Auf leisen Sohlen

Helle Lichtsäulen suchen den Boden ab, Alarmsirenen warten auf ihren Einsatz. Schnell schmiegt sich die maskierte Gestalt an die Wand. Einmal durchatmen, den Weg der Scheinwerfer einprägen und los geht`s: Flink wie ein Wiesel tanzt der Räuber um die verräterischen Sucher, springt elegant über Dornenhecken und hechtet in Deckung - direkt neben einer grimmigen Wache. Ein schneller Hieb und der Weg ist frei!

Diebesadel verpflichtet

Nicht Solid Snake, nicht Sam Fisher, sondern Sly Cooper war hier im Einsatz: angehender Meisterdieb aus nobler Langfinger-Dynastie. Doch im Spiel geht es nicht um Gold und Juwelen, sondern um die Rettung des Familienschatzes. Fiese Räuber haben das Buch "Thievius Raccoonus" gestohlen, das alle ererbten Tricks und Finessen von Slys Vorfahren bewahrte.

Jetzt werden die Geheimnisse des Wälzers allerdings schamlos für kriminelle Machenschaften ausgenutzt. Und um die Tragödie perfekt zu machen, haben die Bösewichte das Buch zerfleddert und die Teile in fünf verschiedenen Ländern versteckt. In der Ehre gekränkt und vom Ehrgeiz gepackt, macht sich der junge Waschbär auf die heikle Suche…

__NEWCOL__Drei Freunde auf Beutehatz

Immerhin kann sich Sly der tatkräftigen Unterstützung seiner beiden besten Freunde sicher sein: Bentley und Murray. Letzerer gehört zur Gattung der gefräßigen Hippos, ist Euer Fahrer und organisiert Fluchten. Und ähnlich wie Solid Snake steht Sly in ständigem Funk-Kontakt mit einem Ratgeber. Die Schildkröte Bentley gibt Euch viele nützliche Hinweise und entschlüsselt aus der Entfernung Codes. Die Rahmenerzählung ist vorbildlich ins Spiel integriert und auf einem ähnlich hohen Niveau wie bei Ratchet&Clank.

Cel-Shading auf höchstem Niveau

Die Grafiker von Sucker Punch haben mit Sly Raccoon ein grandioses Cel-Shading-Meisterwerk abgeliefert: Freut Euch auf nächtliche Entdeckungstouren über den Dächern von Paris, in verwinkelten Katakomben, auf regenverhangenen Inseln und in heißen Westernstädten. Und das alles in erstklassiger Beleuchtung - mal im fahlen Mondlicht, mal im Las Vegas-Neonlicht oder grünlich waberndem Sumpfambiente. Und überall bewegt sich etwas: Patrouillen suchen mit Taschenlampen nach Euch, Irrlichter schwirren durch die Nacht und fast alles, worauf Sly springt, federt oder schwingt nach.

Alle fünf Szenarien wirken dank passender Farbabstimmung und liebevoll designtem Interieur wie aus einem Guss - Gemälde zieren Wände, Büsten verschönern Flure und es gibt ein ganzes Panoptikum an Lampen und Leuchtern. Auch die Rauch- und Explosionseffekte tragen dazu bei, dass das Auge überall etwas zu entdecken hat. Das Gegneraufgebot reicht von Tintenfisch-Patrouillen, Walross-Arbeitern und Wachhunden bis hin zu riesigen Schlangen und ist durchweg klasse animiert. Nur ab und an stören kleine Ruckler den durchgestylten und ansonsten flüssigen 60Hz-Eindruck der Spielwelt.

Münzen, Flaschen, Special Moves

Zwar ist das Leveldesign an sich recht linear, aber die vorgegebenen Wege sind mit vielen kleinen Gameplay-Delikatessen gespickt: Ihr könnt Euch z.B. in Fässern verstecken, mit ihnen laufen und so gefährlichem Dartpfeilbeschuss entkommen. Und in bester Sonic-Manier grindet Ihr durch ein Labyrinth an Lianen und Wurzelsträngen durch den Voodoo-Sumpf.

Haken lassen sich zum Schwingen nutzen, Matratzen dienen als Trampoline und überall finden sich klettergeeignete Simse, Leuchter oder Rohre. Die präzise Steuerung macht selbst die haarsträubendsten Ausflüge zum Vergnügen. Manchmal gibt es klassische Hüpfpassagen mit Links-Rechts-Scrolling à la Giana Sisters, manchmal ruhige und offene Levelstrukturen à la Jak&Daxter.

Im Mittelpunkt stehen allerdings abwechslungsreiche Schleichmissionen,die meist nahtlos in halsbrecherische Kletter- und Hüpfpartien übergehen. Einmal müsst Ihr einen Gang voller beweglicher Lasersensoren überwinden und mit dem richtigen Timing ausweichen und vorwärts stürmen. Ein anderes Mal hangelt Ihr Euch über wirbelnde Turbinen mit messerscharfen Blättern.

__NEWCOL__Die Stealth-Einlagen sind zwar das motivierende Salz in der Suppe, aber nie so zwingend notwendig oder herausfordernd wie bei den großen Agenten-Kollegen Solid und Sam. Und das Beste daran: Es gibt keine Kameraprobleme. Ihr habt stets alles optimal im Blick und könnt die Sicht bei Bedarf seitlich schwenken.

Kleine Minispiele runden das Ganze ab: Es gibt z.B. ein hektisches Shoot`em Up im U-Boot gegen Krabben, ein Fun-Race, in dem Ihr drei Runden im Firmenbuggy absolvieren müsst und eine Sniper-Einlage, in der Ihr Murray den Weg zum Ziel freischießen sollt - alles nichts Atemberaubendes, aber eine willkommene Abwechslung.

Hinter zerstörbaren Bücherregalen, Kommoden und Büsten verstecken sich meist Münzen; 100 davon bringen Euch ein neues Leben. Wichtiger sind jedoch die Flaschen mit Hinweisen: Findet Ihr alle in einem Level, was manchmal recht knifflig ist, kann Bentley Euch den Zahlencode für den Safe übermitteln. Und dann wartet ein neuer Special Move aus dem "Thievius Raccoonus" auf Euch, wie z.B. Sprungattacke, Abrollen oder Minen-Hut. Vielleicht gibt`s aber auch eine nützliche Fähigkeit wie Schwimmen oder eine Aufwertung des Fernglases - man weiß nie, welche Geheimnisse ein Safe birgt.

Sly Payne

Das absolute Highlight ist der Zeitlupensprung: Habt Ihr diesen Special Move gefunden, könnt Ihr bei Sprüngen in der Luft eine Max Payne-ähnliche Slow Motion aktivieren, so dass entweder punktgenaues Landen oder exaktes Ausweichen möglich ist.

Das sieht einfach klasse aus - vor allem, wenn man zum Doppelsprung ansetzt, in der Luft einen Gegner attackiert und dabei die Kamera dreht. Hier erkennt man, welche Meisterleistung die Grafiker in Sachen Animation vollbracht haben. Selbst nach mehreren Spielstunden hat man nicht genug von Sly Coopers brillanter Zeitlupen-Akrobatik.

Eleganter Akrobat

Der Waschbär macht ohnehin in jeder Hinsicht eine ausgezeichnete Figur - egal ob er klettert, hangelt, springt oder kämpft. Sly bewegt sich auf seinen Beutezügen butterweich und höchst elegant. Echtzeit-Schatten und viele kleine Gleichgewichts- und Halte-Animationen hauchen dem maskierten Räuber Leben ein.

Und vor allem seine zahlreichen Sprung-Variationen lassen Freude aufkommen: Neben dem einfachen und dem Doppelsprung kann er mit der Zeit auch eine Sprungattacke ausführen oder den Ninja-Wirbel hinlegen. Letzterer eignet sich hervorragend, um z.B. winzig kleine Plattformen auf Seilen zu erreichen:

Wenn Sly zum Sprung ansetzt, einfach in der Luft die Kreistaste drücken und schon landet der Räuber nach einer ansehnlichen Kreiseldrehung sicher auf einem kaum zu erkennenden Fleckchen - ein Timing für die Entfernung ist nicht nötig.

Echten Genre-Fans dürfte diese Automatisierung vielleicht schon zu leicht sein, aber es gibt genug hektische Stellen, die ohne diese Hilfe unmöglich zu meistern wären.

__NEWCOL__Mal ruhig, mal hektisch

Auch in Sachen Schleichen werdet Ihr immer gut sichtbar unterstützt: Ein blaues Leuchten zeigt an, wo Ihr Euch an die Wand schmiegen oder in Deckung gehen könnt. Einfach die Kreistaste gedrückt halten, und schon begibt sich Sly in Balancierpose oder eine geduckte Haltung. Jetzt kann er sich in aller Ruhe an Beute oder Opfer heranschleichen. So beschaulich geht`s aber nicht immer zu...

Richtig hektisch wird`s nämlich, wenn Euch Inspector Carmelita Fox auf den Fersen ist: Da die Polizistin mit einer durchschlagskräftigen Betäubungsflinte auf Euch Jagd macht, beben die Levels förmlich vor Detonationen, splitterndem Glas und einstürzenden Brücken. Hier gilt es, sich besonders schnell zum nächsten Ausgang zu retten, denn jede Sekunde Stillstand kann ein Rendezvous mit dem Paralyse-Projektil bedeuten.

Nicht zu leicht, nicht zu schwer

Frust kommt trotzdem nicht auf, denn die Extraleben und Zwischensaves sind recht üppig verteilt. Außerdem könnt Ihr immer wieder in alte Levels zurück, um Münzen zu horten oder nach fehlenden Flaschen zu suchen.

Aufgrund der Steuerungshilfen, des linearen Leveldesigns und der quasi endlosen Zahl an Leben ist Sly Raccoon daher ein ideales Jump`n Run für Spieler, die Herausforderungen ohne allzu großes Frustpotenzial suchen - spätestens nach dem fünften Versuch sollte man auch die kniffligsten Stellen gelöst haben.

Dafür sorgt das innovative DDA-System: Dank des "Dynamic Difficulty Adjustment" wird der Schwierigkeitsgrad Euren Fähigkeiten angepasst. Beißt Ihr zu oft ins Gras, findet Ihr automatisch mehr Münzen und Extra-Leben. Frustrierende Sackgassen und Leben-Sorgen à la Mario Sunshine oder Jak&Daxter braucht man nicht zu fürchten.

Und sollten sich eingefleischte Genre-Fans an der ein oder anderen Stelle unterfordert fühlen, bietet jedes Level noch eine knifflige Herausforderung: Habt Ihr einen Abschnitt bestanden, wird ein "Time Trial" freigeschaltet. Hier müsst Ihr Euch gegen die tickende Uhr durch ein Level kämpfen. Meistert Ihr diese gesalzene Aufgabe, bekommt Ihr zur Belohnung einen Kommentar der Designer, speziell zum eben gelösten Level - eine klasse Idee!

Der Tod lauert überall

Manche Fieslinge versuchen Euch mit riesigen Ketten zu erwischen, andere schleudern eine Handvoll Karten, teilen sich bei Treffern oder schießen mit automatischen Waffen. Meist lassen sich jedoch alle mit einem Schlag ins Jenseits befördern - aber Vorsicht: Euch geht es auch so.

Daher ist ein Waschbärenleben schnell ausgehaucht. Zwischendurch findet Ihr jedoch Hufeisen, die kurzfristig unverwundbar machen. Am Ende einer Welt wartet dann meist ein Oberbösewicht in typischer Arena-Atmosphäre. __NEWCOL__Diese finalen Kämpfe sind sehr kreativ inszeniert und verlangen vollste Konzentration. Einmal müsst Ihr z.B. alle Spiegel eines Raumes so drehen, dass die Lichtstrahlen den Obermotz blenden, der Euch wild ballernd verfolgt. Meist beginnt alles mit einer lockeren Einführung und wird dann allmählich schwerer, so dass auch Genre-Profis gehörig ins Schwitzen kommen.

Im Spiegel-Kampf steht Ihr am Ende z.B. wie ein Trapezkünstler auf Seilen und müsst heikle Sprünge zum nächsten Spiegel hinlegen. Trotzdem werden Letztere das Spiel in weniger als zehn Stunden gelöst haben.

Mit Witz, Charme und Musik

Die leicht windschiefe Architektur mit den vielen komischen Details passt wunderbar zum humoristischen Unterton, der sich durch das ganze Spiel zieht. Vor allem die Dialoge zwischen Sly und Bentley sprühen meist vor Witz und Slapstick. Nur im düsteren Sumpf schlagen die beiden leisere Töne an...

Auch die Zwischensequenzen in Comic-Schnipseln sorgen für einige Lacher. Hier wird eine tolle Story erzählt, die den charmanten Sly und seine Freunde außerordentlich sympathisch macht. Dazu trägt auch die rundum gelungene Lokalisierung bei, die mit schauspielerisch überzeugenden Sprechern dem Original in nichts nachsteht - Kompliment!

Musikalisch gibt sich das Spiel zwar scheinbar zurückhaltend, aber die Melodien passen wunderbar zum Thema der jeweiligen Mission - verschwörerische Töne in der Piratenbucht, rockige Sounds in der Western-Stadt Mesa City und zwischendurch immer wieder stilvolle Xylophon- und Banjo-Einlagen.

Auch die Soundeffekte sind optimal eingesetzt und unterstreichen Schleichsequenzen z.B. in typischer Cartoon-Manier mit Tippeltönen. Ansonsten gibt`s einen überzeugenden Cocktail aus Explosions-, Jaul- und Schlaggeräuschen, der jedem Disney-Film gerecht werden würde.