Kingdom Hearts: Birth by Sleep14.09.2010, Mathias Oertel
Kingdom Hearts: Birth by Sleep

Im Test:

Disney-Figuren treffen auf Rollenspiel in Square-Tradition: Mit dieser Formel sorgt die Kingdom Hearts-Serie seit ihrem PS2-Debüt im Jahr 2002 für leuchtende Augen bei jungen und jung gebliebenen Fans. Ab sofort können auch PSPler das von Kultfiguren wie Peter Pan, Cinderella oder Schneewittchen bevölkerte Fantasy-Unviersum besuchen. Bleibt die Begeisterung auch auf dem kleinen Bildschirm erhalten?

Nachher ist vorher

Bei all den wild durcheinander gewürfelten Zeitlinien, die in den verschiedenen Kingdom Hearts-Titeln bislang auftauchten, ist es schwer, den Überblick zu behalten. Insofern macht es einem der PSP-Ableger Birth by Sleep (BbS) einfach: Auf Sonys Handheld wird der Prolog der Geschichte um die Träger des Schlüsselschwertes wie Sora (KH1) oder Roxas (KH2) erzählt.

An der Grundprämisse ändert dies jedoch nichts: Viele bekannte Märchen- oder Fantasy-Welten werden von Günstlingen der Dunkelheit überrollt, denen sich die Helden mit ihrem Schlüsselschwert stellen müssen.

Das Aufeinandertreffen von Disney-Figuren und Square Enix'scher Erzählkunst bietet viele spannende und emotionale Momente.
In bester Square-Tradition findet man jedoch viel mehr hinter dem einfachen "Gut-/Böse"-Schema. Es geht um das Erwachsen-Werden, das Übernehmen von Verantwortung und natürlich auch die immergrünen Elemente wie Neid, Hass, Rache und Freundschaft - und das alles wird kindgerecht (aber ohne erhobenen Zeigefinger) verpackt und obendrauf mit allseits bekannten sowie liebenswerten Figuren aus dem Disney-Universum angereichert.

Helden-Triumvirat

Die erzählerische Last verteilt sich auf drei Figuren, anstatt sich wie bislang auf einen Charakter zu konzentrieren. Ähnlich wie jüngst bei Ninety-Nine Nights 2 oder in einschlägige Hollywood-Produktionen wie "8 Blickwinkel" erfährt man die komplette Tragweite der mitunter unwichtig scheinenden Dialoge und Szenen erst, wenn man alle drei, sich gelegentlich überschneidenden Storypfade bis zum Ende beschritten hat. Da man mit jedem Weg gut zehn bis 15 Stunden beschäftigt sein dürfte, scheint zumindest auf dem Papier ein ansprechender Gegenwert auf dem Datenträger zu schlummern. Oder täuscht der Eindruck?

Nein! Er täuscht nicht. Egal, ob man den sehr jung  und unbekümmert scheinenden sowie an Sora erinnernden Ventus steuert, sich für die elegante Aqua entscheidet oder mit dem konfliktbehafteten und daher manchmal undurchschaubar wirkenden Terra kämpft, bekommt man gelungene Action mit dynamischen Echtzeit-Kämpfen und viele sympathische Momente serviert. Genau so, wie man es von der Kingdom Hearts-Serie erwartet. Und dennoch: Die ganz große Faszination, die dafür sorgte, dass bei den ersten beiden KH-Titeln auf PS2 (4P Wertungen: 83% und 88%) der Funke übersprang, will sich nicht einstellen.

Warten auf Schneewittchen

Zum einen sorgen unnötige Ladeunterbrechungen beim Abschnittwechsel, beim Aufrufen des Charaktermenüs sowie teilweise sogar in Kämpfen (bei bestimmten besonderen Aktionen) für eine Störung des Spielflusses. Mit einer der drei angebotenen Daten-Installationen, die von 200 MB bis 624 MB in Anspruch nehmen, kann die Ladezeit teils drastisch verkürzt, aber nie ganz aus dem Weg geräumt werden.

Zum anderen gibt es ein paar mechanische Altlasten, die die Serie von Beginn an heimsuchen und die auch auf der PSP nicht exorziert werden konnten: Dazu gehört z.B. die nach wie vor suboptimale Kameraführung in den mitunter hektischen Auseinandersetzungen, die von dem fehlenden zweiten Kontrollstick natürlich nicht verbessert wird. Auch die gut gemeinte Ziel-Erfassung und -Durchschaltung tendieren dazu, in kritischen Situationen eher zu verwirren als zu helfen. Bei den mit

Neben vielen bekannten Disney-Charakteren feiert man auch ein Wiedersehen mit Micky.
guter Kollisionsabfrage punktenden Sprungsequenzen zeigt sich die Kamera auch mehr als Hindernis denn als Hilfe. Vor allem in engen Ecken lässt sie sich nicht so positionieren, dass man den nächsten Sprungversuch gefahrlos unternehmen könnte.

Diese Mankos erweisen sich aber glücklicherweise nicht als absolute Spaßbremse. Sind sie ein Frustfaktor? Zweifellos. Bei jüngeren Spielern trotz des im unteren Bereich angesiedelten Schwierigkeitsgrade umso mehr. Doch letztlich kann man lernen, mit diesen Problemen zu leben und sie umschiffen.

Der Schlüssel ist der Kampf

Und dann kann man auch voll in den Kämpfen aufgehen, die trotz einer einfachen Steuerung zahlreiche Möglichkeiten bieten: Kombos mit dem Schlüsselschwert können sich abwechseln mit dem Einsatz von Magie, man kann blocken oder ausweichen und wenn alle Stricke reißen und man ausreichend Energie besitzt, kann man einen so genannten D-Link mit einem der beiden nicht benutzten Hauptcharaktere oder bereits befreiten Disney-Charakteren herstellen. Das wiederum führt dazu, dass man kurzzeitig Zugriff auf besondere Magie hat. Und mit entsprechenden Kombinations-Ketten kann man sich sogar in eine Art "Wut" kämpfen, mit deren Hilfe man kurzzeitig noch stärker austeilen kann. Dass das Einleiten dieser Wut durch eine kurze, für mein Empfinden unnötige und damit den Kampf-Fluss störende Ladepause begleitet wird, ist eine unerfreuliche Nebenwirkung, die auf lange Sicht den Unterhaltungswert dennoch nur minimal mindert.

   

Das Durchschalten durch die Zauber oder sonstige im Inventarmenü ausrüstbare Gegenstände ist mit dem Digipad etwas unhandlich, da man immer "umgreifen" muss, was in der durchaus vorhandenen Hektik der Kämpfe wertvolle Zehntelsekunden kostet. Mit den so genannten Kommandodecks kann man sich verschiedene Konfigurationen an Befehlen zusammenstellen, um so auf verschiedene Gegnertypen eingestellt zu sein.

Das Problem dabei ist nur, dass in der Anfangsphase zu wenige Kommandos zur Verfügung stehen, um die Decks ausnutzen zu können und man im Laufe des Spiels eher dazu neigt, sein Hauptdeck zu optimieren, anstatt sich um eine Balance oder

Spieglein, Spieglein an der Wand: Wer ist der böseste Boss im ganzen Land?
Spezialisierung innerhalb der verschiedenen Decks zu kümmern. Dass die Feinde einem zudem bis auf wenige Ausnahmen nicht allzu viel abverlangen, sorgt zusätzlich noch dafür, dass man sich meist auf ein Deck verlässt und die dort vorhandenen Fähigkeiten durch Benutzung maximal steigert und sie schließlich sogar mit anderen zu einer vollkommen neuen kombinieren kann.

Ab und an kann man dabei allerdings feststellen, dass die neue kombinierte Kraft nicht unbedingt dem entspricht, was man sich davon erhofft hat und ist etwas enttäuscht, dass man dafür die zwei Fähigkeiten, die man vorher gut nutzen konnte geopfert hat. Diesem Frust hat Square Enix einen Riegel vorgeschoben: In Shops kann man sich diese Fähigkeiten wieder kaufen. Dann sind sie zwar auf dem schwächsten Niveau, doch in bereits besuchten Gebieten kann man sie schnell wieder "aufleveln".

Der Zahn der Zeit

Im Gegensatz zu den "alten" Kingdom Hearts auf der PS2 sind die Abschnitte deutlich linearer, was allerdings zu verschmerzen ist - im Gegensatz zum Wegfall von vielen Nebenmissionen, die das Geschehen in den Ursprungsvarianten erfreulich aufgelockert haben und die von den neuen Minispielen wie Karambolage-Rennen, einem eher trockenen Mario Kart-Klon, nicht kompensiert werden. Man denke nur an die Dalmatiner, die es im ersten Teil zu finden gab und die für zusätzliche Motivation gesorgt haben. Überhaupt hat der Zuschnitt auf UMD-Kompatibilität für eine Einschränkung des Umfangs gesorgt, was besonders dann schmerzlich auffällt, wenn man mit einem neuen Charakter loslegt und irgendwann durch bereits bekannte Gebiete marschiert und in einigen Fällen tatsächlich gegen den gleichen Boss kämpft und ihn dann sogar mit der gleichen Taktik besiegen kann. Das ist bedauerlich, aber glücklicherweise passiert dies nicht so häufig, dass man von einem unverschämten Recycling sprechen könnte - und da es in einem anderen erzählerischen Rahmen stattfindet, wiegt es ebenfalls nicht so schwer.

Im Gegenzug ist BbS das erste Kingdom Hearts, in dem man auch mit mehreren Spielern die Schlüsselschwerter schwingen und gemeinsam Erfahrungspunkte gewinnen kann. Dazu steht ein spezieller Bereich zur Verfügung, in dem man sich vorzugsweise kooperativ gegen Feindeswellen zur Wehr setzt (auch für Solisten möglich, aber in der Form nicht sehr unterhaltsam) oder gegeneinander antritt. Alternativ kann man sich auch gemeinsam auf dem so genannten Kommandobrett vergnügen, das in etwa die Kingdom Hearts-Variante der Mario Party darstellt und das auch solo geeignet ist, um eine Atempause von den hektischen Kämpfen zu bekommen. Beides sind nette Ergänzungen, doch die Stärken von BbS liegen definitiv in der Erzählung.

Schick, aber leer

Hinsichtlich der Visualisierung gibt sich Square Enix keine Blöße: Wie bereits auf PS2 sorgt die saubere Umsetzung des von den Disney-Werken insipierten Art-Designs für viele gelungene Momente und Emotionen, die natürlich noch stärker wirken,

Die farbenfrohen Effekte während der Gefechte passen wunderbar zum überzeugenden Artdesign.
wenn man das Quellmaterial wie Dornröschen, Aschenputtel, Peter Pan etc. kennt und nun eine aktive Rolle in der Geschichte spielt. Kenntnis über Figuren und Ereignisse  der PS2-Episoden ist hilfreich, aber nicht zwingend vorausgesetzt.

Dabei lässt sich allerdings feststellen, dass die Abschnitte zwar schön aussehen und den typischen Zeichentrickstil, den man mit Disney assoziiert, wunderbar transportieren, aber im Detail größtenteils leblos bleiben - daran können auch die sehenswerten Effekte während der Kämpfe nichts ändern.

Bei den Figuren zeigen sich ebenfalls Licht und Schatten, wobei das helle Element deutlich dominiert: Die Animationen der Figuren sind größtenteils butterweich, wobei die Mimik leider etwas zurück bleibt und zusätzlich immer wieder unter dem Problem "Lippen-Asynchronität bei Sprachausgabe" leidet. Da allerdings auch deutlich weniger englische Sprachausgabe zum Einsatz kommt als in den alten Teilen (es gibt keine deutsche Tonspur), wird auch dies wieder relativiert.

Apropos Tonspur: Musikalisch bedient man sich zwar bekannter Motive aus den verschiedenen Disney-Werken und ergänzt sie durch gelungene eigene Kompositionen, doch mitunter kommt dennoch die Abwechslung zu kurz. Besonders schmerzhaft ist dies in der Welt von Aschenputtel, in der das von der guten Fee im Film gesungene "Bibidi-Babedi-Bu"-Thema bis zum aus der Ohrmuschel quellen wiederholt wird und bei mir den Nervfaktor auf ungeahnte Höhen schraubte... 

Fazit

Fast ein Jahrzehnt, nachdem die Kingdom Hearts-Serie auf der PS2 ihren Anfang nahm, dürfen auch mobile Rollenspieler den Mix aus Disney-Zauber, Echtzeit-Kämpfen sowie unnachahmlicher Square-Erzählstruktur erleben. Und im Großen und Ganzen hat sich die Wartezeit gelohnt: Die Gefechte haben trotz einer leichten Zugänglichkeit mehr Tiefgang als andere Serienableger und mit den drei Hauptfiguren, die die Last der Geschichte auf ihren Schultern tragen, kommt man insgesamt auf eine Solo-Spielzeit weit jenseits der 35-Stunden-Marke.  Leider machen sich Ladezeiten trotz optionaler Installation in mehreren Größen immer wieder störend bemerkbar. Gleiches gilt für die suboptimale Kamera, die vor allem Sprungsequenzen in engen Arealen zu einem kleinen Glücksspiel macht und für unnötigen Frust sorgt. Technisch sehr hübsch anzusehen, ist die Hybridwelt, die das Artdesign von Disney und Square in sich vereint, allerdings beim genauen Hinsehen zu leblos, wenn man von den immer wieder auf einen einstürmenden Gegner absieht, die auch abwechslungsreicher hätten ausfallen können.  Aber selbst die mitunter Nerv tötend vor sich hindudelnde Musik (Stichwort: Bibidi-Babidi-Bu) oder der einen Tick zu weit unten angesetzte Schwierigkeitsgrad können den Unterhaltungswert nur unwesentlich schmälern, zumal mit den Mehrspieler-Auseinandersetzungen sowie den Spielbrettern à la Mario Party frische Elemente für zusätzlichen Zeitvertreib sorgen. Birth by Sleep ist ein rundum gelungener und von Anfang bis Ende unterhaltsamer Ansatz, das Kingdom Hearts-Universum zu erweitern und baut auf bekannte Qualität. Es verpasst dabei aber leider auch, Mankos zu entfernen, die die Serie schon seit der ersten Ausgabe piesacken.

Pro

gutes umfangreiches Kampfsystem
gelungene Fähigkeiten-Entwicklung mit Kommandodecks
drei Figuren mit drei Geschichten...
stimmungsvolles Artdesign
sehr schöne Einbindung der Disney-Charaktere
gute Kollisionsabfrage
gute Boss-Kämpfe

Kontra

Kameraprobleme
mitunter nervige Musik- ... die sich aber gelegentlich die Abschnitte und Bosse teilen
häufig lippenasynchrone Sprachausgabe
Abschnitte sehr steril und unbelebt
sporadisch hakelige Sprung-Sequenzen

Wertung

PSP

Rundum gelungener PSP-Abstecher in das Kingdom Hearts-Universum, bei dem technische Unzulänglichkeiten Höheres verhindern.

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