiebe besser verkraften - leider zeigen sich gerade im Detail immer wieder Clippingfehler; hier ein Schwert in der Tür.
BioWare. Spätestens mit Star Wars: Knights of the Old Republic (KotOR) hatten sie den Zenit der lebendigen Party-Interaktion erreicht. Die Charaktere waren nicht nur glaubwürdig, sondern bestachen mit geschliffen formulierten und angenehm verschachtelten Dialogen, ansehnlicher Mimik und Gestik sowie interessanten Biografien. Das war 2003.

NN2 lässt ab und zu Erinnerungen an diese Qualität aufkommen, weil es ebenfalls mit Sprüchen, Streit und Animositäten zwischen den Helden spielt. Die typischen Charakterzüge werden schnell deutlich: Der raubeinige Zwerg denkt nur an den nächsten Kampf, die dämonische Diebin nur ans Gold, die ernste Druidin an die Natur. Frauen sind eifersüchtig, man buhlt um die Gunst des Helden, immer wieder zeigen Zwischensequenzen, wie es um die Sichtweise eurer Gefährten bestellt ist. Und ihr seid als Schlichter, Anheizer oder Spalter mittendrin: Je nachdem, wie ihr auf eure Gefährten reagiert, steigt oder sinkt das Vertrauen in euch. Knifflig wird es, weil jeder etwas anderes von euch erwartet. Der Zwerg verlangt ehrenhaftes Verhalten, aber die Diebin will lieber Kohle abstauben - wofür entscheidet ihr euch? Leider kommt es ab und zu noch zu Bugs in den Quests: Obwohl ich angeklickt habe, dass ich nicht wetten will, wird mir daraufhin ein Regelverstoß vorgeworfen und mein Vetrauen sinkt bei rechtschaffenen Gefährten.

Das Team von Obsidian serviert euch sehr viele dieser offenen Situationen, die mal auf Nebensächlichkeiten, mal auf euer Gewissen anspielen: Was macht ihr mit einem desertierenden Milizhauptmann, der nur rumsteht und jammert? Oder mit dem verwundeten Duergar, der eure Freunde getötet hat? Rettet ihr lieber Kinder oder helft ihr der Armee? Nehmt ihr Schätze einfach an oder fordert ihr mehr? Schüchtert ihr Leute ein oder wollt ihr sie überzeugen? Egal was ihr tut: NN2 wird euch umgehend Feedback darüber geben, wie sich das auswirkt. Eure Gesinnung kann sich z.B. Richtung gut oder böse verschieben, ihr könnt Einfluss+1 auf eure Gefährten gewinnen oder verlieren.

Obsidian ist nicht BioWare

Das Interieur ist üppig und ansehnlich, aber leider zu oft nicht klickbar. Obwohl Gegenstände
All das macht das Spiel insgesamt zu einem guten. Aber erstens hat man sehr lange nicht so viel Auswahl an Nebenfiguern wie etwa in BG oder NN: Man ist viel zu lange mit Zwerg, Diebin und Druidin unterwegs, hat gar keine Wahl, andere Charaktere mitzunehmen. Erst relativ spät kommen mit der Hexe Qara oder dem Magier Sand weitere Figuren hinzu. Manche NPCs wie Echse Slaan begleiten euch ein Stück, andere warten später in entlegenen Gegenden, so dass irgendwann das Dutzend voll gemacht wird. Aber warum hat man nicht viel früher mehr Variation z.B. für böse Spieler erlaubt? Insgesamt dürft ihr mit vier Helden losziehen.

Und zweitens wird die Party-Interaktion nicht so inszeniert, dass aus der Nostalgie auch Euphorie werden könnte. NN2 kann hier nicht nur nicht die Qualität der BioWare-Abenteuer in Sachen Party-Interaktion erreichen: Auch das Add-On Die Schatten von Undernzit war wesentlich geschliffener, was Wortwitz und Dialoge angeht. Woran liegt das? Das hat erzählerische und schlichtweg technische Ursachen. Zum einen hat man die Charaktere zu schnell durchschaut, so dass man sie in null Komma nichts in die Klischeekiste der Fantasy packen kann. Irgendwo fehlt das Rätselhafte, das Überraschende.

Das ist zwar kein scherwiegender Kritikpunkt, denn das D&D-Universum strotzt nur so vor Archetypen. Und manchmal kann selbst das schnell durchschaute Gezicke wunderbar unterhalten. Allerdings fühlt man sich angesichts mancher naiver Sprüche und Platitüden nicht wirklich als erwachsener Fantasyfan angesprochen - vieles wirkt einfach zu kindisch, zu konstruiert, in Sachen Regie fast wie ein GZSZ der Fantasy. Dieses Gefühl hatte ich bei KotOR nie und selbst bei BG2 viel seltener; Planescape Torment will ich gar nicht erst in die Waagschale werfen.

      

Lokalisierung & Co

Es ist nicht so, dass es keine gelungenen Momente innerhalb der Dialoge geben würde. Vor allem der Zwerg Khelgar und

Mit der Zeit füllt sich die Karte: Ihr könnt auch später noch in jeden Ort zurück, um unerledigte Quests zu meistern.
Tieflingdame Neesha geben sich Saures und wenn später weitere Frauen hinzu kommen, kann man dem Zickenkrieg lauschen. Allerdings wird man auch von der Lokalisierung immer wieder rausgerissen, denn die ist zwar insgesamt gelungen, aber nicht perfekt: Mal abgesehen von Übersetzungsfehlern wie "Talentee" oder falschen Pluralbildungen wie "Seele" statt "Seelen" kommt es immer wieder zu englischen Kommentaren der Marke "What's up?", die der eigene Held von sich gibt, obwohl das Spiel eigentlich komplett Deutsch sein sollte - hätte man das nicht entfernen können? Allerdings nimmt das Ganze keine Oblivion'schen Ausmaße an; der Großteil der Texte wurde sauber übertragen.

Technische Schwächen machen sich auch woanders bemerkbar: Die Streitereien innerhalb der Party werden einfach nicht gut genug von Zwischensequenzen, Animationen und Sprachausgabe inszeniert. Obwohl die meisten deutschen Sprecher überzeugen können, gibt es auch hier vollkommen unpassende Tonlagen. Warum hört sich z.B. ein Hauptmann Mitte 30 an wie ein Rentner? Lippensynchronität oder Mimik ist übrigens komplett Fehlanzeige; selbst SpellForce 2 inszenierte technisch bessere Dialogszenen. Das Intro ist noch klasse, aber im Gesprächsalltag erreicht NN2 einfach kein gutes Niveau.

Spannende, aber schnell durchschaute Story

Vielleicht liegt es auch daran, dass der Plot so schnell die weiße Fahne hisst, seine dramaturgischen Joker vergeudet und sich zu erkennen gibt: Dass das Dorf in mehreren Wellen angegriffen wird, ist ein guter Einstieg. Aber warum muss denn so zügig ein Fürst der Schatten als Erklärung des Unheils auftauchen? Okay, es gibt einige intrigante Nebenstränge, aber die

Dämonenblut Neesha taucht auf: Nehmt ihr die geltungsbedürftige, aber höchst flinke Diebin mit?
Ausgangslage ist atmosphärisch nicht rund. Als Waise sollt ihr euch im Auftrag eures Ziehvaters mit einem mysteriösen Splitter nach Niewinter begeben. Aber man bekommt zu Beginn einfach zu wenig Ansatzpunkte für eine Identifikation mit ihm, auch die befreundete Magierin, die plötzlich stirbt, wird viel zu oberflächlich eingeführt, als dass man bei ihrem frühen Tod echte Trauer empfinden könnte. Irgendwie fühlt man sich kalt reingeschupst.

Das Ganze wirkt nicht dicht genug, greift erzählerisch nicht so harmonisch ineinander über wie in Rollenspielen der Marke BioWare. Immerhin wird die Neugier geweckt: Der mysteriöse Überfall auf euer Dorf galt scheinbar diesem Relikt. Was hat es damit auf sich? Wieso hat es euer Ziehvater versteckt? Und was hat eure Mutter damit zu tun? Ihr sollt Antworten in einem Gasthaus in Niewinter bekommen. Das ist der erzählerische Klassiker, der schon viele Rollenspiele einleitete. Allerdings hat man die Ankunft im Gasthaus, die eigentlich ein atmosphärischer Höhepunkt sein müsste, stümperhaft spröde inszeniert - es ist einfach nicht lebendig genug, nicht mysteriös genug. Immerhin kann man die Kohlen später wieder mit einer spannenden Gerichtsverhandlung aus dem Feuer holen. Die gabs zwar auch schon in KotOR, aber auch hier wird man endlich mal investigativ gefordert. Ansonsten sind echte Rätsel oder anspruchsvolle Probleme nämlich Mangelware.

      

Das Kampfverhalten

Babysitting kann anstrengend sein. Es kann einem Nerven rauben und Flüche entlocken. Ein gutes Kampfsystem sollte nichts

Aufstieg des Zwergen: Sobald ihr eine neue Erfahrungsstufe erreicht, dürft ihr eure Gefährten entweder manuell oder automatisch mit neuen Attributen versehen.
damit zu tun haben - leider hat das von NN2 etwas zu viel damit zu tun. Es ist in seiner Struktur nicht schlecht, sogar komplexer und taktischer als das, was Gothic, Oblivion & Co servieren, aber in seiner Ausführung manchmal frustrierender. Eigentlich hätte das Team von Obsidian Entertainment wenigstens die Qualität von NN1 erreichen müssen - schließlich nutzt man dieselben rundenbasierten Würfelmechanismen des D&D-Regelwerks, bietet dem Spieler jederzeit die Pause für Aktionen an.

Aber irgendwie hat man in NN2 nie das Gefühl, dass man die volle Kontrolle über das Verhalten seiner Gruppe hat: Da bleibt jemand plötzlich in einem Flur zurück, der Zwerg greift mitten im Kampf nicht mehr an oder ein völlig überflüssiger Zauber wird auf einen einzigen Banditen gefeuert. All das kommt natürlich nicht in jedem Kampf so gehäuft vor, aber da man in NN2 hunderte davon bestreitet, summiert sich das.

Obwohl es unheimlich motivierend ist, seinen Helden bestimmte Verhaltensweisen wie Beschütze mich, nutze deine Zauber oder Ähnliches zuzuweisen, werden sie nicht immer korrekt ausgeführt. Es gibt allerdings auch gelungene Szenen, wie z.B. beim Knacken der Schlösser oder Fallen entschärfen, wo sich die Diebin ganz von alleine einschaltet und aktiv wird - hier macht NN2 richtig Spaß. Man muss nur aufpassen, dass keiner in der Zwischenzeit in den rot markierten Bereich läuft und vergiftete Armbrustbolzen auslöst...

Unheimlich nervend ist zudem das Laufverhalten in der Gruppe: Wenn man mit vier Leuten auf einen Punkt marschiert, bewegen sich die Helden im schlimmsten Fall im weit auseinander liegenden Gänsemarsch hintereinander. Das kann in Dungeons schnell in eine Vermisstensuche ausarten.

Sobald die Zauber brutzeln, wird der Bildschirm in ein waberndes Farbenmeer getaucht.
Warum gibt es keine einheitliche Marschgeschwindigkeit und keine sinnvollen Formationen? Gerade wenn die Gruppe inklusive beschworener Wesen und Folgetiere das halbe Dutzend voll macht und in Kämpfe geht, will man seine starken Krieger im Ernstfall vorne sehen, die Magier und Bogenschützen dahinter, die Diebe linkisch an der Seite, damit sie in den Schatten verschwinden können. Leider gibt es hier keine taktischen Routinen, keine Positionsschablonen für das Gruppenverhalten - so läuft schnell jemand in einen Hinterhalt, ihr müsst alles einzeln befehlen; schon BG2 hat das besser gelöst. Richtig ärgerlich ist das bei Fernkämpfern, denn egal ob Magier oder Bogenschütze: manchmal nutzen sie einfach nicht den Abstand aus, sondern bewegen sich trotz Armbrust oder Zauberstab dumm in den Nahkampf.

Also klickt man sich vorsichtshalber durch jeden Charakter, um ihn an die richtige Position zu bringen. Was kann man tun, um diese automatisierten Aktionen zu verhindern? Man kann alles selbst übernehmen und auf die komplette manuelle Steuerung umschalten. Das werden Veteranen ohnehin tun, auch wenn das im Endeffekt Babysitting pur bedeutet und den Zauber selbstständig agierender Gefährten verschwinden lässt: Es wäre viel spannender, wenn man glaubwürdiges Verhalten bei seinen Freunden beobachten könnte. Aber immerhin rettet dieser Anker das Kampfsystem, da man hier wirklich alles selbst bestimmen kann.

Diese Kontrolle habt ihr erstmals auch über die Gegenstände und Waffen, denn ihr könnt nicht nur fleißig handeln, sondern auch alles mit den richtigen Zutaten oder Kenntnissen selbst herstellen - vom Heiltrank bis zum Streitkolben. Das ist natürlich ein idealer Spielplatz für Kenner der D&D-Welt und bereichert die Spieltiefe.

Choreographie & Animationen

Ankunft in Niewinter: Enldich mehr Leben auf den Straßen. Schade nur, dass Gasthäuser und Innenräume so steril wirken.
Beim Kampf, der mit seinen Effekten zunächst begeistert, muss man bei genauerem Hinsehen einige Abstriche machen. Waren die Bewegungen in NN noch richtig elegant und ansehnlich, wirken sie jetzt zu grobschlächtig. Der Choreographie fehlen trotz ansehnlicher Abduckmanöver, Rundumschläge und beidhändiger Attacken die letzten Animationsfinessen - manches kommt zu abgehackt, wirkt deplatziert oder zeitlich versetzt. Natürlich ist es nicht leicht, ein auf Würfelergebnisse abgestimmtes System in Echtzeitkämpfe umzuwandeln, aber bei Jade Empire sieht das Ganze harmonischer und durchgestylter aus. Und wer einmal The Witcher in Aktion gesehen hat, wird den großen Unterschied in den flüssigen Schwerthieben und Kontern erkennen.

Hinzu kommen grobe Animations- und Kollisionsabfragefehler: Manchmal gleiten Helden oder Monster über zehn Meter über den Boden, anstatt ihre Laufbewegung zu zeigen. Im Kampf werden Hindernisse wie Wände oder Türen ignoriert - die Helden ragen mit dem halben Körper hinein, Pfeile jagen manchmal durch massives Holz. All das mögen Kleinigkeiten sein, aber im Jahr 2006 kann man auch eine physikalisch glaubwürdigere Spielwelt erwarten. Und ein guter Pen&Paper-Spielleiter würde diese Inkonsequenzen auch nicht durchgehen lassen. Letztlich kennen Veteranen diese Schwächen mehr oder weniger aus den Vorgängern.

Aufgrund der anspruchsvollen Charakterentwicklung, der in sich taktischen Kämpfe und der ab der Mitte des Spiels durchaus interessanten Story, verzeiht man vieles auch gerne, spielt im Sammeltrieb immer weiter, um endlich das letzte an Hieben und Zaubern aus seinen Helden rauszuholen - zumal man irgendwann wie schon in BG2 eine eigene Festung verwalten kann. Und schon früher, ab Niewinter, teilen sich die erzählerischen Pfade, so dass man das Gefühl hat, der Auflösung bei angezogener Spannungskurve immer näher zu kommen. Wenn man dann alles hinter sich hat, die große Bedrohung ausgeschaltet und die eigenen Helden auf Höchstausstattung gebracht hat, bleibt ein gutes, aber kein berauschendes Gefühl zurück. NN2 kann einfach nicht mehr die Begeisterung früherer Zeiten einfangen.

    

Fazit

Wo ist der alte Zauber? Wenn Neverwinter Nights 2 wirklich Old School im besten Sinne gewesen wäre, hätte ich gejubelt - so bleibt ein unterm Strich unterhaltsames, aber nicht begeisterndes Abenteuer. Trotz stellenweiser Höhepunkte in den Bereichen Party-Interaktion, Charakterentwicklung und Plotaufteilung wirkt hier vieles technisch veraltet und nicht lebendig genug: Warum bleiben so viele Häuser zu? Warum wirken Dörfer so steril und statisch? Warum sind die Zwischensequenzen so hölzern? Wer die Schwertküste vermisst, kann zuschlagen und darf sich über ein ebenso üppiges wie farbenfrohes Zauberarsenal freuen, sollte aber nicht die nächste Generation der virtuellen D&D-Welten erwarten. Obsidian Entertainment hat hier ein grundsolides Abenteuer gestrickt, das aber im Bereich der Dialoge und Charakterzeichnung nicht an die Klasse der BioWare-Highlights heranreichen kann - selbst das Add-On Undernzit hatte mehr Wortwitz parat. Außerdem ist die Zeit der engen und kargen Modulabenteuer vorbei. Wenn schon ein Puzzle aus vielen Teilen anstatt eine freie Welt, dann müssen die auch richtig klasse, richtig edel designt sein - und genau das vermisse ich hier. Die Kulisse kann ihren Baukastencharakter nicht loswerden, es gibt viel zu wenig Interaktivität in oder mit Gebäuden und die NPCs stehen oft steif in der Gegend rum. Das Kampfsystem ist taktisch tief, aber in der Umsetzung zickig; das Figurenverhalten lässt sich zwar bis ins letzte Detail manuell verwalten, aber ist in seinen Automatismen nervig; die Zaubereffekte sind richtig klasse, aber es gibt keine Gruppenbefehle. Ich habe Neverwinter Nights 2 gerne gespielt, es ist immer noch ein gutes Spiel, aber meine Hoffnungen auf den wichtigen Schritt hin zum D&D-Zauber der nächsten Generation wurden nicht erfüllt. Die ruhen jetzt auf Silverfall, The Witcher oder Two Worlds.

[Wir hatten noch keine Zeit das erweiterte Aurora-Toolset zu testen; aber da es auf dem Editor des Vorgängers beruht, sollten Fans hier ein üppiges Instrument zur Erstellung eigener Abenteuer finden. Auch den Multiplayermodus konnten wir noch nicht testen. Mittlerweile ist ein erster Patch erschienen. Anm.d.Red.]

Pro

epische Story
multiple Dialoge
Party von vier Charakteren
ansehnliche Zaubereffekte+ sehr gute Musikuntermalung
komplexe Heldenkarriere
deutsche Sprachausgabe
taktisches Kampfsystem
beruht auf D&D-Regelwerk
lebendige Party-Interaktion
Sidequests je nach Entscheidung
Entscheidungsfreiheit in Quests
insgesamt zwölf Charaktere zur Auswahl
Gefährten komplett manuell steuerbar
Tränke, Rüstungen, Waffen herstellen
mächtiger Editor für eigene Abenteuer
kooperativ spielbare Kampagne
online oder im LAN mit vier Freunden spielbar

Kontra

schnell durchchaute Story
Dialoge nicht ganz geschliffen
veraltetes Baukastenlevelprinzip
viel zu kleine Abschnitte
statisches NPC-Verhalten
Lokalisierung mit ärgerlichen Fehlern- dummes Party-Mitgliederverhalten
zu wenig zugängliche Häuser
umständliche Menübedienung
zu wenig Interaktion in Räumen
keine Befehle für die ganze Gruppe
zu lange zu wenig Party-Mitglieder zur Auswahl
zickige Kamera; Kamerafehler in den Zwischensequenzen
hohe Performance-Ansprüche trotz durchschnittlicher Grafik
kleine Kollisions
& Logikfehler

Wertung

PC

Trotz einiger Höhepunkte in den Bereichen Party-Interaktion, Charakterentwicklung und Plotaufteilung wirkt vieles technisch veraltet und statisch.

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