NASCAR 0920.06.2008, Benjamin Schmädig
NASCAR 09

Im Test:

Stellt euch vor, der Starter hielte seine Pistole bereit. "Gentlemen, start your engines!", hallt das Markenzeichen jedes NASCAR-Rennens aus den Boxen. Motoren heulen auf, Helmvisiere klappen vors Gesicht und endlich donnert der Startschuss durch die Testosteron geschwängerte "Schallmauer" - aber nichts passiert. Der Lärm war nur Show; an Start und Ziel herrscht Stillstand. Statt des Meisterschaftslaufs zeigen die Veranstalter eine verkriselte Übertragung des Rennens aus dem letzten Jahr...

Geruchsprobleme

Zugegeben: Für das PS2-Kreisfahren hatten sich meine Erwartungen trotz aller Liebe für diesen Sport nicht gerade zum Mount Everest aller Vorfreuden angestaut. Gespannt war ich trotzdem auf das neue NASCAR! Denn so gut mir die beinharte Simulation auf PS3 und 360 im letzten Jahr gefiel, so unterhaltsam war die deutlich kurzweiligere Laufbahn auf dem Asphalt der vergangenen Generation. Eine Prise Realismus hätte den lizenzierten Boliden allerdings gut getan, denn das Fahrgefühl konnte selbst aktuellen Arcade-Rennspielen kaum noch die Stirn bieten.

Es bringt auch ehrlich gesagt nichts, die Spannung weiter aufrecht zu erhalten: Schon den allerersten Ladebalken haben die Entwickler aus ihrem "Jahreswagen" recycelt, den Rest ebenso - und zwar von der Karriere über das Fahrmodell, das manuelle Zurückspulen

The same procedure as every year: EA Sports lässt dieselben Kreisfahrer wie im vergangenen Jahr los.
der letzten Sekunden oder Befehle, mit denen man seine Teamkollegen um fahrerische Unterstützung bittet, bis hin zu den fehlenden Online-Duellen. Selten fiel diese Behauptung so leicht: "Wer den Vorgänger kennt, braucht dem aktuellen Nachfolger keine Beachtung schenken." Nun ist es mehr als verständlich, dass EA Sports alle Kraft in die aktuelle Konsolengeneration steckt. Wenn man schon die Besitzer älterer Geräte auch weiterhin bedient, darf es allerdings nicht nach billiger Abzocke müffeln!

Lob vom Vize

Natürlich hat man hier und da ein paar Schrauben angezogen, einen Aufkleber gewechselt, die umfangreiche Lizenz aktualisiert - doch das sind Nadeln im Heuhaufen. Namentlich ist das vor allem das neue Family Play. Das soll Einsteigern schnelle Siege ermöglichen, tut in der Praxis jedoch nicht mehr, als den Zugang zu höheren Schwierigkeitsgraden, Reifenabnutzung oder ähnlichen "Schikanen" zu blockieren. Und da ist natürlich auch die neue Galleonsfigur Jeff Gordon, dank dem die bisher charakterlosen Dialogfenster zum Sprachrohr des aktuellen Vize-Champions werden - na ja. Als letzte große Neuerung haben die Entwickler den "Chase for the Cup" gestrichen. D.h., ihr dürft euch nicht mehr hinters Lenkrad klemmen, um in den entscheidenden zehn Saisonrennen noch die Meisterschaft zu holen.

Macht nichts, denn die Karriere gehört immer noch zu den umfangreichsten ihrer Art - selbst wenn regelmäßige Kopf-an-Kopf-Herausforderungen anderer Fahrer eher nach Hollywood und die Entwicklung von Fähigkeiten wie Windschattenfahren, Vorausfahren oder Anweisungen ans Team in ein Rollenspiel gehören. Mit einer Simulation haben beide jedenfalls nichts gemein, die will NASCAR 09 (ab 19,98€ bei kaufen) aber trotz aller Einschränkungen sein. Immerhin gibt's in regulären Rennen keine Musik, man darf (leider nur über wenige Regler) Spoiler sowie 

Das Ansaugen im Windschatten funktioniert wegen des extremen Gummibands nicht zufrieden stellend.
Reifendruck einstellen, und ohne Training gewinnt ihr keinen Blumentopf. Einen Untersetzer vielleicht, denn die Gegner stellen sich nicht allzu clever an.

Windschatten für den Vordermann?

Das Verhalten der Kontrahenten bereitet mir dabei das größte Kopfzerbrechen, denn sie werden von einem furchtbar offensichtlichen Gummiband in eurer Nähe gehalten. Wer wegen eines Fehlers mit 50 km/h weniger als sonst durch eine schnelle Kurve dümpelt, verliert selbst im höchsten Schwierigkeitsgrad kaum Boden auf die vor ihm Fahrenden - das geht nun wirklich nicht! Im Gegenzug zieht ein voraus fahrender Wagen dann auf mysteriöse Weise an, wenn ihr euch in seinem Windschatten ansaugt. Die in Wirklichkeit auf den Superspeedways am laufenden Band zu sehenden Überholmanöver sind so kaum möglich. D.h., sie sind möglich, nur müsst ihr dafür die Taste zum "Einschüchtern" drücken, sobald ihr hinter einem Boliden her fahrt. Jetzt müsst ihr nur noch eure Position halten - irgendwann macht euer Vordermann dann automatisch einen Fehler. Doof und unlogisch: Wieso erzielt man denselben Effekt nicht durch dichtes Auffahren? Ähnlich enttäuscht war ich über das Fahrmodell, weil es dem Vorläufer entnommen wurde, ohne dass man wenigstens einen Hauch von Tuning spüren würde. So drückt man die eigentlich behäbigen Boliden kinderleicht durch enge Kurven, schlittert fast wie in Ridge Racer über den Asphalt und bleibt dabei sicher in der Spur.

Eins macht NASCAR 09 erneut richtig: Es macht tatsächlich das Gefühl greifbar, einen von 43 heulenden Boliden über die Ovale Nordamerikas zu jagen. Das ist vor allem ein Verdienst der flimmernden, aber flüssigen Darstellung und der angenehm dröhnenden Motorengeräusche. Schade nur, dass es sich wie das halbherzige Arcade-Rennspiel der letzten Jahre anfühlt, anstatt die überall angedeutete Simulations-Schraube wenigstens ein kleines Stückchen anzuziehen. Letztendlich wirkt NASCAR 09 sogar nicht nur aufgewärmt, sondern richtig gehend unfertig. Dass die Kamera in bestimmten Situationen selbstständig die Perspektive wechselt, wäre einem umsichtigen Beta-Tester jedenfalls sofort ins Auge gesprungen...  

Fazit

Die Premium-Serie der NASCAR heißt jetzt Sprint Cup (vorher: Nextel Cup), weil die Geld gebende Sprint Nextel Corporation ihr Image modernisiert - ansonsten ändert sich gar nichts. Das gilt vor allem für den virtuellen Rennzirkus. Denn vom Menü bis hin zum Fahrgefühl gleicht die diesjährige Ausgabe ihrem Vorläufer wie eine regelkonforme Felge der anderen. Würde sich EA Sports auf einem unerreicht hohen Niveau ausruhen, wäre das verständlich. Mit NASCAR 09 werden allerdings viele Unzulänglichkeiten der letzten Jahre zum wiederholten Mal ins Rennen geschickt. Somit erwartet euch eine umfangreiche und dank EAs Lizenz-Macht äußerlich überzeugende Simulation - deren innere Werte sich jedoch schnell als unausgegorener Arcade-Racer entpuppen.

Pro

umfangreiche, abwechslungsreiche Karriere
erweitertes Setup...
spannendes Im-Gedränge-Fahren
flüssige, detaillierte Rennstrecken
alle wichtigen Lizenzen
Einsteigerfreundlicher Familienmodus
Wagen mit Einschränkungen frei gestalten

Kontra

Fahrmodell wird Simulation nie gerecht- ... aber immer noch verhältnismäßig wenig Setup-Optionen
furchtbar: eigenständige Kamerawechsel
auffälliges Gummiband-Verhalten der Gegner
Fähigkeiten wie im Rollenspiel aufwerten
keine nennenswerten Änderungen zum Vorjahr
keine Online-Rennen

Wertung

PlayStation2

Auch NASCAR 09 wankt unentschlossen zwischen Simulation und Arcade-Rennspiel - und gleicht dem Vorgänger wie ein Ei dem anderen.

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