Das neo-viktorianische Korsett
Ist das ein Kernproblem für das Spieldesign? Nein! Denn gerade ohne eine offene Welt, kann man packende Abenteuer inszenieren, die sich auf das Wesentliche konzentrieren und zumindest im Ansatz noch eine Freiheit suggerieren - siehe
Dishonored,
Styx,
Uncharted oder
The Last of Us. Aber Ready at Dawn schnürt nicht nur ein sehr enges Korsett mit seinem Leveldesign, sondern füllt es auch noch mit zu vielen halb automatisierten und teilweise sinnlosen Aktionen, so dass einem zu oft nicht vor Spannung, sondern vor Anspruchslosigkeit die Luft wegbleibt. Es tut richtig weh zu sehen, wie wenig Ready at Dawn spielerisch aus der hohen Produktionsqualität macht.
…was hat es mit Rebellen, Werwölfen & Jack the Ripper auf sich?
Ich habe nichts gegen Reaktionstests hier und Knöpfchen drücken da. Aber warum muss es so banal sein? Warum muss ich zig Mal eine blöde Kutsche mit Partner wegschieben? Warum drücke ich mich so oft durch Nischen? Warum darf ich nicht mal selbst entscheiden, welche Tür ich aufbreche und wo ich kurzschließe? Warum inszeniert ihr Klettern und Springen so simpel, dass selbst
Assassin's Creed dagegen wie eSport wirkt? Lasst doch diese Pseudo-Akrobatik ganz weg! Und warum lasst ihr mich gefühlte hundert mal all diese Gegenstände untersuchen, ohne dass es was bringt? Selbst die ersten
Resident Evil haben das besser genutzt!
Tolle Fundstücke, aber kein Sinn
Die Inszenierung ist filmreif: Tolle Schnitte, lebendige Mimik…
Es ist theoretisch eine tolle Idee, dass man Dosen, Puppen, Feuerzeuge, Statuen & Co direkt in der Hand drehen und begutachten kann – das fühlt sich fast an wie in
The Room auf dem iPad. Briefe und Fotos kann man sogar auf Knopfdruck umdrehen, damit die Rückseite lesbar wird. Da findet man viele handschriftliche Notizen. Nur das Zoomen vermisst man bei den sehr kleinen Buchstaben. Aber was macht Ready at Dawn praktisch daraus? Nichts! Hier sind weder Rätsel noch geheime Mechaniken, wichtige Codes oder Namen verborgen, obwohl all dies durchaus in die konspirative Geschichte gepasst hätte. Stattdessen springt mal die Sicherung einer Waffe raus...
Warum bindet man die Fundstücke nicht zumindest erzählerisch so ein, dass Sir Galahad seine Gedanken dazu äußert und man mehr über die Spielwelt erfährt? Ja, manchmal sagt er was. Aber meist findet man einen Gegenstand, dreht
…und endlich mal keine dummen 90-60-90-Babes, sondern Frauen als starke Charaktere.
oder wendet ihn endlos und der Ritter bleibt stumm. Hier fühlt man sich regelrecht veräppelt. Und was bringt mir der Fotorealismus, wenn er keine Anbindung an das Spielgeschehen hat? So wirken viele Fundstücke wie überflüssige Fremdkörper. Das aktive Storytelling wird sogar nach draußen verlagert, also raus ins Menü - ein großer Fehler! Man kann einige Dosen mit Tonbandfunktion finden, die man sich dann außerhalb der Spielwelt anhören soll. Erstens: Das reißt mich natürlich aus der Szene, also aus dem Erlebnis. Zweitens: Das Anhören bringt mir was? Nichts! Warum kann man diese Anekdoten nicht einmal sinnvoll in die nächste Mission oder Geschichte integrieren?
Das Tragische ist: Auf der einen Seite hält sich The Order so angenehm zurück in der Visualisierung. Hier wird man nicht von glitzerndem Sammelkram zugemüllt, hier sorgt die Regie nach der Action immer wieder für dezente Ruhephasen. Aber gerade diese werden dann nicht von nützlichen Entdeckungen für spätere Waffen, coolen Rätseln und nur ganz selten von sinnvollem Storytelling gefüllt, sondern von wirklich banalen Pseudoaktionen, die man gleich hätte weglassen können. Wie kann man eine dermaßen hohe Produktionsqualität auf der einen und so billiges Spieldesign auf der anderen Seite kombinieren? Ist Sony sich nicht bewusst, dass die Qualitätsunterschiede im Zeitalter von The Last of Us einfach offensichtlich sind? Denn das hier ist weder ein Fisch noch Fleisch, weder ein Filmspiel à la
Heavy Rain mit Reaktionstests und Entscheidungen noch ein Actionfest mit rauchenden Colts. Es ist nichts Halbes und nichts Ganzes.