Last Day of June04.08.2017, Michael Krosta

Vorschau: Emotionale Reise in die Vergangenheit

Was würde man nicht alles tun, um einen geliebten Menschen vor dem Tod zu bewahren? In Last Day of June (ab 17,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) suchen die Entwickler von Ovosonic die Antwort im Übernatürlichen und schicken den Spieler in ihrem emotionalen Rätsel-Abenteuer in die Vergangenheit, damit June eine Zukunft hat. Wir haben uns für die Vorschau schon mal mit dem Schicksal angelegt...

Perfekte Idylle

Hach, was sind diese beiden Figuren trotz ihrer überdimensionalen Köpfe und den leeren Augenhöhlen süß: Da sitzen sie, Carl und June, gemeinsam auf einem Steg am See und blicken dem traumhaften Sonnenuntergang entgegen. Es ist die perfekte Idylle für ein perfektes Paar, die auch die aufziehenden Wolken und frischen Winde nicht trüben können. Trotzdem gibt June bald zu verstehen, dass es ihr kalt wird. Gesprochen wird nicht. Stattdessen teilen auch im späteren Verlauf sämtliche Figuren mit einer Mischung aus Gestik und teilweise etwas nervigen Lauten ihren Gemütszustand mit. Ein grummeliges Knurren reicht dabei genauso aus wie ein freudiges Lachen, um die Stimmung und Laune überzeugend einzufangen bzw. dem Spieler zu vermitteln.

Carl und June sind ein süßes Paar.
Als Gentleman ist es selbstverständlich meine Pflicht, in der Rolle von Carl meiner frierenden Herzensdame ihre Jacke aus dem Wagen zu holen. Dabei schreien die bunten Blumen auf dem Weg dorthin im Einklang mit der ruhigen Musikbegleitung aus der Feder von Steven Wilson  (u.a. Porcupine Tree) regelrecht danach, gepflückt und überreicht zu werden. Ich verstehe den dezenten Hinweis und erweise mich als liebevoller Ehemann, hätte ihn aber genauso gut ignorieren und die anschließende Szene daher niemals zu Gesicht bekommen können. Doch spätestens bei der Ankunft im gemeinsamen Heim wird im Rahmen der Erkundung mit June und dem Inspizieren der vielen Bilder an den Wänden klar, dass hier ein Topf seinen passenden Deckel gefunden hat.

Gnadenloses Schicksal

Doch ein herber Schicksalsschlag zerstört das Glück der beiden. Kurz nach der romantischen Einführung bin ich zurück in dem Haus. Doch June sitzt nicht länger in dem gemütlichen Sessel neben ihrem Lebenspartner, Carl dafür in einem Rollstuhl. Was passiert ist? Das will ich hier nicht verraten. Aber es spielt auch eigentlich keine große Rolle. Wichtig ist nur, wie man das fatale Ereignis und die unglückliche Verkettung von Umständen wieder rückgängig macht. Was in der Realität undenkbar ist, wird hier möglich: Carl kann durch das Betrachten von Bildern in die Vergangenheit reisen und diese dabei sogar verändern –

Mit der Hilfe von Bildern kann man die Zeit zurückspulen.
Butterfly Effect lässt grüßen. Allerdings steuert man in den Rückblenden nicht länger Carl, sondern vier andere Figuren, die mit ihren Handlungen die Geschichte umschreiben können.

Zunächst schlüpfe ich in die Rolle eines kleinen Jungen, der in seinem Baumhaus mitansehen muss, wie ihm sein Flugdrachen abhanden kommt. Doch mit einem Ball ist schnell Ersatz und mit dem Hund vor dem Haus ein williger Spielkamerad gefunden. Dumm nur, dass die Handlungen am Ende des Tages in der Katastrophe münden, die man eigentlich verhindern will. Also wird die Zeit einmal mehr zurückgespult und man bekommt erst beim neuerlichen Anlauf die Chance, die Sache zu richten. Folglich lässt man Ball sowie Hund lieber links liegen und versucht stattdessen, den entflohenen Drachen zurückzubekommen und wieder flugtauglich zu machen. Dabei klappert man das überschaubare Areal der kleinen Siedlung nach Gegenständen sowie Interaktionsmöglichkeiten mit Einwohnern oder der Umgebung ab. Die benötigte Kordel erhält man z.B. nur durch eine kleine List, kann aber irgendwann den wiedergefundenen Drachen aufsteigen lassen und dadurch den Zwischenfall mit dem Spielball ungeschehen machen.

Suche nach Alternativen

Genau nach diesem Muster laufen zunächst auch die anderen Episoden ab: Man erlebt zuerst mit eigenen Augen und Handlungen, was an dem Tag schief gelaufen ist, bevor man es im zweiten Anlauf richtet. Dabei werden die Konsequenzen und Verstrickungen mit jeder weiteren Figur komplexer: So benötigt man bereits in der zweiten Episode in der Rolle einer Lehrerin die besagte Kordel, die man sich zuvor als kleiner Junge stibitzt hatte. Später wird man seine grauen Zellen und das Gedächtnis vermutlich ordentlich bemühen müssen, um den Durchblick zu behalten, was man wann mit welcher Figur und mit welchen Gegenständen getan hat, um das Unglück zu verhindern.

Kann man June retten und die Geschichte mit einem Happy End neu schreiben?
Zwar waren die Rätsel in den ersten Spielabschnitten durchaus logisch, doch irrte ich manchmal recht lange ziellos umher, weil ich den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen habe. In diesen Fällen hätte ich mir manchmal einen kleinen Hinweis gewünscht. An anderer Stelle habe ich mich außerdem gegen eine bestimmte Handlung gesträubt, weil sie bereits zuvor eine negative Folge nach sich gezogen hatte, dieses Mal aber erneut ausgeführt werden musste. Zwar kommt man aufgrund der eingeschränkten Interaktionsmöglichkeiten früher oder später auf die Lösung, aber auf den ersten Blick erscheinen die dafür notwendigen Schritte nicht immer nachvollziehbar. Außerdem ist es fraglich, ob das überschaubare sowie künstlich beschränkte Areal nach wiederholten Besuchen im Stil von „Und täglich grüßt das Murmeltier“ nicht irgendwann zu sehr an Reiz verliert. Zumal auch die Spielmechanik sehr simpel gestaltet wurde und sich neben der einfachen Figurenbewegung in der Regel auf wenige sowie kontextsensitive Aktionen beschränkt.

Ausblick

Last Day of June lebt neben dem ansprechenden Zeichenstil bisher vor allem von seiner Atmosphäre, die sich von der anfänglichen Idylle über Trauer und Melancholie bis hin zum Hoffnungsschimmer erstreckt und mit verträumten Arrangements auch musikalisch passend untermalt wird. Der emotionale Einstieg weckt auf simple, aber überzeugende Art die Sympathie für die beiden Hauptfiguren – entsprechend fühlt man nach dem Schicksalsschlag mit und setzt alles daran, die Geschichte mit Zeitreisen in die Vergangenheit sowie dem Lösen von Rätseln doch noch umzuschreiben und zu einem Happy End zu führen. Der Anspruch hält sich zu Beginn zwar noch in Grenzen, doch irrt man teilweise trotzdem hilflos durch die Gegend, weil entweder der Groschen nicht fällt oder die nötige Handlung auf den ersten Blick wenig Sinn ergibt. Deshalb wäre ein optionales Hilfesystem vielleicht nicht die schlechteste Idee. Zumal mit dem späteren Zugriff auf weitere Figuren die Komplexität zunehmen dürfte, bis man den Tag endlich so gestalten kann, dass niemandem etwas passiert. Schön wäre es auch, wenn der überschaubare Schauplatz noch mit zusätzlichen Arealen oder durch Rückblenden erweitert werden würde. Trotzdem hinterlässt das neue Werk der Macher von Murasaki Baby bisher einen guten Eindruck.

Einschätzung: gut

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