WRC: Rally Evolved29.10.2005, Michael Krosta
WRC: Rally Evolved

Im Test:

Auch wenn Sebastien Loeb, der WRC-Weltmeister des vergangenen Jahres, erst kürzlich seine vorzeitige Titelverteidigung feiern konnte, startet die Rallye-Saison 2005 auf der PlayStation 2 mit Rally Evolved erst jetzt und bietet als einziges Spiel die offizielle WRC-Lizenz mit echten Fahrernamen, Boliden und authentischen Rennpisten. Ob's auch auf der Konsole zur Titelverteidigung reicht?

Eine aufregende Saison

Nach 15 spannenden WM-Läufen ist es endlich so weit: Ich sitze in Australien hinter dem Steuer eines Citroen Xsara, dem Weltmeister-Wagen des Jahres 2004, und bin bereit, mir im letzten Rennen der Saison den finalen Showdown mit Marcus

Nur wer das Driften beherrscht, hat auf lange Sicht Erfolg bei der WRC.
Grönholm zu liefern, der in der WM-Wertung mit seinem Peugeot 307 knappe zwei Pünktchen Vorsprung auf mich hat. Kein Wunder also, dass mich mein Co-Pilot auf der Anfahrt zur Startlinie deutlich darauf hinweist, dass es jetzt um alles geht und wir die staubige Rallye auf dem fünften Kontinent für uns entscheiden müssen, wenn wir als WRC-Weltmeister nach Hause fahren wollen. Und während ich darauf warte, dass die Ampel endlich auf Grün springt, kreisen meine Gedanken um die aufregende Saison, die jetzt bald zu Ende gehen wird...

Der Rückblick

Und was für eine Saison das war! Schon das erste Rennen in Monte Carlo hatte es in sich: Steile Bergpässe und schneebedeckte Pisten verlangten gleich zu Beginn einen gekonnten Umgang mit den über 300 PS starken Boliden, die sich jetzt sogar noch einen Tick realistischer anfühlen als im Vorgänger. Da kommen die neuen Fahrhilfen natürlich sehr gelegen, mit denen in zehn Stufen ein Lenk- und Bremsassistent sowie eine Traktionskontrolle hinzugeschaltet werden kann, die das Auto fast wie auf Schienen fahren lassen und damit selbst Anfängern eine Chance im WRC-Zirkus bieten. Doch schon bei der ersten scharfen Kurve kommt das erste Missgeschick bzw. Missverständnis, als mein Co-Pilot den unmittelbar vor uns liegenden Streckenverlauf mit "Links zweiter" ankündigt.

Als ehemaliger WRC4-Champion habe ich noch die Anweisungen des Vorgängers im Kopf, was sich schnell als fataler Fehler erweist, denn in Rallye Evolved arbeiten die treuen Beifahrer jetzt genau nach dem umgekehrten Prinzip: So steht nicht länger die höchste Zahl für die schwierigsten Kurven, sondern die niedrigste. Kein Wunder also, dass mir mein Co-Pilot emotionsgeladen "Bremsen!" ins Ohr schreit, während ich mit hoher Geschwindigkeit der Kurve entgegenschleudere. Zu spät! Es kracht! Und schon nach den ersten paar hundert Metern sitze ich in einer zerbeulten Karre ohne Scheiben - dafür mit einem Motor und Fahrwerk, die sich beide alles andere als gesund anhören. Ein Blick auf den Tacho bringt mir die Bestätigung: Sowohl das Symbol für's Fahrwerk als auch für den Motor leuchten gelb auf - beide Teile sind beschädigt, doch es kann weiter gehen.

Des einen Freud, des anderen Leid.
Ein Glück, dass das Schadensmodell nicht ganz so realistisch ausgefallen ist und oft genug selbst grobe Schnitzer verzeiht, denn ansonsten hätte ich mir mit dieser Aktion sicher schon einen saftigen Totalschaden eingefahren.

Unvorhersehbare Ereignisse

Doch dann kommt die nächste Schrecksekunde: Ein Streckenposten steht am Streckenrand und winkt mir wild gestikulierend zu. Was hat der Typ für ein Problem? Die Antwort liefert kurz darauf mein Co-Pilot, der mich darüber informiert, dass der vor mir gestartete Fahrer durch einen Unfall ausgeschieden ist. Also ist Vorsicht angesagt, denn die Unfallstelle ist noch nicht vollkommen gesichert und so fahre ich langsam an dem Wrack vorbei, das sich die beiden Piloten im Schockzustand ungläubig betrachten. "Gut, dass es uns nicht erwischt hat", kommentiert mein Beifahrer etwas gefühlskalt die Situation, doch er hat Recht. Und es gab in der Saison einige unvorhersehbare Ereignisse, die auch für mich nicht ganz ungefährlich waren. Ich kann mich noch gut daran erinnern, als plötzlich Tiere auf der Fahrbahn aufgekreuzt sind oder sich auf einmal schwere Felsbrocken von dem Hang lösten und Teile der Straße blockierten. Auch wenn mein Co-Pilot nicht immer der Schnellste mit seinen Anweisungen und Warnungen war und mich manchmal mit seinen Kommentaren sogar etwas genervt hat, hat er es dennoch meistens geschafft, mich rechtzeitig vor Gefahren zu bewahren und sicher ins Ziel zu lotsen.

     

WM im Schnelldurchlauf

Trotz der anfänglichen Startprobleme habe ich meine erste Rallye noch recht passabel abgeschlossen und den Gedanken schnell wieder verdrängt, vielleicht doch besser erst eine Saison in der Super 1600-Klasse mit deutlich leistungsschwächeren Boliden wie dem Fiat Punto oder Renault Clio zu absolvieren. Nein, ich war ein gestandener WRC-Pilot und wollte dies auch bleiben, obwohl ich sicher auch die Super 1600 zu schätzen weiß, wenn ich es mal wieder etwas langsamer angehen lassen will. Selbst mir dem Erfolg beschlich mich allerdings das ungute Gefühl, dass irgendetwas anders war. Klar, WRC Rally Evolved sieht dank zusätzlicher Partikel- und Lichteffekte wieder einen Tick besser aus als der Vorgänger, bietet nach wie vor eine enorme Weitsicht mit minimalen Pop-Ups sowie realistisch modellierte Schleudern und kernige Motorgeräusche.

Und da hebt er ab...
Leider trüben aber vereinzelte Slowdowns und z.T. deutliches Tearing das Bild, während der Vorgänger von diesen unschönen Nebeneffekten noch weitestgehend verschont blieb. Aber das war es nicht, was mich beschäftigte. Es musste etwas anderes sein. Des Rätsels Lösung ereilte mich bei der nächsten Rallye in Schweden, die ich nach etwa acht Minuten trotz einiger Missgeschicke siegreich beendete. Moment mal, acht Minuten? Ist das nicht etwas kurz? Wenn ich mich recht erinnere, brauchte ich im Vorgänger unter ähnlichen Bedingungen gut 25 Minuten, bis das Event vorbei war. Aber was will man auch erwarten, wenn jede Rallye in Evolved aus lediglich vier, z.T. sehr kurzen Wertungsprüfungen besteht und selbst in höheren Schwierigkeitsgraden keine weiteren Abschnitte hinzukommen? Was ich erwarte? Ich erwarte von einem Nachfolger, dass er mindestens den gleichen Umfang bietet wie sein Vorgänger, am besten sogar noch mehr. Was will ich mit einer Weltmeisterschaft, die ich an einem Tag locker durchspielen kann? Gut, ich könnte mich noch der freischaltbaren Oldtimer-Herausforderung widmen und in kleinen Fahrprüfungen Klassiker wie den Audi Sport Quattro S1 oder den Lancia Delta S4 freispielen oder meine hart verdienten WM-Punkte in das Freischalten weiterer Autos (z.B. WRC Extreme- oder Amateur-Modelle) oder Extras wie Konzeptzeichnungen investieren. Und wenn ich will, schalte ich mit den entsprechenden Punkten einfach Cheats frei, mit denen ich z.B. die Schwerkraft außer Gefecht setzen, mir einen schielenden Co-Piloten mit Helium-Stimme auf den Beifahrersitz holen oder sogar Effekte wie Bewegungsunschärfe oder einen psychedelischen Himmel aktivieren kann. Aber rechtfertigen all diese Spielereien und Mini-Modi eine dermaßen starke Kürzung der WM und damit der Hauptattraktion des Spiels? Ich denke nein.

Ab zum Rally Cross

Die letzte Hoffnung sah ich im neuen Rally Cross-Modus, in dem man nicht nur alleine gegen die Zeit, sondern erstmals in der Serie gegen drei weitere Fahrer direkt auf der Strecke um Positionen kämpft - und das in allen 16 Austragungsländern der WM. Haben sich hier vielleicht ein paar weitere Strecken versteckt, die die Kürzungen bei den WRC-Läufen wenigstens halbwegs plausibel machen? Nein, ganz im Gegenteil. Denn anstatt für diesen Modus neue Pisten zu kreieren, bietet man dem Spieler lediglich die von der WM bekannten Shakedown-Kurse und lässt die Fahrer zwischen drei und zehn Runden drehen - ganz toll. Wenn doch jetzt wenigstens die KI der Konkurrenten gelungen wäre... Doch leider scheinen die Kerle ein Rally Cross-Event mit einem Destruction Derby verwechselt zu

Beim Rally Cross seid ihr mit vier Wagen gleichzeitig auf der Piste.
haben und rempeln teilweise, was das Zeug hält oder verstricken sich selbst in absolut dämliche Fehler. Eine gelungene KI sieht anders aus...

Online-WM

Doch warum sollt ihr euch mit der KI herum ärgern, wenn ihr stattdessen einfach drei Freunde einladen könnt, die den Part übernehmen? Entweder macht ihr im Splitscreen die Rally Cross-Pisten unsicher oder tragt von der Einzeletappe bis zur kompletten WM die Wertungsprüfungen brav hintereinander aus. Auch online geht Rally Evolved mit bis zu 16 Spielern an den Start. Leider konnten wir uns bisher noch kein Bild der Online-Rasereien machen, doch liefern wir unsere Eindrücke schnellstmöglich nach.

Finale

Bis dahin gilt meine Konzentration wieder voll und ganz dem letzten, entscheidenden Rennen: Die Fahrhilfen sind mittlerweile alle deaktiviert, denn nur so ist man würdig, vielleicht die WM-Trophäe in den Händen zu halten. Mittlerweile habe ich gelernt, wie feinfühlig ich mit dem Wagen umgehen muss, um nicht gleich im Straßengraben zu landen oder mich ständig zu drehen. Vor allem beim Anbremsen bin ich verglichen mit dem Vorgänger deutlich mehr gefordert, denn der Bolide neigt gerade bei diesem Manöver sehr gerne zum Ausbrechen. Nur gut, dass es neben dem Pad auch Lenkräder für die Sony-Konsole gibt, denn mit ihnen hat man die Dreckschleudern deutlich besser im Griff und dank Force Feedback-Unterstützung ein wesentlich authentischeres Fahrgefühl. Die Ampel ist grün! Ich habe einen WM-Titel zu gewinnen - oder zu verlieren...

  

Fazit

WRC Rally Evolved ist auf den ersten Blick ein Nachfolger, wie man ihn sich nur wünschen kann. Die Grafik wurde mit einigen zusätzlichen Effekten aufpoliert, es winken neue Modi wie Rally Cross und das Fahrverhalten fühlt sich noch realistischer an, doch bietet man gleichzeitig auch Anfängern mit zuschaltbaren Fahrhilfen einen guten Einstieg in den anspruchsvollen Motorsport. Doch bereits nach dem ersten WM-Lauf kommt die Ernüchterung: Soll das wirklich schon alles gewesen sein? Und je weiter ihr vorankommt, weicht die Ernüchterung immer mehr der Gewissheit, dass Rallye Evolved einfach weniger und kürzere Strecken bietet als der Vorgänger. Auch das Ausfahren der WM in einem höheren Schwierigkeitsgrad ändert daran nichts. Vier Wertungsprüfungen pro Rallye - das war's. Und dieses Manko kann weder der Rally Cross-Modus noch die Oldtimer-Herausforderung oder die hohe Anzahl an Wagen und Klassen wettmachen. Angesichts dieser Tatsache können wir euch nur raten, zum wesentlich günstigeren Vorgänger WRC 4 zu greifen, wenn ihr WRC-Weltmeister werden wollt, denn hier bekommt ihr schlichtweg mehr Spiel für's Geld, auch wenn Evolved gerade in punkto Fahrphysik etwas verfeinert wurde. Ob dies einen Kauf rechtfertigt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich persönlich würde mit WRC 4 jedoch die günstigere Alternative bevorzugen.

Pro

gelungene, anspruchsvolle Fahrphysik
unvorhersehbare Ereignisse während der Rennen
enorme Weitsicht
lebendige Szenarien
freischaltbares Bonusmaterial
kernige Motor-Sounds
ansehnliche Licht- & Partikeleffekte
viele Rallye-Wagen (auch Klassiker)
optisch schönes Schadensmodell
gute (Lenkrad-)Steuerung

Kontra

(zu) kurze Etappen
minimale Pop-Ups
Tearing
keine Extrastrecken für Rally Cross
z.T. nerviger und langsamer Co-Pilot
unrealistische Unfälle
kein 100%ig realistisches Schadensmodell
vereinzelte Ruckler

Wertung

PlayStation2

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