Vorschau:
Neues Team, neues Grauen?
Silent Hill 4: The Room hat uns anno 2004 enttäuscht. Von der großen Kunst des japanischen Gruselns, die mit Silent Hill 2 auf der PlayStation 2 ihren Höhepunkt erreichte, war nicht mehr viel zu spüren. Kein Wunder also, dass Konami für diesen fünften Teil die Reißleine zog und das Entwicklerteam wechselte. Die Jungs von The Collective, die bisher eher unspektakuläre Spiele wie Buffy gemacht haben, überzeugten scheinbar mit ihrem Konzept: Sie wollen zum einen zurück zu den erfolgreichen Wurzeln der Serie, die in der beklemmenden Atmsophäre und der bizarren Story liegen. Zum anderen wollen sie einen der traditionellen Kritikpunkte der Spielmechanik, das sperrige Kampfsystem, endlich moderniseren: Es soll freier, taktischer und anspruchsvoller zur Sache gehen. Ihr schlüpft in die Rolle des Kriegsveteranen Alex Shephard. Taschenlampe und rauschendes Radio feiern ihr Comeback. (360)
Mit dieser Erwartungshaltung im Rücken sitze ich in einem Frankfurter Keller, setze die Kopfhörer auf und tauche freiwillig in das "Alchemilla Krankenhaus" für psychisch Kranke ab. Nach wenigen Sekunden liege ich gefesselt im Alptraum von Alex Shephard, der sich nicht erklären kann, wie er an diesen grauenvollen Ort geraten ist. Er ist verzweifelt. Er fragt nach. Er bekommt keine Antworten. Er ist an ein Bett geschnallt, wird wie ein Toter von einem Pfleger mit Blut bespritztem Kittel durch düstere Gänge gerollt. Irgendwo in einer Art OP hält der Mann an und verschwindet hinter einer Doppeltür. Doch als die ihre Flügel öffnet, frisst sich eine meterlange Klaue in seinen Bauch, bevor ihn irgendetwas nicht Erkennbares aufschlitzt...
Ein bizarrer Alptraum
...der X-Knopf des PS3-Pads blinkt am Bildschirm, ich hämmer wie wild drauf und kann so meine Lederfesseln losreißen. Was war das für ein Ungeheuer? Wo bin ich überhaupt? Kaum auf den Beinen, knipse ich meine Taschenlampe an und bewege mich vorsichtig Richtung Tür. Ich öffne sie. Ist das Vieh noch da? Nein, aber eine frische Blutspur zieht sich den kompletten Gang entlang. Was zur Hölle ist hier los? Und wieso rauscht mein Radio so komisch? Mit dem rechten Stick kann ich mich frei umschauen, ein Druck auf ihn versetzt mich zur genaueren Beobachtung in die Egosicht - bewegen kann ich mich so allerdings nicht.
Dafür gibt es neue kontextsensitive Manöver: An bestimmten Stellen kann ich mich auf Knopfdruck durch enge Schlitze zwängen, durch Gänge kriechen oder über hüfthohe Hindernisse springen. Leider geht das nur da, wo die Entwickler das vorgesehen haben, so dass man manchmal selbst an kniehohen Mauern nicht vorbei kommt. Auch die Physik scheint bisher nur Zierde zu sein: Obwohl ich hier und da in Stühle, Kisten und Apparate laufe, die sich dann geräuschvoll bewegen, kommen scheinbar keine Rätsel auf diese Weise ins Spiel. Auch laufende Fernseher oder manches frei stehende Bett kann man nicht bewegen. Dafür sollen die Gegner genau so auf diese tölpelhaften Zusammenstöße reagieren wie auf Licht. Schaltet man die Lampe aus, sollen sie stehen bleiben. Aber bisher hab ich keine weiteren Monster gesehen.
Waffen? Hab ich noch nicht. Verbandskasten? Auch noch nicht. Toll, überall liegen verstümmelte Leichen herum, ich höre seltsame Schreie und eine monströse Kreatur schleicht durch die Gänge. Wie soll ich das überleben? Aber ich finde eine Karte des Krankenhauses, die sofort in meinem Tagebuch archiviert wird. Sobald ich eine Tür nicht öffnen kann, wird diese durchgestrichen - immerhin. Von diesem Monster ist weit und breit nichts zu sehen, aber die Geräusche machen mich wahnsinnig: Immer wieder Schreie. Dann dieses Dröhnen. Und dieses blecherne Hallen. Als wäre man unter Wasser, während sich eine riesige Schiffsschraube in den Meeresboden bohrt. Die Akustik aus der Geräuscheschmiede von Akira Yamaoka erinnert angenehm an alte Zeiten. Plötzlich höre ich ein Kind rufen...
Der verlorene Bruder
Was zur Hölle macht mein kleiner Bruder hier? Joshua sitzt in einer Zelle und malt. Ich komme nicht rein, kann dem Jungen nicht helfen - die Tür ist mit einem sechsstelligen Code verschlüsselt. Aber ich kann mit ihm sprechen, habe zwei Fragen zur Auswahl. Er scheint abwesend, kritzelt irgendwas auf den Boden. Also suche ich das irre Krankenhaus weiter ab. Als ich in einen Untersuchungsraum komme, entdecke ich drei eingeritzte Zahlen auf einem Röntgenbild - das ist der erste Teil! Ich durchstöber weiter die ekelhaften Räume, finde grauenvolle Akten, die von Behandlungen mit Elektroschocks sprechen und dann endlich den zweiten Teil des Codes. Ich renne zurück zu Joshua. Endlich kann ich ihn befreien. Vom Monster ist keine Spur. Ich atme auf. Doch bevor ich die Zelle erreiche, sürzt plötzlich ein verstümmelter Toter durch die Decke, baumelt mit seinem halben Körper vor meinem Gesicht - das ist der erste richtige Schockmoment! Irgendwann wechselt die Kulisse von Schwarzgrau in Rotbraun - zusammen mit den Farbtönen verändert sich auch die Stimmung. (360)
Als ich Joshuas Zelle erreiche und den Code eintippe, flieht er. Ich renne hinterher. Was ist jetzt los? Er will sein Spielzeug haben? Einen "Robby"? Das Rauschen in meinem Radio wird lauter! Irgendwas kratzt und hallt sich in mein Ohr. Plötzlich verändert sich die Luft. Aus dem trüben grauschwarzen Einerlei wird eine rotbraunes Kulisse, seltsame Ranken ziehen sich an Wänden hoch und die ganze Szene scheint leicht zu glühen. Kleine rote Narben hacken sich in meine Sicht, das Gefühl der Bedrohung steigt. Und als ich in einem Nebenraum ein Kampfmesser finde, ist klar, was gleich kommt. Ein kurzes Tutorial klärt auf: Es gibt schnelle und wuchtige Hiebe, die man bei gedrücktem Knopf noch aufladen kann - außerdem kann man über den Kreis-Button ausweichen, Kombos einleiten und mit Todeshieben Kämpfe spektakulär beenden. Auf dem zweiten Friedhofslevel begegnen uns Zombiehunde und diese Kreaturen. Vorsicht: Sie reagieren auf Licht! Wer im Dunkeln bleibt, kann ohne Kampf an ihnen vorbei kommen... (PS3)
Todeskampf & Hasensuche
Kaum verinnerlicht, tauchen auch schon die ersten vollbusigen, aber irre verrenkt schlurfenden Krankenschwester heran: Auf L2-Druck fixiere ich eine, haue zwei mal mit leichten Hieben zu und setze dann einen schweren - der betäubt die Horrorlady kurz, so dass ich ihr den Rest geben kann. Einem Angriff von links kann ich auf Knopfdruck elegant ausweichen, einem von rechts nicht; meine Lebenspunkteleiste schrumpft. Aber der Kampf wird pausiert, als sich das Menü aufrufe und mir einen Heiltrank genehmige. So kann ich die beiden restlichen Schwestern relativ leicht besiegen. Das Kampfsystem erfüllt seinen Zweck: Es ist freier als zuvor, es ist leicht zu bedienen, bietet taktisch Möglichkeiten, aber scheint weit weniger anspruchsvoll als etwa im zweiten Condemned zu sein.
Was ist mit Alex' Heimatstadt passiert? Überall hängen Vermisstenanzeigen, alle Straßen sind blockiert, seltsame Abgründe umzingeln die Ausfahrten. (PS3) |
Aber die Erleichterung hält nicht lange vor. Denn als Alex seine Heimatstadt erkundet, erkennt er sie nicht wieder: Seltsame Abgründe versperren die Ausfahrtstraßen, viele Menschen werden vermisst, der Bürgermeister gräbt Tote aus. Was ist da los? Jacks Suche beginnt auf dem städtischen Friedhof, wo seltsame Hunde schon am Fleisch der Toten nagen...
Ausblick
Zurück zu den Wurzeln - das ist das Ziel für diese fünfte Reise in die grauenvolle Welt von Silent Hill. Kann das neue Entwicklerteam tatsächlich neue Akzente setzen und gleichzeitig das alte Flair beschwören? Die Tendenz stimmt. Ich habe etwas mehr als zwei Stunden mit der PS3- und Xbox 360-Version verbracht und bin einerseits hoch erfreut. Nicht nur, dass Taschenlampe und Radio ihr Comeback feiern, auch der jetzt schon spürbare Fokus auf mehr Erkundung, Rätselei und weniger Action ist lobenswert. Außerdem bricht das neue Kampfsystem mit seiner Dynamik aus Kontern und Kombos mit der starren Tradition der Reihe. Es kommt zwar nicht an die Komplexität des zweiten Condemned heran, aber dieses Silent Hill spielt sich in den Duellen wesentlich besser als die Vorgänger. Allerdings sind mir die Kämpfe noch einen Tick zu leicht und letztlich nicht so wichtig wie Spielwelt, Story und Atmosphäre. Letztere scheint durch die geniale Geräuschkulisse aus der Akustikschmiede von Akira Yamaoka sowie die grafischen Stimmungswechsel technisch gewährleistet zu sein. Die Umgebung wirkt für mich trotz physikalischer Spielereien allerdings noch zu statisch - manchmal darf ich hüfthohe Hindernisse überspringen, manchmal nicht. Und irgendwie will sich trotz der in Ansätzen lobenswerten Dramaturgie, die lange Ruhephasen plötzlich mit Schockmomenten durchbricht, noch keine all zu große Homecoming-Euphorie einstellen. Für mich war der zweite Teil der Meilenstein der Serie. Und da gefiel mir insbesondere die depressiv-melancholische Stimmung, die den Protagonisten von Anfang an begleitete. Noch konnte mich der Kriegsveteran Jack Shephard trotz der Brudersuche nicht so intensiv berühren. Er spricht mir zu wenig, obwohl sich z.B. innere Monologe anbieten würden, er zeigt zu wenig Emotionen, bleibt als Charakter zu Beginn relativ blass. Und die erste Begegnung mit seiner Frau (?) in einer trostlosen Stadt wurde sehr schwach inszeniert. Aber bis September ist noch Zeit. Noch habe ich auch erst zwei Levels gesehen. Da ist noch Luft nach oben, wenn die Regie anzieht und sowohl Rätsel als auch Handlungsrahmen halten, was sie in Ansätzen versprechen.
Ersteindruck: gut
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