Kya: Dark Lineage16.12.2003, Jörg Luibl
Kya: Dark Lineage

Im Test:

Wer auf Action-Adventures steht und eine PS2 besitzt, steht vor der Qual der superlativen Wahl: Rayman 3, Ratchet & Clank 2, Jak II, Beyond Good & Evil – Sonys Konsole ist ein Eldorado für alle hüpfenden Abenteurer. Jetzt will auch Kya ganz oben mitmischen - ob die Teenie-Heldin Erfolg hat?

Papa böse, Bruder weg...

Die kleine Kya hat eine Menge Probleme: Erstens mag sie ihren bösen Vater nicht, der mit mysteriösen Artefakten experimentiert. Zweitens wird ihr Halbbruder Franck beim neugierigen Gestöber in dessen Antikwaren in eine nur auf den ersten Blick idyllische Welt katapultiert, die mit ihren Pastelltönen, Bonbonfarben und Leuchteffekten sofort an das kunterbunte Rayman 3  erinnert. Drittens muss Kya bei der eigenen Ankunft in der Paralleldimension feststellen, dass ihr Vater dort als grausamer Tyrann "Brazul" regiert.

Kya blickt hoffnungsvoll auf den Spiele-Olymp, aber die schwache Story und die fehlende Persönlichkeit verhindern den Aufstieg zu Jak, Jade & Co.

Was Daddy macht? Er verwandelt mithilfe dunkler Magie die putzigen Pelztiere in brutale Wolfswesen. Diese "Wolfen" sind mies, gemein und schwer bewaffnet. Sie können nur nach einem Knockout wieder zurückverwandelt werden – natürlich von Kya, durch einen herrlich leuchtenden Exorzismus. Zwar erinnern die bepelzten Ureinwohner an putzige Wookies, trotzdem kann das Figurendesign weder im Detail noch in der Vielfalt an Genregrößen wie Jak II oder Beyond Good & Evil  (BGE) anknüpfen.

Ganz schön harter Tobak für das junge Mädchen, das sich jetzt auch noch als Retterin in letzter Not beweisen muss. Denn bevor das unterdrückte Volk der Nativs ihr helfen kann, zurück in ihre Welt zu finden, muss sie sieben alte Runen in einem  Gefäß vereinen. Also begibt sich Kya auf eine spielerisch abwechslungsreiche, aber erzählerisch belanglose Jump`n´Fight-Odyssee.__NEWCOL__Packende Story? Fehlanzeige.

Denn im Gegensatz zur Irrfahrt des griechischen Helden fehlen dem Abenteuer der Teenie-Heldin Spannung und Seele. Die banale Story ist nach fünf Minuten durchschaut; es gibt keine Geheimnisse mehr, keine Überraschungen - ähnlich wie beim enttäuschenden Vexx . Viel schwerer wiegt, dass die Protagonistin mit den armdicken blauen Rastazöpfen als Charakter vollkommen blass bleibt. Weder die Dialoge noch die teilweise nervenden deutschen Sprecher können Kya Leben einhauchen. Und manche Nativs möchte man aufgrund ihrer penetranten Begrüßung im Shop geradezu knebeln! Die Dramaturgie scheitert zudem kläglich am Balanceakt zwischen Witz und Spannung – Erstere wirkt trotz einiger Lacher  aufgesetzt, Letztere kommt gar nicht auf. Auch die unauffällige Musikuntermalung kann keine orchestralen Akzente setzen.

Im Vergleich zu den famosen Typen Ratchet, Jak oder Jade, die von der Sprachausgabe bis hin zur Gestik ihren ganz persönlichen Charme versprühen, wirkt das junge Mädchen einfach austauschbar - vielleicht hätte hier ein Sidekick geholfen. Auch die anderen Kreaturen geben in den Zwischensequenzen eher ihren gekünstelten als schauspielerisch überzeugenden Senf dazu, zumal der Dorfweise ordentlich, nein außerordentlich deutlich vom ersten Jak and Daxter inspiriert ist.

Wer hat hier Angst vorm bösen Wolf? Kya jedenfalls nicht, denn ihre Tritte und Hiebe haben es in sich!

Hört sich nach einem Verriss an? Weit gefehlt: Denn auch, wenn man keine erzählerische Motivation zum Weiterspielen hat, locken die spielerischen Reize und der angenehme Schwierigkeitsgrad immer wieder ans Pad – ganz im Gegensatz zu Vexx !

Abwechslung garantiert!

Wie spielt sich die junge Wilde? Der Rhythmus wechselt dynamisch zwischen packenden Kampf- und ruhigen Rätselpassagen, zwischen rasanten Gleit- und langsamen Schleichabschnitten. Manchmal ist es hilfreicher, die patrouillierenden Wolfen nicht direkt anzugreifen, sondern sie geduckt zu umgehen und mit Bomben oder hinterhältigen Attacken zu überraschen. Trotzdem kämpft man sich linear durch die begrenzten Abschnitte, klappert Aufgabe für Aufgabe ab und rüstet sich immer weiter auf.

Immer wieder sorgen die Gleitpassagen für rasante Abwechslung - ihr müsst ausweichen und rechtzeitig abspringen.

Das Repertoire an Ausrüstungsgegenständen erinnert ein wenig an Legend of Zelda : ein Bumerang, diverse Armringe mit Spezialfähigkeiten wie Verteidigung oder Monsterwurf, viele Bomben, ein Teleskop zur Weitsicht, ein Hoverboard, ein Ring zur Tierzähmung, ein Haken zum Klettern. Natürlich hat das alles seinen Preis: Gezahlt wird in "Nooties" – kleine Goldmünzen, die ihr überall findet. Wenn ihr eine bestimmte Zahl von Wolfen erlegt habt, öffnen sich zudem neue Geschäfte im Dorf der Nativs, die wiederum bessere Waren anbieten.

Im freien Fall!

Die neun Welten sind groß, märchenhaft leuchtend inszeniert und abgesehen von einigen plumpen Texturen und faden Räumen liebevoll designt – auch die Animationen sind bis auf wenige Ausnahmen ebenso ansehnlich wie butterweich. Trotzdem ist Kya kein imposantes Grafikmonster: Man zieht in etwa mit Rayman 3 gleich, liegt aber deutlich hinter der dichten Stimmung von Beyond Good & Evil oder der detaillierten Brillanz von Jak II zurück. Gelegentliche Ruckler und das Tearing, das immer wieder eine nicht synchronisierte Zeile aufflackern lässt,  verhindern zudem eine technische A-Note.__NEWCOL__Einen Joker kann Kya noch zücken: die imposanten Luftströme. Wie Säulen ragen sie überall aus dem Boden. Ihr könnt einfach in sie hineinspringen, und die Auf- und Abwinde dann wie Paragleiter-Routen nutzen, um zu bisher verborgenen Stellen zu kommen. Manche Windschächte lassen euch hunderte Meter im freien Fall stürzen, entführen euch in verwinkelte Röhrensysteme und verlangen geschicktes Gegensteuern, wenn ihr nicht von Stacheln, Wänden oder Monstern aufgehalten werden wollt - das macht Spaß und verleiht Kya wenigstens spielerischen Charakter.

Kyaaaaa Lee!

Bruce Lee war gestern, freut euch auf Kya "Kick the Wolf" Lee: Neben gewöhnlichen Hieben und Tritten sowie ihrem Bumerang kann die junge Heldin auch akrobatische Kombos aufs Parkett legen. Je nachdem, welche Buttonfolge ihr nutzt, werden die miesen Wolflinge spektakulär auf die Matte gelegt – sehr gut inszeniert durch einen Knockout in Zeitlupe. Zwar nicht so akrobatisch wie in Prince of Persia , aber sehr ansehnlich.

Windurfen im freien Fall! Kya schwebt zwar entspannend elegant durch Luftschächte, muss aber höllisch auf Dornen aufpassen.

Trotzdem werden Genrekenner den Dreh schnell raushaben und sich aufgrund der immer gleich gut funktionierenden Taktik unterfordert fühlen - die Nahkämpfe in Rayman 3 sind packender.

Sehr ärgerlich sind außerdem manche Kamerawinkel: Wenn die Sicht während der Prügelei plötzlich von Wänden oder Felsen blockiert wird, oder sich manchmal nicht zentrieren lässt, kommt Frust auf. Immerhin kann man in den meisten ruhigen Situationen bequem mit dem rechten Analogstick nachjustieren oder das Objektiv mit R3 zentrieren.

Hüpfen, Gleiten & Reiten

Auch klassische Jump`n´Run-Aufgaben kommen nicht zu kurz: Kya muss rechtzeitig auf bewegte Plattformen springen, geschickt ausweichen oder Hindernisse überwinden.

Leider fehlt ein Doppelsprung im Bereich der sportiven Möglichkeiten – man kann lediglich gebückt laufen oder sich an Wänden entlang hangeln, was im Gegnsatz zu Kyas sonstigen Bewegungen etwas steif animiert wurde. Trotzdem erforscht die junge Heldin alle Welten auf akrobatische und erfrischend schnelle Art und Weise.

Auf den zweibeinigen Laufwundern kann Kya problemlos Mauern überspringen, Kisten zerdeppern und Wolfen niederreiten - wenn nur nicht die Kameraprobleme wären. 

Das liegt vor allem an den rasanten Gleitpassagen, in denen Kya mit einem Board unter den Füßen zum nächsten Ziel jagt. Hier gilt es, bei vollem Tempo Dornen oder Krabbelgetier auszuweichen oder zum richtigen Zeitpunkt abzuspringen; die Steuerung ist sauber und man fühlt sich stellenweise wie in einer Half-Pipe. Im Dorf könnt ihr das Ganze als Mini-Spiel üben und Bestzeiten einfahren.

Später lassen sich sogar zweibeinige Laufmonster zähmen, so dass man reitend bestimmte Abschnitte erforschen kann: Über Dornenhecken springen, Wolfen niederreiten, Fallen ausweichen - ebenfalls sehr spaßig, weil einfach zu steuern und nicht all zu schwer zu meistern.__NEWCOL__Abenteuerspaß für Gestresste

Die Entwickler haben auf Spielkomfort viel Wert gelegt: Alle Gegenstände werden kurz beschrieben, es gibt es sofort einblendbare Hilfetexte zu den 34 Quests und Pfeile markieren den Weg zum nächsten Ziel. Kya nervt zudem nicht mit langen Laufwegen oder Wiederholungen ganzer Abschnitte, wie das z.B. in Jak II der Fall ist, sondern entspannt mit einem einfachen Speichersystem und sehr kurzen Rücksetzpunkten – ideal für Einsteiger, jüngere Spieler und Gestresste. Außerdem wird die Übersicht durch die vorbildliche interaktive Karte garantiert: Ein Druck auf L1 genügt, und schon könnt ihr auf einer schön illustrierten Map sehen, wo Gegner, Luftteleporter und natürlich die nächste Aufgabe wartet. Leerlauf gibt es nicht und man verliert in der verschachtelten Welt trotz ihrer Größe nie die Orientierung – sehr schön!

Auch die Rätsel sorgen trotz ihrer offensichtlichen Leichtigkeit für angenehme Abwechslung vom Kampfalltag: Mal müsst ihr Schalter umlegen, um Tore zu öffnen, Bomben so platzieren, dass Mauern explodieren oder die kleinen Hüpfmonster so geschickt unter eine Luke kicken, dass ihr sie als Trampolin in die Freiheit nutzen könnt.

Der finale Kick in den Wolfsbauch wird kurz vor dem Knockout mit einer Zeitlupensequenz à la Matrix belohnt - sehr ansehnlich.

Zwar sind die meisten Situationen leicht zu durchschauen, aber sie vermitteln eine angenehme Interaktivität. Persistent ist die Welt allerdings nicht, so dass ihr bei erneutem Besuch eines Levels z.B. wieder alle Brücken neu herunterlassen müsst und altbekannte Monster trefft.

Fazit

Jak II war euch zu schwer? Rayman 3 zu wild? Dann könnte Kya interessant für euch sein. Es ist ein nettes Jump`n´Run für die jüngere Generation oder gestresste Hardcore-Plattformer, die ohne Speicherfrust die Welt retten wollen. Die Abschnitte sind bunt und groß, es gibt ansehnliche Nahkämpfe, rasante Gleit- und Hüpfpassagen, kleine Schalter-Rätsel, sogar Bosskämpfe. Allerdings fehlt die Handschrift einer guten Regie, die ans Pad fesselt: Selbst die coolen Schlag- und Trittkombos sowie die originellen Luftstromreisen können den Funken der Begeisterung nicht zum Sprung animieren - Kya lässt einen seltsam kalt. Denn gegenüber der hochkarätigen Konkurrenz zieht die blaue Rastadame in vielen Bereichen klar den Kürzeren: Sie erreicht weder den Witz von Rayman 3 noch die Spannung von Beyond Good & Evil, weder die fulminante Action von Ratchet & Clank noch die grandiose Kulisse von Jak II, weder den Stil von Sly Raccoon noch die Eleganz von Prince of Persia. Spielerisch und grafisch wird zwar ein ausgesprochen motivierendes Gerüst geboten, aber es fehlt an dramaturgischem Feinschliff: Heutzutage muss ein Action-Adventure auch lebendige Charaktere und einen straffen Spannungsbogen bieten! Kya scheitert hier, denn die faden Dialoge, der Eiertanz zwischen Witz und Ernst, die wenig überzeugenden Sprecher und die blasse Protagonistin hinterlassen einen faden Nachgeschmack. Wer auf die kindische und vorhersehbare Story pfeift, ein paar Ruckler und Kamerazicken in Kauf nimmt und die genannte Konkurrenz bereits kennt, kann sich trotzdem auf ein abwechslungsreiches Abenteuer mit einigen zauberhaften Passagen freuen.

Pro

interaktive Karte
kein Speicherfrust
viel Abwechslung
schöne bunte Welt
gute Animationen
ansehnliche Kämpfe
viele Kombo-Attacken
witzige Luftstromreisen
Shops & Gegenstände
Schleichpassagen & Rätsel
rasante Gleit- & Reitabschnitte
schöne Licht- & Zeitlupeneffekte
sehr angenehmer Schwierigkeitsgrad

Kontra

banale Story
wenig Dramatik
nerviges Tearing
wenig Gegnervielfalt
gelegentliche Ruckler
einige Kamerazicken
blasse Hauptdarstellerin
einige Texturschwächen
Kämpfe auf Dauer eintönig
keine musikalischen Akzente
wenig überzeugende Sprecher

Wertung

PlayStation2

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