ICO28.03.2002, Jörg Luibl
ICO

Im Test:

Still und heimlich hat Sony ein kleines Meisterwerk namens ICO (ab 86,99€ bei kaufen) geschaffen: Game-Designer Fumito Ueda hat bereits diverse internationale Auszeichnungen für das wohl ungewöhnlichste und innovativste Action-Adventure der letzten Jahre eingeheimst. Auch wir sind dem Zauber dieses außergewöhnlichen PS2-Spiels erlegen und verraten Euch in unserem Test, warum der 4P-Award nur eine Formsache war.

Verflucht zur Flucht

In einer Welt voller Aberglauben und Magie kommt der Junge ICO zur Welt und ist schon am Tag seiner Geburt gezeichnet: Zwei kleine Hörner verunzieren seinen Kopf. Seine Eltern sind schockiert, denn sie wissen, dass die Überlieferung von einem Zeichen spricht, das in jeder Generation auftritt und Unheil bringt. ICO muss erleben wie Missernten und Krankheiten Unmut und Hass gegen ihn schüren...bis zu seinem 12. Geburtstag. An diesem Tag kommen gesichtslose Reiter ins Dorf und verschleppen den entsetzten Jungen unter den mitleidlosen Blicken seiner Eltern. In einer uralten Burganlage bringen sie ihn in einen Saal mit Hunderten von Steintruhen - in eine davon zwingen sie den schreienden Jungen, schließen den Deckel und verschwinden. Doch irgendwann beginnt die Truhe zu wackeln. Als sie schließlich zerbirst ist ICO frei. Die Flucht kann beginnen...

Schlicht, einfach, gut

Keine Charaktergenerierung, keine Statistiken, keine Statusanzeigen, kein Inventar - schlicht ist Trumpf. Ohne Schnörkel oder Tutorial übernehmt Ihr sofort die saubere und schnell verinnerlichte Steuerung des Jungen ICO: Ihr könnt gehen, rennen, springen, klettern und Euch an Vorsprüngen entlang hangeln. Per Aktionstaste lassen sich zudem kinderleicht Kisten verschieben oder Schalter umlegen. Nur die sensible Kameraführung per rechtem Analog-Stick ist zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig und zeigt im Laufe des Spiels kleine Schwächen, weil sie keine totale Rundumsicht ermöglicht, so dass bestimmte Bereiche manchmal nicht einzusehen sind. Dafür bietet sie noch eine Nahansicht, die so manches wichtige Detail offenbart.

Zusammen sind wir stark

Direkt zu Spielbeginn zeigt sich die kooperative Seite des Gameplays, denn schon nach wenigen Minuten könnt Ihr das elfenhafte Mädchen Yorda befreien, das ohne Euren Schutz den Geistern der Festung ausgeliefert ist. Ganz wichtig ist deshalb die Rufen-Funktion: Per Druck auf die R1-Taste winkt oder ruft ICO nach Yorda, die meist wie ein scheues Reh zu Euch läuft - es sei denn, sie hat etwas Interessantes entdeckt. In manchen Situationen solltet Ihr daher genau hinhören, ob sich hinter ihrer störrischen Weigerung Euch zu folgen nicht ein Hinweis verbirgt. Auch sonst ist Yorda alles andere als bloß ein Klotz am Bein, denn ohne ihre magischen Kräfte könnt ihr versiegelte Ausgänge nicht öffnen. Allerdings dürft Ihr nur in ihrer Begleitung abspeichern und sollte sie sterben, ist das Spiel vorbei. Daher empfiehlt es sich

in unbekannten Abschnitten Hand in Hand durch die Korridore zu stromern.

Trügerische Idylle

Denn manchmal werden entspannende Erkundungstouren durch die verwinkelte Burganlage jäh unterbrochen: Plötzlich wabern schwarze Löcher im Boden, aus denen finstere Schattenwesen emporsteigen. Sie wollen nur eines: Yorda in den Abgrund ziehen. Insgesamt gibt es vier Typen, die alle unterschiedlich agieren, sich ducken, ausweichen und nachsetzen - die KI ist hervorragend. Die kleineren Gespenster wollen Euch nur von Yorda weglocken, andere attackieren Euch mit Schlägen oder drängen Euch in eine Ecke. Die schlimmste Sorte kann fliegen und tritt meist in Paaren auf - haben sie Yorda erst mal gepackt, flattern sie mit ihr zum nächsten schwarzen Loch. Aber auch wenn Yorda schon fast gänzlich im Loch versunken ist, könnt Ihr sie per Druck auf die Rufen-Taste wieder ans Licht bringen.

Kampf gegen Gespenster

Was könnt Ihr gegen die Schattenwesen tun? Ein gut getimter Schlag sorgt für Respekt und lässt sie zurückweichen; mehrere Treffer können sie sogar ganz vernichten. Die richtige Taktik ist gerade bei vielen Gegnern entscheidend: Wer sich auf einem offen Platz umzingeln lässt, ist Yorda schnell los. Im Laufe des Spiels findet Ihr Knüppel, die man anzünden kann, eiserne Schwerter und sogar ein magisches. Hinzu kommen Bomben, die allerdings erst mit einer Fackel gezündet werden müssen und nicht nur Gegner, sondern auch verborgene Gänge wegsprengen. Das Kampfsystem beschränkt sich auf einen Knopfdruck und evtl. eine ansehnliche Kombination, die ICO hier und da abliefert.

Faszinierend, fordernd, fair

Was die Entwickler in Sachen Leveldesign abgeliefert haben ist einfach fantastisch - optisch atemberaubend, akustisch stimmungsvoll und mit äußerst fairen Rätsel- und Kampfherausforderungen. Der Schwierigkeitsgrad steigt sanft, aber stetig an und aufgrund der üppigen Platzierung von Speicherpunkten kommt selten Frust auf. Die Rätsel bestehen meist daraus, einen Ausgang zur nächsten Location zu finden. Dazu müssen Schalter umgelegt, Kisten verschoben und zahlreiche waghalsige Kletter- und Sprungpartien bewältigt werden. Manchmal bringt erst genaues Beobachten der Umgebung die Lösung. Und weil Yorda z.B. weder Seile hochklettern noch an schmalen Vorsprüngen hangeln kann, müsst Ihr immer einen Weg vorbereiten, den auch sie gehen kann.

Burgpanorama vom Feinsten

Es gibt wohl kein zweites Spiel, dass ein derart monumentales und ausgeklügeltes Burg-Szenario bietet. Himmelhohe Türme, klaffende Abgründe, steile Felsvorsprünge und ein schier unermesslicher Reichtum an architektonischer Variation lassen nie Langeweile aufkommen. Hier kommt auch der Sound ins Spiel, der mit seinen natürlichen Umgebungsgeräuschen brilliert: Wenn ICO sich an einer tödlichen Schlucht gegen die Wand presst und tosende Winde aufheulen, ist Gänsehaut garantiert. Schon nach wenigen Spielstunden ertappt man sich, wie man verblüfft und fasziniert einfach nur die Rundumsicht und das Panorama genießt. Es gibt jedoch nicht nur düstere Innenräume, steile Treppen, riesige Türme und zahllose Balustraden, sondern auch Außenanlagen mit lichtdurchfluteten Parks, kleinen Wiesen und Teichen, die in Sachen Wasserdarstellung ihresgleichen suchen. Hinzu kommen Details wie Taubenfedern im Wind, aufwirbelnder Staub und die vielen ansehnlichen Animationen, die Yorda zögernd, ängstlich oder erschrocken zeigen. Die Bewegungsabläufe der beiden Protagonisten und auch der Geister gehören zum Besten was die PS2 zu bieten hat. Und die schwindelerregenden Ausflüge von ICO, der scheinbar unzugängliche Orte erklettert, sind einfach atemberaubend.

Fazit

Schlicht, einfach und trotzdem fantastisch - so könnte man das außergewöhnlichste Action-Adventure der letzten Jahre wohl charakterisieren. Ohne großes Gegner-, Waffen- und Effektgerassel hat Sony hier ein Spielerlebnis für Genießer geschaffen, das einen innovativen Kontrapunkt zum actiongeladenen PS2-Alltag setzt. Zwar gibt es auch spannende Kämpfe sowie eindrucksvolle Lichteffekte. Aber Spieldesigner Fumitu Ueda hat das Entdecken, Klettern, Rätseln und das kooperative Zusammenspiel mit Yorda in den Vordergrund gestellt. Kritiker werden sich vielleicht über die wenigen Gegner und Waffen aufregen, aber erstens gibt es da Devil May Cry & Co und zweitens ist der Kampf eher eine abwechslungsreiche Beilage. Zum kleinen Kunstwerk avanciert ICO nämlich dank vieler bunter Mosaiksteine, zu denen auch die überzeugende KI, das ausbalancierte Leveldesign, die feinen Animationen und die monumentale Prachtgrafik gehört, die Euch ein virtuelles Burg-Gemälde erforschen lässt. Was soll ich noch schwärmen?

Pro

schöne Story
faszinierende KI
dichte Atmosphäre
imposante Architektur
faire & logische Rätsel
sehr gute Animationen
faire & spannende Kämpfe
hervorragende Spielbalance
tolle Licht- und Schatteneffekte
stimmungsvolle Umgebungsgeräusche

Kontra

teils unglückliche Kamerasicht

Wertung

PlayStation2

Schlicht, einfach und trotzdem fantastisch: das außergewöhnlichste Action-Adventure der letzten Jahre.

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