Shadow of the Colossus14.02.2006, Jörg Luibl
Shadow of the Colossus

Im Test:

Das letzte Jahr hinterließ viele Abenteuerlöcher: Selbst zu Weihnachten suchte man vergeblich nach epischen Erfahrungen. Nicht nur das neue Zelda und Oblivion, auch der inoffizielle Nachfolger zu ICO wurde auf dieses Jahr verschoben. Aber jetzt ist es da, das vielleicht letzte großartige PS2-Erlebnis: Shadow of the Colossus (ab 21,86€ bei kaufen). Wir sahen, wir spielten, wir staunten.

Über den Wolken

Drei, zwei, eins - Absprung: Ich halte mich in letzter Sekunde am Flügel eines Riesenvogels fest. Er rast so schnell über den See, dass Wald und Berge verschwimmen. Wie lange kann ich mich so halten? Wie eine Spielzeugpuppe baumle ich hin und

Wie kommt man da hinauf? Während die Flügel den Sand aufwühlen, sucht man nach dem Weg.
her, während die Kreatur ihre Wut in den Wind schreit. Ich warte ihren Gleitflug ab, ziehe mich ächzend hoch, wanke unsicher über die schuppige Lederhaut und springe auf diesen mächtigen Rücken: jeder Wirbel so groß wie ein Baum, jedes Haar so lang wie ein Mann.

Bevor ich mir Gedanken darüber machen kann, wieso mich die rüstige Sony-Lady nach all den Jahren noch so in Wallung bringen kann, beginnt wieder der gefährliche Flügelschlag. Ich kralle meine Hände ins rettende Fell und erkenne hinten am Schweif ein blaues Glimmen - da muss ich hin, da ist dieser urtümliche Koloss verwundbar! Jetzt kommt es auf gutes Timing an: Während der Gleitphase weiterlaufen, während der Sturz- und Kurvenflüge festhalten. Aber das ist leichter gesagt als getan: Ich hänge mit einer Hand an einem Büschel, während die Kraft schwindet...

...warum riskiere ich hier mein Leben? Aus Verzweiflung. Aus Trauer. Vielleicht auch aus Liebe. Ich stecke dreihundert Fuß über der Erde in der Haut eines  Helden namens Wanda, der eine Tote in ein verbotenes Reich geleitet hat. Kein Sterblicher darf diese heiligen Grenzen überschreiten. Aber wieso wurde sie geopfert? Ich wollte dieses Schicksal nicht akzeptieren. Ich wollte die Götter um Hilfe bitten. Und sie haben mich erhört: Nur, wenn ich sechzehn Kolosse töte, wird sie wiederbelebt. Deshalb lag die bleiche Schönheit auf dem Rücken meines schwarzen Pferdes, deshalb lenkte ich den Hengst mit stoischem Blick durch ein uraltes Tal. Ich befinde mich auf einer Quest ohne Rückfahrtschein und lasse mich fallen...

Klettern auf dem Koloss

...auf Fell und Fleisch - Glück gehabt. Ich ruhe mich aus, schöpfe Kraft, klettere wieder hoch. Nach einem halsbrecherischen Lauf erreiche ich endlich den hinteren Teil des Schweifs, gehe in die Knie, zücke mein Schwert, hole weit aus und steche zu: Kalter Stahl frisst sich in Fleisch, während mir eine schwarze Blutfontäne entgegen spritzt. Das Ungeheuer kreischt vor Wut

Nach den Kämpfen lockt die grüne Idylle. Ihr könnt Tiere jagen oder gleich den nächsten Koloss suchen.
und stürzt in einen wilden Sinkflug. Ich habe es schwer getroffen, aber nur verletzt, nicht getötet. Und jetzt das: Das blaue Glimmen verschwindet! Aber ganz vorne am Flügel entsteht ein neues Glühen. Verdammt, wie soll ich da hinkommen?

Das sind Momente, die man nicht so schnell vergisst. So beeindruckend und einzigartig ist das Erlebnis, das Shadow of the Colossus (SotC) auf die Flimmerkiste zaubert. Das letzte Mal, dass meine Nackenhaare so euphorisch stramm standen, liegt fast ein Jahr zurück: Resident Evil 4 sorgte damals auf dem GameCube für diesen magischen Spielekitzel. Next-Generation 2006? Dafür braucht ihr keine Xbox 360. Hier habt ihr sie. Und zwar dann, wenn ihr unter der nächsten Generation nicht die technische Oberfläche von Echtzeitbumpmappingspiegelreflexorgien versteht, sondern unvergessliche Couch-Erfahrungen mit Tiefe. Dieses Spiel ist der beste Beweis dafür, dass es nicht auf die Zahl der Polygone ankommt, sondern darauf, wie kreativ man mit ihnen umgeht.

Es gibt derzeit rein gar nichts, das auch nur ansatzweise diese Adrenalinkicks auslöst, die während der spektakulären Drahtseilakte auf, unter und an riesenhaften Kreaturen entstehen. Ihr kämpft, klettert und springt durch lebende Levels im Level: Held und Monster bewegen sich parallel - das ist einzigartig. Hinzu kommt die hervorragende Pferdedarstellung: Ich habe schon viele gute Vierbeiner mit Sattel gesehen; egal ob in Gun , Kingdom under Fire: Heroes oder dem kommenden The Legend of Zelda: The Twilight Princess . Aber keiner kann mit diesem schwarzen Hengst Agro mithalten, der vom Huf bis zur Mähne fast lebendig wirkt. Er scheut vor Abgründen, bremst ab, schnauft, schüttelt sich, bäumt sich auf, genehmigt sich eigenständig einen Ausritt, reagiert auf euren Pfiff, beherrscht alle Gangarten und steuert sich nicht so widerstandslos wie ein Fahrzeug, sondern wie ein Lebewesen mit eigenem Willen: Ihr müsst die Zügel mit dem Analogstick nach hinten ziehen, damit er zur Ruhe kommt, was nach einem Galopp wesentlich länger dauert.

Trauer & Entschlossenheit

Aber es geht hier nicht nur um diese grandiose Technik, sondern auch, nein  vor allem um die Atmosphäre: Schon das Intro lässt ein Gefühl von wehmütiger Tragik aufkommen, das weit entfernt ist von billigem heroischem Popanz. Ich habe dieses Intro zig mal angeschaut. Ohne große Worte wird man Teil einer ganz besonderen Stimmung. Man kann die Trauer spüren, die sich zusammen mit stillen, aber eindringlichen Melodien ins Tal ergießt. Dabei ist der Held jung, grazil und nahezu spärlich gerüstet: Lediglich in eine Tunika gekleidet  und mit leicht androgynen Zügen, wirkt er fast verletzlich. Doch zusammen mit seinem Pferd bildet er eine Einheit der Entschlossenheit. Spätestens, wenn er sein Schwert zückt, um sich durch die Reflexion des Sonnenlichts das Versteck des nächsten Kolosses anzuzeigen, ist er nur noch eines: ein Krieger.

Schade ist vielleicht, dass die Reihenfolge der Gegner festgelegt ist. Schön ist jedoch, dass man den nächsten Zielort ignorieren und einfach

Ein Held, eine Tote, ein Ziel: Die Wiederbelebung. Doch davor haben die Götter sechzehn Riesen gesetzt...
drauflosreiten kann - man wird nicht durch künstliche Levelschläuche gezwängt, darf frei nach Norden, Süden, Osten oder Westen ziehen. Obwohl die Landschaft auf den ersten Blick wie ausgestorben wirkt, gibt es einiges zu entdecken: Ihr könnt Eidechsen mit dem Bogen jagen und ihr Fleisch verspeisen, um eure Ausdauer zu erhöhen. Oder ihr schießt Früchte von Bäumen, um eure Gesundheit wieder herzustellen. Außerdem trifft man in jeder Region auf andere Tiere: Mal sind es Möwen, mal Fledermäuse oder Schildkröten, die in eurer Nähe den Kopf einziehen. Ab und zu begleitet euch auch ein Falke im eleganten Gleitflug. Das sind stille, fast schon majestätische Momente.

Auf der Suche nach dem nächsten Kampf reitet ihr durch eine Landschaft, die vor allem in ihrer Vielfalt fasziniert. Freut euch auf rotsandige Wüsten, weite Steppen, sanfte Hügel oder zerfurchte Schluchten mit verträumten Seen. Künstliche Grenzen? Gibt's nicht. Nachladen? Fehlanzeige. Ja, es flimmert hier und da. Ja, ab und zu taucht plötzlich ein Hügel in der Ferne oder auch ein Ruckler auf. Aber alles wirkt nahezu grenzenlos und wunderbar natürlich. Die Landschaft beeindruckt auch deshalb, weil das Licht immer neue Facetten zeigt und damit wunderbare Übergänge schafft: Man reitet über eine Ebene, in der eine gnadenlos gleißende Helligkeit herrscht, und kurze Zeit später taucht man in die schattige Kühle des Waldes. Man hört einen Wasserfall rauschen und muss sich erst an die Dunkelheit zwischen den Bäumen gewöhnen, die nur von vereinsamten Lichtschächten erhellt wird. Idyllisch. Traumhaft. Schön.

Idylle & Chaos

Aber irgendwann wird es richtig dunkel, richtig düster. Jedesmal, wenn ihr in die Reichweite eines der Riesen kommt, lässt euch ein kurzer Film die gewaltigen Ausmaße des bevorstehenden Kampfes erahnen: Wenn man vor einem windumtosten Abgrund steht und plötzlich zwei gigantische Pranken links und rechts über die Spalte greifen, während sich langsam der gehörnte Kopf einer Kreatur nach oben schraubt, auf dem ihr locker mehrere Häuser bauen könntet, steigt der Puls. Wenn aus einem scheinbar tiefen See plötzlich eine ebenso stark behaarte wie bemooste Gestalt auftaucht, die Wale zum Frühstück verspeisen würde und der das Nass bei voll aufgerichteter Drohpose nur noch bis ans Knie reicht, rast der Puls.

Dieses Spiel definiert den Begriff "Bosskampf" völlig neu. Da steht kein Boss, kein Chef, kein Anführer, sondern ein urtümlicher Titan. Egal ob zwei- oder vierbeinig, mit Schwertern oder Hörnern bewaffnet, schwimmend oder fliegend - macht

Ihr seid klein, aber beweglich und mit dem Bogen auch auf Distanz gefährlich.
euch auf Kolosse gefasst, die diesen Namen mit jeder Polygonfaser verdienen. Jeder hat seine eigenen Stärken und Schwächen, jeder muss auf eine bestimmte Art besiegt werden - manchmal führen allerdings auch mehrere Wege zu den blau leuchtenden Wundpunkten. Das Team von Fumeto Ueda hat auch dafür gesorgt, dass ihr die Umgebung klug in die Kämpfe einbeziehen müsst: Mal wirft die Wucht eines Geysirs die Riesen um, mal müsst ihr einstürzende Säulen nutzen, mal müsst ihr sie gezielt in Abgründe locken oder auf dem Rücken eures Pferdes reitend den idealen Absprungmoment finden.

Aber Vorsicht: Dieses Abenteuer ist nichts für Anfänger, Buttonmasher oder Actionfresser, die schnell die Flinte ins Korn werfen. Die Kolosse brüllen vor Wut, während sie sich kraftvoll schütteln, nach euch schlagen oder mit ihren riesigen Füßen trampeln. Man muss geduldig Schwächen suchen, rechtzeitig in die Knie gehen, um wieder Kraft zu schöpfen oder sich nach einem Abwurf wieder aufrappeln, um von vorne loszuklettern. Und selbst wenn man die verwundbaren Stellen erreicht hat, muss man seine Stiche gut timen: Langes Ausholen macht sie kräftiger, kostet aber auch wertvolle Zeit - das gilt auch für den Bogen. Ihr könnt während der Kämpfe nicht speichern, sondern nur vor und nachher an bestimmten Türmen. Lediglich ein Autosave ermöglicht euch, die Konfrontation noch mal direkt zu starten. Die Reste gefallener Kolosse bleiben übrigens wie Ruinen am Ort des Kampfes zurück. Wenn ihr diese Orte aufsucht und meditiert, könnt ihr das Duell noch mal erleben - nach dem ersten Durchspielen sogar auf Zeit mit der Aussicht auf neue Waffen.

Sinfonie & Erdbeben

Nur eines wird man nicht finden: Action, Quests, Schätze. Daher können die Reitausflüge trotz der darauf folgenden imposanten Duelle für den ein oder anderen langweilig sein. Und genau hier wird sich entscheiden, ob euch SotC genau so packen kann wie mich. Aber eigentlich braucht ihr euch nur eines fragen: Mochtet ihr ICO ? Wenn ja, dann werdet ihr auch hier glücklich werden. Das Spiel ist in seiner Schlichtheit eine einzige Erholung: Mehr, mehr, mehr. Sammeln, sammeln, sammeln. Viele Spiele ersticken an einer nicht enden wollenden Flut an Features. Hängen euch Begriffe wie üppiges Waffenarsenal, große Monsterhorden oder Levelaufstieg zum Halse raus? Könnt ihr stupide Metzelorgien und Blödsinnsquests nicht mehr sehen? Dann solltet ihr euer Pferd satteln und in dieses erfrischend andere Abenteuer entfliehen.

Ein Tritt und die Erde bebt!
Man kann darüber streiten, ob das Team die grandiose Kulisse nicht im Stile eines Rollenspiels mit Ruinen und Feinden hätte beleben sollen. Aber ich denke, das wäre ein Fehler gewesen. Mir hat gerade diese Ruhe vor dem nächsten Sturm gefallen, weil der Spielrhythmus davon profitiert. Er erinnert an die symphonischen Dichtungen des finnischen Komponisten Jean Sibelius : Lange Phasen der Stille, in denen man nur den Wind rauschen oder wehmütige Akkorde hört, wechseln sich mit brachialen Paukenschlägen ab, die die Erde erzittern lassen. Das ist sogar wesentlich angenehmer als in ICO, wo die unregelmäßigen Kämpfe gegen die Schatten hier und da für eintönige, sich wiederholende Action gesorgt haben.

Und aus erzählerischer Sicht macht das auch Sinn: Man bewegt sich in einem heiligen Land, an einem mystischen Ort, an dem Menschen nichts zu suchen haben und erforscht ein unbewohntes Gebiet mit verlassenen Ruinen und Katakomben. In der Mitte des Spiels macht sich vielleicht eine gewisse erzählerische Leere breit, weil man keine Dialoge, keine Zwischensequenzen erlebt. Man muss sich lange Zeit selbst einen Reim auf die Welt machen. Und ihr habt zunächst nur einen Gesprächspartner: Die göttliche Stimme im Tempel, die euch erste Hinweise auf den nächsten Koloss oder wertvolle Tipps während der Kämpfe gibt. Die spricht übrigens in einer fremden Sprache zu euch, die lediglich deutsch untertitelt wird, was den Reiz dieser Welt nur noch erhöht.

Aber befindet man sich bloß auf einem Bosskampfkreuzzug ohne Story, ohne inneren Zusammenhalt? Nein. SotC zieht einige stilistische Joker: In vielen Spielen wird endlos gequatscht, gefaselt und gezwischensequenzt. Ein Klischee jagt das andere, der Schmalz trieft literweise - gerade japanische Spiele können schnell in heroischer Kitschsauce versinken. Kein Wunder: Fantasy ist ein verdammt schwieriges Terrain. Nicht nur in Literatur und Film, sondern auch und gerade im Spiel. Wie soll man mit einer Welt verzaubern, ohne das hundertste Tolkien'sche, Bradley'sche, D&D'sche Plagiat zu sein? Indem man etwas Neues erzählt, indem man fremd, einzigartig und anders ist. Hier entsteht eine erhabene, wahrhaft epische Atmosphäre alleine schon über die Musik und die Kulisse.

So viel Pathos kann natürlich verdammt gefährlich sein. Es kann sich fast lautlos so gewaltig aufbäumen, dass Held und Story unter seiner Last zerbrechen. Auch hier gibt es Augenblicke, in denen die Monumentalität fast schon erdrückend wirkt - man hat das Gefühl, wie ein Wurm durch das Tal der Sieben Weltwunder zu kriechen. Aber in welchem Spiel hatte man das das letzte Mal? In welchem Spiel braucht man länger als zehn Minuten, um sich einen Reim auf die Welt zu machen oder sie zu durchschauen?

SotC lässt euch wesentlich länger zappeln.  Um so größer ist die Überraschung, wenn es im letzten Drittel noch mal richtig Fahrt aufnimmt: Plötzlich gibt es den ersten Film, der eine andere Bedrohung als die eines Kolosses offenbart und die Story wirft mächtige Schatten, die die Idylle und die Ruhe wegwischen.  Plötzlich fühlt man sich selber gejagt. Plötzlich ist Eile geboten. Die letzten zwei der dreizehn Stunden sind dann mindestens so intensiv wie in Metroid Prime oder Beyond Good & Evil . Das Finale gehört aufgrund seiner mythischen Dramaturgie zu den größten der Videospielgeschichte. Alleine dafür lohnt sich der Kauf. Man will danach einfach nur noch tiefer in diese bizarre Welt abtauchen...

Kleine Schönheitsfehler

Gibt es Schwächen? Ja, vielleicht die Linearität des Abenteuers. Und es gibt technische Mängel: Angefangen bei kleineren Clippingfehlern während des Kletterns bis hin zu den angesprochenen Pop-Ups. Und dass der Sturz aus großer Höhe meist tödlich endet, aber man plötzlich ohne Blessuren nach einem Fall von hunderten Metern in einem kniehohen See zum Stehen kommt, hätte

Das Licht eures Schwertes weist den Weg zum nächsten Koloss.
ebenfalls vermieden werden müssen - zumal man sich an anderen Stellen das Genick bricht. Aber das sind angesichts des gewaltigen Panoramas wirklich nur Peanuts. Ich dachte, dass Soul Calibur III schon alles aus der PS2 herausgekitzelt hätte, aber diese atemberaubende Kulisse setzt noch mal eins drauf. Nicht, weil sie mit noch mehr Polygonfeinheiten oder Farbenzauber protzen würde, sondern weil Figuren und Landschaft eine wunderbare Symbiose eingehen.

Auch die Einstellung der Perspektive verlangt Eingewöhnung. Die Kamera befindet sich gerade beim Reiten nicht immer optimal hinter, sondern etwas zu niedrig und seitlich neben dem Helden. Doch spätestens nach dem dritten Kampf hatte ich keine Probleme mehr mit der Justierung. Und man darf nicht vergessen, dass die Kamera auch eine große Stärke hat: Ihr könnt die Kolosse beim Kampf fixieren und weiter reiten oder rennen, so dass ihr sie selbst hinter euch immer im Blick habt, um vielleicht die Waffe zu wechseln, sie anzuvisieren oder auf den Pferderücken zu steigen. Dadurch entstehen unheimlich intensive Verfolgungs- und Kampfszenen, in denen euch die Riesen gefährlich nahe auf den Pelz rücken.

Schweres Erbe

Man muss sich noch mal vor Augen führen, was hier geleistet wurde. Das Team von Game-Designer Fumito Ueda stand vor einer verdammt schweren Aufgabe: ICO wurde zwar von der Fachpresse gefeiert, aber hat sich international miserabel verkauft. Dass diese Welt überhaupt noch mal Schauplatz eines Spiels wird, stand lange auf Messers Schneide. Welche Fehler hatte man gemacht? Aus unserer und der Sicht der meisten Redakteure und Spieler gar keine, aber ICO konnte die Masse nicht ansprechen. Das Team hatte bereits in einem sehr frühen Interview geäußert, dass man deshalb in SotC die Action forcieren wolle. Außerdem wollte man nicht von einem Nachfolger, sondern etwas Neuem sprechen. Das hat mich zunächst sehr misstrauisch gemacht, denn meist werden Spiele für den Mainstream so glatt gebügelt, dass sie später weder Anspruch noch Seele haben. Umso größer war die Freude nach diesem Spiel. Es ist die meisterhafte Beschränkung auf das Wesentliche, die dieses epische Abenteuer so auszeichnet. Ihr bekommt in jeder Spielminute Klasse statt Masse. Ich wünsche Fumito Ueda und seinem Team daher jeden einzelnen eurer Euros, damit wir davon in Zukunft noch mehr bekommen. Ein PS3-Projekt der Japaner ist schon in Arbeit, allerdings ist noch nicht bekannt, ob es erneut in dieser Fantasy-Welt spielen wird.

Fazit

Episch. Einzigartig. Exzellent. Wenn man nach dreizehn Stunden und elf Minuten wie abwesend einen Abspann inhaliert, den Controller umklammert und nur noch ein "Wahnsinn" nach dem anderen über die Lippen bringt, hat ein Spiel alles richtig gemacht. Shadow of the Colossus macht nicht einfach Spaß: es fesselt. Das Intro entführt in eine monumentale Welt ohne den üblichen Story-Kitsch, Item-Wust und Quest-Ballast. Man reitet durch pompöse Schluchten, verwaiste Ruinen und an rauschenden Wasserfällen vorbei, um gegen die faszinierendsten Kreaturen der Spielegeschichte zu kämpfen: Ihr erklettert 200 Fuß große Kolosse, die mit jedem Tritt die Erde beben lassen, springt vom Pferderücken auf fauchende Flugdrachen, die auf eine Achterbahnfahrt Richtung Himmel durchstarten. Diese Momente vergisst man nicht. Die meisten Spiele bieten heutzutage zig Features, zig Monster, zig Waffen. Dieses bietet etwas viel Kostbareres: eine Seele. Obwohl nicht viel erzählt wird, weht die ganze Zeit über ein epischer Wind, ein einzigartiger Rhythmus zwischen Ruhe und Sturm, der in einem der besten Enden, die ich je erlebt habe, noch mal tragisch aufheult. Es herrscht von der ersten bis zur letzten Minute eine erhabene, fast schon sakrale Stimmung. Ist das zu viel Pathos? Ja, für ein normales Spiel. Aber nicht für dieses Meisterwerk.

Pro

wunderbare Landschaften
beeindruckende Riesengegner
sehr gute Musikuntermalung
hervorragende Kampfmechanik
unglaublich erhabene Atmosphäre
komplett neues, innovatives Spielgefühl
akrobatische Reiterkämpfe & Klettermanöver
sehr natürlich wirkende Pferde-Animationen
genialer Rhythmus aus Erkundung & Action
originelles Fantasyszenario ohne Klischeesauce
freischaltbare Waffen, Kleidung und Spielmodi
sehr fair platzierte Speicherpunkte
schlichtweg grandioses Finale

Kontra

gewöhnungsbedürftige Kamera
ab und zu Clippingfehler beim Klettern
kleine Inkonsequenzen bei Sprüngen

Wertung

PlayStation2

Episch. Einzigartig. Exzellent.

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