Crossout05.01.2017, Jan Wöbbeking

Vorschau: Mad Max Marke Eigenbau

Rabiates Gemetzel auf Rädern war schon immer das Spezialgebiet des russischen Entwicklers Targem: Nach LAN-Party-Geheimtipps wie Gear Grinder oder Insane 2 versucht sich das Studio neuerdings an einem MMO, in dem man die Endzeit-Vehikel frei auf- und umbaut, um sie danach wieder mit Kanonen zu zerlegen. Die endgültige Mehrspieler-Gaudi für Mad-Max-Fans?

Rollende Kampfmaschinen

Ein Grund für die Neuausrichtung war vermutlich der Erfolg des Panzergemetzels World of Tanks. Ähnlich wie dort duelliert man sich auch in der Early-Access-Version von Crossout zwischen den Deckungen und klickt sich durch Menüs mit Herausforderungen, diversen Währungen und Ressourcen. Entscheidende Unterschiede sind allerdings das Endzeit-Szenario sowie die Bastelwut, die in der Werkstatt an den rostigen Kampfmaschinen ausgelebt werden kann. Die gewählte Fraktion „schmiedet“ einem auf Wunsch gerne vorgefertigte Rostlauben. Danach motzt man sie aber mit derart vielen Rammbock-Klingen, Kanonen und Panzerung auf, dass selbst das A-Team neidisch würde. Einige Begrenzungs- und Balance-Systeme sorgen dafür, dass man sich kein zu übermächtiges Vehikel baut – es sei denn, man spielt sich im Shop als Wal auf und kauft sich schon zu Beginn die fetten Pakete mit Münzen, Ressourcen und hübschen Endzeit-“Panzern“. Andernfalls kann es viele Stunden dauern, bis man genügend Teile gesammelt hat, um das Fahrgestell zu erweitern, so dass mehr Bewaffnung und eine bessere Kühlung derselben möglich wird.

Schön verfallen: Die Schlachtfelder erinnern angenehm an rostige Kunstprojekte wie Odonien in Köln oder Dan Bells Youtube-Ausflüge an verlassene Orte.
Man kann allerdings auch ohne Sonderausgaben Spaß haben. Zunächst muss man sich zwar in die etwas sperrige Menüführung hineinfuchsen, dann lassen sich die Teile in der Werkstatt aber einfach aneinander pappen oder verschieben: Hier noch ein vergittertes Schutzfenster, da noch ein Aggregat, welches mich nach einem Sturz wieder auf die Reifen hievt und dort noch zwei extra dicke Kotflügel über das Rad. Zu guter Letzt klatsche ich noch zwei eigentlich als Tür gedachte Bauteile ans Heck, um mit ihnen die Rückseite der Räder zu schützen. Oder man handelt mit überzähligen Exemplaren auf dem Marktplatz, um sich dringend benötigte Utensilien zu beschaffen. Wer möchte, kann beim Bau sogar von Grund auf mit Rahmen-Elementen anfangen, relativ frei eine Fahrerkabine befestigen oder sogar Flugzeugteile verbauen. So entstehen herrlich bizarre Ungetüme aus rostigem Stahl. Cool auch, dass sich die kreativen Meisterwerke anderer Spieler online durchblättern und binnen Sekunden Probe fahren lassen. Vom bizarren meterlangen Stahlgerippe mit mehreren Waffenreihen bis zum dick verpackten Panzer-Bulli sind erstaunlich viele Ansätze zu entdecken, bei denen sich das Gewicht der Teile übrigens aufs Fahrverhalten und Durchhaltevermögen der Panzerung auswirkt.

Kurzer Schlagabtausch

Auf dem Schlachtfeld bekämpfen sich meist zwei Teams von je acht Spielern beim Versuch, Zonen einzunehmen. Oft findet man nur eine Hand voll Mitspieler, der Rest wird aber passend mit Bots aufgefüllt. Im Gemetzel machen sich dann sofort die Vorteile und Schwachstellen der Boliden bemerkbar. Die fette neue Kanone z.B. macht meinen Pickup gleich spürbar schwerer, was seine Beschleunigung beeinflusst und die Balance deutlich frontlastiger macht. Außerdem zwingt mich die veränderte Bewaffnung, meine Angriffsstrategie umzustellen. Während ich mich vorher gerne direkt ins Getümmel gestürzt habe, ist jetzt eher die Panzertaktik angesagt: Erst einmal vorsichtig den Schwarm gegnerischer Punkte auf dem Radar einschätzen! Kurz danach schlängele ich mich langsam durch verrostete Container und gestrandete Wüstenschiffe zu einem Grüppchen von Nachzüglern, die ich schließlich mit der fetten Kanone aus der Distanz überrasche.

Nicht hübsch aber häufig: Die Explosionen wirken ziemlich billig. Das modulare Zerstörungssystem macht das aber wieder mehr als wett!
Diese schwere Waffe bringt nur wenig Munition mit und lässt sich lediglich in einem schmalen Winkel ausrichten, daher muss ich meine Opfer möglichst frontal aufs Korn nehmen. Wumms! Der erste Schuss hat gesessen, danach ist die MG dran. Nach dem Umbau kann sie zwar nicht mehr den Bereich hinter mir beschützen, besitzt aber nach wie vor ein endloses Magazin und kann höchstens überhitzen. Wumms, ein weiterer Treffer verwandelt den angeschlagenen Gegner in eine Explosionswolke. Doch schon Sekunden später knickt meine Hinterachse ein, weil mir jemand das seitlich ungeschützte Rad aus der Verankerung geballert hat. Schönen Dank auch! Also eiert mein dreirädriges Gefährt die letzte Minute lang wie besoffen übers Schlachtfeld, so dass ich bei jedem Kanonenschuss einschätzen muss, wie sehr mich der Rückstoß nach hinten schleudert – eine nicht zu unterschätzende Prüfung der Improvisationsfähigkeit!

Bis zum letzten Fetzen!

Das modulare Schadensmodell ist mit Abstand das coolste Spielelement an Crossout, weil sich jedes einzelne Teil mit der Waffe oder Rammböcken abtrennen lässt. Panzerplatte für Panzerplatte fliegt weg, bis nur noch ein Gerippe durch die Gegend holpert und auf seinen Gnadenstoß wartet. Geschickte Konstrukteure können hier stark tricksen. Einmal wurden mir sogar sämtliche Reifen und Waffen weggeschossen, so dass ich auf der Karosserie liegend nur noch den Motor aufheulen lassen konnte. Und trotzdem gewann ich die Runde, weil ich es noch schaffte, die feindliche Zone einzunehmen – wenn auch mit Hilfe meiner noch fahrfähigen Kollegen. Die fliegenden Teile und lodernden Flammen sind auch in der Zuschauer-Kamera noch schön anzusehen, technisch wirkt die Action trotzdem nur solide: Die Explosionen z.b. sehen ziemlich billig aus und auch den Soundeffekten fehlt die nötige Sprengkraft und Bassgewalt.

Wer braucht schon Räder oder Kanonen, wenn man derart hilfsbereite Freunde im Team hat?
Das Design der Schlachtfelder ist ebenfalls ein „hit and miss“: Die Konstruktion der Arenen z.B. ist den Leveldesignern gut gelungen. Von verwinkelten Kraftwerksgebäuden über bizarre Metallskulpturen im Stil des Burning-Man-Festivals bis hin zu weiten Schluchten mit hart umkämpften Brücken werden Endzeit-Fans gut bedient. Bislang wirkt die Zahl der Schauplätze aber zu begrenzt, so dass sich schnell Abnutzungserscheinungen einstellen. Zudem wirkt das Terrain ein wenig starr und unbelebt. Von den Vehikeln abgesehen gibt es fast nichts zu zerstören. Immer wieder wird man daran erinnert, welches Zielpublikum die Entwickler anpeilen. World-of-Tanks-affine Gelegenheitsspieler oder russische Kunden mit nicht all zu schnellen Grafikkarten sollen schließlich nicht verprellt werden. Insane 2 wirkte vom Gesamtbild seinerzeit deutlich zeitgemäßer. Diesmal bekommt man im Gegenzug aber immerhin das coole modulare Zerstörungsmodell.

Nervige Beschränkungen

Auto oder Flugzeug? In der Crossout-Dystopie wird alles verbaut, was nicht bei drei verrostet ist.
Der Publikumsfokus offenbart sich auch im dürftigen Modi-Angebot: Im Multiplayer bekommt man nur eine Hand voll einfacher Mannschafts-Duelle vorgesetzt, in denen z.B. die Stützpunkte oder eine neutrale Zone eingenommen werden. Wer vom Versus-Multiplayer die Nase voll hat, kann auch mit anderen Spielern kleine kooperative Missionen starten, um wichtige Ressourcen wie Ölpumpen vor Freibeutern zu beschützen. Leider sorgen auch hier Free-to-play-typische Beschränkungen für Langeweile: Da die Missionstypen nach einigen Stunden wechseln, ist z.B. die launige Eskortierung eines fetten LKW nicht immer verfügbar. Wenn man zum falschen Zeitpunkt spielt, muss man sich also wieder und wieder gegen die mäßige KI durch Standardmodi grinden, bis das gestiegene Level endlich mehr Auswahl eröffnet. Alternativ darf man auch Echtgeld investieren, um sich schneller mit zusammengewürfelten Paketen aus Münzen, Ressourcen und Bauteilen auszustatten. Solcherlei erkaufte Vorteile beeinträchtigen natürlich auch die Balance ein wenig. Da die Mehrspieler-Matches grob nach Level gestaffelt sind, wird es aber nicht all zu unfair. Zu bestimmten Zeiten werden auch spezielle Events wie die Attacke auf ein großes Bossfahrzeug oder fortgeschrittene Clan-Kämpfe gestartet. Nebenbei erledigt man natürlich allerlei Extra-Herausforderungen wie Abschüsse mit einer bestimmten Waffe. Auch sie wechseln in festgelegten Zyklen und müssen ähnlich wie in Pokémon GO nach erfolgreichem Abschluss eingesammelt werden.

Ausblick

Crossout ist eine schöne Abwechslung für Freunde rabiater kleiner Endzeitschlachten. Vor allem das Basteln an meinen Kampfmaschinen hat mich kurzzeitig richtig süchtig gemacht. Jedes noch so kleine Detail sorgt auf dem Schlachtfeld für einen spürbaren Unterschied, weil sich das Handling ändert, der Rückschlag fetter Kanonen beachtet werden muss und man seine Gegner Teil für Teil zerlegt, bis sie nur noch mit einem rauchenden Wrack übers Schlachtfeld eiern. Schade, dass Grinding-Mechaniken und Mikrotransaktionen so stark ins Spiel eingreifen. Zudem sorgt die geringe Zahl an Modi und Möglichkeiten schnell für Monotonie. Trotzdem bereue ich es nicht, mich einige Stunden durchs Endzeit-Getümmel gewühlt zu haben. Noch befindet sich das Spiel in der Early-Access-Phase - ich hoffe darauf, dass Targem noch eine ganze Reihe von Modi und Inhalten nachliefert!

Einschätzung: befriedigend

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