SOMA02.10.2015, Jörg Luibl
SOMA

Im Test: Zwischen Mensch und Maschine

Frictional Games ist eine der besten europäischen Adressen, wenn es um gepflegten Grusel und düstere Geschichten geht. Nach Amnesia: Dark Descent sowie A Machine for Pigs entführen die Schweden mit SOMA in ein futuristisches Abenteuer, das Survival-Horror für Schleicher und Erkunder inszeniert, dabei viele Fragen aufwirft und zum Nachdenken anregt. Was ist eigentlich Leben? Kann eine Maschine menschlich sein? Ob das Spiel auf PC und PS4 überzeugt, klärt der Test.

"Warum? Ich war so glücklich."

Als ich den Stecker ziehe, kreischt die Maschine. Kurz bevor ihre Lichter ausgehen, fragt sie: "Warum? Ich war so glücklich." Als ob die düsteren Flure nicht reichen würden, schleicht sich jetzt auch noch das schlechte Gewissen an. Habe ich gerade etwa einen Menschen getötet? Das kann nicht sein! Schließlich sieht diese Kreatur mit all den Kabeln, Dioden und Metallteilen doch aus wie ein bizarrer Roboter. Aber warum hat er dann wie ein Mensch gesprochen? Und scheinbar auch gefühlt?

Das Abenteuer beginnt ganz gewöhnlich in der Gegenwart, in der Wohnung des kanadischen Protagonisten Simon. (PC)
SOMA spielt diese Begegnungen so ruhig aus, dass der ebenso schaurige wie bizarre Anblick langsam wirken kann und man ein Verhältnis zu den Maschinenwesen aufbaut, die wie verletzte Tiere in Ecken kauern oder in der Ferne jammern. Sie bitten sogar darum, dass man sie heilen, ihnen helfen und sie leben lassen soll. Wenn man dann irgendwann die Stromzufuhr unterbricht, schreien sie vor Qual. Man kann den Hebel dann wieder zurückziehen, sich entschuldigen und ihnen Fragen stellen.

Die freie Wahl hat man hier leider nicht. Es gibt in diesen Dialogen kein Multiple-Choice, sondern automatische lineare Gespräche. Auch wenn SOMA das eigene Schauspiel sowie Handeln nicht zulässt, es also keine unterschiedlichen Konsequenzen gibt, ist das Abenteuer in diesen Momenten mit den hilflos

Eigentlich will er sich nur einem harmlosen Experiment unterziehen, aber... (PC)
anmutenden Maschinenwesen künstlerisch und dramaturgisch stark. Und es spuken natürlich zig Fragen im Kopf, wenn man diese Welt weiter erkundet.

Schockieren und philosophieren

Ich werde an dieser Stelle keine Antworten geben, aber Frictional Games hat welche parat, lässt also nichts im Diffusen wabern und erzählt eine sehr interessante Geschichte mit klaren Ursachen und Wirkungen auf mehreren Ebenen: Es gibt Notizen, Dialoge, E-Mails, Audiologs und Datenbanken. Die englische Sprachausgabe ist gut, dazu gibt es sauber übersetzte deutsche Untertitel. Man fühlt sich fast ein wenig an Deus Ex erinnert, wenn man in Computern stöbert und versucht, das Puzzle um einen herum zu ordnen. Man wird nicht nur zum Nachdenken angeregt, weil es um die Frage der Menschlichkeit geht, es gibt

...da geht etwas gewaltig schief. Wo ist er gelandet? Was sind das für Maschinenwesen? (PC)
auch köstliche Gesellschaftskritik - freut euch auf die Multiple-Choice-Umfrage an einem der Computer.

Im Einstieg wird man noch behutsam von der Story geködert, als das Leben des kanadischen Protagonisten Simon erste tragische Narben offenbart. Während man sein Apartment in Egosicht untersucht, sich darüber freut, dass man Bücher und Zettel komplett drehen und vielleicht Notizen finden kann, wird klar, dass er einen Autounfall hatte. Seitdem hat er einige Probleme und will sich einem harmlosen Gehirnexperiment unterziehen. Danach lässt die Regie das Unheimliche langsam einsickern, obwohl man spielerisch im Einstieg kaum etwas tun kann: Man fährt mit der U-Bahn ganz gewöhnlich zu diesem Termin, telefoniert noch mit einem Kumpel, kommt aber an einem seltsam verlassenen Büro an, muss eine Tür per Code öffnen, findet aber letztlich diesen Wissenschaftler, setzt sich in den Stuhl - und dann geht etwas gewaltig schief.

Klassische Schockmomente

Als Simon aufwacht, befindet er sich scheinbar nicht mehr in dem Büro. Ist er überhaupt noch in der Gegenwart? Wie benommen wandert man durch eine futuristisch anmutende, aber verlassen wirkende Anlage. Wem gehören all die Anzüge? Was sind das für ausrangierte Maschinen an Haken? Was tropft da pechschwarz von der Decke? Man kann sich in Egosicht bewegen, ducken und damit schleichen, ab und zu durch Tunnel kriechen, rennen oder Gegenstände aufnehmen, um sie auf Scheiben zu werfen - so gelangt man z.B. aus einem Raum. Recht früh findet man ein "Omnitool", mit dem man auf Terminals zugreifen und weitere Türen öffnen kann.

Schön: Man kann Notizen, Zeichnungen etc. aufnehmen und zum Untersuchen drehen. Schade: Die "Rätsel" sind sehr einfach. (PS4)
Dann wird es immer seltsamer: Wieso sind manche Wände und Türen aufgebrochen?  Was schepperte da hinten im Korridor? Berührt man bestimmte Objekte, verschwimmt die Szene und man bekommt eine Art Rückblick - plötzlich lauscht man Leuten, die hier früher gearbeitet haben Ist man verrückt oder ein Medium? So sammelt man jedenfalls Hinweis für Hinweis, um sich ein Bild von der bizarren Lage zu machen. Und die ist überaus schaurig, denn man ist umgeben von Maschinenwesen, die nicht nur wehklagen, sondern auch jagen - und zwar Menschen. Hier klopft der Survival-Horror an die Tür, dem es auf lange Sicht aber an spielerischer Abwechslung fehlt.

Verstecken und erkunden

Ein Mensch mit einer Maschine verbunden? Was ist hier geschehen?
Zunächst lässt Alien: Isolation in den Schleich- und Schockmomenten grüßen: Da man keine Waffe hat, muss man sich leise bewegen und verstecken, aus Nischen heraus lugen und kann unterwegs auch Türen, Luken oder Gatter schließen, um den Maschinenwesen in letzter Sekunde zu entkommen. Die sind allerdings nicht so aufmerksam wie das berühmte Alien und leichter auszutricksen, so dass die Angst im Nacken hier schneller verwschwindet - es gibt später auch einiges an Leerlauf, wenn man die Außenareale erkundet. Immerhin gibt es einige Arten von Gegnern, die einen nicht nur aufgrund ihrer grotesken Gestalt erschrecken, sondern auch stärker fordern, weil sie z.B. auch aus der Distanz mit mentalen Schlägen attackieren.

Ärgerlich ist, dass das manchmal auch aufgrund fehlender Möglichkeiten auf Trial & Error hinausläuft - man hat zu wenig bis gar keine Mittel, um die Kreaturen akustisch oder optisch abzulenken, geschweige denn sie zumindest kurzfristig aufzuhalten; schade, dass man da keine weitere Ausrüstung oder Fähigkeiten gewinnt, denn so bleibt es beim Schleichen und Wegrennen mit Taschenlampe. Auch die vielen Gegenstände kann man kaum sinnvoll einsetzen.

Das Omnitool ist auf den ersten Blick cool, aber zu selten kreativ einsetzbar und kaum entwickelbar.
Wird man erwischt, ist man noch nicht sofort tot, aber die Kulisse verschwimmt ein wenig, man ist langsamer und hat dabei fast das Gefühl, zu halluzinieren - in diesem Zustand ist man kaum in der Lage auszuweichen, so dass es auch mal zu frustrierenden Begegnungen der zweiten Art kommt, bevor man endgültig stirbt. Man kann sich nur an blau leuchtenden Apparaturen heilen, indem man seine Hand in diese halb organisch, halb metallisch wirkenden Muscheln steckt. Ob man sich dadurch auch verändert? Warum hat man plötzlich blaue Punkte an den Händen? Einige der Verstörungseffekte und Wahrnehmungsprobleme erinnern angenehm an Eternal Darkness. Da wird also nicht nur im Intro die Schrift verzerrt - es folgen noch ganz andere Brüche.

Rätsel und Kombinationen

Es gibt viele Computer und Terminals, in denen man weitere Storyelemente finden oder Strom etc. aktivieren kann.
So stimmungsvoll und bedrohlich das Interieur der Anlagen und die Außenwelten inszeniert werden, vermisst man innerhalb der Aufgaben einfach den Anspruch - oder zumindest mal mehr Kombinationen in der Recherche. Meist geht es nur darum, den passenden Code einzugeben, Hebel umzulegen oder Strom an- bzw. auszuschalten, um Datenbanken oder Zugänge zu öffnen. Das Leveldesign ist zudem sehr linear ausgelegt, so dass man selten alternative Wege einschlagen kann. Zwar ist es toll, dass man Passwörter & Co auch mal findet, indem man Zettel oder Visitenkarten dreht, aber das ist meist offensichtlich und die vielen anderen 3D-Objekte sind nutzlos - es gibt auch kein Inventar oder eine Werkbank, so dass man etwas kombinieren oder bauen könnte.

Lediglich das Omnitool lässt sich an bestimmten Stellen mit Chips aufrüsten, um andere Funktionen anzubieten. Allerdings lässt Frictional Games hier viel Potenzial liegen. Es ist nicht so vielseitig wie der Name klingt, zumal man es auch nicht so einsetzen kann, dass man z.B. weitere Fähigkeiten gewinnt oder den Charakter damit indirekt entwickelt. All das beschränkt SOMA spielmechanisch, aber auch ohne diese klassischen Aufrüstungsreize wird man über knapp zehn Stunden stets motiviert, weiter nach Antworten zu suchen.

Fazit

Frictional Games demonstriert mit SOMA hinsichtlich der Konzeption der Spielwelt, der Regie und des Storytellings seine Stärken. Obwohl die Schweden auf Sparflamme kochen, was Rätsel, Aufgaben oder die Entwicklung von Fähigkeiten angeht, zeigen sie vor allem in den Begegnung mit Maschinenwesen ihr dramaturgisches Können - das sind tolle, angenehm subtil inszenierte Momente. Allerdings erreichen sie im Spieldesign nicht die Klasse der Abenteuer, die sie zitieren: Die Schockmomente sowie das Verstecken wirken nur im Ansatz ähnlich intensiv wie etwa in Alien: Isolation, denn die Monster-KI ist recht überschaubar und die Schleichmechanik lässt mehr Finessen zur Ablenkung sowie taktische Möglichkeiten vermissen. Die Wahrnehmungs- und Verzerrungseffekte lassen Eternal Darkness durchscheinen und die Recherche an Computern sowie die Gesellschaftskritik sorgen für einen Hauch von Deus Ex. Aber letztlich gibt es keinen Freiraum für eigene Entscheidungen samt Konsequenzen und einiges an Leerlauf in der Erkundung, weil die meisten 3D-Objekte überflüssig und die Aufgaben nicht anspruchsvoll genug sind - etwas mehr Qualität und Kreativität in diesem Bereich hätte den Gold-Award gesichert. Das ist dennoch Kritik auf hohem Niveau, denn dieses Spiel bietet sehr stimmungsvollen Survival-Horror mit einigen emotionalen Momenten, der zum Nachdenken und Philosophieren über das Menschsein anregt. Ich freue mich auf weitere Abenteuer von Frictional Games!

Pro

interessante Geschichte, animiert zu philosophieren
Spieldesign setzt auf Erkundung und Schleichen
heikle Situationen zwischen Mensch und Maschine
Verstörungs- & Verzerrungseffekte à la Eternal Darkness
Storytelling über mehrere Ebenen (Dialoge, Notizen, Audio, Gedanken...)
stimmungsvolles SciFi-Artdesign, sehr detailliertes Interieur
3D-Gegenstände drehen und untersuchen
tolle Schreckmomente à la Alien: Isolation
cool designte, bizarre Maschinenwesen
kleine Code-, Türen- und Schalterrätsel

Kontra

Omnitool zu selten nützlich, wird kaum entwickelt
meist relativ simple Rätsel & Aufgaben
wenig taktische Möglichkeiten beim Schleichen
viele überflüssige 3D-Gegenstände
lange Ladephasen (PS4)
sporadische Ruckler (PS4)

Wertung

PlayStation4

SOMA entführt in eine bizarre und verstörende Welt. Auf der PS4 gibt es längere Ladezeiten und gelegentlich Bildratenprobleme.

PC

SOMA entführt in eine bizarre und verstörende Welt. Zwar kann das Schleichen und Erkunden nicht immer begeistern, aber das stimmungsvolle Horror-Abenteuer regt zum Nachdenken an.

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