Always Sometimes Monsters28.05.2014, Benjamin Schmädig

Im Test: Die Dämonen des Alltags

Über solche Spiele freue ich mich besonders: Abenteuer, die sich nicht um einen Test der Geschicklichkeit oder des taktischen Könnens drehen. Die eine Geschichte erzählen, an der ich teilhaben kann. Gone Home zählt dazu, Cart Life oder To the Moon. Und auch Always Sometimes Monsters handelt nur von dem profanen Wunsch, in eine andere Stadt zu reisen, um eine verflossene Liebe zu sehen. Was gar nicht so einfach ist, wenn das Portemonnaie leer ist und die Wohnung gepfändet wurde!

Die Schlüsselfrage

Zumindest rückt mein Vermieter den Schlüssel so lange nicht heraus, bis ich ihm die Miete für den laufenden Monat zahle. Ich bin aber pleite, arbeitslos und auf den Erlös meines letzten Vertrags warte ich seit Tagen...

"Ich", das ist eine junge Schriftstellerin oder ein junger Schriftsteller – die Berufung und die finanziellen Probleme stehen fest. Bei der Wahl meines Alter Ego konnte ich mich allerdings frei für Geschlecht und Hautfarbe entscheiden und festlegen, ob ich in einen Mann oder eine Frau verliebt bin. Das entscheidet darüber, wie manche Mitmenschen auf mich reagieren.

Für die Liebe buckeln?

Vor allem aber geht es um die Frage: Wie entwickelt sich meine Geschichte durch die Entscheidungen, die ich treffe? Soll ich einem Kumpel helfen, der im Krankenhaus liegt oder kümmere ich mich um meine eigenen Belange? Unterstütze ich die Gewerkschaft oder schlage ich mich auf die Seite einer Gruppe, die gegen die Bereicherung der Gewerkschaftsführer protestieren?

Ohne Moos nix los: Nur ehrlich verdienter Lohn stillt Hunger und löscht Durst.
Auch zwischenmenschliche Kleinigkeiten spielen eine Rolle: ob ich einer gereizten Bekannten z.B. eine zweite Chance gebe oder mich von ihr fernhalte.

Warum ich diese Entscheidungen treffen muss? Weil ich Geld benötige, um in die ferne Stadt zu reisen – dorthin, wo meine einstige Liebe in einem Monat heiraten wird. Ich sollte also nicht nur meine Wohnsituation in den Griff bekommen, sondern auch hunderte Dollar Reisekosten aufbringen. Freunde helfen mir eine Arbeit zu finden: Mal stehe ich an der Abendgarderobe eines Clubs, mal sortiere ich Kisten. Zwischendurch laufe ich durch die Stadt, in der ich mich gerade befinde und wo ich viele kleine und große Geschichten erlebe. Nach jedem Ereignis schreitet die Zeit vom Morgen zum Mittag, Abend und zur Nacht voran. Steht kein Ereignis an, kann und muss ich jeden Tag über eine Zeitarbeitsagentur weiteres Geld zu verdienen.

Doch wofür? Um eine Person zu treffen, die sich längst auf eine neue Beziehung festgelegt hat? Tatsächlich erscheint mir die Motivation meines Charakters so absurd, dass ich mich nicht damit identifizieren kann. Der interaktiven Erzählung fehlt damit eine wichtige Grundlage. Always Sometimes Monsters basiert auf Erlebnissen, die einer der Entwickler während einer Rucksacktour durch die USA machte. Vielleicht hätte dem Spiel eine ähnlich bodenständige Ausgangslage gut getan.

Ängste und Spanungen

Es hätte auch deshalb besser gepasst, weil ich das Abenteuer trotz seiner ernsten Themen als zu unbeschwert empfinde. Viele Handelnde sprechen und fluchen zwar im harten Ton einer glaubwürdigen Umgangssprache, doch einige Konstellationen sind so verspielt und oberflächlich, dass sie wie nebensächliche Stichpunkte anmuten. Ich begegne etwa einem Jungen, dessen Familie kaum etwas zu essen hat. Also angelt er in einem beinahe vollständig verschmutzten Gewässer, markiert mir aber alle sauberen Stellen, nachdem ich ihm einen fetten Fisch aus dem Wasser gezogen habe. Dadurch verlieren sein Schicksal und meine Suche nach Nahrung mit einem Schlag an Bedeutung.

Dabei musste ich in den ersten Tagen stets darauf achten, meine Ausdauer durch regelmäßiges Essen zu erhalten: Vom Verdienst meiner ersten Jobs gingen viele Dollar für den Kauf von Fast Food drauf, das kaum sättigt. Überhaupt fehlt der Erzählung eine konsequente Dramatik, weil ich mir allzu sicher sein kann ans Ziel zu gelangen. So könnte ich zwar jeden der Jobs ablehnen, die mir einer meiner Kumpel anbietet – vielleicht lasse ich vor Ort auch einfach alles fallen, stehle Geld oder arbeite schlampig. Dass das möglich ist und dass ich in vielen Situationen meinem Gegenüber eine Abfuhr erteilen kann, macht Always Sometimes Monsters zu etwas Besonderem! Dass ich allerdings über die Zeitarbeitsagentur an jedem Tag des Abenteuers einen ausreichend gut bezahlten Job finde, nimmt drohenden Konsequenzen den wichtigen Schrecken. Sowohl Papers, Please als auch Cart Life haben soziale Ängste und Spannungen im Arbeitsumfeld intensiver eingefangen –

Always Sometimes Monsters bildet Menschen und Beziehungen überzeugend ab.
auch weil die interaktive Umsetzung der virtuellen Arbeit fordernder war. Schade außerdem, dass ich in Bars oder an anderen Treffpunkten nur dann einen Gesprächspartner finde, wenn das Skript es vorsieht.

Masken hinter Masken

Seine Stärke zieht das Spiel nicht aus den Aktionen, sondern aus den Dialogen. Auch wenn Unterhaltungen oft zu lange dauern - oft fühle ich mich wie ein Zuschauer, nicht wie ein Handelnder. In diesen Gesprächen entpuppen sich viele Charaktere aber als gut beobachtete Ebenbilder echter Menschen. Beeindruckt hat mich z.B. ein Vorarbeiter, ein notorisch schlecht gelaunter Chef, der genüsslich zusieht, wie ich eine geschlagene Viertelstunde lang Kisten schleppe und mich anschließend anraunzt, er hätte doppelt so viele getragen. Ein Arbeitstier, das wohl mit Scheuklappen durch die Welt geht...

... bis ich erlebe, wie er von Punks erniedrigt wird, die gegen seine Gewerkschaft protestieren. Es ist nicht nur Mitleid – doch langsam dämmert mir, dass hinter diesem einfachen Menschen eine ehrliche Haut steckt. Er ist jemand, dem seine und die Arbeit anderer etwas wert ist. Der dafür aufrichtige Anerkennung verdient hat.

Und dann bittet mich dieser Mann die bevorstehende Wahl zu manipulieren, weil die Partei seiner Gewerkschaft sonst mit Sicherheit keine Mehrheit erhält. In solchen Momenten ist Always Sometimes Monsters ganz groß!

Fazit

Irgendwo lese ich die Frage, die sich das Spiel schließlich selbst beantwortet: Hat man tatsächlich eine Wahl, wenn man vor einer Entscheidung steht? Nein, mein Einfluss ist geringer als er sein sollte. Das Ziel ist vorgegeben, in entscheidenden Momenten werde ich auf den richtigen Pfad geschoben – die Reise wird mehr erzählt, als dass ich sie erlebe. In den Schlüsselmomenten vieler Dialoge kann ich allerdings entscheiden, welche Position ich einnehme. Ich begegne vielschichtigen Figuren und treffe Entscheidungen für oder gegen die Interessen einer Person. Das ist wertvoll, weil ich auf nachvollziehbare Art am zwischenmenschlichen Miteinander teilhabe. Einige bewegende Momente bleiben hängen. Vereinnahmender wäre es allerdings, wenn die spielerische Herausforderung über das Erledigen leichter Minispiele hinausginge. So setzt Always Sometimes Monsters wichtige inhaltliche Impulse, traut sich spielerisch aber noch nicht weit genug vor.

Pro

freie Wahl der Hauptfigur und ihres Partners
interessante Einblicke in gut beobachtete Charaktere
zahlreiche kleine und große Entscheidungen
glaubhafte Umgangssprache statt glatter Texte
schwungvolle Musik

Kontra

jeder Weg führt ans Ziel, Konsequenzen sind überschaubar
langweiliges Geldverdienen durch Zeitarbeit
Abklappern von vorgesehener Ereignisse statt dynamischer Entwicklung
Geschichte wird mehr erzählt als dass man sie erlebt
ausschließlich Englisch

Wertung

PC

Ein Abenteuer, das die Menschen auf dem Weg in den Vordergrund stellt - und nicht das Ziel.

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