Escape from Paradise City03.11.2007, Benjamin Schmädig
Escape from Paradise City

Im Test:

In Paradise City ist die Hölle los, das wissen wir spätestens seit Gangland: Normalen Alltag kennt diese Stadt nicht, es regiert die Mafia. Nachdem ihr im inoffiziellen Vorgänger zu Escape from Paradise City (ab 6,50€ bei kaufen) zum Paten aufgestiegen seid, lenkt ihr heuer die Geschicke dreier Gesetzloser, welche den Mob infiltrieren und eine gefährliche Verschwörung aufdecken sollen. Gangland war ein Mix aus Action und Strategie mit wenig Handlungsfreiraum - welchen Anspruch verfolgt die Quasi-Fortsetzung?

Nette Kriminelle

Geändert hat sich im Moloch der Verbrechersyndikate wenig: Noch immer ziehen rücksichtslose Gangs in Paradise City die Fäden. Sie teilen die Stadt in Viertel auf, die Polizei hat sich scheinbar zurückgezogen, Bleigewitter übertönt den Straßenlärm und irgendwo brütet ein gewiefter Schurke einen besonders hinterhältigen Plan aus. Jeffrey Kovac, engagierter Agent der amerikanischen National

Angenehm: Nick Porter, Waffenexperte und moderner Robin Hood.
Security Agency (NSA), will der Verschwörung unbedingt auf den Zahn fühlen, doch seine Männer können in den Milieu-verseuchten und von übernatürlichen Vorgängen durchzogenen Straßen nicht ermitteln. Also greift Kovac zu unkonventionellen Mitteln und überlässt das Infiltrieren der Gangster-Szene drei Kriminellen - im Gegenzug für deren Freiheit. Allerdings haben entweder Entwickler oder Publisher bei der Prämisse kalte Füße bekommen und zeichnen ihre  Protagonisten als im Herzen gute Menschen. So werden ein moderner Robin Hood (Waffen-Experte Nick Porter), ein in Notwehr mordendes Straßenkind (Nahkampf-Spezialistin Angel Vargas) sowie ein "unorthodoxer" Polizist (der mit Verbrechern dealende Boris Chekov) zur Mitarbeit gezwungen - im Gegenzug für ihre Freiheit. Schade, der eine oder andere ungemütliche Grat hätte den Figuren mehr Profil verliehen.

Aber darum geht es den Machern ohnehin nicht. Denn auch Paradise City ist lediglich die Schablone eines Mafiaviertels mit kaum mehr Profil als die Übersichtskarte, auf der ihr eure Aktionen plant. Großes taktisches Geschick ist dabei nicht gefragt - Schusswechsel und das Aufwerten eures jeweils aktiven Charakters stehen im Vordergrund. Leider entscheidet ihr euch dabei nicht für einen der drei Akteure, sondern übernehmt in jedem Auftrag die Rolle des vorgegebenen Alter Ego. Eine Identifizierung mit der gesteuerten Figur fällt damit flach, was umso befremdlicher wirkt, wenn sich diese über 24 Eigenschaften und diverse Grundwerte wie in einem Rollenspiel entwickelt. Nach dem Erledigen von verpflichtenden und optionalen Aufträgen kann sie so besser zuschlagen, präziser zielen, mehr Schaden einstecken, 

Die Sichtweite lässt leider etwas zu wünschen übrig.
sicherer ausweichen, Handlanger zur ständigen Begleitung anstellen usw. Mit jeder erhaltenen Eigenschaft darf sie zudem bis zu drei neue Fähigkeiten lernen - einen Besuch beim lokalen Ausbilder einschließlich Spesen vorausgesetzt.

Giftgas-Reinigung

Und was stellt ihr mit euren sich so entwickelnden Agenten an? Ihr erobert in jeder Mission ein Viertel nach dem anderen, bis ihr und eure angeheuerten Gangster den Boss des gesamten Stadtgebiets attackieren könnt. Auch Online oder im LAN zieht ihr gegen bis zu sieben Gegner ins Feld, wobei ihr hier entweder sämtliche Leben der Widersacher auslöschen oder alle Distrikte erobern müsst - falls ihr im dünn besiedelten Online-Moloch überhaupt einen Interessenten findet... Das Überfallen benachbarter Viertel ist in jeder Spielvariante so banal wie die Auftragsstellung: Klickt auf der Karte den anvisierten Bereich an und wählt "Sammeln" - schon bewegen sich eure Leute selbstständig auf den Chefgangster zu, eliminieren ihn häufig sogar ohne euer Zutun. Auch wenn Paradise City als Synonym für "unkomplizierte Action" stehen will, hätte ich mir einen Funken mehr Freiraum beim Kommandieren meiner "Untertanen" gewünscht.        

Eine größere Wahl habt ihr immerhin in Bezug auf die Fertigkeiten der drei Charaktere, denn ihr baut nicht nur deren Reservoir an Attacken und Verteidigungen auf, sondern greift auch auf so genannte Machtfähigkeiten zu. Dabei stehen allen "Gute-Menschen-Gaunern" dieselben Fähigkeiten zur Verfügung, weil es sich um Unterstützung seitens der NSA handelt. So könnt ihr ein Fahrzeug anfordern, Soldaten an eure Seite rufen, ein Areal mit Giftgas "reinigen" oder Autobomben platzieren. Weil ihr gegen das Bare, welches ihr nach der Übernahme von Stadtvierteln erhaltet, zudem eine Hand voll Gangster (Faustkämpfer, Schützen, Heiler oder Kundschafter) einstellen und gelegentlich den (viel zu kleinen!) Rucksack mit Medizin, Rüstung oder besseren Waffen füllen müsst, während euch kein Zeitlimit in den Rücken fällt und ihr die Viertel in beliebiger Reihenfolge übernehmen dürft, entwickelt das

Atmosphärische Tag- und Nachtwechsel begleiten euren Gangster-Alltag.
Spiel nach dem ungemütlich zähen Einstieg bald eine wohltuende Eigendynamik. Kümmert ihr euch wahlweise um die Bedürfnisse der Zivilisten und beseitigt bestimmte Verbrecher oder beschützt die Auftraggeber auf ihrem Weg zum Zielort, winken zudem mehr Zaster, zusätzliche Erfahrungs- oder Machtpunkte sowie wertvolle Gegenstände.

Flache Erzählgewässer

In diesen Zivilisten spiegelt sich allerdings die Schwäche, an der Paradise City krankt: Die Aufträge sind vom Zufall generierte Missionen ohne erzählerischen Hintergrund. Ein Textfenster, in das Aufgabenstellung und zu erwartende Belohnung im Baukastenprinzip eingefügt werden, ist alles, was sie zu bieten haben. Und genau diese Lieblosigkeit zieht sich durch die gesamte Stadt. Händler stehen als seelenlose, uniforme Figuren in Bars oder Hotellobbys am Fleck, vorbei fahrende Autos klingen wie Staubsauger, feindliche Gangster holen in der Unterzahl zwar Unterstützung, warten sonst aber regungslos darauf, angeklickt zu werden, Zivilisten plappern die immer gleichen (ausschließlich englischen) Sprüche und sind sonst nur Teil der Kulisse. Die Bosse der vielen Stadtviertel dienen ebenfalls nur als Klickfenster für Angriffe - sie unterhalten sich nicht mit euch, agieren kaum selbstständig und stellen selten eine nennenswerte Bedrohung dar. Kurz: Wo der geistige Vorgänger Gangland ein pointiertes Mafiamilieu erschuf, ist Escape from Paradise City ein müdes Action-Rollenspiel ohne Tiefe. Kurze Einsatzbesprechungen sind der Gipfel des Handlungsrahmens, doch ob ihr Bösewicht X oder Fiesling Y erledigen müsst, ist spielerisch nahezu belanglos. Und auch wenn die farbenfrohe Stadt trotz einer Fernsicht von gerade mal 200 Metern ein charmantes Comic-Bild samt stimmungsvollem Tag-, Nacht- sowie Wetterwechsel zeichnet: Dass die begrenzten Einsatzgebiete kein Vergleich zu den weiten Welten eines Loki oder Hellgate: London sind, pflichtet der erzählerischen Schwäche nur bei.

Der taffe Engel

Zumal sich Sirius auch mit technischen Mängeln von der Konkurrenz abgrenzt. So könnt ihr die Kamera von der übersichtlichen Luftansicht in eine bodennahe Perspektive wechseln - was völlig sinnfrei ist, da ihr so nicht auf den Großteil eurer Machtfähigkeiten zugreifen dürft. Warum haben es die Entwickler nicht bei ihrer "Strategieansicht" belassen und sie lediglich mit einem stärkeren Zoom nach unten versehen? Dann müsste man sich auch nicht mit der unglücklichen Steuerung des "Action-Modus" quälen.

Mit der Actionansicht könnt nah ans Geschehen fahren - gut steuern lässt sich das Action-Rollenspiel so allerdings nicht.
Denn die Figuren bewegen sich dort nicht relativ zu der per Maus gewählten Blickrichtung, sondern laufen mit einem Druck auf "vorwärts" stets nach vorne - zur Not genau in den Kameramann hinein. "3rd-Person-Action" ist den Entwicklern scheinbar kein Begriff.

Es ist zudem wenig sinnvoll, dass der jeweils oberste Gegenstand im Rucksack per Schnellwahltaste genutzt werden kann. Sprich: Ihr bestimmt die wichtige Medizin für den schnellen Einsatz im Kampf nicht, wie sonst üblich, selbst. Stattdessen wühlt ihr in den ohnehin oft unübersichtlichen und schnellen Gefechten im Inventar. Da ist es nicht gerade hilfreich, dass ihr im pausierten Zustand keine Aktionen ausführen dürft... Das ist besonders ärgerlich, wenn ihr mit Boris unterwegs seid, dessen Spezialität das Anwerben und Dirigieren von Handlangern ist. Der ehemalige Polizist ist im Gegensatz zu seinen Ergebenen nämlich so verwundbar, dass ihr nach bleigeladener Hektik häufig einen Speicherstand laden werdet. Um ein Ableben der taffen Angel braucht ihr euch hingegen kaum Sorgen machen. Aber selbst die Nahkampf-Spezialistin braucht Unterstützung - so wartet ihr denn mitunter Minuten, bis sich die Leiste für den Einsatz der Machtpunkte wieder gefüllt hat und fragt euch, ob es schwierig gewesen wäre, eine Funktion zum Vordrehen der Zeit einzubauen... "Glück im Unglück" gilt für die gelegentlichen Abstürze nach Missionsende. Denn die werfen euch zwar aus dem Spiel, das unmittelbar davor allerdings einen Speicherpunkt setzt.    

Fazit

Nein, Escape from Paradise City ist kein guter Mafia-Krimi; dazu fehlt dem Spiel der Charme einer genau beobachteten Milieustudie. Es ist ein oberflächlicher Action-Streifen, der mit seinem relativ offenen Handlungsrahmen eine spannende Dynamik entwickelt, deren wackliges erzählerisches Gerüst das Haus aber fast zum Einsturz bringt. Es fehlen hervorstechende Charaktere, eine Geschichte, die über "Gut gegen Böse plus ein Schuss Mystik" hinausgeht sowie die handwerkliche Klasse, welche aus dem Spiel mehr als ein abgespecktes Action-Rollenspiel macht. Denn auch wenn es gut aussieht und wenn die Figurenentwicklung eure Entscheidungsfreiheit unterstreicht: Unterm Strich bleibt nur das von dünnen Auftragserklärungen verbundene Abklappern und Erobern unterschiedlich vieler Stadtviertel.

Pro

drei sehr unterschiedliche Charaktere...
plastische Kulissen mit Comic-Touch
schöner Tag- Nachtwechsel sowie Regen
Anwerben und Entwickeln von Handlangern
angegriffene Feinde holen Unterstützung...
Handlungsfreiheit
knackige Geräusche, allen voran die der Waffen

Kontra

... die man abwechselnd spielen muss – keine Personalisierung
hakelige Steuerung in Schulterperspektive
Kommentare aller Figuren wiederholen sich schnell
monotone Musik, Autos klingen wie Staubsauger
... stehen sonst aber tatenlos herum
lieblose optionale Aufträge ohne eigene Story
mickriges Inventar
nur oberster Gegenstand zum Sofort-Gebrauch
keine spezifischen Befehle für eigene Gangster
eintönige Missionsziele
Gegner zu unentschlossen, eroberte Gebiete zurückzugewinnen
Hauptcharaktere unausgeglichen schwer/leicht
häufiges Warten auf Machtpunkte, keine Zeitbeschleunigung
oberflächliche Action statt pointierter Milieuzeichnung wie im Vorgänger

Wertung

PC

Keine pointierte Milieuzeichnung der Mafiawelt, aber kurzeitig unterhaltsame Gangsteraction.

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