Prey (2006)06.02.2006, Paul Kautz
Prey (2006)

Vorschau:

Prey – das ist doch dieses Spiel, das eine ähnlich lange Entwicklung hinter sich hat wie Duke Nukem Forever: Angekündigt, entwickelt, umgekrempelt, auf Eis gelegt, aus dem Denken der Spieler verschwunden. Aber im Gegensatz zum blonden Ballermann ist dieses Spiel tatsächlich am Leben! Wir durften bei Publisher Take 2 eine weit fortgeschrittene Version anspielen.

Indianer im Weltall

Das Ende der 90er servierte Shooterfans viele Überraschungen: Unreal verlegte gerade die Grafik-Messlatte ein ordentliches Stück nach oben, Duke Nukem Forever wurde angekündigt. Und da war dann noch Prey, das extrem ambitioniert klang: Portale sollte es bieten, durch die der Spieler beliebig zwischen Räumen wechseln konnte. Man sollte die Seele vom Körper trennen und auf eigene Wege schicken können. Dank beliebig veränderbarer Schwerkraftverhältnisse sollte sogar das Laufen an Decken und Wänden möglich sein. Aber wie das  so oft mit übertriebenen Ambitionen ist – sie stoßen schnell an Grenzen. In diesem Fall war es die Technik, die im Jahre

Groß, böse und gemein - dieser Gegner ist kein Indianerfreund.
1998 einfach nicht genug hergab, um all die ehrgeizigen Pläne umzusetzen. Also wurde das Projekt offiziell stillgelegt, der Name »Prey« existierte fortan nur noch in den wilden Erinnerungen erwartungsvoller Shooter-Freaks – und in einem Batzen für damalige Verhältnisse spektakulärer Screenshots. Schnitt, wir schreiben 2001: Die technische Entwicklung schreitet waghalsig voran, die Humanhead Studios, die einige Jahre zuvor mit Rune ein skandinavisches Action-Meisterwerk entwickelt hatten, suchen nach neuen Projekten. Das Stichwort »Prey« fällt, der Griff zum Telefonhörer, die Wahl der 3DRealms-Nummer ist flott erledigt, die Doom 3-Engine schnell lizenziert: Der Name ist da, die Technik ist da, die Begeisterung ist da – tadaaa, Prey lebt!

Ihr schlüpft in die gebräunt-rote Haut von Cherokee-Indianer Tommy, der aber kein sonderliches Interesse an seinen Wurzeln hegt. Stattdessen sucht er lieber das Abenteuer der Großstadt, des Militärs, des ungezwungenen Lebens – am besten mit der Freundin. Die ist jedoch gerne Squaw und lässt sich nicht so ohne weiteres aus dem Reservat holen. Mitten in der hitzigen Debatte kommen Außerirdische und entführen sowohl die beiden als auch Tommys Großvater. Mist.

Killer-Käfer

Waffen und Levels sind sehr organisch designt.
Zunächst standen die Designer vor einer kniffligen Entscheidung: Doom3- oder UT2003-Technologie? Nach einer Weile des Experimentierens fiel die Wahl auf die id-Engine, die einfach besser zum Konzept des Spiels passte. Und so war ich während der ersten Präsentationsminute auch entsprechend erschrocken, als ich die altbekannten Metallträger und dunklen Gänge sah, die so typisch für dieses 3D-Werkzeug sind. Doch die Entwickler haben mehr gemacht, als einfach nur den Standard-Editor zu benutzen; stattdessen haben sie sich beim Design stark von Filmen wie »Alien« inspirieren lassen. Denn das Schiff, auf das eure Sippe entführt wird, lebt. Es ist ein schleimiges, organisches, pulsierendes Wesen, das sich von den Opfern ernährt, die es entführt. Überall kleistern Schleimbatzen herum, Türen öffnen sich schlabbernd – definitiv kein Platz für überpenible Putzfrauen. Ist euch das Ganze zu dunkel, greift ihr hier nicht zur obligatorischen Taschenlampe, sondern zum flackernden Zippo-Feuerzeug. Aber auch das spendet nicht ewig Licht, denn irgendwann wird das kleine Gerät zu heiß und fallengelassen – immerhin müsst ihr euch nicht auf die Suche nach neuem Benzin begeben.

Diese lebendige Kulisse hebt sich wohltuend von anderen Spielen gleicher Bauart ab und wird konsequent durchgezogen. Denn selbst die Waffen sind organisch aufgebaut: Da gibt es z.B. einen glibbrigen Käfer mit drei Beinen. Reißt ihr ihm alle raus, solltet ihr ihn besser flott wegwerfen, denn kurz darauf explodiert er – rupft ihr hingegen nur ein Bein heraus, habt ihr eine praktische Kontaktgranate.          

Der hiesige Raketenwerfer verschießt brummelige Explosivkäfer, im alternativen Feuermodus könnt ihr hingegen einen klebrigen und kurzlebigen Schild erzeugen, der keine Geschosse durchlässt – auch die eigenen

Willkommen in der nächsten Welt: In Schwarz-Weiß-Grafik hindert ihr eure Seele am Aufstieg in die ewigen Jagdgründe.
nicht. Die »Leech-Gun« hat gleich vier Feuervarianten, mit denen ihr u.a. die Feinde einfrieren könnt, die dann langsam dahinschmelzen. Das alles erinnert ein wenig an Oddworld: Strangers Vergeltung , aber Prey bleibt natürlich ein reinrassiger Ego-Shooter.

Einen stabilen Magen bitte!

Eine Besonderheit erwartet euch, wenn ihr sterbt: Statt dem obligatorischen Game Over in Verbindung mit dem Quickload-Bildschirm erwartet euch ein Aufenthalt im Niemandsland zwischen Leben und Tod. In diesem »Ewige Jagdgründe-Wartezimmer« steigt eure Seele gerade in den Himmel auf, wo ihr natürlich nicht hinwollt – also holt ihr sie zurück. Bevor ihr jedoch durch das bröckelige Bodenloch zurück zum Ort eures Dahinscheidens fallt, solltet ihr einen Pfeil oder zwei auf die herumschwirrenden Geisterwesen feuern – die füllen nämlich sowohl eure Lebensenergie als auch euren »Soul Spirit« wieder auf. Der dient euch dazu, eure Seele vom Körper zu trennen: ihr schwebt von dannen, während eure schlaffe Hülle reglos verweilt und angegriffen werden kann. Als Seele habt ihr nur Pfeil und Bogen zur Verteidigung, könnt aber Orte betreten, die dem Körper verwehrt bleiben würden. Außerdem seht ihr andere Dinge, überirdische Dinge, die teilweise zum Weiterkommen unabdingbar sind – und ihr dürft keine Türen öffnen, bleibt also auf einen bestimmten Bereich beschränkt. Es bleibt die Frage, wie intelligent dieses interessante Feature genutzt wird. Während der Präsentation zeigte uns Humanhead-CEO Tim Gerritsen ein typisches Puzzle: In einem Raum geht es einfach

Über die Portale könnt ihr schnell zwischen zwei weit entfernten Punkten wechseln.
nicht weiter, ihr könnt euch nur auf eine sich nicht bewegende Plattform stellen. Also wird flugs die Seele abgekoppelt, schwebt zum Bedienpult, drückt den Knopf, der die Plattform in Bewegung setzt und verschmilzt wieder mit der festen Masse. So weit, so gut, allerdings muss sich erst noch zeigen, ob dem Spieler diese Art des Denkens aus Designgründen aufgezwungen wird oder ob er immer wieder die Wahl der Vorgehensweise hat.

Was hat Prey noch zu bieten? Da wäre zum einen die stete Veränderung der Gravitation: Ihr und euer Magen müsst darauf vorbereitet sein, dass oben und unten keinesfalls fest definiert sind. Stattdessen wird die Gravitation immer wieder gewechselt – auf einmal steht alles Kopf, oder das, was gerade noch oben war, ist auf einmal links! Sehr psychedelisch, sehr gewöhnungsbedürftig, aber auch sehr cool! Wie beim Klassiker »Descent« eröffnet das natürlich auch viele neue spielerische Möglichkeiten, denn ihr könnt euch nie darauf verlassen, dass die Levelarchitektur auf eurer Seite ist – wie kommt man z.B. am besten durch eine Tür, die hoch oben über einem schwebt? Interessant sind auch die Portale: Gut, die sind spätestens seit Quake 3 nichts Weltbewegendes mehr, aber die Art der Inszenierung ist fesch - in einem dramatischen Lichtblitz eröffnet sich auf einmal vor euch eine Spiegelwelt, die ihr betreten und mit der ihr interagieren könnt. Ihr dürft hineinballern oder euch mit auf der anderen Seite befindlichen Gegnern ein »normales« Gefecht liefern. Manche Portale führen in beide Richtungen, manche sind Einbahnstraßen – ein Durchschreiten will also wohl überlegt sein.            

Du bist nicht allein

Story, Story über alles: Die Entwickler wollen den Spieler nicht mit Anrufbeantwortern oder kryptischen E-Mails belästigen, stattdessen gibt es Unmengen Echtzeit-Zwischensequenzen, die die Geschichte weiterführen sowie interaktive Flashbacks: Da erinnert ihr euch z.B. einige Monate zurück, als ihr in einer Bar saßt und den Entschluss

Mit den Fluggeräten könnt ihr lange Fußmärsche in der Schwerelosigkeit verkürzen.
fasstet, ein eigenes Leben zu führen. Ihr lauft herum, bewundert die Rune-Poster auf dem Frauenklo (Tim Gerritsen: »Uns ist irgendwann aufgefallen, dass fast alle Entwickler in realistischen Szenarien immer nur ein Klo einbauen – und wo gehen die weiblichen Figuren hin?«), bedient die interaktive Bar oder tobt euch an einem der voll benutzbaren Spielautomaten aus – die neben Black Jack und Poker auch einen »Rune-Man« im Angebot haben.   

Damit ihr während der Befreiung eurer Freundin nicht so allein seid, geben euch die Entwickler gleich mehrere Begleiter auf den Weg: Da wäre z.B. euer Großvater, der schon kurz nach Spielbeginn dem hungrigen Schiff zum Opfer fällt, aber kurz darauf als beratender Geist wieder auftaucht. Zum anderen bekommt ihr später den Falken »Talon« als spirituellen Begleiter, der nicht nur Alienschrift für euch übersetzt, sondern sich auch kreischend auf Gegner stürzt, um sie abzulenken. Schließlich gibt es noch »The Hidden«: Das sind ebenfalls entführte Wesen, die sich befreien konnten, und nun alles tun, um das gefräßige Schiff von innen zu sabotieren – ihnen verdankt ihr überhaupt, dass ihr entwischen konntet, außerdem stehen sie euch gelegentlich im Kampf bei. Tragt ihr zu viele Blessuren davon, könnt ihr euch nicht nur an Medipäckchen, sondern auch an so genannten »Health Spores« heilen – quasi nachwachsenden Sanistationen. Übrigens sind die Gegner clever genug, dasselbe auch bei Verletzungen ihrerseits zu tun, wovon ihr sie natürlich abhalten solltet. Auch eine Art Schutz bieten die Flugvehikel, die ihr

Verkehrte Welt? Oh ja: Gerade im Mehrspielermodus gewinnt das Wandlauf-Feature an psychedelischer bedeutung.
immer wieder benutzen könnt, wenn ihr z.B. auf einem kleinen Mond innerhalb des Raumschiffs umherwandert. Die sind nicht nur mit einem Laser zur Verteidigung, sondern auch mit einer Art Traktorstrahl bewaffnet, mit dem ihr euch Gegner schnappen und wegschleudern könnt.

Jetzt geht's ab!

Richtig abgefahren wird es im Mehrspielermodus, bezeichnenderweise »MultiPrey« genannt, denn hier treffen alle Besonderheiten aufeinander: Gravitationsveränderungen und Portale! Es geht nicht nur nach vorne, hinten, links und rechts, sondern auch nach oben und unten, auf den meisten Karten könnt ihr an Wänden herumlaufen und Flugvehikel benutzen - das geht dann so weit, dass man selbst geradeaus läuft und links sowie oben Gegner vorbeirennen. Hier muss man sich von dem klassischen Deathmatch-Gedanken verabschieden, Prey liefert ein ganz neues, sehr ungewöhnliches Mehrspielererlebnis, das so manchem Zocker durchaus auf den Magen schlagen dürfte. Ein Level bestand z.B. aus einem kleinen Mond, auf dem kleinere Hallen standen, die durch Gänge miteinander verbunden waren - d.h. auf der Karte gab es kaum eine gerade Strecke, meist hatte man runde Oberflächen vor einem. Sehr verrückt, durchaus gewöhnungsbedürftig, aber verdammt spaßig!        

Ausblick

Hossa, bei Prey geht’s rund – im wahrsten Sinne des Wortes! Nach ungefähr zehn Multiplayerpartien, bei denen es öfter rüber und runter ging als auf der Achterbahn kann ich ruhigen Gewissens behaupten, so etwas Rasantes und Ungewöhnliches schon sehr lange nicht gespielt zu haben. Neben einem sehr potenten Rechner braucht ihr also auch einen möglichst gut gepanzerten Magen, um die Raumverknotungen und Gravitationsspielchen unbeschadet zu überstehen. Aber genau das gibt Prey den erwünschten Innovationskick, der bei anderen Shootern schmerzlich vermisst wird. Genau wie das interessante organische Grafikdesign, welches sich wohltuend vom üblichen Schwarze-Gänge-viel-Metall-Einerlei unterscheidet. In Sachen Technik und Ideen sind die Humanhead Studios also schon jetzt ganz weit vorn, jetzt muss nur noch die Story stimmen – davon gab es bei der Präsentation leider nicht sehr viel zu sehen. Auch bei den Seelenwanderungen bleibe ich noch skeptisch: Gewähren mir die Entwickler die Freiheit der Vorgehensweise, bin ich sehr dafür – doch bislang sieht es wie ein enges Designerkorsett aus.

Ersteindruck: sehr gut

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