Guild Wars: Nightfall09.12.2006, Mathias Oertel
Guild Wars: Nightfall

Im Test:

Gut eineinhalb Jahre ist es her, dass ArenaNet mit dem ersten Teil der Guild Wars-Serie begann, die Welt der Online-Rollenspiele zu revolutionieren. Das Modell ohne anfallende monatliche Gebühren auf puren Spielspaß zu setzen, hat sich bewährt. Und mittlerweile ist nach Factions mit Guild Wars Nightfall die zweite unabhängig spielbare Erweiterung erschienen – immer noch ein Geheimtipp oder langsam ausgelutscht?

Erklärungsbedarf?

Eigentlich bräuchte man kaum noch etwas zum grundlegenden Konzept von ArenaNets Guild Wars-Serie sagen. Denn nicht nur durch das beispiellose Modell, ein reinrassiges Online-Rollenspiel ohne monatliche Abo-Kosten anzubieten, ist es gelungen, eines der wenigen ernst zu nehmenden Konkurrenzprodukte zu Blizzards allmächtig scheinendem WoW aufzubauen.

Irgendwo zwischen Regenwald und Savanne: Die idyllische Nightfall-Kulisse gehört zum Besten, was man in einem Online-RPG zu sehen bekommt! 
Hinzu kommen weitere markante Merkmale: Eine hervorragende Streaming-Technologie, die Patch-Tage der Vergangenheit angehören lässt; ausgeklügeltes Fähigkeiten-Design der Figuren, bei dem es mehr auf das eigene Geschick denn auf absolute Highlevel-Inhalte ankommt; dynamische PvP-Schlachten, die es zwar an Atmosphäre nicht mit den Reichsduellen von Dark Age of Camelot aufnehmen können, aber ebenso intensiv sind. Die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen. Doch letztlich läuft alles auf dasselbe hinaus: Guild Wars ist als Konzept genauso einzigartig wie die Summe seiner gut kalkulierten Einzelteile.

Kerngeschäft

Und im tiefsten Kern bleibt auch Guild Wars Nightfall, der insgesamt dritte Teil der Guild Wars-Saga diesen Konzepten treu. Wie gehabt trefft ihr an Knotenpunkten wie Städten auf die lebendige und im Normalfall angenehme Community, die die Serie seit Tag 1 auszeichnet. Hier könnt ihr euch zu kleineren Grüppchen zusammenschließen, bevor es in instanzierte Gebiete geht, in denen ihr den Handlungssträngen folgt oder eine der Quests erledigt, von denen es natürlich auch in Nightfall wieder einen ganzen Haufen gibt, wobei die Hauptstory sich dieses Mal aus gut 20 Missionen zusammen setzt. Klingt nicht unbedingt nach viel, doch auch Nightfall wird euch in der Rollenspiel-Kampagne wieder Tage und Nächte lang beschäftigen.

Beeindruckendes Gegnerdesign und mit Ausnahmen gelungene Animationen machen Guild Wars zu einem Augenschmaus...
Natürlich gibt es weiterhin die Möglichkeit, in den Städten und Siedlungen NPCs anzuheuern, die statt menschlicher Mitspieler an eurer Seite kämpfen - für den Fall, dass ihr mal keine Lust auf soziale Kontakte habt oder einfach die Kampagne ähnlich einem Offline-Spiel genießen wollt.

Heldenzeit

Drumherum jedoch hat sich einiges getan. Die wesentlichste Neuerung findet sich in Form von Helden. Dies sind im Laufe der Kampagne zu euch stoßende NPC-Partymitglieder, die im Gegensatz zu den bisher integrierten "Henchmen", denen man eigentlich nur ein Angriffskommando geben kann, komplett von euch ausrüstbar sind und denen man auch weiterführende Befehle geben kann. Dazu gehören z.B. Positionsangaben, Bewachungsorder oder auch die Anweisung, sich aus Kämpfen rauszuhalten. Zusätzlich könnt ihr sogar das Skill-Set festlegen, mit dem sie an eurer Seite in den Kampf ziehen. Dabei vermisst man allerdings stärkere Interaktionsmöglichkeiten in Form von Gesprächen, wie sie z.B. diverse Offline-Kollegen bieten. Doch letztlich muss ich mir immer wieder vor Augen führen, dass Guild Wars Nightfall ein Vertreter der Online-Rollenspiele ist. Das wiederum ist nicht so einfach, denn das Abenteuer in Elona bietet sich noch stärker als seine Vorläufer Factions oder Prophecies als Solo-RPG (mit NPC-Unterstützung) an. Einen großen Anteil daran hat die spannende und vielschichtige Story, die allerdings unter dem Strich nur unzureichend erzählt wird. Zum einen ist die Lektüre des umfangreichen Handbuchs Pflicht, um viele der Beziehungen der euch begegnenden Figuren und Fraktionen zu verstehen.       

Zum anderen ziehen einen die Zwischensequenzen in Spielgrafik nicht mehr so in den Bann, da das Alter der Grafikengine vor allem hinsichtlich der Gesichtsanimationen langsam aber sicher zu Buche schlägt und für die nächste Auflage nach Überarbeitung schreit. Auch die Sprachausgabe ist nicht mehr auf dem Niveau der Vorgänger - definitiv ein Punkt, an dem man für das nächste Kapitel der Guild Wars-Saga arbeiten muss.

Und nicht zuletzt wird trotz Handbuch-Lektüre immer noch sehr viel durch trockene Bildschirmtexte erzählt, die zwar spannend geschrieben sind, bei denen man aber schon bedingt durch die Menge immer wieder versucht ist, alles wegzuklicken, damit es weiter geht.

Der Derwisch (hier ofensichtlich in der weiblichen Variante ist eine der zwei neuen Berufsklassen und ist als Nahkämpfer in der Lage, mehrere Gegner auf einmal anzugreifen.
Wer sich allerdings die Mühe macht und alle Erzählbausteine zusammen fügt, erhält im Gegenzug ein stimmungsvolles Mosaik aus glaubwürdigen Figuren, Intrigen und vielem mehr...

Neue Freunde

Wie schon bei Guild Wars Factions wird auch bei Nightfall das zur Verfügung stehende Klassenarsenal um zwei Positionen aufgestockt: Derwisch und Paragon reihen sich gut in die bestehende Figurenauswahl ein, spielen sich angenehm unterschiedlich von den bereits vorhandenen Professionen und stellen auch erfahrene Spieler vor neue Herausforderungen. Der Derwisch ist mit einer gewaltigen Sense bewaffnet, die ihn im Nahkampf zur bislang einzigen Figur macht, die mehrere Gegner mit einem Schlag treffen kann. Zusätzlich kann er Verzauberungen aussprechen, die zumeist auf ihn selber angewendet werden und die Sensenmacht verstärken.

Der Paragon hingegen ist die Unterstützungsklasse pur im derzeit bekannten Guild Wars-Universum:  Er ist mit seinen Speerwürfen dazu prädestiniert, aus dem Hintergrund anzugreifen. Zusätzlich verfügt er über starke Verstärkungssprüche, die sowohl in der Story als auch in den natürlich wieder kehrenden PvP-Duellen den Unterschied über Sieg und Niederlage ausmachen können.

Ein kleiner Störfaktor hinsichtlich der Charakterklasse, der sich allerdings in keiner Form auf die Wertung auswirkt, ist folgender: Mit Nightfall bin ich auf die sechs üblichen Klassen sowie die zwei neuen beschränkt. Assassinen und Ritualisten dürfen nicht für Nightfall erstellt werden - selbst wenn ich die Factions-Erweiterung installiert habe. Auf der einen Seite natürlich nachvollziehbar, da diese Klassen in das weiter gehende Factions-Universum eingebunden sind und waren. Andererseits würde ich mir wünschen, mich eben mit diesen Berufen der Herausforderung Nightfall stellen zu können.

Neue Kulissen

Bereits mit dem japanischen Setting der Factions-Kampagne wurde die Engine auf Vordermann gebracht und ein Großteil der Mankos des ersten Teiles Prophecies ausgemerzt. Die mal afrikanisch, mal südamerikanisch angehaucht wirkende Welt von Elona überzeugt durch idyllische Landschaften, stimmungsvolles Charakter- und Gegnerdesign sowie überzeugende

Keinen Bock mehr auf Comic-Grafik? Dann holt euch Nightfall und werdet glücklich!
Lichtspielereien. Leider findet man aber immer noch die unsichtbaren Levelgrenzen vor, die bereits seit Teil 1 immer wieder dafür sorgen, dass man mit dem Kopf vor eine unsichtbare Wand (meist an einer leichten Böschung, etc.) rennt - allerdings muss festgehalten werden, dass diese Momente sogar noch seltener vorkommen als im bereits abgemilderten Factions. Doch gerade dann fallen diese Wände umso stärker auf und sind nicht nur das einzige Indiz, dass die Engine für die nächste Aufgabe auch im Detail weitere Verbesserungen vertragen könnte. Denn auch die abgehackten Animationen, die einem ab und an begegnen, sind schon seit dem ersten Guild Wars ein kleiner Störfaktor.

Mano-a-Mano

Auch im PvP-Bereich gibt es eine frische Erfahrung: Die Heldenkämpfe, bei denen ihr mit drei Helden gegen einen anderen Spieler mit drei seiner angeheuerten Kämpfer antretet. Das Schöne: Ihr könnt Heroen mit in den Kampf nehmen, die ihr in der Story aufgenommen, ausgerüstet und auf eure Spielweise eingestellt habt.

Ziel der Heldenkämpfe ist es u.a., einen Kontrollpunkt einzunehmen, der euch nach und nach mit Gewinnpunkten versorgt, je nachdem, wie lange ihr ihn halten könnt. Andere Orte auf der Karte bringen euch zwar keinen Zuwachs auf dem Punktekonto, können aber mit kleineren Verbesserungen bis hin zu einem zusätzlichen Kämpfer auf eurer Seite das Zünglein an der Waage darstellen. Dieser Modus unterscheidet sich extrem angenehm von den bislang eher auf große Auseinandersetzungen angelegten Gilden-Kriegen und unterstreicht den Solo-Charakter, der sich äußerst positiv durch Nightfall zieht.     

Fazit

Die Guild Wars-Saga wird mit jeder Fortsetzung um sinnvolle Elemente bereichert. Nachdem sich der Vorgänger Factions vorrangig auf Mehrspieler-Erweiterungen konzentriert hat, freute es mich bei Nightfall besonders, dass dieses Mal vor allem Solo-Spieler und Anhänger kleiner Freundes-Grüppchen auf ihre Kosten kommen. Die Helden entfachen so etwas wie Offline-Flair, erreichen aber leider nicht den Charakter-Tiefgang von Epen der Marke Bioware. Auch die Tatsache, dass die sehr schöne und spannende Geschichte erst durch Handbuchstudium und das Durchwühlen der trockenen Bildschirmtexte richtig erfasst werden kann, zeigt die Unterschiede zu reinen Offline-Rollenspielen. Gewisse Altlasten wie das mittlerweile überarbeitungswürdige Inventar und etwas zu steife Gesichter sollten für die nächste Ausgabe verbessert werden. Doch kleine Mankos hier und da können nicht verhindern, dass Nightfall vor allem in der Rollenspiel-Kampagne das durchdachteste, schönste und erzählerisch stärkste Guild Wars-Kapitel darstellt. Wer bisher noch keinen Abstecher in die Fantasy-Welt von ArenaNet gemacht hat, findet mit Nightfall die perfekte Einstiegsdroge. Und Veteranen können sich auf eine nochmalige Grafikverbesserung, einen frischen PvP-Modus sowie zwei neue, sich wunderbar ins Gesamtbild einfügende Charakterklassen freuen – und das alles nach wie vor ohne monatliche Abo-Gebühren.

Pro

keine monatlichen Gebühren
idyllisch faszinierende Kulisse
NPC-Helden
Helden ausrüstbar
fesselnde Story
verstärkter Fokus auf mögliches Solo-Spiel
Multi-Lingual
neuer PvP-Modus (Helden-Kämpfe)
zwei neue Klassen
haufenweise Quests
stabile Server
vorbildlicher Support
auch ohne die Vorgänger spielbar
angenehme Community

Kontra

Story nur im Zusammenspiel mit Handbuch komplett erfassbar
Sprachausgabe nur selten überzeugend
Inventar könnte Überarbeitung vertragen
ab und an abgehackte Animationen
gelegentlich unsichtbare Levelgrenzen

Wertung

PC

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