The Book of Unwritten Tales: Die Vieh Chroniken11.08.2011, Jan Wöbbeking
The Book of Unwritten Tales: Die Vieh Chroniken

Vorschau:

Das Vieh ist nicht totzukriegen: Schon in „The Book Unwritten Tales“ avancierte das robuste Fellmonster zum heimlichen Star des Spiels und auch die Insolvenz des Publishers HMH konnte es nicht stoppen: Am 30. Oktober, gut zwei Jahre nach der ersten Ankündigung, bekommt unser Adventure des Jahres 2009 endlich eine Fortsetzung. Wir haben uns bereits durch zwei äußerst alberne Kapitel geknobelt.

Wo ein Vieh ist, ist auch ein Weg

Fast wie Han & Chewie: In den kalten Nordlanden lernt Abenteurer Nate seinen pelzigen Freund kennen.
Fast wie Han & Chewie: In den kalten Nordlanden lernt Abenteurer Nate seinen pelzigen Partner kennen.

Es ist violett, flauschig und quetscht seinen unförmigen Körper mit graziler Anmut durch jeden noch so kleinen Spalt. Kurzum: Das Vieh war schon in »The Book of Unwritten Tales« der ideale Begleiter für den bequemen Abenteurer und Taugenichts Nathaniel »Nate« Bonnet. Der Serien-Ableger »Die Vieh Chroniken« dreht die Zeit zurück und erzählt, wie sich das ungleiche Duo im ewigen Eis kennenlernte. Das Vieh ist übrigens nicht der einzige Vertreter seiner Art: In den Nordlanden lebt noch ein ganzes Rudel der glubschäugigen Fellbüschel. Normalerweise werden die friedliebenden Polarwesen nur von der militanten Tierschützerin Petra in ihrer Ruhe gestört, doch neuerdings macht ihnen noch jemand das Leben schwer: Hexenmeister Munkus, Heerführer der Schattenarmee, will die enormen technischen Fähigkeiten der Viecher für kriegerische Zwecke ausschlachten.

Nate platzt – wie so oft in seinem Leben  - nur zufällig in den Konflikt. Wie Star-Wars-Haudegen Han Solo ist auch er auf der Flucht: Sein Luftschiff hat er in einem gezinkten Kartenspiel gewonnen und nun sitzt ihm die aus dem Sequel bekannte Kopfgeldjägerin Ma’zaz im Nacken, um sein neues Spielzeug schon wieder einzukassieren. Nach skurrilen Luftkampf landen die beiden im ewigen Eis und geraten zwischen die Fronten von Munkus und der Vieh-Horde.

Konfetti-Duell

Schon die »Verfolgungsjagd« zwischen dem menschlichen Protagonisten und der genervten Kopfgeldjägerin gestaltet sich skurril: Während Ma’Zaz ganz schnörkellos androht, das Schiff mit der Kanone ihres Jagdflitzers aus der Luft zu pusten, verbringt Nate seine Zeit damit, sein Vehikel in aller Seelenruhe nach mehr oder weniger nützlichem Utensilien abzusuchen. Er findet etwas Schwarzpulver, eine Zigarre als Anzünder - und einen Beutel Konfetti. Er lässt sich sogar dazu überreden, das Karnevalszubehör als Projektil für die Bordkanone zu benutzen: „Aus den Papierschnipseln werden hunderte gefährliche Schrotgeschosse, wenn man sie aus einer Kanone abfeuert. Hoffe ich.“

Kopfgeldjägerin Ma'Zaz hat es auf Nates redlich ergaunertes Luftschiff abgesehen.
Kopfgeldjägerin Ma'Zaz hat es auf Nates redlich ergaunertes Luftschiff abgesehen.

Eine Wahl hat er ohnehin nicht: Mangels Erfahrungen als Luftschiffkapitän schafft er es schließlich nicht einmal, einfache Kursänderungen vorzunehmen – geschweige denn, ein waghalsiges Fluchtmanöver zu starten. Nicht mal die verwitterte sprechende Galeonsfigur nimmt ihrem neuen Kapitän ernst, wenn er sie um Rat fragt. Doch noch ist die ungleiche Schlacht nicht verloren: Die grimmige Orkfrau fühlt sich durch Nates Unfähigkeit derart proviziert, dass sie ihm postwendend eine echte Kanonenkugel hinüber feuert. Zum Glück bleibt sie in einem Käfiggitter stecken, statt den Rumpf zu perforieren. Jetzt muss Nate nur noch einen Weg finden, sie aus den verbogenen Stäben zu zerren – und schon besitzt auch er ernst zu nehmende Munition für seine Bordkanone.

Ein Fell-Vieh und ein Spinner sind immer die Gewinner!

Ab an die Decke: Das praktische Multifunktionsvieh lässt sich auch als Helium-Ballon zweckentfremden.
Ab an die Decke: Das praktische Multifunktionsvieh lässt sich auch als Helium-Ballon zweckentfremden.

Im späteren Spielverlauf schlüpft man natürlich auch die Rolle des Zottelviehs – oder muss immer wieder zwischen Mensch und Vieh umschalten. Besonders im verwirrenden Turm des Erzmagiers muss das Duo gut zusammenarbeiten, um das „Unmöglichkeitssicherheitssystem“ des Erzmagiers zu umgehen.    Die Gemälde von MC Escher diente als Inspirationsquelle für das Bauwerk - es quillt geradezu überquillt vor optischen Täuschungen, magischen Tricks und Fallen wie wegklappenden Treppenstufen. Hier erweist sich der Blasebalg vom Kamin als nützlich: Einfach Balg mit Vieh benutzen und schon schwebt das aufgeblasene Multitalent fröhlich glucksend an die Decke. Dort kann es nach Herzenslust umher watscheln, um skurrile Bilder, magische Schlangentöpfe und andere Dinge zu untersuchen – oder sie bei Bedarf in seinem unförmigen Rachen zu bunkern. Diese Abschnitte erinnern an die guten alten Gobliiins – schließlich gibt auch das Vieh nur Laute in seiner eigenen Sprache von sich. Ähnlich wie im französischen Klassiker geht es darum, einfach an allen erreichbaren Dingen herumzuspielen.

Für manche Puzzles wie dem leuchtenden Schalterrätsel wechselt das Spiel in die Nahansicht. Der Großteil der Aufgaben wurde aber in die Kulissen eingebunden – und wirkt bereits sehr geschliffen. Nach einigen Minuten bin ich bisher immer auf die passende Lösung gekommen, wenn ich nur gewissenhaft genug gesucht und kombiniert habe. Für Einsteiger gibt es übrigens einen leichteren  Schwierigkeitsgrad, doch nur die „schwer“ genannte Alternative bietet „All die Rätsel! All den Schmerz!“.

Keine ausufernden Experimente

All zu viel falsch machen kann man übrigens nicht: Wenn man sich einen Gegenstand aus der Umgebung oder dem Inventar schnappt, lässt sich das nur dort benutzen, wo es auch Sinn ergibt. Der Experimentierfreude werden also recht enge Grenzen gesetzt – dem Frustpotential aber auch. Ein Druck auf die Leertaste offenbart Hotspots, Gesprächspartner und einen kurzen Hinweis-Satz zur momentanen Hauptaufgabe. Das überschaubare Inventar flutscht zügig ins Bild, wenn der Cursor sich dem unteren Bildrand nähert. Genau richtig also, um sich aufs Wohnzimmersofa zu verkrümeln und nur mit der Funkmaus zu spielen.

Ein hartes Los: Nicht einmal die ebenso verwitterte wie verbitterte Gelleonsfigur nimmt Nate ernst.
Ein hartes Los: Nicht einmal die verwitterte und verbitterte Galeonsfigur nimmt Nate ernst.

Auf einem dicken Fernseher kommt auch die konkurrenzlos gute Technik besser zur Geltung: Mit ihrer Symbiose aus Renderkulissen und in Echtzeit animierten Figuren haben die Entwickler es wieder  geschafft, ein erstaunlich harmonisches und unheimlich detailliertes Gesamtergebnis zu erschaffen. Wenn Nate realistisch animiert durch die Kajüte stapft, fallen hinter ihm feine Schatten auf die detailverliebt ausgearbeiteten Schränke und Teppiche. Daneben zerschneiden filigrane Lichtstrahlen die staubige Luft. Wie gut die Illusion funktioniert, merkt man vor allem an Stellen, an denen die Entwickler finale Beleuchtung noch nicht eingebunden haben. Ohne Licht und Schatten wirkt es plötzlich so, als würden die Figuren über der arktischen Schneedecke schweben. Auch in die Soundkulisse wurde mit viel Liebe gemacht: Wenn der unförmige Viehrumpf über den Boden rauscht, hört man sein buschiges Fell rascheln und knistern. Lässt man es eine Weile stehen, erklingt aus der Ferne feines Brummen, Plätschern oder Windrauschen – die feinen Umgebungsgeräusche verleihen jeder Kulisse ihre ganz eigene Stimmung.

Ausblick

Obwohl die Vieh Chroniken eine ganze Weile auf Eis lagen, spielt auch das zweite große Adventure des Bremer Entwicklers King Art technisch in seiner eigenen Liga: Vor allem der geschickte Einsatz von Licht und weichen Schatten sorgt für eine harmonische Verschmelzung von Figuren und Hintergrund. Das Endergebnis sieht sogar noch hübscher aus als im Vorgänger! Auch die inneren Werte stimmen: Die urige Fantasy-Geschichte hat mich wieder auf Anhieb ans Spiel gefesselt, die Rätsel gestalten sich angenehm logisch und sogar die Dialogautoren haben sich gesteigert: Vor allem Nates trockene Kommentare treffen fast immer ins Schwarze.  Mit der Preview-Fassung habe ich schon mehr als vier äußerst unterhaltsame Stunden verbracht – und wenn unterdessen nicht die Testfassung zu »Harveys Neue Augen« eingetrudelt wäre, hätte ich wahrscheinlich noch eine ganze Weile weiter gezockt. Schön, dass die zwei flauschigen Stars der goldenen Point-n-Klick-Jahre 2008/09 wieder da sind – für mich sind Harvey und das Vieh schon jetzt die beiden aussichtsreichsten Kandidaten für das Adventure des Jahres.

Ersteindruck: sehr gut

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