Im Test:
"Für eine Hand voll Euro"
Egal, wie man zu Geometry Wars steht: Man muss dem Nebenprodukt von Project Gotham Racing zugestehen, dass es ein Genre populär machte, das eigentlich klinisch tot war. Vertikal, horizontal, diagonal - selbst der altmodischste Shooter ist in Zeiten von Pixel Shader, Open World und Physikwundern irgendwie über die Runden gekommen. Sein Kumpel Zwei-Stick-Shooter brauchte allerdings erst Dual Shock und Xbox Live, um mit dem Erscheinen von 360 und Live Arcade! plötzlich wieder einen Puls zu haben. Und was für einen! Retro Evolved , Blast Factor , Super Stardust HD , Mutant Storm , Nucleus : Links steuern, rechts feuern ist das Motto der "Für eine Hand voll Euro"-Generation. Dazu donnern Synthesizer und Drum-Computer mal im
altmodischen Rhythmus, mal verträumt abgespaced. Punkte gibt's für jeden Abschuss, mitunter kommt ein stetig wachsender Multiplikator dazu, im Internet spickt man die Bestleistungen seiner Kumpels - nach gerade mal zwei Jahren kennt man das Schema schon wie seine Westentasche. Im ersten Abschnitt entstehen Ketten nur durch das Anschubsen eines bestimmten Gegners.
Bleibt natürlich die Frage, was ausgerechnet das als Hobbywerk ersonnene Riff: Everyday Shooter dazu beitragen kann - oder überhaupt will. Auch hier wehrt man sich schließlich gegen Polygonüberfälle, steuert links, schießt rechts und sackt möglichst viele Punkte ein. Dabei hatte Jonathan Mak ursprünglich ein Bündel ausgefallener Konzepte, mit denen er Kunst erschaffen wollte. So erzählt er es jedenfalls in einem kleinen Text. Dort beschreibt er allerdings weiter, wie er irgendwann einsehen musste, dass Kunst nicht unbedingt spielbar sei. Also destillierte er seine wichtigsten Ideen, entschied sich für einen Mix aus Geometry Wars und Rez und gab dem Ergebnis einen ungewöhnlichen Anstrich.
Die besondere Verkettung
Ungewöhnlich gilt dabei sowohl fürs Visuelle als auch fürs Akustische, denn Riff heißt entspanntes Ballern. Da wabern pastellfarbene "Hirnzellen" auf einem warmen Orange, Schmetterling-artige Kunstwesen flattern vor einem blauen Sommerhimmel und im Hintergrund jamt jemand
entspannte Gitarrenriffs. Das ist verdammt ungewöhnlich! Es ist in der Tat jener Kontrapunkt zum hektischen Geometrie-Vernichten, den die junge Erfolgsgeschichte des Genres braucht. Und von dem es viele weitere braucht, um auch in den kommenden zwei Jahren noch frei zu atmen. Ein riesiges Auge, massig kleine Augen, Spiegelei-ähnliche Figuren - Everyday Shooter ist sympathisch anders.
Im Kern bleibt Queasy Games, wie Mak sein Ein-Mann-Studio nennt, dabei der Zwei-Stick-Formel treu: Spielerisch dreht sich alles um das Abschießen der richtigen Gegner - das bringt Punkte, mit denen man Boni kaufen kann, u.a. so elementare Extras wie zusätzliche Leben! Beim Rest handelt es sich um ausgesprochen coole Grafikfilter, welche lediglich die Darstellung, nicht aber den Inhalt beeinflussen. Allerdings genügt es nicht, dafür wie ein wild gewordener Ballermann jeden Gegner vom Bildschirm zu putzen! Denn meist hinterlassen nur die in einer so genannten Kette zerstörten Polygone kleine Punkte, deren Aufsammeln erst das Konto füllt. Ketten entstehen wiederum dort, wo ihr ein bestimmtes Element zerstört, das anschließend alles Umliegende mit sich reißt.
"Jam Sessions" auf PS3
Solche Elemente sind z.B. die erwähnten Hirnzellen, oder vielmehr das, was danach aussieht: Schießt man lange genau darauf, wird das gesamte durch Linien verknüpfte Zellen-Netzwerk zerstört und spuckt Punkte aus. Im ersten Level fliegen hingegen runde... Dinge ins Spielfeld, welche schon nach einem Treffer zerplatzen und ihre nähere Umgebung in Mitleidenschaft ziehen. So sind die Abschnitte nicht nur optisch eigenständig,
sondern fordern auch völlig unterschiedliche Herangehensweisen. Nicht umsonst nennt der Entwickler sein Werk ein "Album verschiedener Spiele". In einem "Retro-Abschnitt" erinnert das Spiel an frühe Spielhallen-Klassiker.
Warum er den Begriff "Album" wählt, ist dabei nur allzu offensichtlich, oder besser: offenhörbar. Denn jeder Treffer verursacht einen Ton - Mizuguchi lässt grüßen. Tatsächlich macht Jonathan Mak keinen Hehl aus seiner Inspirationsquelle und grüßt den Rez-Schöpfer sogar ganz offiziell - sympathisch! Zerfällt eine Kette, klimpert es selbstverständlich noch intensiver, und auch die Menge der eingesammelten Punkte bestimmt die akustische Rückmeldung. Allerdings erklingt kein gewöhnliches Piepen oder Tröten; vielmehr zupft jede Aktion - passend zu den Gitarrenriffs - sinnbildlich an den Saiten. Die Schüsse des "Protagonisten" (ein einfaches Viereck) verursachen dabei keinen Lärm, was dem entspannten Charakter des Soundtracks Rechnung trägt.
Verspielt
Für den Feierabend, beim gemütlichen Gamepad-Jonglieren, für die Zwei-Stick-Shooter als Ganzes ist scheinbar also ein fast buchstäblich im Wohnzimmer entstandener Titel der momentan wichtigste Farbtupfer? Nein, diesen Schritt schafft Everyday Shooter leider nicht. Es ist jammerschade, doch es kann nicht jene Erwartungen einlösen, welche von der pastellfarbenen Verspieltheit, der Verbindung von Handlung und Musik sowie dem kniffligen Kettenprinzip geweckt werden. Oberflächlich gesehen geht das Konzept zwar wunderbar auf, bei genauerer Betrachtung mutet jedoch schon die digitale Steuerung seltsam an: Anstatt das Feuer in alle Richtungen zu eröffnen, ist man nämlich auf drei Achsen beschränkt, darf also nur nach oben, oben
links, links usw. schießen. Schwer vorstellbar, dass ein frei drehbares Geschütz technisch nicht machbar wäre. Selbst in Sachen Schwierigkeit hätte es wenig geändert... Die Schmetterling-artigen Gebilde lassen sich zwar leicht zerstören, hinterlassen im Normalfall allerdings keine Punkte.
Ärgernis Nummer zwei: Viel zu schnell hat man die wenigen acht Abschnitte gesehen. Auf der einen Seite wirkt die ausgefallene Ästhetik zwar auch beim fünften, zehnten und zwanzigsten Mal geradezu belebend, auf der anderen Seite wird man allerdings auch von edlem Kaviar irgendwann einfach satt. Zumal jeder Level auf nur einem Bildschirm Platz hat und sich im Verlauf seiner kurzen Dauer optisch kaum entwickelt. Der schwerste Makel ist aber weder die kurze Spielzeit noch die ungewöhnliche Steuerung. Denn bei Riff dreht sich alles darum, eine möglichst hohe Punktzahl zu erreichen - warum greift Publisherriese Sony dann seinem Schützling Mak nicht unter die Arme und bastelt den Zeitkiller schlechthin dazu: eine Online-Rangliste? Wer tauscht denn heute noch seine Highscore per Telefon, Briefwechsel oder E-Mail aus? Der unmittelbare Vergleich über das Internet ist essentiell! Das gilt umso mehr, wenn das Spiel bis auf die Punktejagd kein Ziel bietet. Auf diese Weise rauscht leider enorm viel Langzeitmotivation ungenutzt den Bach runter, was gerade bei einem so fantastischen Erlebnis ein Riesenjammer ist.
Fazit
Wenn Bluna der Außenseiter unter den Limonaden ist, dann ist Riff der Underdog unter den Zwei-Stick-Shootern. So scheinbar jedenfalls wie Bluna Orange völlig anders als Fanta schmeckt... Denn im Kern versteckt sich - der Titel deutet es, vielleicht augenzwinkernd, schon an - ein "Everyday Shooter", ein ganz "alltägliches Ballerspiel" also. Dessen Aufmachung ist allerdings so ungeheuer sympathisch, dass man dem in Hobbyarbeit entstandenen Titel seine Einzigartigkeit gerne zugesteht. Alleine die visuell komplett verschiedenen Episoden setzen ein Ausrufezeichen im Einerlei der sonst nur auf Bombast schielenden Massenindustrie. Dass jeder der acht Abschnitte eine andere Herangehensweise fordert, unterstreicht den künstlerischen Einfallsreichtum nur - selbst wenn das Konzept der die Musik beeinflussenden Aktionen, lapidar ausgedrückt, geklaut wurde. Schließlich verwöhnt Everyday Shooter mit seinen außergewöhnlichen Riffs die Elektro-bedrängten Ohren und wird zur interaktiven Jam-Session. Die allerdings, und hier verfehlt das Spiel seine in allen restlichen Bereichen gelegte Messlatte, zu schnell vorüber geht. Bald hat man sich an den wenigen Levels satt gesehen und wird auch nicht durch einen Online-Wettkampf zum Weitermachen animiert. In der Tat also nur ein einfacher Shooter - wenn auch der schönste seiner Art.
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation3
Gitarrenriffs auf Pastellfarben: der schönste Zwei-Stick-Shooter!
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