Sensible Soccer 200623.06.2006, Michael Krosta
Sensible Soccer 2006

Im Test:

Fußball soll wieder Spaß machen! Mit diesem Vorsatz holte Codemasters den angestaubten Amiga-Klassiker Sensible Soccer aus der Versenkung zurück, polierte ihn etwas auf und schickt ihn rechtzeitig zur WM auf den Konsolen- und PC-Rasen. Schafft es die 2006er-Neuauflage, das geniale Feeling und die tolle Atmosphäre vergangener Zeiten wiederzubeleben oder wird sie gnadenlos ausgebuht?

Time of my Life

Damals. Anfang der 90er Jahre. Die Amiga-Zeit. Eine meiner besten Zeiten: Was hab ich mich mit Turrican oder X-Out durch wunderbare Levels geballert, Lemminge gerettet ohne Ende oder in Lotus Esprit Turbo Challenge die Konkurrenz deklassiert. Und dann erst die Schweiß treibenden Matches gegen meine Kumpels in Kick Off 2 – dem unangefochtenen Highlight unter den Fußballspielen! Unangefochten? Nein, denn mit Sensible Soccer brachte Sensible Software ein Fußballspiel auf Commodores 16-Bitter, das zwar auf den ersten Blick wie ein dreister Klon des Dino Dini-Klassikers aussah, aber spielerisch sogar noch mehr auf der Pfanne hatte als das Vorbild. Hier hat Fußball noch Spaß gemacht. Wenn ich mir heute ein Pro Evolution Soccer 5  mit seinen unzähligen Möglichkeiten und taktischen Feinheiten ansehe, bei dem ich erst als Joypad-Akrobat eine Chance habe und von Mathias 10:1 (mit einem Glückstreffer!) abgezogen werde, sehne ich mich nach den guten, alten Zeiten zurück. Was soll ich mit einer bis ins Detail ausgetüftelten Mannschaftsaufstellung, zig Optionen vor einem Freistoß oder einer Steuerung, die mich mit ihren vielen Buttonbelegungen mehr verwirrt als mir zu tollen Spielzügen zu verhelfen?

Gefährliche Freistoß-Position: Können die Argentinier vielleicht ausgleichen?
Ich will einfach nur auf den Platz, mich mit ein paar Pässen zum gegnerischen Tor vorarbeiten, den Ball mit ordentlich Drall abziehen und das Ei zum Jubel der Massen im Kasten versenken. Genau so war Sensible Soccer: einfach, aber mit Tiefgang; zugänglich, aber auch anspruchsvoll; spaßig, aber auch herausfordernd. Und heute?

Vernünftiger Fußball 2006?

Heute sieht Sensible Soccer auf dem PC und der PS2 mit seiner schlichten Präsentation fast genau so aus wie damals und versprüht schon beim Auflaufen der Mannschaften den bewusst gewählten Retro-Charme. So wuseln und flitzen auch im Jahre 2006 kleine Männchen in einer leicht schräg ausgerichteten Vogelperspektive über den virtuellen Rasen und versuchen im Spiel von oben nach unten und umgekehrt, den Ball im Tor zu versenken. Hat man den Bogen mit dem Drall sowie bestimmte Abschusspositionen erst mal raus, werden die Begegnungen mit einem wahren Torsegen beglückt – oder besser gesagt: versaut. Sensible Soccer ist einfach zu leicht, wenn man das Prinzip erstmal verstanden hat. So passierte es, dass ich in einem 5-Minuten-Match die gegnerische Mannschaft mit einem 7:0 vom Platz fegte. Einfach nur nach vorne rennen, kurz vor dem Strafraum den Ball schießen und "anschnibbeln" – schon ist euch ein Treffer so gut wie sicher. Auch bei Diagonalschüssen auf das Tor macht der KI-Keeper oft eine erbärmliche Figur und scheint machtlos gegen eure Schüsse zu sein. Überhaupt fällt auf, dass die KI nicht unbedingt clever ausgefallen ist: Fast jeder Einwurf und jeder Freistoß landet genau vor euren

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Download Demo (116 MB)Füßen anstatt beim Mannschaftskamerad. Selbst wenn ein gegnerischer Spieler allein vor eurem Tor steht, schießt er oft noch (kilo)meterweit daneben. Dazu gesellen sich Abstöße vom Torwart, die direkt ins Aus gehen sowie kleinere Aussetzer, in denen der Keeper überhaupt nicht zu reagieren scheint. Auch fällt auf, dass er den Ball nur selten fest in die Hand nimmt, sondern ihn immer wieder mit der Faust ins Aus befördert – selbst wenn er ohnehin dort gelandet wäre. Die Folge: Es gibt sehr viele Eckbälle – und damit massig Gelegenheiten, das runde Leder mit einem unhaltbaren Kopfball ins Netz zu befördern. Leider hat man es

In den Wiederholungen kommt der knuffige Comic-Stil erst richtig zur Geltung.
versäumt, dem Spiel unterschiedliche Schwierigkeitsgrade zu spendieren. Zwar unterscheiden sich die Mannschaften in punkto Leistung voneinander, doch kickt ihr nach kurzer Zeit selbst Champions wie Brasilien locker in die Amateurliga zurück.

Wer wird Weltmeister?

Apropos Liga: Wettbewerbe und Ligen gibt es bei Sensible Soccer en masse. Zwar verfügt die 2006er-Ausgabe im Gegensatz zu früheren Versionen über keine offiziellen Lizenzen, doch könnt ihr mit eurer Mannschaft angefangen bei diversen nationalen Ligen über Pokalwettbewerbe bis hin zur Weltmeisterschaft antreten. Insgesamt stehen 67 internationale Teams und 300 Vereinsmannschaften sowie über 45 Turniere und Wettbewerbe zur Auswahl. Dabei lassen sich Spieler- und Teamnamen einfach editieren und abspeichern, so dass fehlende Lizenzen kaum mehr ins Gewicht fallen. Selbst das Aussehen jedes einzelnen Fußballers lässt sich verändern. Habt ihr gar ein eigenes Team zusammengestellt, verbessern sich sogar die Fähigkeiten eurer Profis, doch rettet selbst dieser Punkt den Titel nicht mehr vor der Durchschnittlichkeit. Man hat es bei Codemasters zwar geschafft, mit der simplen Grafik und dem witzigen Comic-Stil der Akteure einen ordentlichen Retro-Look auf die aktuellen Plattformen zu bringen; das Spielgefühl von damals aber hat man nicht einfangen können. Ein Grund dafür ist zum einen die Kamera, die das Geschehen viel zu hektisch einfängt und fast schon für unangenehme Schwindelgefühle beim Passspiel sorgt, die zu vorübergehenden Orientierungslosigkeit führen. Auch hat sich die Steuerung mit dem guten Competition Pro einfach besser und intuitiver angefühlt als mit den vergleichsweise mickrigen Analogsticks eines PS2- oder PC-Controllers, mit denen das Anschneiden und Spielen hoher Bälle nicht so einfach von der Hand geht und gerade auch bei Ecken und Abstößen Probleme bereitet: Hier lassen sich die Spieler nicht präzise positionieren, da sie viel zu empfindlich auf Stickbewegungen reagieren.

   

       

Null Stadion-Atmosphäre

Einen gewaltigen Griff ins Klo haben sich die Verantwortlichen im Audiobereich geleistet: Obwohl im Intro noch mit Fangesängen Stimmung gemacht wird, hört man während der Begegnungen nur einen belanglosen Klangteppich, der keinen Bezug zum Geschehen auf dem Spielfeld hat, dabei nur statisch vor sich hin rauscht und lediglich bei einem Tor lauter gestellt wird. Ich konnte mich dunkel an herrliche Fangesänge und meine Begeisterung über die Stadionatmosphäre auf dem Amiga erinnern. Doch um wirklich sicher zu sein, hab ich mein altes Commodore-Baby einfach noch mal hervorgekramt, Sensible Soccer eingelegt und die Anlage aufgedreht. Und höre da: Sofort fühlte ich mich wie im Stadion, als die Fans ihre unterschiedlichen Gesänge und Anfeuerungsrufe anstimmten und bei jeder knapp verpassten Torchance ein Raunen durch die Menge ging. Kein Vergleich zu Sensible Soccer 2006, bei dem die

Neuerdings zeigt euch ein Pfeil unter dem Spieler die Schussrichtung an. 
desinteressierten Pixel-Zuschauer mit unifarbener Kleidung scheinbar vor jedem Spiel mit Schlaftabletten anstatt Bier abgefüllt wurden. Stadionatmosphäre? Keine Spur.

Gemeinsam sind wir stark

Im Multiplayer-Spiel blitzt trotz der misslungenen Kamera und  Fankulisse doch noch für einen kurzen Moment die alte Begeisterung auf, die mich und meine Freunde damals stundenlang vor dem Fernseher gefesselt hat. Abseits der dummen und viel zu einfachen KI-Gegner offenbart Sensible Soccer 2006 bei einem Duell Mann-gegen-Mann doch noch sein Potenzial und sorgt für unterhaltsame und spannende Begegnungen, wenn der Torwart im letzten Moment eine sehenswerte Parade hinlegt und das sichere Tor doch noch verhindert. Besonders aufregende Szenen dürft ihr euch in den gut gemachten Wiederholungen erneut ansehen, die aber im Gegensatz zu den Amiga-Fassungen leider nicht mehr abgespeichert werden können. Mit bis zu vier menschlichen Kickern schlagt ihr euch wahlweise kooperativ oder gegeneinander die Bälle um die Ohren. Schmerzlich vermisst habe ich einen Onlinemodus, der gerade bei Sensible Soccer sicher eine Bereicherung gewesen wäre. So aber bleibt es lediglich bei direkten Auseinandersetzungen vor der Konsole, die anfänglich durchaus Spaß machen. Aufgrund der angestaubten Präsentation mit Hektik-Kamera und mangelhafter Soundkulisse schwindet die Fußballbegeisterung jedoch ebenso schnell wie beim Solospiel.    

Fazit

Manchmal sollte man Spiele-Perlen der Vergangenheit einfach in Frieden ruhen lassen. Mit Sensible Soccer 2006 entweiht Codemasters jedoch das ehrwürdige Grab des Amiga-Klassikers und versäumt es trotz guter Ansätze, das Fußballfieber von damals erneut zu entfachen. Der Grund dafür liegt nicht in der bescheidenen Präsentation, die gemessen an heutigen Maßstäben auf ganzer Linie billig wirkt. Ich mag den Stil, die Kicker mit ihren dicken Köpfen und die Retro-Optik. Doch die hektische Kamera zehrt an meinen Sehnerven, die laschen KI-Kicker stellen selbst für Anfänger keine Herausforderung dar und die hingeschluderte Soundkulisse ohne jeglichen Hauch von Dynamik und Atmosphäre versetzt mich gedanklich höchstens auf einen verlassenen Bolzplatz. Im Multiplayer kommt immerhin kurzweilig Fußballspaß auf, der gut unterhält. Was dem Titel hier noch den Kick gegeben hätte, wäre ein Onlinemodus, der aus mir unverständlichen Gründen nicht integriert wurde. Da kann Sensible Soccer 2006 noch so viele Mannschaften und Wettbewerbe bieten, die Retro-Optik noch so knuffig sein: Ich baue lieber wieder meinen guten, alten Amiga auf, lade mir ein paar Freunde ein und bringe die Joysticks zum Glühen, während aus den Lautsprechern laute Fangesänge ertönen.

Oh Mann. Wie schade. Ich habe Sensible Soccer auf dem Amiga geliebt. Und gerade jetzt zur WM hätte ich einen einfachen Arcade-Kick mit offenem Fußballarmen empfangen. Aber dieses Remake befriedigt wirklich nur dann, wenn man mit einem Kollegen für kurze Zeit der guten alten Zeiten gedenken will. Ja, man kommt schnell rein in die Steuerung. Und ja, das Spiel bietet trotz der simplen Kulisse genug Tiefe, um die Pass- und Schusstechnik auf Dauer zu verfeinern. Aber die hektische Kamera, die wirklich miserable Akustik und das grausame Torwart- und Gegnerverhalten sorgen dafür, dass man in all die Modi, Kickerfähigkeiten und Editiermöglichkeiten für Solisten erst gar nicht abtauchen will. Warum gibt es keinen Radar? Warum gibt es keinen Online-Modus? Sensible Soccer macht nur für ein Spiel zwischendurch mit einem Freund Laune. Aber selbst da schaut man sich nach einigen Matches nur an und fragt sich, warum man nicht lieber das Original, Sega Soccer Slam , Mario Smash Football oder gar Red Card 20-03 spielt. Bitte lasst Kick-Off 2 und Emlyn Hughes International Soccer in Frieden ruhen. Manchmal ist Retro einfach besser als Remake.

Pro

+Retro-Charme
netter Grafikstil
einfaches Spielprinzip
viele Wettbewerbe
gute Editoren für Teams und Spieler
freischaltbare Boni
spaßiger Multiplayer-Modus
schöne Replays

Kontra

keine verschiedenen Schwierigkeitsgrade
viel zu hektische Kamera
zu einfache Torchancen
dumme KI-Aktionen
kein Onlinemodus
keine Stadionatmosphäre
katastrophaler Audiobereich
keine Lizenzen
unifarbenes Pixel-Publikum

Wertung

PlayStation2

PC

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