Und dann gabs keines mehr17.12.2005, Bodo Naser
Und dann gabs keines mehr

Im Test:

Viele von Agatha Christies mörderischen Romanen sind bestens für eine Versoftung als Krimi-Adventure geeignet. Daher ist es auch kein Wunder, dass nun DreamCatcher die Rechte an den Stoffen erwarb, um gleich eine ganze Reihe daraus zu machen. Jetzt ist das erste namens Und dann gabs keines mehr unter dem Label The Adventure Company erschienen. Ist das Point&Click ohne Miss Marple & Co nur was für Fans der britischen Autorin oder auch für Rätselknacker geeignet?

Todsünden rächen sich

Wenn es ans Fragenstellen geht, dann bleibt keine noch so unwichtige Frage ungestellt. 

Manchmal holt einen die Vergangenheit ein - besonders dann, wenn man etwas auf dem Kerbholz hat. So ergeht es auch den zehn Akteuren von Und dann gabs keines mehr, denen von einem Unbekannten per Schallplatte ihre angeblich früher begangenen Mordtaten vorgeworfen werden. Da gibt es den Richter, der ein Fehlurteil fällte, das zur Hinrichtung führte; die Gouvernante, die ihre Aufsichtspflicht vernachlässigte, was zum Ertrinken des Kindes führte; und den General, der während des Krieges einen Offizier in den sicheren Tod schickte. Damit nicht genug, wird nun einer nach dem anderen von ihnen auf mysteriöse Weise umgebracht, ganz so wie es im fiesen Kinderreim "Zehn kleine Leichtmatrosen" beschrieben wird. Der erste erstickt an seinem Whiskey, die zweite wacht morgens nicht mehr auf und so weiter und so weiter, bis schließlich keiner mehr übrig ist. Wer denkt sich so etwas Perfides aus? Wer begeht die Morde und was bezweckt er damit?

Detektiv durch Zufall?

Die Handlung von Und dann gabs keines mehr spielt auf einer Insel und orientiert sich an Agatha Christies berühmtem Kriminalroman "And then there were none" (1939), der auf Deutsch politisch unkorrekt "Zehn kleine Negerlein" heißt und auch bereits verfilmt wurde. Der geheimnisvolle Rächer bleibt zunächst hübsch im Dunkeln, so dass es an euch ist, ihm die Maske zu entreißen. Niemand scheint das Gastgeberehepaar Owen allerdings je zu Gesicht bekommen zu haben. Eines aber ist anders als im Buch: Ihr übernehmt den Part der elften Person, dem jungen Patrick Narracott, der ohne in die Sache selbst verstrickt zu sein in die Rolle des Detektivs schlüpft. Er passt durch seine forsche Art und seine Kleidung jedoch nicht ganz in die eher betulichen 30er-Jahre, in denen die verzwickte Story spielt. Ursprünglich hat er die Gäste auf die Insel gebracht, doch sein Boot wurde seltsamerweise zerstört. Außerdem tobt ein wilder Sturm vor Englands Südküste, so dass vorerst niemand Shipwreck Island verlassen kann.

Loch im Bauch

Genug gelabert! Wenn ihr alle verhört und alles eingesammelt habt, geht die Story in Form eines Renderfilms weiter.
Wer weiß so viel über die einzelnen Personen? Irgendwo muss da eine Verbindung sein, die ihr finden müsst. Ihr fangt an, unangenehme Fragen zu stellen, die manchem der Gäste gar nicht zu schmecken scheinen. Fragen stellt ihr in Form von Multiple-Choice-Dialogen, wobei wirklich alles angesprochen wird. Es ist bisweilen etwas langweilig, immer wieder die ganzen Gäste der Reihe durch zu verhören. Leider hat die Auswahl der Fragen wieder mal keinen großen Einfluss auf das Gespräch, so dass ihr immer alles fragen müsst. Der Wiederspielwert hält sich so in Grenzen, die Antworten liefern euch jedoch wichtige Hinweise auf den Hintergrund der Morde. Die einzelnen Gäste gewinnen so an Kontur, der Ermittler bleibt allerdings blass. Immer wieder findet ihr Schriftstücke, die ihr erst umständlich übertragen müsst, bevor ihr sie in eurer Fallakte lesen könnt. Leider sammelt sich dort alles in einem Wust an, was der Übersicht abträglich ist. Außerdem gibt es eine Menge zu lesen, doch nicht alles davon ist wirklich sachdienlich.              

Überall Hinweise

Ihr durchsucht das Anwesen nach Hinweisen, die in euer Inventar wandern, das so rasch an die Grenze zur Unübersichtlichkeit anschwillt. Wie bitte steckt man ein ellenlanges Fernrohr samt Ständer in die Hosentasche? Waschechte Rätsel sind aber eher selten, es kommt eher aufs Anbringen der Sachen an. Damit das Abenteuer weiter läuft, müsst ihr immer wieder bestimmte Aufgaben lösen, was nicht immer eine Herausforderung oder sonderlich spannend ist.

Inventar und Fallakte füllen sich schnell mit Dingen, von denen ihr nicht mehr wisst, wo und wofür ihr sie mal eingesammelt habt.  
So müsst ihr z.B. alle Zimmer nach Hinweisen durchsuchen und das gleich mehrmals hintereinander, was schnell gemacht ist. Erst dann geht das Gespräch am Abendtisch weiter, das ihr durch die Küchentür belauscht, was schon wieder ein wenig mehr Licht in den kniffligen Fall bringt.

Ihr könnt Gegenstände kombinieren: Die Taschenlampe und die reichlich unlogisch versteckten Batterien ergeben einen schönen Lichtkegel, der die Flure erhellt. So könnt ihr auch nachts in die Zimmer der Verdächtigen, was dann schon das dritte Mal ist, dass ihr dort was sucht. Ihr braucht die Sachen allerdings erst, wenn sie in der Story auch dran sind. Die Äpfel und die Presse ergeben Apfelmost, aber erst wenn ihr ihn braucht. So bleibt es immerhin euch überlassen, wann ihr was einsammelt. Natürlich müsst ihr auch mal die Kombination für einen Tresor rausfinden, wofür ihr wieder die richtigen Bücher, Texte und Schnipsel kombinieren müsst. Geheime Türen gibt es in dem verschachtelten Haus auch noch zu entdecken.

Filme satt

Im Haus gibt es sicher stilvollere Ecken als diese. Der Held regt sich über die vielen Vogeldarstellungen auf.
Die Krimihandlung wird immer wieder durch teils lange Filmsequenzen vorangetrieben, die langsam Erhellung bringen. Es handelt sich um gerenderte Filmszenen, die anders als das Gameplay recht amüsant sind. Fast jedes Gespräch ist in Spielgrafik verfilmt: So ziehen sich die Gäste immer wieder gegenseitig in den Dreck, was durchaus sehenswert ist. Weniger einen Blick wert sind die unförmigen Charaktermodelle, die oft nicht überzeugen, was nicht nur daran liegt, dass sie eben nur Typen darstellen sollen. Die Gesichter sehen bemüht aus, aber der Rest des Körpers ist oft lächerlich und die Bewegungen ungelenk. Der Begriff Wurstfinger erhält angesichts der klobigen Skihandschuhhände der Akteure eine ganz neue Bedeutung. Der Stil der 30er-Jahre wird bei Kleidung, Einrichtung und Möbel bis auf den Hauptdarsteller ziemlich gut getroffen, was dazu beiträgt, dass ihr euch tatsächlich wie in Agatha Christies Romanen fühlt. Ansonsten stellt die Grafik eine Mischung aus 3D und 2D dar: Hintergründe sind gerendert, Akteure und wichtige Gegenstände in 3D-Grafik. Die Brillanz eines Syberia wird dabei jedoch nicht erreicht.

Düsterer Sound

Und dann gabs keines mehr ist das Spiel aus dem Hause The Adventure Company mit der besten Sprachausgabe des Jahres - innerhalb der Reihe. Für ein Adventure, in dem derart viel gesprochen wird, ist das auch elementar wichtig. Es sind viele prominente Stimmen dabei, die nicht nur Haupt-, sondern auch Nebencharaktere sprechen. Allen voran natürlich Andreas Fröhlich, der deutsche Synchronsprecher von Ethan Hawke, John Cusack und Edward Norton, der dem Hauptdarsteller ein angewiderten Unterton verleiht. Das passt zum Detektiv wider Willen eigentlich ganz gut. Auch Arzt oder Richter haben bekannte deutsche Stimmen, die sich ins Zeug legen. Die Musik wurde ebenfalls mit Bedacht gewählt, so dass durchweg Klaviermusik zu hören ist, die schwermütig klingt und sich so gut einfügt.

               

Fazit

Und dann gabs keines mehr ist geradezu ein Paradebeispiel für ein Fan-Adventure, das für alle anderen nur sehr bedingt geeignet ist. Das liegt noch nicht einmal an dem verschachtelten Mordfall, der auch für Leute, die den Kriminalroman aus den 30er-Jahren nicht kennen, gut zu verstehen ist. Die Story animiert immerhin dazu, am Ball zu bleiben. Das Spiel vermittelt auch gut die sarkastisch-düstere Stimmung von Agatha Christies Krimis, weshalb insbesondere Genrefans damit zufrieden sein dürften. Allerdings hat die betuliche Ermittlungsarbeit so ihre Längen, was sich in sich wiederholenden Dialogen, viel Laufarbeit und dem ständigen Kampf mit der Masse an Gegenständen niederschlägt. Manche Aufgaben haben auch mit detektivischer Tätigkeit wenig zu tun, wie etwa das Pressen von Apfelmost. Kriminaltechnisch bietet da etwa Sherlock Holmes wesentlich mehr. Die Kulisse wirkt dennoch angenehm authentisch und die deutsche Sprachausgabe kann sich hören lassen. Insgesamt  ein ordentliches Adventure - eingefleischte Krimi-Fans können noch ein paar Prozente draufschlagen.

Pro

verzwickte Krimihandlung
sehr umfangreich
viele Dialoge
authentisches Design der Zeit
ausgiebige Filmsequenzen
bekannte Synchronstimmen
passende Klaviermusik

Kontra

Ermittlung hat ihre Längen
Flut von Gegenständen
Aufgaben oft zu leicht
nicht immer logisch
viel Laufarbeit
unübersichtliche Fallakte
Texte erst umständlich einlesen
unförmige Charaktermodelle

Wertung

PC

Das Adventure ist was für Agatha Christie-Fans, für andere weniger.

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.