Blade & Soul27.11.2015, Dieter Schmidt
Blade & Soul

Vorschau: Enemy Mine - geliebter Grind

Um es gleich vorweg zu nehmen: Blade & Soul ist kein Guild Wars und hat auch nichts mit einem Wildstar gemein. Der asiatische Erfolgshit ist durch und durch ein typischer „Asia-Grinder“ und zeigt in vielen Bereichen Allüren, die nicht jedem Spieler im Westen gefallen dürften. Man braucht eine Brille. Bitte? Erklärung folgt.

Die rosarote Grinder-Brille

Es war einmal ein Martial-Arts-Kämpfer, der durch die Lüfte flog und ein sorgenloses Leben führte. Doch dann kam die böse Jinsoyun und weil sie so bitterböse ist, trägt sie nur schwarze (aber sexy) Klamotten, damit auch jeder weiß, wie böse sie ist. Und dann passieren böse Dinge: Die bösen Räuber  werden stärker und Dorfbewohner  verwandeln sich in böse Kreaturen, aber gottlob gibt es in dieser schwarzweißen Zeichnung den Helden, der alles plattmacht.

Erst sehr spät kommt das koreanische MMO auf Touren.
Hört sich blöde an? Das ist aber die Blaupause für eine große Anzahl von sehr guten Spielen und Kinofilmen. Es kommt halt auf die Erzählweise an. Und die ist in Blade & Soul sehr simpel und sehr asiatisch. Entweder kann man die Dialoge und den Einstieg mit Humor nehmen oder man kann die rosarote Grinder-Brille aufsetzen und wie ein Koreaner denken: Story? Inszenierung? Ist mir egal und drauf Losklicken. Die Darstellung der Frauen? Vorsichtig gesagt: Sehr asiatisch. Die farbige Überfrachtung des Bildschirms samt nicht wegklickbaremChatfenster? Asiatisch. Dabei ist die Inszenierung am Anfang  gar nicht mal so schlecht – wird aber sogleich vom Hol-und-Bringdienst-Dialogschreiber konterkariert. Ich hab mein Kleid in der Räuberhöhle verloren, zwanzig Minuten später  ist es ein Schwert und dann geht man wieder in die Höhle, um die üblen Schurkenpläne zu klauen – die man artig abgibt,  und die dann nie wieder kommentiert oder eingebunden werden. Bis Level 15 gibt es böse Räuber, einen Spion in den eigenen Reihen und zusammenhangslose Bringdienste der absolut untersten Schublade. Erst nach über 15 Stunden nimmt die Geschichte durch die acht Meister und vier Wächter endlich Fahrt auf!

Das andere Blade&Soul

Die Endgegner in den späteren Instanzen erfordern eine gute Beherrschung des eigenen Charakters.
Ein Glück gibt es ein ganz anderes Blade & Soul, das ich dank meiner Reise in Seoul antesten konnte. Wer sich mit fünf anderen Spielern ab Level 20 in die Instanzen begibt, trifft fortan auf sehr ausgeklügelte Endgegner, die je nach Lebensenergie unterschiedliche Angriffsphasen einleiten und die man nur mit sehr guter Koordination besiegen kann. Im fünften Anlauf eines Level-36-Bosses hatten wir schon die finale Phase eingeläutet: Ich war drauf und dran jemanden wiederzubeleben, als sich plötzlich der Boss zu mir wendet. Flucht. Nur noch drei Spieler in Aktion. Ich versuche als Zerstörer (schwerer Kämpfer), seine Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen, damit die anderen wiederbeleben können. Dann setzt er seine Feuerwalze ein. Zwei Sprünge später lande ich leider in Schlagreichweite. Schlechtes Timing meinerseits. Ich liege am Boden. Eine Attacke später bin ich tot und die restlichen zwei Spieler sind innerhalb von Sekunden dem Erdboden gleichgemacht.

In Blade & Soul gibt es keine klassischen Heiler. Hier muss man höllisch aufpassen, was wann passiert und man muss den Überblick bewahren. Die Animationsabfolgen sind zum Teil grauenhaft, aber dafür funktioniert der technische Kampf umso besser. Mein schwerer Kämpfer ist auch niemand, der endlos einstecken kann (Tank). Die Bosskämpfe sind schwer, lang und erfordern eine sehr gute Zusammenarbeit von Fern- und Nahkämpfern und sie erfordern den gekonnten Umgang mit den Fähigkeiten, wenn ein Boss zusammen mit seinen riesigen Tieren (Minions)  dem Blutdurst unterliegt. Hier muss man nicht nur die Spielergruppe, sondern vor allem die drei Gegner gekonnt aufteilen.  Und wenn ein Endgegner den Boden einfriert, sollte man sich schleunigst auf die Ventilatoren stellen, um in der Luft zu bleiben. Alles in allem hinterlassen die Bosskämpfe einen sehr runden Eindruck.

Flinke Finger von Nöten

Wer den Kungfu-Meister in den PvP-Kampf schickt, muss auch ein Meister der Abwehr sein.
Neben dem primären und sekundären Angriff kann man vier Hauptfähigkeiten mit Abklingzeiten im Kampf nutzen. Hinzu gesellen sich dann auch noch vier zusätzliche Angriffsarten oder Boni, während man auf dem Boden liegende Gegner treten kann oder im Falle des Kingenmeisters mit der Q-Taste um den Gegner herumwirbelt oder sich mit der Tab-Taste aus einer Gruppe von Angreifern befreien kann. Der  Zerstörer vermag es sogar, dicke Bossgegner in die Luft zu schleudern, während andere Spieler die hilflosen Opfer bearbeiten. Kurzum: An Vielfalt der Angriffsarten mangelt es sicherlich nicht, wenn man die mit solider Grafik versehenen Areale säubert. Und man muss gezieltes Timing einsetzen, um den maximalen Schaden zu erzielen. Konterangriffe schützen vor starken Schlägen und Komboattacken erhöhen nicht nur den Schaden oder die Chance, den Gegner für kurze Zeit bewusstlos zu schlagen, sie füllen auch die eigene Lebensenergie auf. Und die braucht man ab dem zwölften Kapitel. Zwar brechen die endlosen Vernichte-12-von-Typ-X-Aufträge nie ab, allerdings stößt man in jedem Bereich auf neu und auch gut designte Gegnertypen, die alle unterschiedliche Angriffsarten besitzen. Was hier auch sehr komisch wirkt: Generell reagieren Gegner erst, wenn man ihren Aufmerksamkeitskreis betritt – der allerdings gefühlt nur zwei Meter misst. So kann man problemlos direkt an den Gegnern vorbeischlendern. Das wirkt grotesk komisch, ist aber asiatischer Standard. So plätschert das Spiel einfach so vor sich hin, damit man nebenbei auch seine Ramiensuppe schlürfen kann oder sich nebenbei unterhält. Ich denke, es kommt nicht von ungefähr, dass man problemlos den Browser, Spotify oder Chat-Programme im Hintergrund mitlaufen lassen kann.  

Harte Instanzen

In den Instanzen trifft man dann endlich auf einen spielmechanischen Anspruch, der fordert.
Sobald man jedoch eine Instanz betritt, sollte man sich fokussieren. Hier muss man per Fernangriff Schafe von der Herde trennen, die, sobald sie einmal die Fährte aufgenommen, dich bis in den Tod verfolgen. Hier beißt man durchaus des Öfteren ins Gras. Drei Gegner reichen hier schon aus, weswegen diese geringe Aufmerksamkeitszone spielmechanisch bei einer hohen Anzahl von  Gegnern durchaus einen Sinn ergibt. Man muss das eher wie kleine PvP-Kämpfe sehen: Sobald man den Kampfkreis betritt, startet der Schlagabtausch.  Und für diese harten Kämpfe benötigt man nach 15 Stunden Spielzeit auch endlich seine Heiltränke und Teigtaschen, um die Lebensenergie herzustellen. Hier lohnt es sich, Hilfsmittel wie Bomben oder Extrawaffen zu nutzen, die man in den Dungeons finden kann. Und da man die Aktionspunkte nur durch Primärangriffe aufladen kann, entwickelt sich eine erfrischende Kombination aus Spezialangriffen und wildem Mausgeklicke . Hier wirble ich um den Gegner herum, vollführe ein paar Angriffe, lade wieder meine Aktionspunkte auf, hechte mit einem Salto nach hinten, sehe wie ein riesiger Hammer meinen Kopf anvisiert, vollführe eine Konterattacke, die den Gegner bewusstlos macht und schicke ein paar Komboattacken hinterher.

Hier wirkt sich auch das sehr ausgefeilte Zahlenkonstrukt hinter dem auf den ersten Blick stupiden Mausgeklicke aus: Während der Charakter automatisch levelt, Kostüme nur kosmetischer Natur sind (aber Auswirkungen auf feindliche Fraktionen je nach Kluft haben) und Accessoires für Boni sorgen , kann man die eigene Waffe aufleveln. Spezielle Verstärker und Handwerksgegenstände werden mit der Waffe verbunden, die man noch durch zusätzliche Edelsteine stärker machen kann. Und vor allem kann man seinen Helden dadurch aufwerten, dass man Seelenscherben der gleichen Art findet. Vervollständigt man hier das Puzzle, winken große Verstärkungen. Andererseits: All das bezweckt natürlich, dass man immer wieder die Dungeons leert, um seltene Seelenscherben oder Edelsteine zu finden. Hierfür können Spieler sehr komfortable Party-Findungsoptionen nutzen. 

Variationsreiche Charaktere

Eine der absoluten Stärken von Blade & Soul ist die Charaktervielfalt.  Es gibt vier Völker:  Die hochgewachsenen Gon, die sehr kleinen und zierlichen Lyn, die rein weiblichen Yun sowie die normalen Jin. Dabei kann  jede Rasse nur auf einige der sieben Klassen zugreifen, die sich wie folgt zusammensetzen:  Die Klingenmeister verfügen über eine große Auswahl an Angriffs- und Verteidigungsfähigkeiten.  Der Berserker, der im Nahkampf sehr viel einstecken kann und auch ordentlich austeilt, ist der klassische Nahkämpfer in Blade & Soul. Die Beschwörer agieren aus dem Hintergrund, wobei ihre kleinen tierischen Begleiter hohen Schaden ausrichten, während sie diese aus dem Hintergrund unterstützen. Der  Gewaltenbändiger übt Elementarmagie aus und agiert aufgrund der geringen Lebensenergie eher aus der Distanz.  Der Kungfu-Meister glänzt durch die Abwehr von gegnerischen Angriffen und reiht als Offensivkraft etliche Nahkampfattacken als Kombo aneinander. Die Nachtklinge zwingt Gegner durch schnelle Dolchwürfe in die Knie und kann sich zudem teleportieren sowie Fallen aufstellen.

Man wird eine wahre Freude haben, die unterschiedlichen Helden auszutesten.
Der Klingentänzer ist nur den Lyn vorbehalten und dürfte dank des hohen Angriffstempos die niedrige Verteidigungskraft egalisieren.  Ich konnte in Seoul dank fertiger Level-45-Charaktere sehr schöne Komboattacken mit dem Zerstörer vollführen, die ich mit einem Sprung einleite, der Gegner betäubt. Ich hab mit dem Beschwörer zusehen können, wie meine Katze Gegner zerfetzt hat, während ich ihn in einem Dornengestrüpp festhalte oder mit dem Kungfu-Meister  merken musste, dass man sich hier das Leben erheblich schwerer macht. Neben meinem Klingenmeister, den ich in der offenen Betaphase bis Level 18 gespielt habe, hat mir der Gewaltenbändiger aber am besten gefallen, den ich ausgiebig in PvP-Kämpfe geschickt habe.  Und wirklich jeder der Charaktere hat sich sehr unterschiedlich und erfrischend anders gespielt.  Kein Wunder. Soll man doch jede Charakterklasse bis zum Äußersten aufleveln, um sie dann in die extrem gut ausbalancierten PvP-Kämpfe zu schicken. Das soll Spieler auf Jahre binden.

Spieler gegen Spieler

Ganz klar würde sich der PvP nicht für den eSports eignen, wenn man nicht alles daran setzen würde, die Fähigkeiten der Helden auszugleichen. Zwar wird man in den höheren Spielklassen einige Helden überhaupt nicht sehen, dafür geben sich die übrigen Heldenklassen einen fantastischen und sehr spannenden Kampf. Hier trifft man auf ein ausgetüftelten dreidimensionales Street Fighter, welches sich in Korea reger Beliebtheit erfreut. Wer sich hier einen Einblick verschaffen will, der sollte sich die diesjährigen Finalspiele der Worldchampionships anschauen. Die richtig guten Spieler waren auch schon letztes Jahr am Start, was stets für eine eSports-Tauglichkeit spricht. Ein Kräftemessen in Seoul gegen andere Pressevertreter mit verschiedenen Klassen hat einerseits gezeigt, wie wenig man dieses Spiel beherrscht und andererseits einen sehr spaßigen Einblick in die hohe Kampfkunst gewährt.  

Ausblick

Blade & Soul hat mich anfangs kalt gelassen, kommt erst nach über zehn Stunden in Fahrt und nach über 15 habe ich angefangen, mich mit dem asiatischen Grinder anzufreunden. Dialoge, Inszenierung, Story und Questvielfalt sind Beiwerk. Sie dienen lediglich als schnöde Oberfläche, um der mechanisch sehr ausgetüftelten Kampfmechanik einen Sinn zu geben. Was das Spiel aber richtig gut macht, sind die Instanzen- und PvP-Kämpfe. Hier tischt man eine Vielzahl von Bossgegnern mit Angriffsarten auf. Hier muss man höllisch aufpassen und wie im PvP-Kampf gezielte Konterattacken vollführen, Angriffe aneinanderreihen und geschickt mit dem Helden umgehen. Oder um es einmal salopp zu formulieren. Die 55-Jährige Hausfrau aus Bad Salzufflingen würde hier überhaupt nicht mehr klarkommen. Man muss wie ein kleiner Martial-Arts-Schüler immer wieder die gleichen langweiligen Dinge machen, um sehr, sehr spät in den Genuss von spannenden Auseinandersetzungen zu kommen, die in der sehr hohen Kampfkunst der PvP-Begegnungen mündet.  Auch das Zahlenwerk hinter dem Helden ist gigantisch: Man kann sich sieben Gilden anschließen, seine Waffen aufleveln, Jagd auf Seelenscherben machen , die den Helden verbessern, Assecoires sammeln, Handwerk betreiben und erst ab dem 17. Kapitel (!!!) seine Fähigkeiten nicht nur verbessern, sondern sich auch individuelle Kombos zusammenstellen.  Mit all den acht Fähigkeiten plus den vier zusätzlichen Bewegungsoptionen meines Klingenmeisters hat man alle Finger zu tun, sich passabel im Kampfgeschehen zu halten und Attacken gezielt abzuwehren.  Auch die sieben Klassen (in Korea hat man acht und die neunte wurde gerade angekündigt) spielen sich erfrischend unterschiedlich.  Oder um mein zwiegespaltenes Verhältnis zusammenzufassen: Inhalt pfui, Mechanik hui. Vielleicht ändert sich das nach 50+ Stunden in unserem Test.

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