The Elder Scrolls 3: Morrowind08.10.2002, Jörg Luibl
The Elder Scrolls 3: Morrowind

Im Test:

Eine riesige Spielwelt, nie gesehene Wassereffekte und Hunderte von NPCs - das reichte, um die US-Version von Morrowind zu einem der attraktivsten Rollenspiele seit Gothic zu machen. Nach knapp fünf Monaten ist jetzt endlich die komplett lokalisierte deutsche Version im Handel. Wir sind erneut für einige Zeit ins Land der Dunkelelfen abgetaucht und verraten Euch in unserem aktualisierten Test, ob sich das Warten gelohnt hat!

Düstere Story-Träume

Kein Geringerer als der Kaiser sorgt für Euren steilen Karriereschub: vom Gefangenen zum kaiserlichen Boten. Aber Warum wurdet gerade Ihr ins Dunkelelfen-Land Morrowind gesandt? Und was will der Kaiser von Euch? Die Story entwickelt sich nach etwa acht Spielstunden von einem mit vielen Fragezeichen verbundenen, aber eher harmlosen Abenteuer hin zu einem packenden Schicksalssog, der Euch tief in das Seelenleben des Dunkelelfenvolks zieht: Gerüchte, längst vergessene Legenden und eine alte Prophezeiung spinnen ein Netz an Indizien, das ziemlich düstere Antworten auf Eure Fragen parat hat.

Aber warum haben die Entwickler auffilmische Zwischensequenzen verzichtet? Gerade diese hätten noch mehr Atmosphäre in den Storyverlauf bringen können. Die wichtigen Träume, die Euren Charakter mit der Zeit heimsuchen, werden noch nicht einmal vorgelesen, sondern als reiner Text präsentiert - hier wurde leider einiges an Dramatik verschenkt.

Innovative Heldengeburt

Im Gegensatz zu anderen Rollenspielen, die die Charakterentwicklung meist vor dem eigentlichen Spielverlauf abwickeln, seid Ihr im dritten Teil der Elder Scrolls-Saga von Anfang an mittendrin im Geschehen: "Wie heißt Du?", fragt ein finster dreinblickender Matrose in der ersten Spielminute auf dem Schiff, das Euch auf die unwirtliche Dunkelelfeninsel Morrowind bringt. In diesem Stil geht es weiter: Auf dem Steg zum Hafengelände fragt Euch eine Wache nach Eurem Aussehen. Jetzt könnt Ihr ein Volk, ein Gesicht samt Frisur und Euer Geschlecht wählen.

__NEWCOL__Ein paar Spielminuten später bestimmt Ihr in einem kleinen Zollhaus Eure Attribute und Fähigkeiten. Auch hier zeigen sich die Entwickler innovativ, denn Ihr habt die Wahl zwischen drei Formen der Berufsbestimmung: Ihr lasst Euch à la Ultima Fragen stellen, Ihr wählt eine von über 20 vorgefertigten Klassen wie "Assassin" oder "Ritter" oder Ihr bestimmt alles selbst und erschafft Euch z.B. einen schleichenden Magier mit starkem Schwertarm - sehr schön!

Komplexe Fantasywelt

Die Entwickler präsentieren in Sachen Hintergrundwelt keine Fast-Food-Fantasy: Die Welt von Morrowind hat ihre Geschichte, ihre eigene Dynamik, ihre Konflikte und bietet mit Drogen, Ausländerhass, dunklen Riten und religiösem Fanatismus eher düsteren, erwachsenen Erzählstoff. Im Gegensatz zu Gothics drei Fraktionen gibt es hier fast ein Dutzend- darunter Völker, Gilden, Sekten und Geheimbünde; hier kann so mancher Einsteiger schnell den Überblick verlieren. Rollenspieler, die Zeit, Geduld und genug Interesse an der Erkundung einer exotischen Welt mitbringen, werden dafür mit einer stimmigen Hintergrundwelt belohnt. Wer sich allerdings ohne Neugier durch das Dunkelelfenland kämpft, und sich wenig um die zahllosen Hinweise der NPCs kümmert, oder nie einen Blick in eines der zahlreichen Bücher wirft, wird an der spielerischen Oberfläche bleiben.

Apropos Bücher: Morrowind ist wohl das erste 3D-Rollenspiel, in dem es Bibliotheken gibt, die nicht nur Buchfassaden, sondern Dutzende(!) lesbarer Werke zu verschiedenen Themen wie Geschichte, Zauberei, Vampirismus, Kräuterkunde, Götzendienst bieten - sogar Gedichte und Tagebücher sind dabei. Genug Stoff jedenfalls, um jeden bibliophilen Fantasy-Fan lange Zeit zu beschäftigen.

Alleine gegen den Rest der Welt?

Wer keine Lust auf die Erfüllung seines Story-Schicksals hat, verlässt den Pfad der Hauptquest und wendet sich Hunderten von kleinen Aufträgen zu und erforscht auf eigene Faust Dungeons und Städte. Allerdings besteht dann die große Gefahr, dass man die epische Haupthandlung komplett aus den Augen verliert und ohne Ziel umherirrt. Und weil die meisten Nebenquests eher Hau-drauf-Charakter haben, kann Morrowind so schnell zum 3D-Diablo mutieren - Ihr habt die Wahl.

Leider kann auch das Tagebuch zur Desorientierung beitragen, denn es zeichnet erstens nicht immer alle wichtigen Details eines Auftrags auf und zweitens ist es trotz Index unübersichtlich organisiert: Alles wird nacheinander aufgelistet, erledigte Aufgaben werden nicht gestrichen. Ein einziger Lichtblick ist die Verlinkung der wesentlichen Stichpunkte, so dass man nicht immer zum Hin- und Herblättern zwischen 100 Seiten Text gezwungen ist.

Kampfsystem: unspektakulär einfach

Kommt es zum Echtzeit-Kampf ist schnelles Reagieren gefragt: Waffe oder Zauber vorbereiten, Gegner mit Fadenkreuz anvisieren und draufhauen bzw. draufzaubern. Im Nahkampf gibt es je nach Bewegung drei Angriffsarten, die den spitzen, scharfen oder stumpfen Aspekt Eurer Waffe betonen. Da Ihr auch die automatische Nutzung der jeweils besten Attacke einstellen könnt, bleibt das Kampfsystem von Beginn an sehr einfach. Aber dafür auch optisch weniger ansehnlich als die Gothic-Variante, die mit animierten Spezialangriffen aufwarten konnte.

__NEWCOL__Mord und lupenreine Weste?

Alles hat seine Konsequenzen: Diebstahl, Raub und Mord sorgen, wenn es denn auffliegt, für ein unliebsames Kopfgeld. Je nach Höhe reagieren die NPCs ungehalten, ablehnend oder gar mit Verachtung auf Euch - wer will schon mit einem gesuchten Kriminellen Umgang pflegen? Wenn Euch das Alleinsein zu viel wird und die Wachen noch nicht vorbeigeschaut haben, könnt Ihr Euch selbst anzeigen und entweder das entsprechende Kopfgeld entrichten oder freiwillig in den Knast gehen; danach ist Euer Vorstrafenregister wieder blank. Findige Abenteurer dürften aber auch noch einen weiteren, illegalen Weg finden, sich eine lupenreine Weste zu verschaffen…

Schwaches NPC-Verhalten

Leider trüben zahlreiche kleine Inkonsequenzen im Verhalten der NPCs den Spielspaß: Ihr bestehlt z.B. einen Händler, der erbost sein Schwert zieht und die Wachen ruft. Ihr rennt raus und er bleibt drin - kein NPC verfolgt Euch aus einem Raum heraus! Wenn Ihr jetzt noch das Gestohlene auf dem Boden platziert und den Wachen eine Entschädigung zahlt, ist Euer Verbrechen vergessen. Ihr hebt das Diebesgut einfach auf und geht wie ein Unschuldslamm zum Bestohlenen, der Euch prompt wieder bedient…

Auch bei schwer bewachten Räumen, wie beispielsweise den Privatgemächern eines hohen Lords, zeigen sich die NPC-Wachen völlig gleichgültig, wenn Ihr als Fremder mit gezückter Waffe durch die Schlafzimmer flaniert und in Kisten oder Schränken stöbert. Lediglich bei Diebstahl schreiten sie erbost ein. Hinzu kommt, dass die NPCs keinen geregelten Tagesablauf haben: Die meisten bleiben 24 Stunden täglich in ihren Hütten - ein Kommen und Gehen wie bei Gothic ist nicht zu beobachten. Im Bereich der Künstlichen Intelligenz und der sozialen Interaktion hätte Morrowind einfach mehr bieten müssen, um ein wirklich glaubwürdigen Alltag zu schaffen.

Vorbildliche Charakterentwicklung

Das Karrieresystem lässt Euch bei der Entwicklung Eurer Attribute und Fähigkeiten freie Wahl. Zunächst verbessert sich alles, was auch angewandt wird: Kämpft Ihr oft mit dem Kurzschwert, steigt die entsprechende Fertigkeit. Feilscht Ihr nie mit einem Händler, liegt dieses Talent zunächst brach. Aber man kann sich gegen bare Münze auch direkt verbessern: Bezahlt Ihr einen Trainer für eine Stunde Langschwert-Übung, steigt Eure Fertigkeit, auch wenn Ihr nie ein Langschwert in der Praxis benutzt habt.

Zwar gibt es auch Levels, aber hier steigt Ihr nicht durch stundenlanges Monster-Schlachten auf, sondern erst dann, wenn Ihr Euch in zehn Fähigkeiten um einen Punkt verbessert habt - egal ob Akrobatik oder Kampfmagie. Und um die Sache noch komplexer zu gestalten, könnt Ihr gleich mehreren Gilden bzw. Fraktionen beitreten und auch dort im Ansehen steigen: vom kleinen Laufburschen bis hin zum ranghohen Mitglied.

Monumentale, aber teils leere Fantasy-Welt

Vom Figuren- und Weltdesign her wirkt Morrowind wie eine Mischung aus europäischem Mittelalter, Star Wars und Dune. Insbesondere in Sachen Architektur bietet das Spiel eine atemberaubende Vielfalt: Ihr werdet zwar klassische Fachwerkhäuser und Burgen finden und beschauliche Fischerdörfer. Aber hinzu kommen Siedlungen, die mit ihren runden Haus- und Tempelformen an Insekten erinnern oder Metropolen wie Vivec, die mit ihrer monumentalen Architektur und den übergroßen Statuen zum Staunen einladen. Wer hier den zahlreichen optischen Reizen folgt, hat sich schnell verlaufen, denn die Größe der Stadt ist schier unermesslich. Und darunter befindet sich noch eine weit verzweigte Kanalisation…

Aber Vivec ist auch exemplarisch für die Leere von Morrowind: Die Außenareale der riesigen Stadt sind nahezu unbelebt - kein Gewusel, keine Händler. Auch in der Landschaft gibt es zu wenig Verkehr, zu wenig wandernde NPCs. Manchmal fühlt man sich an Myst erinnert: optische Anziehungskraft inklusive steriler Leblosigkeit.

__NEWCOL__Grafikpracht mit Schwächen

Vor allem die dreidimensionale Spielwelt mit ihren sanften Hügeln, schroffen Felsformationen und markanten Bäumen dürfte jeden Rollenspiel-Fan begeistern. In Ego- oder Schulterperspektive könnt Ihr die prächtige Landschaft durchstreifen und Euch an herrlichen Lichteffekten beim stimmungsvollem Tag- und Nachtwechsel erfreuen. Und je nach Rechenleistung könnt Ihr die Sichtweite justieren, so dass weite Panoramablicke möglich sind. Bemerkenswert sind auch die Wettereffekte: Diese können dermaßen heftig sein, dass Ihr bei Sturm und Regen die Hand vor Augen nicht seht. Und auch die Bewohnern können sich trotz manch schroffer Übergänge zwischen Gesicht und Körper sehen lassen. Die Bewegungsabläufe der Menschen-, Elfen-, Echsen- und Katzenwesen sind insgesamt gelungen, ohne zu begeistern. Die Wasserdarstellungen gehören jedoch zum Besten, was man bisher auf dem PC gesehen hat - vorausgesetzt eine GeForce 3 schlummert in Eurem Rechner.

Aber trotzdem ist nicht alles Gold was glänzt: Das sumpfige Nass der zahlreichen Tümpel und Moore enttäuscht mit starrem Brei aus Grüntönen. Auch die Lavagruben könnten etwas zähflüssiger wirken. Und schaut man genau hin, wird man vor allem bei den Oberflächenstrukturen von Bäumen, Holz oder Gestein nicht mit plastischer GeForce 3-Qualität à la Halo beglückt, sondern flachen Texturtapeten. Wie lange müssen PC-Spieler eigentlich noch warten, bis der vielgepriesene nvidia-Chip ausgenutzt wird?

Perfekter Sound, tolle Sprachausgabe

Ein wesentlicher Bestandteil der dichten Atmosphäre ist die hervorragende Hintergrundmusik, die den passenden Mix aus leisen und episch-heroischen Tönen bietet. Selten hat eine Komposition so wunderbar zu einer Spielwelt gepasst. Auch die deutsche Sprachausgabe der NPCs zeigt sich von überzeugender schauspielerischer Qualität: Die bedrohlichen Ermahnungen der Wachen und die kühle Verachtung so mancher Bewohner wird akustisch ebenso einwandfrei umgesetzt wie im US-Original. Die deutsche Version kann daher nur jedem Rollenspielfreund ans Herz gelegt werden. Denn auch die Texte sind im Großen und Ganzen stimmig übersetzt - Kompliment ans Lokalisierungs-Team!

Fazit


Morrowind bietet die derzeit ansehnlichste 3D-Grafik, das derzeit innovativste Skill-System und die derzeit komplexeste Fantasy-Welt. Aber Morrowind ist nicht der erwartete Überflieger. Das Team von Bethesda hat an wesentlichen Punkten das vorhandene Hit-Potenzial verschenkt: Gerade im Bereich der NPCs zeigen sich deutliche Schwächen. Anstatt realistischer Wassereffekte hätte ich mir mehr realistisches Verhalten gewünscht. Und der hervorragenden Story fehlt der letzte dramaturgische Kick filmischer Zwischensequenzen. Auch die Grafik kann trotz der Landschafts- und Wetter-Highlights nicht restlos begeistern; hinzu kommen die hohen Hardwareanforderungen. Trotzdem: Wenn Ihr in einer erfrischend fremden Fantasy-Welt versinken wollt, die vorbildlich ins Deutsche übersetzt wurde, solltet Ihr Euch von Morrowind verzaubern lassen. Denn selbst mit einigen Inkonsequenzen kann die Dunkelelfen-Saga mehr als nur kurzfristig fesseln. Es ist ein faszinierender Tauchgang in die Untiefen einer düsteren, von Intrigen und Machtkämpfen gezeichneten Welt. Wer Geduld mitbringt und kleine Fehler mit einem Schuss Fantasie ausgleicht, wird mit dem derzeit atmosphärisch dichtesten Rollenspielerlebnis belohnt. Gothic 2 wird es schwer haben. (Jörg)

The Elder Scrolls III: Morrowind ist sicher insgesamt ein tolles 3D-Erlebnis und das atmosphärischste Rollenspiel seit langem - vor allem Fans der Elder Scrolls-Reihe dürften daher begeistert sein. Trotzdem verhindern Schwächen das Durchbrechen unserer 90er-Schallmauer: Etwa das mangelhafte Balancing - schon zu Beginn ist es als Kämpfer viel zu leicht, Monster zu besiegen. Mit einer höheren Stufe tötet Ihr viele Gegner einfach im Vorbeigehen. Das liegt auch daran, dass Ihr von Anfang an blitzende Harnische und sogar Zweihänder tragen dürft. Was ich mir in Gothic noch vom Mund absparen musste, kostet mich bei Morrowind nur wenige Goldstücke, an die man leicht kommt. Die KI der Gegner ist oft dümmlich: Manch gefährlich geifernder Unhold schafft es beispielsweise nicht mal, einen Steinhaufen zu umkurven, um Euch zu attackieren. Auch nervt, dass man ständig an Gegenständen und Personen hängen bleibt. Trotz der immensen Detailfülle der Welt - fast jeden Gegenstand könnt Ihr nehmen, jedes Buch lesen - sind viele der rätselarmen Quests von erschreckender Einfallslosigkeit: Wie oft muss man in irgendeine Stadt, um irgendeinen Unliebsamen abzuservieren oder auch einen Gegenstand zu klauen!? Zum Glück könnt Ihr ja mit dem beiliegenden Construction-Set Abhilfe schaffen. (Bodo)

Pro

<li>inklusive Editor</i><li>spannende Story</li><li>sehr gute Lokalisierung</li><li>sehr viele Nebenquests</li><li>eine Unmenge an Details</li><li>innovativer Spieleinstieg</li><li>offenes Karriere-System</li><li>riesige, komplexe Spielwelt</li><li>stimmungsvolle Landschaften</li><li>hervorragende Wettereffekte</li><li>fantastische Hintergrundmusik</li><li>überzeugende Sprachausgabe</li><li>glaubhaftes, lebendiges Szenario</li><li>innovative Charakterentwicklung</li><li>komplett freier Spielverlauf möglich</li>

Kontra

<li>großer Hardwarehunger</li><li>regelmäßiges Nachladen</li><li>Grafikschwächen im Detail</li><li>teils unbelebte Landschaft</li><li>unübersichtliches Tagebuch</li><li>Schwächen in der Spielbalance</li><li>unbefriedigendes NPC-Verhalten</li><li>keine filmischen Zwischensequenzen</li>

Wertung

PC

Ihr sucht ein düsteres Fantasy-Epos für echte Abenteurer? Dann ab nach Morrowind!

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