Disgaea 5: Alliance of Vengeance16.10.2015, Mathias Oertel
Disgaea 5: Alliance of Vengeance

Im Test: Es gibt kein Entkommen

An Disgaea scheiden sich die Geister. Für die einen sind Nippon Ichis Taktik-Rollenspiele mit ihren rundenbasierten Kämpfen zu überladen mit Optionen und dazu auch noch technisch veraltet. Und die anderen schwören auf die immensen Möglichkeiten, die ihnen auf und abseits des Schlachtfeldes zur Verfügung stehen – die inneren Werte gleichen die visuellen Defizite zur Genüge aus. Ob Disgaea 5 neue Wege beschreitet und vielleicht sogar Zweifler bekehren kann, klären wir im Test.

Worte sind überflüssig

Eigentlich muss man zur Disgaea-Serie kaum noch Worte verlieren. In eine ähnliche Kerbe schlagend wie Ogre Battle, Final Fantasy Tactics oder Fire Emblem, hat das rundenbasierte Taktieren mit seiner PS2-Premiere im Jahr 2003 viele Rollenspiel-Strategen für sich begeistern können. Gründe dafür gab es einige, u.a. eine herrlich überzogene Story um Kämpfe von so genannten "Overlords" um die Vorherrschaft in der "Netherworld". Doch vielmehr begeistern konnte das Kampfsystem mit seinen vielschichtigen Mechaniken, die in den Fortsetzungen kontinuierlich ausgebaut wurden, so dass man sich wortwörtlich hunderte von Stunden um die Ohren schlagen konnte, wenn man alles ausreizen wollte.

Nein, dies ist keine verspätete Veröffentlichung für die PS2...
Allerdings musste man auch eine gewisse Frustresistenz mitbringen. Nicht, weil das Spieldesign einen anödete. Sondern vielmehr wegen der Kulisse. Schon auf der PS2 sah es meist nur in Ausnahmefällen wie ein PlayStation-1-Titel aus. Bei den Fortsetzungen bis hin zu Disgaea D2, das eigentlich den fünften Teil darstellt war man ebenfalls immer mindestens eine Generation zurück. Ja: Die Umgebungen wurden ansehnlicher und die Effekte pompöser. Doch ein Hingucker war Disgaea auch dann nicht. Musste es auch nicht sein. Zwar wäre eine zeitgemäße Kulisse die wohlschmeckende Kirsche auf der Sahne, doch was an Mechaniken unter der Oberfläche arbeitete, war wesentlich wichtiger und hauptverantwortlich für die treue Fan-Gemeinde, die sich im Lauf der letzten zwölf Jahre hinter der Serie versammelt und nur langsam wuchs. Und in diesem Bereich legt Disgaea 5 nochmals massiv zu.

Erzählerisch banal

Leider kann man das für die Geschichte nicht sagen. Zwar werden wieder interessante Figuren aufgeboten, doch die Dynamik, die Prinz Laharl und seine (ihm eigentlich nach dem Leben trachtende) Vasallin Edna  zusammen mit der Engelsanwärterin Flonne im allerersten Teil erreicht haben, wird hier nicht einmal ansatzweise aufgebaut. Der geheimnisvolle Dämon Kilia und die Oberdämonin Seraphina, die einem weiteren bösen Overlord an den Kragen wollen, harmonieren zwar gut miteinander. Doch die Geschichte ist weder so zynisch wie man es von älteren Teilen kennt noch gibt es so clevere Gags, an die man sich im Laufe der letzten zwölf Jahre gewöhnt hat. Sie ist im Rahmen der häufig ernsten Taktik-Rollenspiele immer noch unterhaltsam, ist aber gemessen an den serieneigenen Standards mau.

Wie üblich für die Disgaea-Serie liegen die Reize nicht in der Kulisse, sondern in der Unmenge an miteinaner verknüpften Mechaniken.
Dafür jedoch gibt man bei den Mechaniken alles. Disgaea-Veteranen werden natürlich viele Elemente wiedererkennen, da Nippon Ichi das Taktikrollenspielrad nicht komplett neu erfindet, sondern nur noch "runder" macht. Dabei gibt man sich einsteigerfreundlicher als je zuvor: Die initiale Tutorialphase ist länger und geht auf mehr Nuancen der weit verzweigten, aber ungemein stimmig miteinander verbundenen Elemente ein. Und wer ein wenig Geduld mitbringt und sich in die Feinheiten einarbeitet, wird unter dem Strich mit hunderten Stunden strategischer Unterhaltung belohnt, während man Missionen erledigt und versucht, sein Team so schlagfertig wie möglich zu machen. Doch trotz aller Verbesserungen ist die Einstiegshürde für Anfänger noch ungemein hoch, da sehr viele Systeme eine Rolle spielen und Wechselwirkungen zeigen. Die Positionierung der Figuren auf dem isometrischen Schlachtfeld, das in 90-Grad-Stufen gedreht und in drei Stufen gezoomt werden kann, ist dabei nach wie vor ein Kernelement der Planung. Dabei spielt nicht nur die Höhe eine Rolle, sondern z.B. auch, wer neben einem steht, wenn man den Angriff startet, da unter Umständen Kombinationsattacken ausgelöst werden. Weitere bekannte Elemente, die sowohl kurz- als auch langfristig Auswirkung auf das Kampfgeschehen haben, sind z.B. Fähigkeiten, die sich mit häufiger Benutzung weiterentwickeln oder die GeoPanels, das Schlachtfeld mit Boni oder Mali versehen und die bei intelligenter Manipulation oder Zerstörung von Schüsselsteinen verheerende Kettenreaktionen hervorrufen können, die allerdings nicht nur Feinde, sondern auch befreundete Einheiten in Mitleidenschaft ziehen.

Spielsysteme bis zum Abwinken

Natürlich muss man nicht alle zur Verfügung stehenden Systeme verinnerlichen oder nutzen. Doch je mehr man sie verwendet und durchschaut, wie sie einem helfen können, umso mehr Zeit verbringt man mit diesem rundentaktischen Schwergewicht. Zumal auch Veteranen sich über kleine Veränderungen und Optimierungen vieler dieser Systeme freuen können. Die Gegenstandswelt z.B., in der man gezielt versuchen kann, die von den Figuren getragene Ausrüstung unabhängig vom Charakter zu verbessern, bietet nicht nur mehr Optionen, sondern auch zufällige Ereignisse. Die Erstellung neuer Kämpfer ist umfangreicher denn je und profitiert von zahlreichen frische Klassen. Die Chara World, das Gegenstück zur Gegenstandswelt, mit dem man versuchen kann, einzelne Figuren abseits der Schlachten zu verbessern, wurde im Vergleich zu Disgaea 4 ebenfalls überarbeitet und erinnert mittlerweile an eine Mischung aus Mario Party und dem Sphärenbrett aus Final Fantasy 10.

Team-Attacken sorgen für deutlich mehr Schaden.
Es gibt ein neues Questsystem, das die Erfüllung bestimmter oberflächlicher sowie von der Hauptmission unabhängiger Aufgaben mit Freischaltungen von z.B. neuen Figurenklassen usw. belohnt. Mit den "Rache-Aktionen", die unter bestimmten Voraussetzungen aktiviert werden, hat man auf dem Schlachtfeld ebenso zusätzliche Optionen bzw. temporäre Fähigkeiten oder Wertverbesserungen zur Verfügung wie mit den Overload-Fähigkeiten, die nur den Overlords zur Verfügung stehen und innerhalb weniger Züge das Blatt in einem verloren scheinenden Kampf wenden können - als ob das, was die Serie in der Vergangenheit aufgebaut hat, nicht ausreicht. Es gibt so viel zu tun (einiges davon komplett optional), das in irgendeiner  Form den Figurenaufstieg, die Rekrutierung neuer Einheiten, das Inventar oder das Kampfgeschehen beeinflusst, dass es einem schwindlig werden kann. Der Tiefgang ist (wie immer) enorm, wobei man auch Spaß haben kann, wenn man nicht alles ausnutzt, was einem angeboten wird.

Neues und Altes

Das Magichange-System, mit dem man Monster vorübergehend in eine Waffe umwandeln kann, die von humanoiden Figuren genutzt werden kann, kehrt nach seiner Disgaea-D2-Auszeit leicht überarbeitet zurück. Natürlich bekommt man nach den Schlachten immer noch Belohnungen, die proportional zur Effektivät bzw. dem ausgeteilten Schaden besser werden. Man kann nach wie vor Fähigkeiten nicht nur lernen, sondern auch kaufen oder über zufällig verteilte Schriftrollen lernen. Ebenfalls sehr interessant ist das "Squad"-System, das als Evolution des Club-System aus Teil 3 gesehen werden kann. Im Laufe der Kampagne werden zunehmend mehr Spezialtrupps ("Squads") freigeschaltet, auf die man seine

Je nach Effektivität kann man höherstufige Belohnungen abgreifen.
Einheiten verteilen kann und die je nach Squad andere Vorteile oder erweiterte Mechaniken wie z.B. Gefangennahme oder Verhöre gegnerischer Einheiten ermöglichen - natürlich mit dem Ziel, sie den eigenen Reihen hinzuzufügen. Man kann sich wirklich unheimlich lange mit Disgaea 5 beschäftigen, was allerdings noch motivierender wäre, wenn die Geschichte besser und vor allem die Kulisse ansehnlicher wäre.

Natürlich hinterlässt die PS4-Premiere einen technischen besseren Eindruck als alle Vorgänger zusammengenommen. Die Ladezeiten sind angenehm, die Farben leuchten, die Sprites fransen nicht mehr an den Rändern aus, die Spezialeffekte bei Kombo- oder Spezialattacken sind aufwändig wie nie zuvor. Nur: Das hätte man mit viel gutem Willen auch aus einer PS2 und ohne Probleme aus einer PS3 herausholen können. Es bleibt, wie es war: Wer Disgaea spielt, macht dies nicht wegen des Grafikpomps und Polygon-Protzerei, sondern wegen der enormen Möglichkeiten, die man in allen mechanischen Belangen zur Verfügung hat. Übrigens auch im umfangreichen Editor, mit dem man eigene Karten anfertigen und der Community als Herausforderung zur Verfügung stellen darf.

Fazit

Wie seine Vorgänger ist Disgaea 5 ein Zeit fressendes Monster, ein Taktikrollenspiel-Schwergewicht. Noch mehr Spielsysteme und Mechaniken als je zuvor, die alle irgendwie miteinander verbunden sind und sich mitunter bedingen, machen den Einstieg trotz verbesserter Tutorials nicht leicht. Und wer mit dem knallbunten Artdesign oder dem überzogenen Humor in der für Serienverhältnisse eher unspektakulären Geschichte nichts anfangen kann, wird sich auch dieses Mal nicht für die Querelen in der Netherworld erwärmen können. Ganz zu schweigen von der Kulisse, die zur PS4-Premiere endlich annähernd PlayStation-3-Niveau erreicht. Doch was hier unter den sich hässlich kräuselnden Wellen  schlummert, ist ein mutierter Riesenkrake, bei dem jeder Arm eine neue Mechanik versteckt, die einen umschlingt und tiefer und tiefer in den Motivationsstrudel zieht. Stunde um Stunde vergeht wie im Flug und tiefe Augenringe zeigen, dass man sich wieder einmal die Nacht um die Ohren geschlagen hat, um sein Team zu optimieren. Denn Gelegenheit dazu gibt es genug. Für mich ist Disgaea 5 der ungekrönte König der strategisch angehauchten Rollenspiele, die seinerzeit auf Konsolen mit Fire Emblem, Ogre Battle oder Final Fantasy Tactics ihren Anfang nahmen.

Pro

immenser taktischer Tiefgang
weitreichende Tutorials...
Spielerfahrung direkt und indirekt beeinflussbar
überzogene Charakterzeichnung
sämtliche Elemente überzeugend miteinander verzahnt
zahlreiche neue Mechaniken, die überzeugend mit alten verknüpft werden
haufenweise spielbare Figuren und Klassen

Kontra

schwache Story
... die einen aber dennoch mit vielen Fragen zurücklassen
keine deutsche Lokalisierung
Kulisse serientypisch unzeitgemäß

Wertung

PlayStation4

Altbackene Kulisse hin, für Serienverhältnisse schwache Story her: Disgaea 5 ist ein Schwergewicht der Taktik-Rollenspiele, das einen monatelang beschäftigen kann.

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