Gray Matter19.11.2010, Bodo Naser
Gray Matter

Im Test:

Gray Matter (ab 9,94€ bei kaufen) ist eines der ambitioniertesten Adventures des Jahres: Es will Zauberei, Grenzbereiche der Wissenschaft und des menschlichen Geistes zu einem faszinierenden Ganzen verschmelzen. Kann das lang erwartete Spiel der Gabriel Knight-Schöpferin das Flair alter Knobelzeiten beschwören und mit modernen Ansätzen überzeugen?

Bye-bye Gabriel

Was macht ein wirklich großes Abenteuer aus? Eine ebenso mitreißende wie tiefgründige Story,

Gabriel Knight heißt quasi Samantha Everett: Es geht dieses Mal um Geister und als Schauplatz dient ein gar finsteres England.   
gleichermaßen einfach zu bedienende wie anspruchsvolle Rätsel und Charaktere, die entweder sympathisch oder aber zumindest überzeugend sein müssen. Das alles fand man bei den Gabriel Knight-Adventures, die immer mehr waren als die Summe ihrer Teile. Vordergründig ging es darum, uralten Legenden auf die Spur zu kommen, wobei sich Realität und Fiktion vermischten, aber dahinter steckte noch mehr.

Sein Debüt feierte Gabriel Knight in New Orleans, wo man in einer Mordserie ermittelte. Im dritten Teil von 1999 tauchte man in die geheimnisvolle Welt der Templer ein, die in der französischen Provinz für mysteriöse Verwicklungen sorgten. Mir persönlich gefiel der zweite Teil mit seinen für damalige Verhältnisse unglaublich lebendigen Charakteren am besten.

Leider wurde die Mystery-Reihe nicht fortgesetzt, obwohl es sogar eine Fan-Petition für einen vierten Teil gab. Jahre später entschloss sich Autorin Jane Jensen dennoch, ein neues Spiel zu entwickeln: Mit neuer Heldin, neuen Schauplätzen und neuer Story, die aber nicht weniger mysteriös sein sollte. Für die vielen Fans hieß es also, vom guten alten Buchhändler und Detektiv sowie seinem Team Abschied zu nehmen. Immerhin blieb eines gleich: Es sollte wieder ein Adventure werden, allerdings mit einem weiblicheren Touch.

Interessanter Beginn

Dieses Gray Matter ist nun nach einigen Verschiebungen endlich erschienen.

Dr. Styles' Landsitz ist nicht gerade einladend. Und doch findet Sam hier ein neues Zuhause und einen Job.
 Es beginnt mit einer Story, die zunächst neugierig macht: Die Protagonistin Samantha Everett strandet, nachdem ihr eben erstandenes Motorrad den Geist aufgegeben hat, auf einem alptraumhaften Landsitz in der Nähe Oxfords. Unter recht dubiosen Umständen wird die abgebrannte Amerikanerin zur Assistentin eines menschenscheuen Wissenschaftlers, der in seinem Keller seltsame Experimente durchführt. Eigentlich ist die hübsche Frau Zauberkünstlerin, aber hier wird erwartet, dass sie ihre Aufgaben erfüllt und keine Fragen stellt. Insbesondere keine unbequemen, die das Vorleben des erstaunlich jung gebliebenen Hirnforschers betreffen, der sich mit den Grenzbereichen des Geistes beschäftigt.

All das wird in längeren Zwischensequenzen erzählt, die nach jedem Kapitel laufen, um die weitere Geschichte zu illustrieren. Diese finsteren Videos sind im Comicstil gehalten und sollen neben der Erzählfunktion für Atmosphäre sorgen. Allerdings wollen sie nicht so recht zum sonstigen Spielinhalt passen, der eher konventionell ist. Des Nachts mutiert Dr. Styles da zum maskierten Phantom der Wissenschaft, während Sam die vollbusige Pseudo-Zigeunerin gibt. Diese spärlichen Gothic-Elemente sollen wohl eine gewisse Jugendlichkeit verbreiten, die aber im krassen Gegensatz zu den altehrwürdigen Mauern von Oxford und dem dortigen Wissenschaftsbetrieb stehen. Letztlich wirkt das ebenso aufgesetzt wie so manches im Spiel. Mal ehrlich, wer würde heute mit einer Maske durch die Gegend rennen?

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Frankenstein oder Heilsbringer?

Tagsüber weht dann ein ganz anderer Geist durch die Universitätsstadt,

Obwohl Oxford ne Unistadt ist, findet Sam nur vereinzelt Studenten, die reden wollen. Für Dr. Styles will niemand arbeiten.    
die so unbelebt wie ein Freilichtmuseum wirkt. Ganz gelegentlich streift mal ein verlorener Student über die Straßen und Plätze. Das Fußvolk hat sich längst seine Meinung gebildet und meidet Dr. Styles, der in ihren Augen ein Sonderling ist. So ist es für Sam gar nicht einfach, Freiwillige für ein Experiment des an Dr. Frankenstein erinnernden Forschers zu rekrutieren. Und das obwohl der Doc ordentlich zahlt und die meisten Studis dauerblank sind. Vielleicht ist es auch seine barsche Art, die viele abschreckt, und die Sam zweifeln lässt, ob sie das Richtige tut. Allerdings empfindet sie auch Sympathie für den Mann, dessen Frau unter ungeklärten Umständen starb.

Dr. Styles hat in den besseren Kreisen längst seinen klangvollen Namen verloren, auch wenn seine Kollegen noch darüber streiten, ob er nun Heiliger oder Scharlatan ist. Im Gegensatz zu der lebenslustigen Sam, die nichts lieber wäre als eine große Illusionistin, bleibt seine Figur lange schemenhaft. So recht will er nicht in ein Schema passen: Er ist Forscher, der in vielem zu weit geht, ein düsterer Mann, der in seinem Keller Menschenversuche macht, und den seine fürsorgliche Haushälterin "gnädiger Herr" nennt. Als man ihn später selbst spielt, kommt er einem eher mitleiderregend vor, wie er seine Frau betrauert - sympathisch macht ihn auch das nicht. Er will ihren Tod nicht hinnehmen und ist zu allem entschlossen. Dann plötzlich taucht ein Schatten auf. Ist es Lauras Geist?

Unentschlossen

In Gray Matter werden viele interessante Themen angeschnitten, aber keines davon wird konsequent ausgeführt. Für sich genommen haben Bereiche wie Gehirnforschung, Pseudowissenschaft, Geisterbeschwörung, Verlustschmerz, Liebe und Magie durchaus ihre Berechtigung, aber es findet keine Verkettung statt. Fast so, als könnte sich die Story nicht recht entscheiden, was nun wichtiger ist. Anstatt mal bei einem Punkt zu verweilen, zappt man lieber zum nächsten Gebiet. Für ein Adventure von Jane Jensen wirkt es trotz netter Ansätze ziemlich zusammengeschustert. Das wird durch den Wechsel der Akteure von Sam zu Dr. Stlyes noch zusätzlich verstärkt, da man jedes Kapitel auch noch jemand anders spielt.

Beim virtuellem Umherwandern in Oxford sorgt zumindest die Musik dafür, dass so etwas wie echte Stimmung aufkommt. Im Gegensatz zur Story bildet sie einen Rahmen, der zwar die morbide Atmosphäre unterstreicht, aber nicht zu aufdringlich wirkt: Die schönen Klänge bleiben immer hübsch im Hintergrund und nerven nicht - sehr gut. Und während der Videos kann die Musik fast so etwas wie Romantik aufkommen lassen, wenn Dr. Styles mal wieder von seiner Frau Laura träumt. Leider kann die Kulisse nicht mit diesen akustischen Reizen mithalten: Gerade die Bewegungen der Charaktermodelle wirken unnatürlich.

Rätsel ohne Anspruch

Neben der unentschlossenen Haupthandlung krankt das Spiel aber vor allem an den viel zu simplen Rätseln.

Wichtigstes Utensil für die Rätsel ist unerwartet die Hot-Spot-Anzeige, denn sonst greift man auch mal daneben. 
Die normalen Aufgaben sind nicht der Rede wert und kaum mit den knackigen Kopfnüssen aus Gabriel Knight zu vergleichen. Kommt man an eine Stelle, wo es nach einer kreativen Problemlösung riecht, wird man schnell mit simplen Aufgaben ernüchtert. An einer Stelle muss man gar Dr. Styles Akten sortieren, was in ein paar Sekunden gemacht ist. Man muss sie einfach nur bei richtigen Buchstaben ablegen und darauf achten, dass die Publikationen bei P landen. Schon hat man's und die Anzeige für den Spielfortschritt ist ein paar Prozente weiter. Was soll das, fragt man sich da zu recht, auch weil stets lang und breit erklärt wird, was genau zu tun ist. Das ist meist unnötig, da oft ein richtiger Gegenstand reicht.

Die geheimnisumwitterte Umgebung hält auch nicht, was sie verspricht: Die Räume sehen zwar aus wie aus einer Gothic-Novel, aber die überbordenden Details darf man gar nicht anfassen. Das Meiste davon ist bloßes Blendwerk ohne Zweck, das Wenigste spielt wirklich eine Rolle. So kann man in der vollgestopften Kathedrale gerade mal ein paar Sachen anklicken, auch wenn der Führer eine historische Einführung gibt, die für ein Jane Jensen-Adventure arg kurz ausfällt. Was wirklich wichtig ist, sieht man erst beim Einschalten der Hot Spots; leider sind aber nicht alle Sachen genau eingezeichnet. Diese ist dennoch unentbehrlich, da die ungenaue Steuerung dafür sorgt, dass man öfters mal daneben greift.

        

Magie für Tüftler

Neben diesen eher blutleeren Rätselchen sollen die Zaubertricks für Abwechslung sorgen.

Sams Zauberkunststücke könnten einfacher funktionieren, denn von einer richtig intuitiven Bedienung ist man weit entfernt. Ans Ziel kommt nur, wer nach Schema f vorgeht.   
 Zunächst stiften sie aber eher Verwirrung, da man nach den anspruchslosen Rätseln tatsächlich denken muss. So ist man ganz schön überrascht, obwohl alles haarklein erklärt wird. Dennoch muss man den passenden Trick auswählen, alle Zubehörsachen holen und die einzelnen Schritte nachstellen. In dem Fall ist das gar nicht so einfach, da man bislang gar nicht gefordert wurde. Zudem ist die Bedienung nicht so eingängig, wie man das erwarten könnte. Hält man sich streng an die Anweisungen, die fett markiert sind, kommt man irgendwann dahinter. Sams Zaubererei ist also eher was für Leute, die gern herum probieren.

Beim Zaubern treten dann kleinere Logikfehler ans Licht: So entspricht der Text in der Zauberanleitung nicht immer dem, was wirklich zu tun ist. Bisweilen fehlt ein Schritt oder man muss einen Gegenstand einbauen. Hier hilft auch, dass die bereits richtigen Schritte stehen bleiben, wenn man zum Auslösen auf den Zauberstab drückt. Alles Falsche wird gelöscht und man muss es noch mal versuchen. Außerdem kauft Sam im Zaubershop ein, als wäre sie ein zweiter Houdini. Der Fehler ist nur, dass sie eigentlich gar kein Geld hat. Unterm Strich erscheint die Zauberkunst etwas steif, altbacken und bürokratisch, aber wenig magisch.

Und das obwohl Sam eigentlich gern Meister-Zauberin wäre. Aus diesem Grund will sie ungedingt bei Daedalus-Club aufgenommen werden, einer hypergeheimen Vereinigung der Zauberer in London. Das ist eine Art Nebenhandlung, bei der ebenfalls Rätsel gelöst werden wollen. Obwohl man bei diesen auch mal überlegen muss, um an die richtigen Orte zu kommen, sind sie nicht viel schwerer als die normalen Rätsel. Immerhin ist hier auch mal ein Stück weit Logik oder Kombinationsgabe gefragt, wenn man ein Worträtsel lösen muss. Allerdings ist auch hier der Weg vorgezeichnet, so dass man kaum eigene Handlungsmöglichkeiten hat.

Gespräche ohne Esprit

Vieles läuft bei Gray Matter automatisch ab, was auch für die Dialoge gilt. Diese sind zwar tadellos auf Deutsch vertont, aber man kann ihnen keine eigene Richtung geben. Statt Multiple-Choice mit echter Entscheidungsfreiheit kann man nur Stichpunkte abklappern, die man immer hübsch alle fragen muss, damit es weitergeht. Freilich bleibt es nicht aus, dass man zurückkehren muss, um noch mal nachzuhaken. Immerhin ist das Gesprochene oft von Belang, da es selten zum Smalltalk kommt, obwohl Sam eigentlich schon gesprächig ist. Doch auch im zwanglosen Geplauder mit ihren Kommilitonen will selten echte Freunde aufkommen, das auch sie wenig mehr als Mittel zum Zweck der Informationsbeschaffung sind. So bleibt auch der Kontakt zu den Freunden oberflächlich, auch wenn Sam etwas über den Dichter Homer erfährt.

        

Fazit

Dieses zu Beginn überaus sympathische Adventure kann sich nicht entscheiden, ob es Wissenschafts-Thriller, Geistergeschichte, Zauberkunststück oder doch ein Liebesroman sein will. Leider wird keiner der Erzählstränge zufriedenstellend zu Ende erzählt, da man sich keine Zeit für die einzelnen Themen lässt. Alles bleibt seltsam oberflächlich, wie man es von einer Autorin der Marke Jane Jensen nicht erwartet hätte. Sogar die Dialoge sind wenig mehr als bloßer Informationsaustausch, ohne viel Charme oder gar Interaktion - von Multiple-Choice keine Spur. Von einem Adventure mit dieser Autorin hätte man auch bessere Rätsel erwarten können: Das Beste, was man über die paar Aufgaben sagen kann ist, dass sie den Spielfluss nicht bremsen. Selten muss man mal länger als ein paar Augenblicke überlegen, bis es weitergeht. Auch komplexe Apparate wurde hier derart versimpelt, dass sie mit drei Handgriffen repariert sind. Hinzu kommt eine ungenaue Steuerung, so dass man oft auf die Hot-Spot-Anzeige angewiesen ist, um nicht daneben zu greifen. Sams Magie verlangt da schon etwas mehr Überlegung, aber auch nur bis man die ungewöhnliche Bedienung verinnerlicht hat - leider sorgen sie dann nicht etwa für magisches Flair sondern für arkane Bürokratie. Die altenglische Kulisse besticht zwar zunächst durch ihre morbide Stimmung und die schöne Musik, aber unterm Strich bleibt ein erzählerisch inkonsequentes, hektisches und anspruchsloses Adventure, das man gerade von der Gabriel Knight-Macherin nicht erwartet hätte.

Pro

Story macht neugierig
Thema: Grenzgebiete der Wissenschaft
interessante Heldin
Rätsel bremsen Spielfluss nicht
Zauberkunststücke nachmachen
Hot-Spot-Anzeige hilft

Kontra

recht oberflächlich
Story kann sich nicht recht entscheiden
Dr. Styles bleibt unsympathisch
zu simple Rätsel
ungenaue Steuerung
verwirrende Zauber-Bedienung
automatische Dialoge

Wertung

PC

Von einem Adventure von Jane Jensen hätte man sich mehr erwartet. Gray Matter ist seltsam oberflächlich und die Rätsel weitgehend anspruchslos, woran auch der ganze Zauberkram wenig ändert.

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