Hearts of Iron II19.01.2005, Bodo Naser
Hearts of Iron II

Im Test:

Paradox (Europa Univeralis) neuestes Strategiespiel Hearts of Iron 2 könnte man oberflächlich betrachtet für ein angestaubtes Archiv des Zweiten Weltkriegs halten. Die Präsentation ist wenig massentauglich, opulente 3D-Schlachten sind Fehlanzeige. Dennoch hat das Spiel unsere Feldherren-Herzen erobert!

Was wäre wenn?

Was wäre, wenn Frankreich und England vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges konsequenter gegen Nazi-Deutschland vorgegangen wären? Hätte sich so ein großes Blutvergießen verhindern lassen? Was wäre wohl passiert, wenn Feldmarschall Rommel seinen Wüstenfeldzug mit der Eroberung Alexandrias abgeschlossen hätte? Was, wenn Japan die Atombombe vor den USA entwickelt hätte? So

Neben den großen Szenarien könnt ihr auch einzelne Feldzüge nachspielen - hier der "Fall Weiß".
schrecklich die Konsequenzen mancher Alternative in der Realität wären, Hobby-Generäle können nun am PC versuchen, ihre ganz persönliche Antwort auf solche Fragen zu finden.

Spielumfang

In Hearts of Iron 2 kontrolliert ihr eine der führenden Nationen in vier langen Kampagnen von der Zeit vor dem Krieg bis in die Nachkriegszeit. Von 1936-1947 bestimmt ihr die Geschicke eures Landes in den Bereichen Militär, Produktion, Forschung, Diplomatie und Politik. Ziel ist es, durch Eroberung von Schlüsselpositionen so viele Siegpunkte wie möglich einzuheimsen. Wie und wann ihr das macht, ist euer Problem. Außerdem stehen euch 15 große Szenarien zur Auswahl, zu denen auch der Spanische Bürgerkrieg, Rommels Afrikafeldzug sowie die Eroberung Japans zählen. Dabei geht es allerdings nur um die militärischen Belange.

Komplexes Prinzip

Wer den Vorgänger nicht gespielt hat, sollte sich unbedingt die trockenen Tutorials antun, denn das Strategiespiel ist mehr als komplex. Außerdem sind auch für erfahrene Strategen ein paar Partien mit einer möglichst kleinen Nation Pflicht. Dann könnt ihr euch an Großmächte wie Deutschland, England oder Frankreich wagen. "Dampfwalzen" wie Japan, die Sowjetunion oder USA sollten nur echte Profis spielen, da Anfänger bei den ganzen Divisionen leicht den Überblick verlieren - denn 

Optisch gewinnt das Strategiespiel sicher keinen Schönheitspreis. Es verfügt aber über andere Qualitäten
ihr kommandiert weltweit. Obwohl das Spiel in Echtzeit abläuft, erinnert es an eine Mischung aus rundenbasierten Klassikern wie Civilization oder Panzergeneral.

Thematisch korrekt

Das Weltkriegsszenario wird im Wesentlichen korrekt wiedergegeben, wobei Originalnamen von Nazigrößen fehlen. Geschichtliche Ereignisse sorgen zusätzlich für Authentizität, wie etwa die Verwirrung der Roten Armee zu Beginn des deutschen Angriffs auf die Sowjetunion, die im Spiel zu einer Verschlechterung der Kampfkraft der Russen führt. Bei manchen Ereignissen habt ihr sogar eine Wahlmöglichkeit, wie ihr verfahren möchtet. In den Spanischen Bürgerkrieg eingreifen - ja oder nein? Wer die Achsenmächte nimmt, hat zu Beginn des Krieges Vorteile; mit zunehmender Dauer kommen die Alliierten aber immer mehr. England einzunehmen, ist -realistischer Weise- fast eine Unmöglichkeit.

                

Kriegswirtschaft und Innovation

Es geht daher darum, euer Land für

Der riesige Forschungsbaum bietet je nach Nation verschiedene Erfindungen. 
einen langen Krieg fit zu machen. Dafür solltet ihr rasch die Produktion steigern, denn nur so bekommt ihr schnell genug die Divisionen, Flugzeuge und Schiffe, die ihr braucht. Auch die Konsumgüterproduktion ist wichtig, da sie für Geld in der Kasse sorgt. Es gibt nur vier Rohstoffe - fehlende könnt ihr euch durch Handel mit anderen Nationen besorgen. Besonders wichtig ist  Öl, da sonst eure Panzer stehen bleiben.  Die ständige Erneuerung des Waffenarsenals empfiehlt sich, da die Feinde technologisch schnell aufholen. Hierfür könnt ihr neue Waffensysteme, Militärtaktiken und Technologien entwickeln. Sogar Atomwaffen und Geheimprojekte wie Düsenjäger erforschen eure Teams in verschiedenen Spezialgebieten.

Diplomatie betreiben

Vor dem Zweiten Weltkrieg wurden entscheidende Fehler auf dem diplomatischen Parkett gemacht. Die Diplomatie ist daher mehr als nur eine Kür, sie dient vielmehr dazu, euer Überleben durch Bündnisse zu garantieren. Diplomatische Aktionen wie die Garantie der politischen Unabhängigkeit kosten allerdings Geld. Das Anzetteln eines Putsches kostet ein halbes Vermögen und ist nur dann von Erfolg gekrönt, wenn euer Geheimdienstminister einen Bonus mitbringt. Seid ihr der Anführer einer Allianz, dürft ihr die Streitkräfte der anderen Nationen kommandieren: Deutschland gebietet im Feld über Italien, Rumänien und Ungarn.

Eingängige Bedienung

Dass ihr mal einen Außenposten draußen in der Welt vergesst, ist angesichts der Größe des spielbaren Raumes verständlich. Dennoch funktioniert die Steuerung recht intuitiv: Entweder wählt ihr das Ziel einer Einheit aus einer langen Liste oder ihr steuert es direkt an, was bisweilen etwas hakt. Die einstellbare Geschwindigkeit und die Pausenfunktion sorgen für geringe Hektik. Auch

Die Menüs sind zweckmäßig gehalten: Hier verhandelt ihr mit fremden Nationen über Allianzen.
Schwierigkeitsgrad und Aggressivität der KI-Gegner könnt ihr justieren. Eine Vielzahl von Karten und Statistiken sorgt für den nötigen Durchblick, bei der ihr aber die Ansichten durchklicken müsst; eine Darstellung auf nur einer Karte wäre wünschenswert gewesen.

Führung entscheidend

Erstmals spielen auch die Kommandeure in der Schlacht eine entscheidende Rolle: Ihr solltet daher immer überprüfen, ob ein stolzes Panzerkorps auch vom richtigen Mann kommandiert wird. Fehlt ihm das Format, birgt das im Gefecht die Gefahr, dass er zu wenig Truppen kontrollieren kann - eine verringerte Kampfstärke wäre die Folge. Jeder General besitzt spezielle Eigenschaften, die ihn z.B. bei der Verteidigung auszeichnen. Truppen im Einzugbereich des Hauptquartiers genießen Vorteile. Auch der Nachschub ist wichtig, denn abgeschnittene Divisionen sind all zu leicht zu besiegen. Eine besondere Herausforderung ist die Versorgung übers Meer, da ihr hierfür Konvois benötigt.

          

Authentische Waffen

Wichtig bei allen Einheiten sind ihre Werte für Organisation und Moral, die sich durch neue Taktiken verbessern lassen. Vorbildlich auch, dass die unzähligen Waffen -wenn auch vereinfacht- mit ihren realen Vorbildern übereinstimmen. Jede Nation verfügt über Kampfmittel aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs, die auf Schwarzweißfotos zu sehen sind. Die Deutschen besitzen anfangs vorwiegend leichte Panzer, wie den Panzer II, später kommen schwerere wie etwa der Panther hinzu. Jede

Die vielen Waffen entsprechen realen Vorbildern, die im Zweiten Weltkrieg eingesetzt wurden. 
Einheit lässt sich mit Hilfe einer Brigade modifizieren. So lässt sich z.B. der Angriffswert der Infanterie auch gegen harte Ziele mit einer Panzerabwehrbrigade verbessern.

Ab morgens wird geschossen

Die unspektakulären Schlachten finden auf der zoombaren 2D-Weltkarte selbst statt. Zwar ist dabei auch die richtige Taktik gefragt, entscheidend ist aber der strategische Kontext einer Militäraktion. Welche Einheiten greifen an, welche unterstützen sie? Besitzt die Armee genug Durchhaltevermögen? Gibt es Geländehindernisse? Auf See und in der Luft sind ganz andere Vorgehensweisen wichtig als an Land. Erstmals sind auch Zeitpunkt und Dauer wichtig: Ihr müsst die einzelnen Truppenteile zeitlich genau aufeinander abstimmen, um die richtige Wirkung zu erzielen. Mit motorisierter Einheiten solltet ihr möglichst vorpreschen, den Feind umgreifen und einschließen, um ihn vom Nachschub abzuschneiden.

Multiplayer

Die Kampagnen und Szenarien sind auch mit Freunden im LAN oder übers Internet spielbar. Aufgrund ihrer Komplexität sind sie aber auch hier nur erfahrenen Feldherren zu empfehlen. Dabei können bis zu 32 Spieler an einer Partie teilnehmen, die sich in dem von den schwedischen Machern eingerichteten Valkyrienet treffen. Mehrere Spieler können sogar ein Land kooperativ leiten, wobei jeder einen bestimmten Verantwortungsbereich übernimmt. Der eine kümmert sich z.B. ums Militär, der andere um die Wirtschaft.

Spartanische Aufmachung

Ganz im Gegensatz zum Gameplay gibt es an der Grafik einiges auszusetzen: Obwohl sie ihren Zweck erfüllt, ist die 2D-Darstellung einfach unspektakulär. Trotz der Originalbilder der Waffen und der netten Hintergründe fehlt ihr leider jeglicher Wille, auch nur irgendwie zu beeindrucken. Alles ist wie in Skandinavien üblich auf Zweckmäßigkeit ausgerichtet; es gibt auch nur eine Auflösung. Eine mit anderen

Die unspektulär inszenierten Schlachten werden auf der zoombaren Weltkarte selbst ausgetragen.
Strategiespielen vergleichbare Darstellung der Schlachten fehlt leider, hier muss ein schmuckloser Balken genügen. So trifft das Spiel kaum den Mainstream-Geschmack: Zwischensequenzen wie bei Panzers fehlen ebenso wie eine Geschichte, über die sie erzählen könnten.

Kaum was fürs Ohr

Beim Sound setzt sich der Eindruck der absoluten Zweckmäßigkeit fort, denn alles was nichts bringt, hat Paradox gleich ganz weggelassen. Eine Sprachausgabe sucht ihr hier natürlich vergebens. Leider wurde die Übersetzung nicht ganz konsequent durchgeführt, da ab und an noch ein englisches Wort wie "Hard Attack" auftaucht. Die Einheiten dürft ihr wenigstens selbst umbenennen. Musik gibt es übrigens, die ihr aber schnell abschalten werdet, da sie auf Dauer nervt. Die in Hearts of Iron 2 vorkommende Geräusche könnt ihr an einer Hand abzählen. Aber wer braucht das schon, denn schließlich rattern die Gehirnwindungen schon genug.

           

Fazit

Ich spiele deshalb so gerne historische Strategiespiele, weil man dabei den tatsächlichen Geschichtsverlauf verändern kann. Seit Panzergeneral hat das nicht mehr so viel Freude bereitet wie bei Hearts of Iron 2, für das ihr euch allerdings Zeit lassen solltet. Eine Schlacht gewinnt man vielleicht an einem Tag, aber einen ganzen Weltkrieg sicher nicht. Dieses Mal bestimmt ihr nämlich nicht nur das militärische Vorgehen, ihr produziert auch Nachschub, schließt Handelsabkommen und erforscht bessere Waffen. So könnt ihr euch das besorgen, was ihr für einen Sieg ganz nach eurem Geschmack braucht. Wer auf innere Werte setzt, ist mit dem facettenreichen Strategiespiel bestens bedient, denn es ist praktisch unbegrenzt wiederspielbar. Gerade die zu vier verschiedenen Jahren startenden Kampagnen bieten eine Vielzahl an Möglichkeiten: Heute noch spielt ihr den Blitzkrieg nach und nächste Woche versucht ihr die Deutschen vor Moskau zu stoppen. Auch ganz persönliche Ziele, wie einen Krieg zu verhindern, sind durchaus denkbar. Hearts of Iron 2 bietet so eine ideale Spielwiese, auf der sich allerdings nur erfahrene Hobby-Generäle austoben sollten.

Pro

enorme Spieltiefe
riesige Datenfülle
unbegrenzte Wiederspielbarkeit
historische Ereignisse nachspielen
Kommandeure bestimmen
Nachschub entscheidend
korrekt wiedergegebene Waffen
neue Waffen und Taktiken erforschen
Aggressivität der KI einstellbar
Pausenfunktion
kooperativer Multiplayer
dickes Handbuch

Kontra

schmucklose Präsentation
sehr zeitintensiv
bisweilen unübersichtlich
Tutorials wenig prickelnd
nüchtern inszenierte Schlachten
keine 3D-Weltkarte
nervige Musik
kaum Geräusche
nicht komplett übersetzt

Wertung

PC

Wer Panzergeneral mochte, wird dieses facettenreiche Strategiespiel sicher lieben.

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