Minecraft04.11.2010, Benjamin Schmädig
Minecraft

Vorschau:

Man stelle sich jenes frei erdachte Szenario vor: EA wird zu einem nicht näher benannten Zeitpunkt ein Spiel veröffentlichen, das sich momentan in einer frühen Entwicklungsphase befindet. Es gibt weder ein Spielziel noch eine Einführung oder gar eine nennenswerte Bedrohung durch die zahlreichen Monster - dafür Bugs und noch nicht eingebaute Spielvarianten. Was wäre, wenn EA für das als Alpha-Version erklärte Programm zehn Euro verlangen würde?

Der frühe Ruhm

Was als Maßnahme jedes großen Publishers einen Wirbelsturm wütender Foreneinträge auslösen würde, hat einen unabhängigen Programmierer über Nacht zu einem Star der freien Entwicklerszene gemacht: Markus Persson heißt der Schwede, der sich nach vierjähriger Anstellung als Programmierer selbstständig gemacht und gleich mit seinem ersten Projekt einen Hit gelandet hat. Hunderttausende spielen seit über einem Jahr verschiedene Alphaversionen - und haben dafür immerhin knapp zehn Euro berappt. Wenn Minecraft (ab 18,98€ bei kaufen) eins zeigt, ist es also der Liebhaberbonus, den Independent-Entwickler genießen.

Solche Vorschusslorbeeren werden den »Indies« deshalb zuteil, weil sie von ihren Fans gerne den Stern der Revoluzzer verpasst bekommen. Etwas greifbarer ist dagegen die Tatsache, dass Spiele mit Independent-Anstrich häufig einfallsreiche Ideen, mitunter auch Innovationen vorstellen.

Willkommen in der Spielezukunft! In dieser gigantischen Welt ist jeder seines eigenen Glückes  Schmied - im wahrsten Sinne des Wortes.
Ganz schön frech, schon mit den Lorbeeren Bares zu scheffeln! Bleibt die Frage: Ist Persson nur ein sympathischer Rebell oder öffnet sein Minecraft das Tor in neue Welten?

Zwerge und Minen

Ganz unbedarft war freilich auch Persson nicht, als er für seinen Einstieg nicht nur spielerische und gestalterische Elemente des recht unbekannten Infiniminer übernahm, sondern sich auch von bereits vorhandenen Geheimtipps wie Dwarf Fortress inspirieren ließ. Und was macht er daraus? Er baut eine Welt aus Würfeln, die für jedes neue Spiel vom Zufall erstellt wird - Infiniminer grüßt im Quadrat. In dieser Welt besitzt man zunächst nichts außer sich und seinen nackten Händen. Man muss also nicht nur überleben, sondern ist auch angehalten, sein eigenes Reich im Würfelland aufzubauen - ein Dwarf Fortress ohne Zwerge. Ein echtes Ziel gibt es allerdings nicht. Noch nicht. Persson denkt im Blog laut darüber nach, seinem Spiel eine Richtung zu geben. Im Moment muss man aber nur den ausschließlich nachts auftauchenden Zombies, Skeletten, Spinnen und... explodierenden »Kakteen« entkommen. Während des normalen Spielverlaufs jedenfalls. Alles andere bleibt jedem Spieler selbst überlassen.

Was macht man also, wenn man am Morgen des ersten Tages in einem Wust hässlicher Riesenklötze steht? Braune, schwarz gepunktete Würfel sind Erde, Hellbraun mit dünneren Punkten steht für Sand, Blau ist Wasser, Grün gesprenkelte Quader sind Blätterwerk usw. Man fragt sich, womit die Pupillen der HD-Generation diesen Pixelbrei verdient haben. Klar deutet man irgendwann wie vor 15 Jahren filigrane Muster in den groben Teppich - schön wird Minecraft aber nie.

Robinson Woodsoe

Ich nehme es mit dem Stolz eines echten Indie-Fans: »Die Seele steckt hinter der Fassade«, knirscht mein Sehnerv, als ich mit gehaltener Maustaste einen Baumstumpf zerklopfe. Der bringt mir im rohen Zustand freilich nichts. Ich lege das Rohmaterial also ins Crafting-Fenster und... Ich habe Holz gemacht! Schon habe ich mehrere Möglichkeiten: Für Stöcke, aus denen ich Fackeln, Pfeile oder Zäune machen könnte, muss ich in dem zwei mal zwei Felder kleinem Crafting-Fenster zwei Stück Holz übereinander anordnen.

So viel kostet Minecraft

Die derzeitige Alpha-Fassung kostet 9,95 Euro. Die Zahlung wird über PayPal durchgeführt.

Bereits mit der Betaversion soll der Preis nach oben gehen. Das fertige Spiel soll schließlich 20 Euro kosten. Alle Käufer einer frühen Version erhalten sämtliche zukünftigen Updates kostenfrei.Aber was, wenn ich eine drei mal drei Felder große Kiste schnitzen möchte? Dafür brauche ich eine Werkbank - aus vier Stück Holz baue ich also einen Würfel, den ich in einer beliebigen Ecke abstelle. An diesem Würfel, Verzeihung: dieser Werkbank kann ich schließlich drei mal drei große Erzeugnisse herstellen und die ganze Welt des Minecrafting steht mir offen! Jedes Erzeugnis entsteht dabei nur, wenn die verlangten Materialien in einer bestimmten Form angeordnet werden.

Damit ist es aber nicht getan. Ich muss mich dringend verschanzen, denn es dämmert schon. Bald werden mich die nächtlichen Störenfriede entweder durch die ganze schier grenzenlose Spielewelt jagen oder mich so lange immer wieder umbringen, bis sie bei Sonnenaufgang in Flammen aufgehen. Weil ich bei jedem Tod sämtliche Gegenstände verliere, entscheide ich mich sowohl gegen Wegrennen als auch den Dauertod und beginne mit dem Hausbau. Und wer einmal anfängt, der hört so schnell nicht auf! »Klick«, »klick«, »klick« macht die Maus und im Handumdrehen zerfallen Erdwürfel. Ich schnappe mir die als kleine Symbole zurückgebliebene Erde und stelle sie dort wieder auf, wo zuvor der offene Eingang war - willkommen in meinem Eigenheim! Dunkel ist's hier. Nach langem Draufhauen zerfällt aber endlich ein Kohlefelsen. Ich schnapp' mir die Kohle, setze sie auf einen Stock und hefte die Fackel irgendwo an die Wand - gemütlich!            

Warum man damit nicht aufhören kann? Weil es so verdammt schnell geht, die Höhle, die Holzhütte oder die Burg zu vergrößern. Im Handumdrehen breitet man sich räumlich aus, erhält dabei Steine, Erde oder Sand und fertigt Zäune, Treppen, sogar Glas. Spätestens das Zerschmelzen von eisen- oder goldhaltigen Steinen im selbstgebauten Ofen ist ungemein erfüllend. Man kann auch deshalb nicht aufhören, weil es so verdammt befriedigend ist, in der eigenen Mine auf neue Materialien zu stoßen, aus denen wieder neue Gegenstände entstehen. Sogar Elektrizität kann man erzeugen. Aus der Haut getöteter Kühe näht man Rüstungen, später eignen sich harte Mineralien dafür.

Dank fehlender Einführung und Hilfestellungen ist es schwer, sich in Minecraft einzuarbeiten. Wer des Englischen mächtig ist, findet unter diesen Links allerdings alles Wichtige:

Übersicht zum Crafting Aus Eisen baut man bessere Werkzeuge oder starke Schwerter, aus Schilfrohr Papier, daraus Bücher und daraus Bücherschränke. Ehe man es sich versieht, erschafft man so sein eigenes Reich - wahlweise gemeinsam oder in der Nachbarschaft gleichgesinnter Online-Abenteurer.

Seekühe

Allerdings hat der scheinbar perfekte Cyberspace neben den grafischen auch spielerische Ecken und Kanten, die das endgültige Absinken in die Kunstwelt verhindern. So stellen die nächtlichen Monster kaum eine Bedrohung dar. Wie viel spannender wäre es, wenn das Eigenheim nicht nur Schmuckwerk sein dürfte, sondern auch funktionale Festung sein müsste? Gute Planung würde dadurch stärker belohnt werden. Aber Waffen und Fallen fehlen bis auf Ausnahmen und neue Monster kommen im späteren Verlauf nicht hinzu. So geht dem Kreativbaukasten leider irgendwann die spielerische Puste aus.

Auch mitten auf Seen springende Schweine, Kühe oder Hühner nagen an der stimmungsvollen Illusion. Einige physikalische Effekte wirken außerdem arg befremdlich: So strömt Wasser nicht gleichmäßig in aufgebrochene Becken oder versiegt fließend; stattdessen werden Stück für Stück neue Wasserblöcke gesetzt. Natürlich ist es in Anbetracht des Independent-Charakters verständlich, dass die Minecraft-Physik nur grob nachahmt anstatt zu simulieren. Trotzdem fällt es unangenehm auf, dass man beliebig viele feste Materialien in beliebiger Art und Weise aneinander »kleben« darf. Noch aufdringlicher wird die Physikschwäche, wenn man verbindende Würfel entfernt -

Home sweet home: Es ist nicht schön, aber es ist meins!
die daran hängenden Kuben aber frei in der Luft hängen bleiben.

Schade auch, dass ausgerechnet das motivierende Crafting nicht so unbeschwert von der Hand geht wie es sollte. Zum einen werden derzeit sämtliche Materialien nur als kleine Symbole dargestellt, von denen einige auf den ersten Blick unglaublich nichtssagend sind. Beschreibungen fehlen leider. Weiterhin ist es praktisch unmöglich, sowohl die Materialien als auch die Anordnung derselben für das Erstellen neuer Gegenstände zu erraten. Man ist auf eine separate »Bauanleitung« irgendwo im Internet angewiesen - das theoretisch spannende Entdecken von »Rezepten« ist damit bis auf Ausnahmen unmöglich. Gerade das hätte einem Spiel, dessen zentrale Spielweise mal »Survival« heißen soll, aber unheimlich gut getan!

Eine Frage der Zukunft

Selbstverständlich wird sich bis zur finalen Version noch viel tun: Die Gegner sollen sich ebenso entwickeln wie der Entwickler über klar definierte Zielstellung nachdenkt. In Anbetracht der Tatsache, dass Persson für die frühe Fassung Bares sehen will, muss er sich aber die Frage gefallen lassen, was er seinen Kunden dafür bietet. Und nein, ein fertiges Spiel ist Minecraft noch lange nicht. Eine Wertung behalten wir uns deshalb vor. Es entpuppt sich allerdings schon jetzt als verblüffend faszinierende Tech-Demo, die zudem Stück für Stück verbessert und um wichtige Funktionen erweitert wird.          

Ausblick

Ich habe unverschämt viel Zeit damit verbracht, meine auf den ersten Blick hässlichen »Blockhäuser« auszubauen, zu schmücken und zu sichern. Wo sonst kann man sein spielerisches Schicksal so frei bestimmen und ganze Inseln versetzen? Dass es keine Einführung in den zu kniffligen Eigenbau gibt, ist derzeit allerdings noch ein großer Stolperstein. Physikalische Absurditäten zerstören hier und da die Klötzchenromantik. Darf ein Entwickler so frech sein und für so etwas Geld verlangen? Klar darf er, wenn er auf den Zustand des Spiels sowie bestehende Fehler hinweist. Und warum sollte man nicht aktiv dabei helfen, ein vielversprechendes Projekt zu realisieren? Gerade in Zeiten von »Franchiseausbau« oder »Gewinnmaximierung« tut ein wenig Gemeinschaftsgefühl gar nicht weh. Immerhin erlaubt Minecraft schon im derzeitigen Zustand den Ausblick in die kreative Zukunft! Auch wenn das Fenster spielerisch noch geschlossen bleibt.

Ersteindruck: gut

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