Vorschau: Farbenfrohe Teamgefechte mit Pfiff
Kampf um Kontrolle
Mit rasanter Action, abwechslungsreichen Charakteren und kunterbuntem Teamplay-Fokus konnte der erste Shooter aus dem Hause Blizzard Entertainment schon im vergangenen Jahr überzeugen. Und nach der verordneten Betapause hat sich in dem Actionspiel einiges getan. Neu ist der Spielmodus "Kontrolle", der sich zu den beiden Varianten Frachtbeförderung und Punkteroberung gesellt. Gerade in diesem Modus, in dem die beiden Sechsergruppen um einen bestimmten Bereich auf einer Karte kämpfen, erinnern die temporeichen Gefechte frappierend an Team Fortress 2: Nicht nur das Spielgefühl ist ähnlich, auch der überzeichnete Comic-Stil erinnert daran. Doch schlecht oder störend sind diese Parallelen keineswegs, da sich die 21 Charaktere bzw. Helden stark voneinander unterscheiden und die Schauplätze größtenteils so clever gestaltet sind, dass es immer mehrere Möglichkeiten zum Angriff, zur Verteidigung oder zum Kontern gibt. Und weil es auf den Karten keine Türme, Creeps, Monster oder Zitadellen gibt, ist Overwatch ein klassischer Online-Shooter mit Helden anstatt Klassen und kein MOBA-/DotA-Verschnitt als Shooter.
Keine Kontrolle ohne Teamplay
Im Kontrollmodus sieht das dann so aus, dass die beiden Teams nach Matchbeginn zu dem zu erobernden Bereich stürmen, sich dort verschanzen oder gleich auf die Gegner treffen und sich mit Granaten, Feuerstößen, Pfeilen, Pranken und Co. beharken.
Das Team, das aktuell die Kontrolle über den markierten Bereich hält bekommt Punkte. Und sobald 100 zusammengekommen sind, ist die Runde gewonnen. Nach zwei Gewinnrunden ist Schluss. Wie in den anderen Spielmodi ist es nötig, im Team zusammenzuspielen, um die Stärken der Helden zu kombinieren und die individuellen Schwächen dadurch irgendwie auszugleichen - das beginnt bereits bei der Zusammenstellung des Teams.
Spielt man z.B. alleine und überlässt dem automatischen Matchmaking-System die Zusammenstellung der Mitspieler, kann es passieren, dass man mit Leuten in einer Gruppe landet, die weniger das eigentliche Ziel der Partie erreichen wollen, sondern sich eher als Einzelgänger oder Killstreak-Sammler profilieren wollen - oder keinen Charakter spielen wollen, der gerade "sinnvoller" wäre. So kann es sein, dass man in eine Gruppe kommt, in der vermeintlich "coolere" Helden wie "Reaper" (Gevatter Tod mit Doppelschrotflinten) oder "Widowmaker" (Scharfschützin mit dem ultimativen Röntgenblick) häufiger vertreten sind, die jedoch nicht in jeder Situation wirklich sinnvoll sind. So ist Widowmaker bei der Stürmung eines Gebietes mit vielen engen Gängen nicht effektiv. Sie braucht freies Schuss- und Sichtfeld, während Reaper bei Gefechten auf große Entfernung den Kürzeren zieht.
Heroische Heldenwahl
Da man jederzeit, auch in den Matches, den Helden wechseln kann, ist es möglich das Aufgebot des Gegners gezielt zu kontern. Widowmaker würde sich z.B. mit Genji (Cyber-Ninja) ausschalten lassen, der feindliche Attacken reflektieren oder einfach blitzschnell über die Karte huschen kann. Auch mit dem animalischen Winston oder anderen flinken Charakteren lässt sich die Scharfschützin gut ausschalten. Von daher sollte man sich bei der Heldenzusammenstellung im Team gut abstimmen und das geht am besten, wenn man mit Freunden oder Bekannten spielt. Teamplay ist das A und O. Außerdem sollte man mit den Helden und ihren Stärken bzw. Schwächen vertraut sein, was bei dem Charakteraufgebot schon etwas Eingewöhnungszeit verlangt. Praktisch: Im Heldenauswahl-Bildschirm werden kleine Hilfetexte zu den Schwächen des Teams in der aktuellen Aufstellung angezeigt, z.B. wenn ein defensiver Held oder ein Konstrukteur fehlt.
Overwatch wird als Vollpreistitel erscheinen und alle Charaktere können sofort gespielt werden. Letzteres ist zwingend notwendig, denn die Matches leben davon, dass man jederzeit den Charakter wechseln und damit auf die Gegner oder die Match-Situation reagieren kann. Somit ist es eine gute Idee, weder den Heldenzugriff noch die Fähigkeiten der Charaktere einzuschränken.
Beta-Erfahrungen
In meinen Probepartien war es bisher so, dass die Rollen "Tank" und "Unterstützung" (Heilung) eher wenig beliebt waren, obwohl entsprechende Helden ordentlich Schaden austeilen und in Kombination mit anderen Mitstreitern sehr durchschlagskräftig sein können - jedenfalls wenn die Gruppenzusammenstellung stimmt, alle an einem Strang ziehen und nicht partout auf einen fixen Charakter bestanden wird. Gerade Reinhardt mit einem Heiler im Rücken ist hammereffektiv. Und wenn ein Trupp aus D.Va (Tank; Kampfroboter) und Lúcio (Unterstützer) mit Soldier 76, Pharah und Junkrat im Schlepptau dank Geschwindigkeitsbuff (von Lúcio) über die Karte fetzen, D.Va mit vorwärtsgerichteter Defensivmatrix heranfliegende Projektile aufhält und dann aus dem Hintergrund die offensiven und die defensiven Charaktere mit Impulsgewehr, Raketenwerfer und Granatwerfer loslegen,
entbrennen temporeiche und farbenfrohe Positionskämpfe. Doch so schnell das Geschehen auch ist, so schnell verlieren die meisten Helden ihr virtuelles Leben, denn die meisten können nicht wirklich viel einstecken und gegen reichlich Feuerkraft ist selbst die beste Heilung nutzlos. Natürlich ist es unabdingbar zu wissen, welche Fertigkeiten die jeweiligen Helden haben und welche Schwächen man nutzen kann. Run-and-Gun hilft meist nicht. Hit-and-Run-Attacken der Marke "Schnell rein, Schaden anrichten und wieder raus" sind hingegen mit bestimmten Charakteren wie der zerbrechlichen Tracer möglich und zumeist sehr überraschend.
Eine Frage der Balance
Alles in allem kommt es entscheidend auf die Ausbalancierung der Helden und ihrer jeweiligen Fertigkeiten an. So wurde z.B. der aufrüstbare automatische Geschützturm von Torbjörn beim Beta-Neustart abgeschwächt und dafür seine Standardwaffe verstärkt, während Bastion (Belagerungsroboter) im Geschützmodus fortan überall hinschießen kann - vorher war sein Sichtfeld im Belagerungszustand stark eingeschränkt. Trotz des Beta-Status machen Overwatch und die Helden-Balance einen überzeugenden Eindruck, auch wenn ich das Gefühl habe, dass die ultimativen Fähigkeiten der Helden nicht allesamt gleichstark sind. Junkrats Todesreifen ist z.B. längst nicht so praktisch wie der eingebaute Aimbot von Soldier 76 oder der Stirb-Stirb-Stirb-Todestanz von Reaper.
Für Klarheit und Übersicht im Gefecht sorgen die bewusst unterschiedlichen Silhouetten aller Helden und die Farbgebung der Fähigkeiten. Sämtliche Animationen und Spezialeffekte der Fertigkeiten von den Gegnern werden in Kontrast zu denen des eigenen Teams in roter Farbe dargestellt. Die ultimative Drachenschlag-Fähigkeit von Hanzo ist normalerweise ziemlich grün, jedoch nicht wenn ein Hanzo-Kontrahent für den großen Flächenangriff verantwortlich ist/war. Killcam, spezielle Sounds (z.B. das verräterische Holzbein von Junkrat), eindeutige Buffsymbole, Hervorhebungen von verletzten Gruppenmitgliedern für Heiler und die permanente Einblendung des aktuellen Zielorts helfen allesamt im Kampfalltag nicht den Überblick zu verlieren.
Hilfreich sind gleichermaßen die typischen Sprüche, die Charaktere ablassen, wenn sie ihre ultimative Fähigkeit zünden. Wenn also McCree etwas von „High Noon“ faselt oder Junkrat seinen charakteristischen Spruch loslässt, kann man darauf reagieren, sich vom Team lösen und in Deckung gehen, schließlich könnte in den nächsten Sekunden ein Kugelhagel losgehen oder ein explodierender Kamikazereifen durch die Gegend kullern.
Was noch nicht so rund läuft
Was bisher nicht so richtig funktioniert, ist die automatische Bestimmung des "Highlights des Matches". Oftmals werden echt maue Szenen zum Highlight gekürt und Heiler sowie Tanks sind trotz guter Leistungen in den Partien kaum zu sehen. Außerdem sollten die Entwickler ein Voting-System gegen AFK-Spieler einbauen, schließlich ist es frustrierend, wenn ein Sechstel des Teams regungslos in der Startzone verharrt und nicht mitspielen will. Daher ist ein Ausschlusssystem für inaktive Spieler nötig. Des Weiteren sollte die Punktevergabe nach Matchende noch überarbeitet werden. Zwar ist es lobenswert, dass man für die Teilnahme am kompletten Match (Dauer), für den Sieg und für erlangte Medaillen (Eliminierungen, Zielfortschritt etc.) zusätzliche Erfahrungspunkte bekommt, aber derzeit ist es so, dass Tanks und Unterstützungshelden bei der Zusatz-Punktevergabe ziemlich benachteiligt werden, da sie so gut wie keine Chancen auf Medaillen haben. Gerade Mercy, die den Schaden von einem anderen Spieler verstärken oder ihn dauerhaft heilen kann, hat in Sachen und Belohnung gar nichts davon, wenn sie gut spielt und der Gruppe hilft.
Fortschritte bringen optische Verbesserungen
Die zweite große Beta-Neuerung ist das Fortschrittssystem rund um kosmetische Gegenstände zur optischen Anpassung der Helden. In den Matches (auch gegen KI-Gegner) sammelt man Erfahrungspunkte, die irgendwann zu Stufenaufstiegen führen. Bei diesen Level-Ups winken Beutekisten (Lootboxen), die Icons, Skins, Emotes, Sprays (Graffiti), Sprüche, Siegerposen und Highlight-Intros enthalten können. Die Wahl der Helden fällt nicht ins Gewicht, da die Erfahrung spielübergreifend mit dem Account gesammelt wird - und nicht wie bei Heroes of the Storm, wo jeder Held seine eigene Stufe zusätzlich zum Account-Level hat. Enthält eine Lootbox einen Gegenstand, den man bereits besitzt, bekommt man stattdessen Credits, eine spielinterne Währung, mit der man in der Heldengalerie fehlende Gegenstände freischalten kann. Diese Beutekisten können alternativ gegen Echtgeld gekauft werden.
Ob es eine Stufen-Beschränkung und damit verbunden eine Lootbox-Beschränkung geben wird, ist unklar.
Training, KI-Matches und benutzerdefinierte Partien
Neben einem sich im Aufbau befindlichen Trainingsbereich (Übungsmodus) gibt es neuerdings einen Spiel-gegen-die-KI-Modus, in dem man gegen computergesteuerte Gegner bzw. mit KI-Mitstreitern spielen kann - wobei die Computerintelligenz derzeit nur einen Bruchteil der Charaktere spielen kann. Zusätzlich werden "benutzerdefinierte Partien" (ehemals private Matches) geboten, bei denen viele Einstellungen vorgenommen werden können, z.B. Kartenrotation, Heldenoptionen, Modifikatoren für Trefferpunkte, Schaden, Wiederbelebungszeit, Abklingzeit für Fähigkeiten oder Aufladungsrate der ultimativen Fähigkeit. Insgesamt stehen zehn Karten und die drei besagten Spielmodi zur Verfügung, was gerade in Hinblick auf Konkurrenten wie Battleborn ziemlich mager wirkt, aber vielleicht Blizzard noch etwas in der Hinterhand. An einem Zuschauer-Modus, Ranked-Matches (ggf. erst nach Verkaufsstart) und besseren Einstiegsmöglichkeiten für Neulinge arbeiten die Entwickler jedenfalls bereits.
Ausblick
Auch nach dem Neustart des geschlossenen Betatests hinterlässt Overwatch einen wirklich guten Eindruck. Die Gefechte sind rasant, die Karten ermöglichen vielfältige Vorgehensweisen und die Helden ergänzen sich wunderbar - zumal es ohne Teamplay, Koordination und Helden-Knowhow nicht wirklich voran geht. Die aktuelle Betaversion hinterlässt einen sehr ausgereiften Eindruck und wirkt bereits fertiger als so manche Vollversion. Lediglich die Server-Client-Latenz könnte aus den europäischen Gefilden etwas besser sein. Das Fortschrittsystem rund um die Lootboxen sowie die Individualisierung der Helden ist gut durchdacht und zum Glück haben die Entwickler darauf verzichtet freischaltbare Fähigkeiten einzubauen. Blizzard erfindet das Online-Shooter-Rad nicht neu, liefert aber einen mehr als runden Beitrag à la Team Fortress 2 ab, der sich wohltuend von kommenden MOBA-Shootern absetzt. Während Overwatch schon jetzt mit Tempo, Action, Kader und Witz einem Battleborn Paroli bieten kann, dürfte es hinsichtlich der Spielmodi klar den Kürzeren ziehen. Vielleicht hat Blizzard ja noch ein Ass im Ärmel? Story-Missionen für jeden Helden auf Basis der Hintergrundgeschichte wären klasse...
Einschätzung: gut
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