Tactics Ogre: Let Us Cling Together25.02.2011, Jens Bischoff
Tactics Ogre: Let Us Cling Together

Im Test:

An das mittlerweile über 15 Jahre alte Tactics Ogre werden sich hierzulande wohl nur Importspieler erinnern. Erschienen das SNES-Original und die ein Jahr spätere Saturn-Umsetzung noch exklusiv in Japan, schaffte es das PSone-Remake Ende der 90er immerhin bis nach Amerika. Mit der PSP-Neuauflage kommt jetzt auch Europa in den Genuss des als Vorlage für Final Fantasy Tactics geltenden Strategieklassikers.

Folgenschwerer Vergeltungsdrang

Im kriegsgebeutelten Fantasyreich Valeria sinnen drei Jugendliche auf Rache an den Brandschatzern ihres Heimatdorfs. Dabei finden sie nicht nur schnell Unterstützung, sondern ziehen auch immer stärker die Aufmerksamkeit unterschiedlicher Interessensgemeinschaften auf sich und schon bald tobt ein regelrechter Bürgerkrieg zwischen verfeindeten Königreichen, Widerstandsbewegungen und ausländischen Mächten, an dem man maßgeblich beteiligt ist.

Der über einen moralischen Gesinnungstest erstellte Anführer des Vergeltungstrios wird verehrt, gefeiert, gejagt, verleumdet und verächtet. Man wird in Machtkämpfe und Intrigen verstrickt, schwerer Kriegsverbrechen bezichtigt, von Freunden verraten und von Feinden missbraucht, klar geglaubte Fronten verschwimmen, Überzeugungen geraten ins Wanken und selbst Familienbande drohen zu zerreißen. Dennoch ist man den Wirren des Schicksals nicht wahllos ausgeliefert. Durch persönliche Entscheidungen kann man den Verlauf des Rachefeldzugs maßgeblich beeinflussen.

So legt man in Dialogen grundsätzliche Ausrichtungen fest und löst je nachdem in welche Schlacht man zieht, mit wem man sich verbündet oder wen man rettet, unterschiedliche Ereignisse aus. Manches davon ändert lediglich kleine Details im Spielverlauf, während anderes zu völlig neuen Situationen führt. Interessant ist dabei auch die Einbindung des so genannten Warren Reports, der neben Erklärungen und Tipps zur Spielmechanik, Infos zum bisherigen Spielverlauf, erhaltenen Titeln sowie Musik- und Event-Bibliotheken auch ständig aktualisierte Charakterbiografien und Neuigkeiten aus Valeria verzeichnet, die beim Lesen teils neue Orte und Ereignisse freischalten.

Ausgeklügelte Entdeckungsreise

Es gibt jedenfalls auch abseits der Haupthandlung einiges zu entdecken, je nachdem, welche Orte man bereist, welche Einträge man liest oder welche Personen man in seiner Gruppe hat - von simplen Bonusdialogen über zusätzliche Mitstreiter bis hin zu mehrstufigen Nebenschauplätzen und -geschichten.

Die neu gestaltete Weltkarte öffnet sich Schritt für Schritt und wartet abhängig von getroffenen Entscheidungen mit verschiedenen Orten und Ereignissen auf.
Am Ende der Kampagne bekommt man sogar die Möglichkeit an frühere Knotenpunkte zurückzureisen, um alternative Routen zu beschreiten und verpasste Ereignisse nachzuholen, so dass man nicht nochmals ein komplett neues Spiel beginnen muss.

Auch in den Schlachten selbst kann man am Rad der Zeit drehen und bis zu 50 Züge rückgängig machen, wenn man der Meinung ist, sich festgefahren oder in eine ausweglose Situation manövriert zu haben. Profis werden diese Option womöglich verschmähen, aber gerade Einsteiger sind sicher froh, dass sie so bei einem folgenschweren Fehler nur einen Teil der aktuellen Auseinandersetzung und nicht die gesamte Schlacht wiederholen müssen. Der Schwierigkeitsgrad ist nämlich äußerst fordernd - auch wenn man seine Truppe durch optionale Kampfeinsätze vielerorts verstärken und es dadurch natürlich entsprechend leichter haben kann. Gerade die Rettung von KI-gesteuerten Gastfiguren ist aber auch dann oft noch extrem heikel, da sie selbst in aussichtsloser Lage meist unbeirrt in die Offensive gehen.     

Wer will, kann übrigens auch seine eigene Truppe teilweise oder komplett nach zuvor festgelegten KI-Mustern antreten lassen und nur im Notfall manuell ins Geschehen eingreifen.

Tactics Ogre setzt trotz seines Alters auch erzählerisch Akzente, eine Lokalisierung hat man sich aber leider gespart.
Allerdings geht dadurch in meinen Augen ein Großteil der eigentlich Faszination verloren, die man eben nur verspürt, wenn man jeden Zug selbst minutiös plant, mögliche Resultate und Feindbewegungen abwägt und sich entsprechend zu positionieren versucht. Zudem sind die KI-Anpassungen viel zu rudimentär, um als ernsthafte Alternative durchzugehen - eine nette Spielerei für weniger anspruchsvolle Standardgeplänkel ist die Option aber durchaus.

Ungenutztes Potential

Zudem kann man seine für sämtliche Einheiten individuell festlegbaren KI-Muster zusammen mit persönlicher Figuren- und Schlachtfeldwahl als Datenpaket abspeichern und mit Freunden tauschen, um indirekt gegeneinander anzutreten. Dabei lässt sich sogar eine Reihe von situationsbezogenen Charakterkommentaren festlegen, die man aus einer vorgefertigten Liste auswählen oder von Hand eintippen kann - sicher eine gut gemeinte Dreingabe, die bei entsprechendem Freundeskreis für zusätzliche Langzeitmotivation sorgen kann, direkte Duelle wären aber mit Sicherheit wesentlich unterhaltsamer und spannender gewesen. Schade, dass man diese Möglichkeit verschenkt hat...

Ebenfalls nicht besonders glücklich finde ich die Entscheidung, heimischen Spielern keinerlei Lokalisierung anzubieten. Sowohl Menüs, Erklärungen, Dialoge als auch die gesprochenen Zusammenfassungen zwischen den Kapitelübergängen sind nur auf Englisch verfügbar. Schade auch, dass man nicht noch mehr Sprachaufnahmen veranlasst hat, denn die seltenen Einsätze hätten sicher auch in vielen Schlüsselszenen für noch dichtere Atmosphäre gesorgt. Dramaturgisch merkt man Tactics Ogre sein Alter jedenfalls kaum an. Bei der Präsentation hätte man sich aber hier und da schon etwas mehr gewünscht als aufpolierte Menüs, Effekte und Charakterbildchen.

Andererseits hat man so auch einen gewissen nostalgischen Charme bewahrt. Mich persönlich stören die pixeligen Figuren und Schauplätze kein bisschen, auch wenn ich kein Retrofanatiker bin und mich über Dinge wie die aufgebohrte Weltkarte oder Dialogdarstellung durchaus freue.

Gewollter Retrocharme oder Aufwandsbeschränkung: Die grafische Präsentation wurde nur geringfügig aufpoliert.
Auch der Soundtrack wurde liebevoll überarbeitet und erweitert, Darstellung und Steuerung bis auf die nicht immer optimale Menüführung vorbildlich an die Gegebenheiten der PSP angepasst. Zwar vermisse ich vor allem bei dicht bebautem oder stark zerfurchtem Terrain nach wie vor eine Rotationsfunktion der Spielansicht, aber immerhin kann man die Kamera mittlerweile in eine Art Vogelperspektive kippen, um durch hohe Mauern oder üppige Vegetation verdeckte Einheiten zu erkennen.

Komfortables Taktieren

Wer will, kann sogar Screenshots anfertigen, jederzeit auf Knopfdruck Erklärungen zu Menüpunkten, Anzeigen oder Statusbeeinträchtigungen einblenden und einen Teil der Spieldaten auf Memory Stick installieren, um Ladezeiten zu verkürzen. Letztere halten sich aber auch Beschleunigung in Grenzen und sind kein Vergleich zu den Stottereskapaden des PSone-Remakes. Das eigentliche Aushängeschild sind aber nach wie vor die spannenden Rundenschlachten sowie das facettenreiche Charakter- und Truppenmanagement.    

Man kann in seine bis zu 50köpfige Armee nicht nur Mitstreiter unterschiedlicher Profession und Herkunft aufnehmen, jede Einheit hat auch eine moralische Gesinnung, die es bei Gruppenbildung und Schlachtplanung zu berücksichtigen gilt.

Neue Mitstreiter kann man nicht nur in Städten, sondern auch direkt auf dem Schlachtfeld rekrutieren.
Keiner kämpft gern gegen seinesgleichen oder toleriert seiner Ansicht nach verwerfliche Handlungen. Wer nicht darauf achtet, läuft Gefahr Mitstreiter zu verärgern oder dauerhaft zu verlieren. Auch Einheiten, die auf dem Schlachtfeld ihr Leben lassen, können für immer verschwinden, wenn sie nicht rechtzeitig gerettet oder wiederbelebt werden.

Die Scharmützel laufen rundenbasiert ab, wobei die am unteren Bildschirmrand angezeigte Zugfolge nicht statisch ist, sondern sich dynamisch an aktuellen Charakterwerten und vorausgegangenen Aktionen orientiert: Wer leichte Rüstungen trägt, nur wenige Schritte macht oder keine Aktion ausführt, kommt auch schneller wieder an die Reihe. Kampfhandlungen werden hingegen nicht nur von Charakterwerten und Ausrüstung, sondern auch von Wirkungsrichtung und -höhe, Wetter, Terrain oder eventuellen Hindernissen beeinflusst. Letzteres spielt vor allem im Fernkampf eine entscheidende Rolle - Barrieren, an denen Armbrust- oder Blasrohrschützen scheitern, können mit Pfeil und Bogen oder Schleuder teils elegant überwunden werden.

Motivierende Vielfalt

Zudem können Gegner mit bestimmten Waffen und Angriffen ein Feld zurück oder auch in Abgründe geschubst werden. Bei kleineren Stürzen lassen sich manche Widersacher sogar als Trittbretter missbrauchen, um sonst unpassierbare Gräben zu überwinden. Zudem gibt es vor einem Angriff ein praktisches Infofenster, welches Auskunft über die Erfolgswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe einer geplanten Attacke gibt. Man kann auch Umgebungsobjekte zerstören, feindliche Hinterlassenschaften aufsammeln oder nach vergrabenen Schätzen suchen.

Darüber hinaus können manche Einheiten auch fliegen oder schwimmen. Es gibt jedenfalls Dutzende Charakterklassen, die man mithilfe spezieller Abzeichen jederzeit wechseln kann und die im Kampf charakterübergreifend Erfahrungspunkte sammeln.

Manche Orte wie Festungen bestehen aus mehreren Ebenen - auch ein gewaltiger Bonusdungeon ist mit von der Partie.
Dadurch fügen sich auch neu rekrutierte oder längere Zeit nicht eingesetzte Mitstreiter stets harmonisch in die Gruppe ein. Persönliche Fertigkeiten muss man sich hingegen aktiv erarbeiten, wobei die in einer Schlacht erworbenen Fertigkeitspunkte ebenfalls gleichmäßig unter allen Kampfteilnehmern aufgeteilt werden, um leistungsbezogene Ungleichgewichte zu vermeiden. Wenn der Heiler kaum was zu tun hat, fällt er genauso wenig zurück wie Krieger, denen versierte Schützen die ganze Arbeit abnehmen.

Das Hegen und Pflegen der eigenen Streitmacht nach jeder gewonnenen Schlacht ist jedenfalls ein zeitaufwändiges, aber auch ungemein motivierendes Unterfangen. Man rekrutiert neue Mitstreiter, experimentiert mit verschiedenen Klassen und Gruppenzusammensetzungen, sondiert erbeutete Ausrüstung und hält nach neu erlernbaren oder steigerbaren Fertigkeiten Ausschau. Auch passive Fähigkeiten stehen zur Wahl und wer den Umgang mit bestimmten Waffengattungen meistert, kann sich verheerende Spezialangriffe aneignen.   

Fazit

Trotz seines Alters hat Tactics Ogre kaum an Faszination verloren. Der epische Feldzug mit all seinen Facetten und Verzweigungen um Rache, Macht, Verrat und Freundschaft fesselt ambitionierte Hobbygeneräle wochenlang an die PSP. Der Einstieg mag etwas mühsam, die Menüführung mitunter sperrig, der Schwierigkeitsgrad vor allem aufgrund selbstmörderischer Gasteinheiten teils gnadenlos erscheinen. Aber gerade in Zeiten, wo alles immer einfacher, geradliniger und massenkompatibler wird, tut es richtig gut, mal wieder jeden Zug genau überlegen zu müssen, jede Eventualität in Betracht zu ziehen, sich nach jedem Sieg intensiv mit Charakterentwicklung und Gruppenmanagement zu beschäftigen, um aus jedem einzelnen Truppenmitglied das Optimum herauszuholen. Da stört es auch nicht, dass die grafische Präsentation der Rundenschlachten nur dezent aufpoliert wurde, es nur zwischen den einzelnen Kapiteln atmosphärische Sprachausgabe gibt oder sich die Spielansicht zur besseren Übersicht zwar kippen, aber nicht rotieren lässt. Schade ist nur, dass man auf eine Lokalisierung komplett verzichtet hat und man sich im so genannten Mehrspielermodus nicht direkt mit Freunden, sondern nur mit deren KI-gesteuerten Speicherdaten messen kann. Nichtsdestotrotz ist Tactics Ogre auf der PSP das bisher beste Remake des Klassikers und ein Festmahl für jeden Fantasy-Strategen.

Pro

epische Story
enormer Umfang
fordernde Rundentaktik
nicht-linearer Spielverlauf
interaktives Geschichtsbuch
praktisches Rückspul-Feature
individuelle Charakterentwicklung
facettenreiches Gruppenmanagement

Kontra

angestaubte Grafik
oft selbstmörderische Gast-KI
teils etwas sperrige Menüführung

Wertung

PSP

Liebevoll aufbereiteter und angenehm fordernder Strategieklassiker, den sich trotz kleinerer Schönheitsfehler und nur leidlich spannender Mehrspielerkomponente kein Hobbygeneral entgehen lassen sollte.

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