inFamous 208.06.2011, Jörg Luibl
inFamous 2

Im Test:

Vom Fahrradkurier zum Superhelden: Cole McGrath hat eine ebenso steile wie gefährliche Karriere hinter sich. Der sportive Glatzkopf mutierte im Vorgänger zum akrobatischen Elektromeister, der mit gefährlichen Blitzen um sich schoss und auf Stromleitungen dahin raste. Nach dem Abenteuer in der nördlichen Empire City entführt das Team von Sucker Punch zwei Jahre später in die wilden Südstaaten. Sorgt die offene Welt erneut für knisternde Unterhaltung zwischen Gut und Böse?

Das Biest im Rücken

Funken fliegen im Wind, ein Holzsteg krümmt sich, wird mit voller Wucht von der Brandung geküsst und Cole versucht schnell vorwärts zu kommen. Überall Schreie, Blitze und im Hintergrund züngeln Flammen vor dem Schatten eines Riesen, der zwischen Wolkenkratzern wütet. Zerstört diese vulkanische Kreatur gerade Empire City? Als tapferer Superheld übernimmt man die Steuerung und stellt sich dem Ungetüm mit blitzenden Händen. Man weicht aus, teilt aus und fühlt sich sofort mittendrin im Chaos. Aber es reicht nicht, man ist einfach nicht stark genug und muss schließlich fliehen – nach Süden, in die neue Stadt New Marais, die dem realen New Orleans in drei großen Vierteln nachempfunden wurde.

Manchmal kann es helfen, mit einem dramatischen Paukenschlag zu eröffnen: Wer die ersten zehn Minuten von inFamous 2 (ab 4,38€ bei kaufen) spielt, wird im Stile von God of War unterhalten und bekommt einen Vorgeschmack auf den technischen Fortschritt des Actionspiels. Sucker Punch hat zwei Jahre lang an der Grafikschraube gedreht, um dieses Abenteuer vor allem hinsichtlich der Licht- und Partikeleffekte sowie der Weitsicht heraus zu putzen. Und es gelingt dem Team aus Seattle, sowohl technisch als auch architektonisch mit frischer Kraft zu punkten - auch wenn die Bildwiederholrate in einigen explosiven Situationen schon mal in den Keller kriecht. Man bekommt aber gerade in der ersten Stunde richtig Lust auf die elektrostatischen Ausflüge, wenn man zwischen all dem Rauch und Feuer als rächender Blitz unterwegs ist.

Paukenschlag und Geigenabgang

Cole McGrath: Vom Fahrradkurier zum Superhelden!
Cole McGrath: Vom Fahrradkurier zum Superhelden!
Aber es gelingt Sucker Punch nicht, den Nachfolger auch spielerisch zu verbessern. Denn nach diesem spektakulären Einstieg schleicht sich Stunde um Stunde neben vielen waffentechnischen Déjà-vus aus Empire City auch eine atmosphärische Ernüchterung ein, bevor man nach fünfzehn bis achtzehn Stunden trotz toller Kulisse ein solides, aber keineswegs begeistertes Resümee zieht. Der technisch unterlegene Vorgänger (Wertung:84%) hat mir im Ganzen wesentlich besser gefallen. Ja, es gibt auch immer wieder grell brutzelnde Highlights und spektakuläre Zerstörungen, aber schon die Ausgangslage der Story und die spätere Inszenierung der Gespräche dämpfen den Optimismus. Worum geht es? Da draußen ist ein riesiges Monster, es heißt „Das Biest“, wütet in Empire City, aber kommt immer näher. Cole muss nach Süden fliehen und Batterie-Kerne finden, damit er es irgendwann besiegen kann. Also versucht man Elektro-Rocky zu werden, um Flammen-Drago im Finale eins zu verpassen.

Okay, geschenkt, denn die platte Story knüpft immerhin nahtlos an die Geschehnisse des Vorgängers an. Ist ja auch ein Superheldenspiel, zumal man als alter Hase seine Spielstände importieren und direkt weiter machen kann – sehr schön. Dieser Übergang ist genauso lobenswert wie das offene Ende, allerdings krankt das Abenteuer spätestens in der Mitte an seinen schwachen Sidekicks, Sprechern und Dialogen. So beeindruckend die urigen Stadtviertel mitunter aussehen, so schlecht wirken die Charaktere - zu oft spukt einem ein "billig" durch den Kopf. Selbst im englischen Original hört sich Cole seltsam fade an, in der qualitativ noch tiefer rauschenden deutschen Version gesellen sich lustlos gesprochene Nebencharaktere mit schweren Mimikproblemen hinzu; lippensynchron oder charismatisch ist fast gar nichts – und Zeke hat als einziger Partner so schwere Probleme mit dem Witz, dass ein Wiedersehen mit ihm zu Beginn der Storymissionen kaum Freude macht. Das kann er zwar später etwas ausgleichen, wenn es zwischen den beiden Kumpeln kriselt, aber im Vergleich zur Charakterinszenierung in Enslaved oder Uncharted ist das ein schauspielerischer Klassenunterschied.

Moralische Touristenführer

Lucy Kuo achtet immer darauf, dass Cole auch anständig bleibt.
Lucy Kuo achtet immer darauf, dass Cole auch anständig bleibt - die deutschen Sprecher enttäuschen.
Das wäre alles verschmerzbar, schließlich ist das kein Mass Effect und schon gar keine Comedy-Show. Aber im Gegensatz zum Vorgänger wirkt das interessante Moralsystem im heißen Süden primitiver und durchschaubarer. Man bekommt sehr früh ein Engelchen und ein Teufelchen an die Seite, damit man auch weiß, was Gut und Böse ist: Da wäre die brave sowie unterkühlte (sie verschafft Cole eisige Kräfte) NSA-Agentin Lucy Kuo auf der einen und die böse sowie feurige (sie verschafft Cole...richtig: heiße Kräfte) Rebellin Nix auf der anderen Seite. Nichts gegen Archetypen, aber diesen beiden Ladys fehlt einfach alles, was einigermaßen interessante Charaktere ausmacht. Sie wirken von Beginn an plump, steril und flach.

Das erdet natürlich die Atmosphäre. Aber selbst das wäre kein all zu großes Problem für ein actionreiches Abenteuer in offener Welt, denn man kann ja selbst entscheiden, wie man spielt! Und geht es hier nicht um das actionreiche Austoben? Außerdem gelingt es Sucker Punch sogar in Ansätzen die sozialen und politischen Konflikte der Südstaaten-Metropole zu umreißen - mit viel Klischeesahne, aber wenigstens versüßt das ein wenig den faden Storygeschmack: Da ist ein totalitärer Diktator, der mit seiner Miliz die Bevölkerung unterdrückt; da sind Monster aus den Sümpfen als äußere Bedrohung und selbst die für New Orleans so tragischen Katastrophen wie Ölverschmutzung und Überflutung werden immerhin optisch so thematisiert, dass man beim Betreten der armseligen Barackeninselwelt fast depressiv wird. Diese authentischen Facetten können dann ein wenig über die moralischen Touristenführer für Sandkastenhelden hinweg trösten.

Eine Frage des Karmas

Man hätte die schwache Story allerdings noch besser auffangen können, wenn man das aus dem Vorgänger bekannte Moralsystem erstens besser als dramatische Stütze integriert und zweitens weiter entwickelt hätte – aber da steht

Das Teufelchen unter den schlecht inszenierten Moralaposteln: Nix.
Das Teufelchen unter den schlecht inszenierten Moralaposteln: Nix.
inFamous 2 nicht nur still, sondern wirkt teilweise wie ein Rückschritt. Cole kann sich immer noch entscheiden, ob er gut oder böse handelt, ob er hilft oder zerstört, ob er heilt oder tötet. Macht man einen Straßenmusiker mundtot? Hilft man der Polizei? Stoppt man Verbrecher auf frischer Tat oder sabotiert man Demonstranten? Jedesmal steigt Cole ein wenig auf der einen oder anderen Moralseite auf, dargestellt durch ein blaurotes Symbol mit automatisch angepasster Markierung – und so kann er bei konsequenter Nutzung nicht  nur exklusive Fähigkeiten hinzu gewinnen, sondern auch den Verlauf von Zwischensequenzen sowie die Reaktion der Bevölkerung beeinflussen. Drei gute oder böse Ränge warten auf ihn und erlauben mitunter Zugriff auf exklusive Missionen, so dass sich der Wiederspielwert erhöht.

Das Problem ist allerdings, dass all das viel zu leicht durchschaubar ist, manchmal kaum spürbar oder inkonsequent umgesetzt wird. Wenn man den Vorgänger gespielt hat, der vor so mancher Mission noch ein gewisses Maß an Überlegung verlangte, ob das wirklich gute oder böse Folgen haben wird, fühlt sich das Angebot an Entscheidungen hier wie eine Verflachung an. Es gibt quasi keine moralischen Grauzonen, sondern nur klares Gut und klares Böse. Das führt nicht nur dazu, dass man sehr schnell den Kopf zumacht und nur noch Aufträge für eine Seite abklappert, ohne sich großartig Gedanken zu machen. Das führt auch dazu, dass einem die Bevölkerung sehr früh egal wird, denn man kann sogar als Gutheld aufsteigen, wenn man Kollateralschäden in Kauf nimmt. Leider kommt es nur ganz selten zu interessanten Situationen, in denen man wirklich einen Gewissenskonflikt austrägt; zumal die schauspielerische Inszenierung dieser moralinsauren Situationen oftmals zu wünschen übrig lässt.

Wer unfreiwillig oberflächlich agiert oder wütet, muss bei der Statistik lediglich die Abzüge für getötete Unschuldige hinnehmen (aber selbst das wird nicht immer korrekt gezählt), aber kann dennoch zum Helden avancieren. Allerdings haben sich die Reaktionen in der Bevölkerung kaum entwickelt: Ja, die Bewohner kreischen bei Gefahr oder demonstrieren gegen bzw. für Cole, aber es gibt auch einige komplett idiotische Verhaltensweisen und Animationen, wenn riesige Monster einfach ignoriert werden oder etwa ein paar Verletzte wie ein Pulk zitternder Robben auf dem Boden liegen, obwohl direkt daneben eine Krankenstation zu sehen ist. Spürbarer sind Veränderungen in der Reaktion erst nach dem Aufstieg in einem guten oder bösen Rang: Wer der dunklen Seite folgt, wird gefürchtet, aber auch mal attackiert; wer dem hellen Pfad folgt, bekommt ab der zweiten Stufe sogar Fans und Unterstützung im Kampf. Aber es gibt je nach Pfad eigentlich nur drei markante Veränderungen der Bevölkerungsreaktion innerhalb einer knapp achtzehnstündigen Spielzeit - da hätte man etwas mehr soziales Feedback bieten können.

Erobern und freischalten

Vom Norden in den Süden: New Marais lockt mit Kirchen und Plantagen.
Vom Norden in den Süden: New Marais lockt mit Kirchen und Plantagen - allerdings geht es  nicht mehr in die Kanalisation.
 Trotzdem macht inFamous 2 auf der reinen Actionerkundungsebene Laune. Trotzdem erkundet man New Marais voller Neugier, wenn man seinen knisternden Pseudojetpack einsetzt: Einmal in der Luft, kann sich Cole quasi die Düse geben und eine Zeit lang fliegen, zwischendurch auf Leitung landen und Funken sprühend Gas geben -  cool. Und das fiktive New Orleans punktet sehr schnell mit seinem spröden Charme zwischen Sümpfen und Rotlichtviertel, zwischen Barracken und Hochhäusern, zwischen Kirchen und Hinterhöfen. Zwar kann man keine Gebäude betreten, aber die Kulisse wurde sehr authentisch, abwechslungsreich und verschachtelt designt. Es gibt düstere Friedhöfe und riesige Baustellen, prächtige Villen und natürlich einen Hafen. Was macht man da? Vor allem Boote der Miliz abballern, während man an der Mole in Deckung hechtet. Aber Vorsicht: Cole kann nicht schwimmen!

Je nachdem wo man Aufträge erledigt, kann man wie im Vorgänger einzelne Stadtviertel befreien, so dass dort z.B. keine Miliz mehr ihr Unwesen treibt. Aber so richtig spürbar ist die Befreiung nicht und gerade hier erwartet man als Kenner des Vorgängers etwas mehr Auswirkungen. Leider wird das auch nicht mehr so wirkungsvoll inszeniert: Musste man im ersten Teil noch Licht in dunkle Viertel bringen, die danach regelrecht aufblühten, weil endlich Strom da war, vermisst man diese klaren optischen Konsequenzen, obwohl man auch hier für Power sorgen muss. Allerdings geht es dafür nicht mehr unter Tage - gerade die unterirdischen Ausflüge mit ihren akrobatischen Elementen vermisst man hier im Vergleich zum Vorgänger.

Man schaltet allerdings zwei weitere Bereiche der Stadt frei, die etwas größer ist als Empire City: Darunter ein überflutetes Areal sowie ein Industriegebiet. Das Problem der beiden späteren Stadtinsel ist jedoch ihre relativ flache Infrastruktur, denn Cole kann dort nicht mehr so elegant über den Stromleitungen und Häuserdächern gleiten (auch wenn er noch weitere luftige Fortbewegungen freischaltet) – man vermisst Ankerpunkte in der Vertikalen, obwohl das Spiel in den ersten Stunden noch an Assassin's Creed erinnert. In einigen Situationen sind sich die beiden frappierend ähnlich - aber auch da kann man qualitativ nicht mithalten.

Der Elektro-Assassine

Im Gegensatz zu Empire City, das New York nachempfunden wurde, mutet diese Metropole mit all ihren Kirchen etwas europäischer, manchmal sogar fast mittelalterlich an. Aber wenn man die gotischen Kathedralen mit Cole erklimmt und dabei

Cole gewinnt im Laufe des Spiels mächtige Föhigkeiten.
Cole gewinnt im Laufe des Spiels mächtige Fähigkeiten, um selbst kleine Trupps auszuheben.
fast identische Stilelemente nutzt wie der Assassine, was Simse, Vorsprünge und Fenster betrifft, fühlt sich das hinsichtlich der Animationen und Inszenierung einfach nicht so elegant an. In den früheren Jump&Runs rund um Sly Raccoon wirkten die Animationen wesentlich geschmeidiger. Und wenn man auf der Spitze eines Turms um sein Gleichgewicht tänzelt, kann man zwar wie ein Adler die Aussicht über die Sümpfe genießen, aber der Moment ist nicht wirklich erhaben. Dieses herrliche Gefühl der Panoramasicht, getragen von einer Melodie oder einer besonderen Haltung bietet inFamous 2 nicht an - obwohl es sich fast aufdrängt.

Vielleicht liegt das auch daran, dass einem auf dem Weg nach oben nix passieren kann: Man muss nur ganz selten eine gute Route suchen und kann nicht mehr tödlich stürzen – lediglich Wasser sorgt nach wie vor dafür, dass Cole gebrutzelt wird. Okay, klassischer Hals- und Beinbruch passt vielleicht nicht zu einem coolen Superhelden, aber das einfache und stupide Dauerklicken als Klettermethode ohne Gefahr im Nacken raubt dem Spiel gewisse Reize in der Vertikalen. Überhaupt hat Sucker Punch die Akrobatik eher vereinfacht und beschleunigt als kreativ weiter entwickelt. Jetzt kann man glimmende Rohre schon am Boden wie eine Art elektrischen Katapult nutzen, um sich in die Höhe zu schießen; das ist nicht schlecht, denn das bringt Dynamik, aber über den Dächern gibt es bis auf Milizen keine Gefahr oder gar Überraschungen. Natürlich gibt es immer noch die vielen Drahtseile, die wie ein Netz über der Stadt schweben, auf dem Cole Funken sprühend in hoher Geschwindigkeit gleiten kann.

Held mit Haftproblemen

Das macht auch richtig Laune, denn es sorgt für Tempo und wird ansehnlich inszeniert. Und wenn Cole aus großer Höhe abspringt, kann er eine elektrische Stampfattacke ausführen, die den Boden erzittern und Staub aufwirbeln lässt – das sieht richtig gut aus. Aber diese akrobatischen Elemente werden zu selten als Teil des Missionsdesigns eingesetzt, so dass das Jump’n Run-Flair nicht mehr so stark ist. Wo der Vorgänger noch mit kleinen Geschicklichkeitselementen für räumliche und inhaltliche Abwechslung sorgte, ist der Spielrhythmus hier etwas eintöniger und actionreicher.

Zudem bewegt sich Cole immer noch an Abgründen und Simsen, als würde er daran kleben; manchmal bekommt man ihn aufgrund der automatischen Haltsuche kaum davon weg, um z.B. eine Scherbe einzusammeln. Das ist in solchen Sammelsituationen verschmerzbar, aber wenn man über den Häuserdächern in einen Schusswechsel gerät und eigentlich mit einem Sprung fliehen will, aber dann plötzlich am Dach kleben bleibt und abgeschossen wird, ist das frustrierend – vor allem, wenn man sich gerade mitten in einem längeren Auftrag befindet, den man dann von vorne starten muss.

Aufträge für alle Fälle

Es gibt sehr viele Nebenaufträge, die gerade in den ersten Stunden für Unterhaltung zwischendurch sorgen - außerdem freut man sich über zufällig auftauchende Jobs. Aber irgendwann nutzen sich die immer gleichen Typen ab, wenn man einem moralischen Pfad folgt. Hinzu kommen teilweise

Egal ob Blitz oder Bombe: Die elektrischen Talente lassen sich aufwerten.
Egal ob Blitz oder Bombe: Die elektrischen Talente lassen sich aufwerten.
lieblos offerierte Aufträge: Von sterilen Figuren verteilt, von schwachen Schauspielern gesprochen und von immer gleichen Abfolgen geplagt – gehe von A nach B und zerstöre C. Sucker Punch lässt auf lange Sicht einiges an Kreativität vermissen, was ihr Design und die Variation  angeht. Ob die Community da Abhilfe schafft? Sie kann mit dem mächtigen Editor eigene Aufträge erstellen und online anbieten.

Aber das hilft dem Spiel nicht und bedeutet Arbeit, die die Entwickler nicht gut genug gemacht haben: Dabei hätte man gerade angesichts der Sumpf- und Überflutungsthematik interessantere Rettungen oder angesichts Coles‘  neuer Kraft auch physikalische Aufgaben integrieren können, anstatt das ewige Plattmachen, das hier im Vordergrund steht.

Ähnlich wie in Assassin’s Creed gibt es auch viele schnöde Sammelaufträge: Wer Tauben vom Himmel holt, kann sich die Audioaufzeichnungen anhören, die mehr über die Hintergründe verraten – schade nur, dass man sie irgendwann nur noch um der Vollständigkeit, aber nicht um des Inhalts wegen jagt. Warum hat man nicht mal Geheimnisse oder neue Nebenaufgaben mit ihnen verknüpft bzw. in ihnen versteckt? Will Cole stärker werden und mehr Lebensenergie zur Verfügung haben, muss er zudem blau schimmernde Splitter finden, von denen über 300 in der Stadt verstreut sind – für alle zehn, fünfzehn etc. gewinnt er in Intervallen einen Elektroknoten hinzu; irgendwann wird das nur noch  lästig, weil es auf dem Kletterweg dorthin keinerlei Herausforderung bietet.

Sehr schnell muss Cole für diese Splitter nicht nur klettern, sondern auf dem guten Pfad auch entschärfen, wenn die Kristalle als Bomben an Wänden ticken. Gelingt ihm rechtzeitig die Entladung, was eigentlich immer der Fall ist, darf er die Scherbe nehmen und gewinnt ein wenig gutes Karma. Leider ist das Spiel auf Seiten der Guten hinsichtlich der Aufträge denkbar langweilig. Egal ob Bomben entschärfen, Überfälle vereiteln oder Geiselnahmen beenden – man macht zu oft das Gleiche. Als Bösewicht kann man wenigstens ab und zu explosive Kreativität an den Tag legen und übrigens auch ein alternatives Ende sehen.

Vorsicht, Elektrokeule!

Es geht explosiver zur Sache als im Vorgänger.
Es geht explosiver zur Sache als im Vorgänger.
Sucker Punch hat die Action deutlich in den Vordergrund gerückt: Cole kann mehr, kann eindrucksvoller und zerstörerischer. Aber das ist nicht immer unterhaltsamer, denn statt seine Akrobatik sowie Kampfkraft auch mal mit Köpfchen zu beweisen, muss er öfter wie in einem Shooter schnöde Feindwellen aufhalten. Jetzt ist er immerhin auch im Nahkampf gefährlich, denn er schwingt eine Art doppelläufige Stromkeule, die er in mehreren Hieben kombinieren und mit einem Finisher abschließen kann – dann zoomt die Kamera noch mal näher ran. Allerdings schwenkt sie dabei manchmal ungünstig, so dass man nach dem spektakulären letzten Hieb schon mal die Orientierung verliert und wild um sich haut. Da kann man dann sehr schnell das Leben verlieren, wenn der Bildschirm plötzlich seine Farbe einbüßt und die drohende Schwärze den Tod ankündigt – da gilt es irgendwo zu verschnaufen und automatisch zu heilen.

Das neue Nahkampfsystem ist schnell verinnerlicht, aber aufgrund fehlender Präzision nicht immer flüssig und aufgrund fehlender Blocks oder Konter nicht gerade anspruchsvoll. Spätestens wenn man von mehreren Feinden attackiert wird, sollte man ohnehin den Blitzprügel einpacken und aus der Distanz feuern. Auf Knopfdruck bewegt sich Cole in Deckung, kann wie gehabt aus ihr heraus oder von Wänden hängend präzise seine Blitze abfeuern, auf Wunsch auch die Hand wechseln – inklusive Kopfschuss oder gezielter Haftgranate.

Das sieht zwar alles nicht so prächtig aus wie in Killzone 3 oder Uncharted 2, aber es ist durchaus ansehnlich, explosiv und flutscht sauber. Wenn es mal brenzlig wird, kann Cole mit einer Seitwärts- oder Rückwärtsrolle elegant ausweichen, um sich wieder in Position zu bringen. Hier kommt also durchaus Actionspaß auf, zumal man seine Angriffsmuster je nach gewählten Fähigkeiten anpassen oder wechseln und natürlich kombinieren kann: Erst die Bodenwelle gegen das heran joggende Dutzend Milizen, dann die Bombe auf die am Boden liegenden Feind und im Finale noch die Kopfschüsse für den Rest? Haftgranaten an Feinde, die dann wie lebende Bomben ganze Truppen mitnehmen? Oder eine Granate des Gegners per Schockwelle zurückwerfen? Alles kein Problem! Aber so experimentierfreudig und arcadetauglich wie in einem Bulletstorm ist die Action hier nicht.

Die Macht des fliegenden Autos

Neben Feuer spielt auch das Eis eine Rolle: Für welche Seite entscheidet sich Cole?
Neben Feuer spielt auch das Eis eine Rolle: Für welche Seite entscheidet sich Cole?
Cole kann nicht nur Blitze und Bomben in mehreren Varianten schleudern, sondern jetzt auch ganze Autos hochheben und als Wurfgeschosse nutzen. Da ist natürlich ordentlich Schmackes hinter, so dass man vor allem die großen Bestien damit attackieren sollte. Das sorgt zu Beginn für spannende Duelle zwischen David und Goliath, zumal dabei manchmal die ganze Umgebung in ein Schlachtfeld verwandelt wird. Aber man gewöhnt sich zu schnell an diese Angriffstaktik: Hat man den Wurf einmal raus, sind die Sumpfmonster schnell Geschichte.

Mit der Zeit erlernt Cole weitere Fähigkeiten, die ihm mehr Präzision mit den Blitzen, eine schnellere Stromladezeit, Halt für seine Granaten oder die Entfesselung kleiner Tornados erlauben – eine der wenigen neuen, aber dafür umso spektakuläreren und zerstörerischen Fähigkeiten gegenüber dem Vorgänger. Und je nach moralischer Ausrichtung kommen entweder weitere Eismanöver oder Feuertalente hinzu. Erstere erhält man auf dem guten Weg im Sinne der Agentin Lucy Kuo; Letztere auf dem bösen Weg im Stile der Rebellin Nix, die am liebsten mit Öl und Bränden hantiert.

Fähigkeiten für Superhelden

Allerdings gewinnt man diese Zusätze nicht automatisch bei einem Aufstieg: Manchmal werden sie nur freigeschaltet und man muss zunächst diverse Aktionen wie Töte-zehn-Feinde-per-Kopfschuss oder Töte-zehn-Feinde-an-einer-Mauer-hängend erledigen, um sie letztlich kaufen zu können – das sorgt natürlich dafür, dass man sich mit seinen

Troptz teilweise toller Kulisse kann der Nachfolger auf lange Sicht nicht begeistern.
Trotz teilweise toller Kulisse kann der Nachfolger auf lange Sicht nicht begeistern.
martialischen und akrobatischen Möglichkeiten auseinander setzen muss. Trotzdem ist das System zu Beginn etwas verwirrend und es dürfte einige Spieler geben, die dem Zwang zur Akrobatik nicht folgen wollen oder können und dann an der Wurzel einer Fähigkeit stecken bleiben. Vielleicht wäre die freie Entwicklung die bessere Variante gewesen.

Die KI hinterlässt ein durchwachsenes Bild. Auf der einen Seite sucht die einfache Miliz brav Deckung, rückt bei eigener Passivität schon mal forsch voran und feuert gefährlich aus der Distanz – vor allem die Granaten sind für Cole gefährlich und manche pirschen sich hinter einem Schild versteckt heran. Auf der anderen Seite kann man viele bizarre bis dämliche Situationen erleben, in der der KI schrecklich unkoordiniert agiert. Man erlebt vom gnadenlosen Sturmangriff bis zum suizidalen Tontaubenschießen sowohl Licht als auch Schatten. Das ist bei einer offenen Spielwelt verschmerzbar, zumal die Feinde angenehm variieren: Es tauchen monströse Kreaturen aus den Sümpfen auf, die vom bissigen oder explosiven Verfolger bis hin zum mächtigen Anführer reichen – gerade diese Minibosskämpfe sind unterhaltsam. Später gesellen sich schlagfertige Gangs und Söldner hinzu, die es auch mal eisig krachen lassen, aber dafür eher zähe Auseinandersetzungen nach sich ziehen. Je mehr man als Superheld drauf hat, desto weniger wird man von einfachen Feinden beeindruckt und desto eher langweilen die konventionellen Gefechte.

Fazit

Sucker Punch gehört eigentlich zu meinen Lieblingsentwicklern. Aber sie haben den Esprit der frühen Plattformtage scheinbar verloren und sich mit diesem Nachfolger ganz der brachialen Action verschrieben. Das ist nicht per se schlecht, sieht im Gegenteil sogar klasse aus und man brutzelt elektrostatisch ganze Feindmobs weg - zur Not schmeißt man auch mal ein Auto auf Riesenmonster. Aber es mangelt dem Abenteuer erstens an akrobatischer sowie inhaltlicher Abwechslung und zweitens hat es sich hinsichtlich des Moralsystems, der Gebietseroberung und der Bevölkerungsreaktionen kaum entwickelt – im Gegenteil: Es gibt Rückschritte. Und jetzt gehen einem auch noch zwei moralische Touristenführer aus der Lindenstraße der Archetypen auf die Nerven, damit man klar zwischen Gut und Böse trennen kann. Die Inszenierung von Story, Dialogen und Charakteren wirkt gerade im Vergleich zur mitunter spektakulären Kulisse schrecklich primitiv und uninspiriert. Der Einstieg ist noch grandios, zwischendurch funkt es des Öfteren actionreich, aber über weite Strecken spielt sich inFamous 2 gerade für Kenner des Vorgängers wie ein hübscheres, explosiveres, aber auch monotoneres und flacheres Déjà-vu in den versumpften Südstaaten.

Pro

brachiale Actionszenen
spektakulärer Einstieg
coole Gleitsituationen über der Stadt
große offene Spielwelt mit Sammelreizen
Moral wirkt sich aus (Kampf, Dialoge)
Gebietseroberung möglich
dynamischer Nah- und Fernkampf
viele Waffensysteme und Feindtypen
gut oder böse spielbar; zwei Enden
Spielstände & Karma importieren
Leveleditor für eigene Missionen
Levels der Community runterladen

Kontra

schwache Story
Moralsystem ohne Grauzonen
Kameraprobleme im Nahkampf
zu viele stupide Nebenmissionen
zu viel Action, zu wenig Akrobatik
primitives Klettersystem mit Haftproblemen
schwache Mimik & Nebenfiguren
fade deutsche Lokalisierung
einige Clipping
& Kollisionsfehler

Wertung

PlayStation3

Hübscher und brachialer als der Vorgänger, aber auch flacher und monotoner.

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