Red Johnson's Chronicles29.04.2011, Jörg Luibl
Red Johnson's Chronicles

Im Test:

Die Franzosen von Lexis Numérique haben einige interessante Adventures entwickelt: Der interaktive Krimi „In Memoriam“  konnte zwar nicht in allen Bereichen begeistern, aber überzeugte mit seiner Idee, die Online-Recherche einzubinden. Auch "Metropolis Crimes" für den DS hatte gute Ansätze, aber erst das ebenso intensive wie innovative „Experience 112“ sorgte für richtig gute Unterhaltung. Jetzt gibt es ein exklusives Rätselabenteuer für das PlayStation Network, das an L.A. Noire erinnert. Was verbirgt sich hinter satten 1,5 Gigabyte für knapp zehn Euro?

Ermittlungen in düsterer Stadt

Ein Schuss in der Nacht, ein Toter im Kanal und eine korrupte Polizei – das ist in der fiktiven Stadt Metropolis nichts Neues, die mit ihren düsteren Gassen, verschrobenen Charakteren und einigen Schwarzweiß-Szenen einen Hauch von Film noir versprüht. Und weil die Zahl der Verbrechen steigt, boomt auch das Geschäft für  außerstaatliche Ermittlungen. In der Rolle des Privatdetektivs Red soll man einen dieser vielen Mordfälle aufklären. Der Bursche trägt rotes Haar, klopft (manchmal etwas zu aufgesetzte) coole Sprüche und lässt auch mal den Haudegen raushängen, wenn es handfest zur Sache geht.

Ja, richtig gehört: Dieses Abenteuer verbindet klassische Point&Click-Tugenden wie das beschauliche Sammeln und Analysieren von Hinweisen mit Spannung in Echtzeit, denn es kann immer mal zu Überfällen oder unverhofften Ereignissen kommen, die eine eher solide als besonders packende Krimistory würzen. Diese werden in mehrstufigen Reaktionstests inszeniert – dann muss Red rechtzeitig einen Knopf oder den Analogstick drücken, um z.B. einem Schlag auszuweichen oder selbst zuzuschlagen. Das bringt etwas Schwung in die statischen Ermittlungen, denn man bewegt sich nicht aktiv durch die Stadt, sondern klickt sich von Schauplatz zu Schauplatz.

Ein Haudegen ermittelt

Wo ist der Fingerabdruck?
Wo ist der Fingerabdruck? Im Büro analysiert man Gegenstände.

Trotz der sporadischen Action besteht kein Grund zur Bange für Ermittler alter Schule, denn im Zentrum stehen Dialoge mit immer mehr Verdächtigen bzw. zeugen und vor allem kreative Rätsel. Zu Beginn erinnert vieles an klassische  Adventures: Man sucht die stimmungsvoll illustrierten Orte mit einem kreisrunden, angenehm großen Cursor nach Hinweisen ab. Hat man etwas gefunden, kann man sich den Gegenstand  näher ansehen oder zu einem anderen Ort wechseln – dann schwenkt die Kamera stilvoll in eine Gasse, unter eine Brücke oder an einen anderen Schauplatz. Manchmal muss man auch erst dafür sorgen, dass jemand einen Ort verlässt, damit man selbst dort recherchieren kann. Wie kann man sie ablenken?

Wer Adventures kennt und vielleicht auch das ähnliche Metropolis Crime auf dem DS gespielt hat, wird in vielen Situationen wie diesen ein Déjà-vu erleben. Allerdings haben die Entwickler dazu gelernt und gehen erfrischend offene Wege, anstatt einen linear von einem zum nächsten Rätsel zuschicken: Man kann sich den nächsten Ermittlungsort auf der Stadtkarte aussuchen. Das Schöne an den Rätseln ist aber auch die Abwechslung sowie der fließende Wechsel von Recherche, Gesprächen, Aktionen und Knobelei – es kommt quasi nie Langeweile auf, weil es immer etwas anderes zu tun oder Neues zu sehen gibt. Es gibt nicht nur klassische Puzzles und Logikspiele, in denen man z.B. einen Alarm ausschalten, Verbindungen für Stromkreise herstellen oder durcheinander gewürfelte Mosaiksteine passend verschieben muss. Manchmal gilt es auch, Informationsfetzen zu kombinieren: Die Notiz auf einer Streichholzschachtel weist auf eine Frau hin, deren Telefonnummer in einem chaotischen Notizbuch voller Kontakte verborgen ist. Und auch eine gute Erinnerungsgabe ist gefragt, wenn man ähnlich wie in Nine Hours in mal recht simplen, aber auch einigen knackigeren Tests über das Vergangene rekapitulieren muss.

Recherche am 3D-Objekt

Wie in einem Point&Click-Adventure sucht man Schauplätze ab.
Wie in einem Point&Click-Adventure sucht man Schauplätze ab.
Das Highlight der Ermittlungen ist allerdings die 3D-Recherche an Objekten. Man kann sehr detailliert designte Apparate wie defekte Kameras, Spieluhren, Voodoo-Kisten oder Zeitungs-Automaten über den Analogstick drehen, wenden oder näher ranzoomen, um versteckte Informationen, Gegenstände, Knöpfe, Schalter oder Klappen zu finden, die sich dann öffnen – das wird sehr gut inszeniert und animiert zum ausgiebigen Stöbern, zumal manchmal erst der optimale Blickwinkel die Sicht auf eine fehlende Zahl oder einen Mechanismus frei gibt. Manchmal muss man auch ganz simpel, aber aktiv über den Analogstick Schrauben aus ihren Halterungen drehen.

Auch die Dialoge mit den skurrilen Figuren von der bissigen Witwe Theresa bis hin zum kauzigen Ringo sind wie Rätsel gestaltet, an denen man scheitern kann: Manchmal gilt es, die optimalen Fragen oder Antworten innerhalb der Multiple-Choice-Gespräche gegen die tickende Uhr zu finden, um die Personen zum Reden zu bringen oder ihnen Hinweise zu entlocken. Dazu muss man sich ähnlich wie in L.A. Noire ein wenig in sie hinein versetzen, hier etwas schmeicheln, da etwas drohen – es kann auch ein Game Over geben, wenn man sich zu plump verhält, so dass man sehr aufmerksam die Texte liest. Zwar ist die englische Sprachausgabe nicht immer lippensynchron und die Mimik weit weg von großen Abenteuern der Marke Heavy Rain, aber das Figurendesign ist durchaus sehenswert.

Wer spickt, verliert Punkte!

Ab und zu muss man in Reaktionstests gute Reflexe zeigen.
Ab und zu muss man in Reaktionstests gute Reflexe zeigen.
Egal ob Reaktionstest, Dialog oder Rätsel: Alle Herausforderungen werden umgehend bewertet und entweder als gelöst oder gescheitert markiert. Das fühlt sich in der Inszenierung zunächst etwas zu arcadig an, aber steigert auf Dauer die Motivation, weil man sich auf jede Situation konzentriert. Denn je schneller (Zeit für den Versuch) und direkter (Zahl der Versuche) man etwas löst, desto mehr Punkte und bessere Noten bekommt man. Wenn man irgendwo fest steckt, kann man sich zwar à la Prof. Layton Hinweise in mehreren Stufen (von leicht angedeutet bis offensichtlich) kaufen, aber auch die verringern die Punktzahl – ein gutes System, das in Form des alten Kumpels Saul vielleicht etwas zu theatralisch personalisiert wird.

Im Laufe der Zeit gibt es immer mehr Örtlichkeiten, die man von seinem Büro aus direkt ansteuern kann. Dort kann man in Ruhe die Akten mit den Personen durchgehen (auch das kann bei einem Rätsel helfen!), Fingerabdrücke suchen oder Indizien näher anschauen: Ein Apparat analysiert  Gegenstände oder Fotos nicht nur auf ihre allgemeine Beschaffenheit, sondern kann auch Vergleiche vornehmen, um Gemeinsamkeiten zu finden. Ist der Mann auf dem Bild auch der, den man im Zeitungsausschnitt erkennt? Wurde die Kugel aus der Pistole abgefeuert?

Fazit

Weht hier etwa ein Hauch von L.A. Noire für knapp zehn Euro? Ab und zu. Ich hätte jedenfalls nicht gedacht, dass dieses Adventure mehr als ein eleganter Grafikblender ist, denn das ähnliche "Metropolis Crimes" aus gleichem Hause konnte nicht begeistern. Aber die Franzosen demonstrieren nach "Experience 112" mal wieder ein Händchen für originelle und abwechslungsreiche Rätselabenteuer: Man muss sich seine Antworten in den Gesprächen mit verschrobenen Charakteren gut überlegen, muss Intuition beweisen und vor allem die Recherche an den detaillierten 3D-Objekten mit all den versteckten Hinweisen weckt die Stöberinstinkte. Sowohl die sporadischen Reaktionstests als auch das direkte Bewertungssystem sorgen zudem dafür, dass man sich auf jede Situation konzentriert -  egal ob Suche, Dialog oder Puzzle. Allerdings nerven einige Charaktere, der Held wirkt aufgesetzt cool, wird dazu schrecklich gesprochen und ein großer Schwachpunkt ist die vorhersehbare, leider kaum entfaltete Story. Trotz stilvoll inszenierter Ermittlungen versprüht sie den oberflächlichen Charme eines Wimmelbild-Krimis. Trotzdem kommt über sechs Stunden kaum Langeweile während der Ermittlungen auf, zumal man im Gegensatz zu vielen gewöhnlichen Adventures auch relativ frei knobeln darf.

Pro

stimmungsvolles Artdesign
nicht-lineare Struktur mit Hauptquartier
sehr gute Recherche an 3D-Objekten
einige verschrobene, zynische Charaktere
gutes Dialogsystem verlangt etwas Intuition
abwechslungsreiche Rätsel
etwa sechs Stunden Spielzeit
gutes Bewertungssystem
toll designte Hintergründe
jederzeit speicherbar

Kontra

recht kleine Gebiete & wenig Charaktere
vorhersehbare, kaum vorhandene Story
einige Charaktere nerven (hallo Saul)
schrecklicher Sprecher für Protagonist Red
wenig Figuren-Animationen

Wertung

PlayStation3

Abwechslungsreiche Rätsel, Film noir-Atmosphäre, nicht-lineare Struktur - leider fehlt eine Story und manche Charaktere nerven.

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