Wasteland 205.08.2014, Eike Cramer
Wasteland 2

Vorschau: Alte Schule in der Postapokalypse

Nach 26 Jahren, Rechtequerelen mit Electronic Arts, einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne und vielen Verschiebungen steht Wasteland 2 (ab 0,69€ bei kaufen), der Nachfolger zum geistigen Fallout-Vater Wasteland, kurz vor der Fertigstellung. Wir haben die ersten Stunden im Ödland verbracht – kann das Rollenspiel alter Schule im Jahr sechs nach Fallout 3 überzeugen?

Leben und Sterben der Desert Ranger

Ace ist tot. Der alte Desert Ranger hat an einem Sendemast, mitten in der nuklearen Einöde von Arizona ein grausames Ende gefunden, während er dabei war, Verstärkeranlagen zu installieren. Nun liegt er sechs Fuß tief unter dem Gefängnis, dass die Ranger Heimat nennen. Das ist nicht nur für ihn ärgerlich, auch für meine Gruppe aus Rekruten bedeutet Aces Tod Ungemach. Im Anschluss an seine Beerdigung wird mir vom Kommandanten der Desert Ranger, der Ordnungsmacht des Ödlandes, befohlen, den Job zu Ende zu bringen, damit die Ranger die Quelle des „Mystery Signals“ bestimmen können. Na super.

So zieht man mit einer Gruppe von vier Rangern, die zu Beginn im umfangreichen Charaktereditor erstellt oder aus

Auf ins Ödland: Wie in Fallout wurde die Welt durch einen nuklearen Krieg zerstört.
einem Pool von Rekruten ausgewählt werden können, in die sengende Wüste von Arizona. Bis zu drei weitere Begleiter können sich unterwegs anschließen. Bereits in der Ranger-Festung wird deutlich, was Wasteland 2 auszeichnet: Dialoge und Entscheidungen. So treffe ich z.B. auf Angela Deth, die Gefährtin von Ace. Voller Wut und Trauer ist sie auf der Suche nach dem Mörder ihres Geliebten. Sie ist aufbrausend, zynisch - und ein wertvoller Quell von Wissen über das Ödland, seine Bewohner und Fraktionen. Soll ich sie mitnehmen und von ihrem Wissen und Schießkünsten profitieren? Oder sollte ich lieber Befehlen folgen und sie im Lager zurücklassen?

Entscheidungsfreudig

Immer wieder konfrontiert mich das Spiel mit Entscheidungen dieser Art, die das weitere Spiel maßgeblich beeinflussen könnten. So reagiert Angela völlig anders auf den Ort und die Roboter-beeinflussten Umstände des Ablebens ihres Gefährten, als die übrigen Mitglieder meiner Gruppe. Ich habe in ihr zudem eine erfahrene Kämpferin in der Party, über die ich dank ihres launischen Gemütes aber immer wieder die Kontrolle verliere, was sie in manchen

Riesenpilze und Mutanten. In der Farm von Ag-Center ist etwas ziemlich schiefgelaufen.
Situationen eher zu einer unberechenbaren Komponente macht. Dafür kommentiert sie immerhin zynisch das Versagen der anderen im Kampf.

Auch in der Auseinandersetzung mit den Bewohnern des Ödlandes wird mir viel Freiheit im Vorgehen angeboten. Ich kann beim ersten Sendemast z. B. eine Schießerei mit den Raidern anzetteln, die von mir einen völlig überzogenen Wegezoll verlangen. Ich kann versuchen, die Typen mittels des „Smart-Ass“-Skills zu überzeugen, sich den Rangern anzuschließen - oder ich kann mich einschmeicheln und sie so verwirren, dass sie mich passieren lassen. Leider sind nur Teile der umfangreichen Dialoge vertont. Da Wasteland 2 laut Aussage von Brian Fargo mehr Worte als die Herr-der-Ringe-Trilogie hat, ist das verständlich. Dennoch schadet es der endzeitlichen Atmosphäre.

Auch die erste Story-Verzweigung lässt nicht lange auf sich warten: Auf dem Weg zum zweiten Sendemast, empfange ich die Notsignale zweier Siedlungen, von denen ich aber nur eine rechtzeitig erreichen kann. Je nachdem für welche der Niederlassungen ich mich entscheide, wird die Bevölkerung der anderen ausgelöscht

Nützliche Talente

Aufgrund der oft vorhandenen friedlichen Lösungswege gibt es im umfangreichen Fähigkeitenbaum viele Talente, die abseits der Gefechte genutzt werden können – und sollten. So können z.B. alleine drei verschiedene Gesprächstalente („Hard Ass“, „Kiss Ass“ und „Smart Ass“) erlernt werden und es gibt Elektronik-, Computer- und Waffeschmiede-Fähigkeiten. Auch das Entschärfen von Fallen, Schlösserknacken, Feldmedizin oder Chirurgie sind erlernbar.

Gekämpft wird rundenweise, dazu kann ein Gitternetz eingeblendet werden.
Schon in den ersten paar Schauplätzen war ich froh, dass meine Party dank überlegter Zusammenstellung zumindest einen Teil dieser zwei Dutzend Fähigkeiten abdecken konnte. So konnte ich verschlossene Türen dank „Brute Force“ aufbrechen, Fallen entschärfen, Computer hacken und Raider überlisten. Zwar sind die Waffenfähigkeiten zwingend notwendig. Wer sich aber ausschließlich auf pure Gewalt verlässt, endet auch dank des ordentlichen Schwierigkeitsgrades schnell als Skelett in der Wüste.

Kampfgruppe Echo

Gerate ich in ein Gefecht mit Raidern oder den fies mutierten Pflanzen und Insekten von Ag-Center, wechselt die in

Einöde: Auf der Welkarte zieht man von Ort zu Ort, trifft auf Raider und füllt an Oasen seine Wasservorräte auf.
Echtzeit ablaufende Darstellung in eine an X-Com: Enemy Unknown erinnernde, rundenbasierte Kampfansicht. Ich kann die Aktionspunkte meiner Kämpfer nutzen, um Deckung zu suchen oder Feinde mit Nah- und Fernkampfwaffen zu beharken. Schön: Aufgesparte Punkte können in der nächsten Runde verwendet werden. Auch Skills wie Hacken oder Tierfreund können von den Figuren eingesetzt werden, um Viecher und Roboter auf meine Seite zu ziehen.

Zudem gibt es Zufallsereignisse, die vom Gruppenmitglied abhängig sind. So verliert Angela schnell die Kontrolle über ihr Temperament und agiert selbständig. Zudem können sich Waffen verklemmen. Außerdem muss auf Freundbeschuss geachtet werden – fehlgegangene Schüsse können eine echte Gefahr für meine Gruppe darstellen, was eine genaue Übersicht über die Positionierung meiner Recken erfordert.

Technische Schwächen

Obwohl das Kampfsystem durchaus an Fallout 2 erinnert, kann ich leider (noch) nicht gegen mehr Aktionspunkte auf Körperteile meiner Feinde zielen. Besonders wirkungsvolle Kopfschüsse sind daher genauso wenig möglich, wie gezieltes Verstümmeln von Roboter-Waffenarmen. Auch hinlegen können sich die Ranger nicht, einzig das Hinknien

Die Kulisse ist dank ordentlicher Beleuchtung stimmig, gerade die Charaktermodelle sind aber recht veraltet.
bietet verbesserte Zielgenauigkeit auf offenem Feld, was den ersten Gefechten weniger taktischen Tiefgang verleiht als z.B. in Jagged Alliance 2.

Die Kulisse kann nicht ganz überzeugen. Zwar ist das Gesamtbild dank vieler Details wie wehendem Sand und ordentlicher Beleuchtung stimmig. Im Detail sorgen aber die kantigen Modelle, grobe Animationen und etwas schwammige Oberflächen für leichte Ernüchterung. Besonders die Charaktere wirken teilweise wie aus der Frühphase des vergangenen Jahrzehnts. Old-School-Ansatz hin oder her: Im Vergleich mit der prächtigen Landschaft von Divinity: Original Sin oder den Effekten aus The Incredible Adventures of Van Helsing 2 wirkt Wasteland 2 altbacken.

Ausblick

In Wasteland 2 steckt viel Potential. Das isometrische Ödland weckt bei mir sofort Erinnerungen an vergangene Fallout-2-Zeiten und überzeugt in den ersten Stunden mit seinem rauhen Charme, gelungenen Dialogen, offenen Lösungswegen und knackigen Gefechten. Allerdings werde ich auch in meiner Euphorie eingebremst: Die Kulisse wirkt im Vergleich mit aktuellen Konkurrenten veraltet und die rundenbasierten Kämpfe können nicht die taktische Tiefe eines Jagged Alliance 2 erreichen, da z.B. auf das Anvisieren von Körperteilen oder Hinlegen verzichtet wurde. Zudem verspricht Brian Fargo eine große Welt mit zwei riesigen Bereichen und rund 60 Stunden Spielzeit. Außerdem soll es umfassenden Konsequenzen der eigenen Handlungen geben. Wie sehr sich diese aber im tatsächlichen Spiel auswirken, wird sich erst im Test zeigen.

Einschätzung: gut

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