The Amazing Spider-Man 202.05.2014, Mathias Oertel
The Amazing Spider-Man 2

Im Test: Spinne allein gegen alle in New York

Derzeit macht Peter Parker, alias Spider-Man, wieder die Kino-Leinwände unsicher. Und natürlich lässt auch das Spiel nicht auf sich warten. Allerdings hat sich Entwickler Beenox entschieden, sich inhaltlich vom Film zu entfernen. Ob das Abenteuer in einem offenen Manhattan überzeugen kann, klären wir im Test.

Fluch oder Segen?

Wie schon beim Vorgänger setzt Beenox auf eine Geschichte, die unabhängig vom Film abläuft. Das ist generell positiv zu sehen, da man die Chance hat, eine individuelle Dramaturgie mit eigenem Spannungsbogen aufzubauen. Im Idealfall schafft man sogar Berührungspunkte mit dem Kinostreifen, damit die Lizenz optimal genutzt wird. Doch die Entwickler verzetteln sich in vielerlei Hinsicht, weil siesich zwar überall bedienen, aber nicht auf Zusammenhänge oder Kontinuität achten. Figuren wie Black Cat, mit der Peter sich sexuell anzügliche Wortduelle liefert, oder Carnage werden in die Story geschmissen und fast immer genauso schnell wieder entfernt. Besonders schlimm hat es in dieser Hinsicht Electro oder den Green Goblin erwischt, die ihren Weg offensichtlich nur in das Spiel gefunden haben, weil sich der Film in erster Linie um diese zwei dreht. Electro taucht kurz vor Schluss auf, muss bekämpft werden und verabschiedet sich dann wieder. Der Goblin bekommt immerhin eine an den Film angelehnte kurze Erzähllinie, die aber vollkommen blass bleibt. Denn im Wesentlichen dreht sich The Amazing Spider-Man 2 (ab 20,74€ bei kaufen) um den Kampf von Peter Parker gegen Kingpin. Dessen ziviles Alter Ego Wilson Fisk hebt im Kampf gegen die stetig steigende Verbrechensrate New Yorks eine Taskforce aus der Taufe, die die kleinen und großen Ganoven aus dem Weg räumen soll, damit er mit seinem Syndikat das Verbrechensmonopol besitzt.

Die Geschichte entfernt sich vom Film und konzentriert sich auf den Konflikt zwischen Kingpin und Spider-Man.
Das sind viele Erzählelemente, die auf die 14 Kampagnenabschnitte verteilt werden, was wiederum in etwa zehn bis zwölf Stunden Spielzeit ergibt. Und das Ergebnis ist leider nicht einmal verwirrend. Denn dazu wird den einzelnen Schicksalen zu wenig Zeit geschenkt, alles bleibt oberflächlich. Es wirkt, als ob Beenox wahllos Charaktere aus dem Superbösewicht-Katalog der Marvel-Bücher gezogen hat und dann auf Spinne komm raus versucht hat, eine Geschichte darum zu stricken. Durch die zahlreichen Biografien und Audiofiles (Bioshock lässt grüßen) versucht man, zusätzliches Licht ins Dunkel zu bringen, doch auch hier verzettelt man sich. Achja, Kraven taucht ebenfalls auf und ist noch eine der Figuren, der etwas mehr Zeit geschenkt wird. Dennoch: Weniger und dafür intensiver wäre mehr gewesen. Immerhin darf man sich auf einen sehr gelungenen Cameo-Auftritt von Spider-Man-Schöpfer Stan Lee freuen, der in New York City einen Comic-Laden besitzt. Hier darf man die gesammelten Comic-Seiten in ihrer Gänze anschauen und lesen, kann an einem Spielautomaten Kampfherausforderungen erfüllen und sich Figuren der Pro- und Antagonisten anschauen.

Schweres Superhelden-Dasein

Man begegnet einer Reihe bekannter Antagonisten, darunter Kraven, Green Goblin, Black Cat oder Electro.
Es ist schade, dass Beenox erzählerisch enttäuscht. Denn wie schon im Vorgänger wird mechanisch ein interessantes Action-Adventure in einem offenen Manhattan aufgezogen, das auf 360 und Wii U zwar ohne Bildrateneinbußen über den Bildschirm rauscht, aber mit Tearing und Pop-ups kämpft. Man schwingt in teils atemberaubender Geschwindigkeit durch die Häuserschluchten des Big Apple, rennt mit Unterstützung der Spinnenseile ähnlich wie in der Prototype-Serie die Gebäude hinauf und kann sich schließlich sogar mit einem Affenzahn durch die Straßen katapultieren. Im Vergleich zum Vorgänger, in dem diese Freiheit ebenfalls einer der Pluspunkte war, hat man das achterbahnhafte Schwingen sogar noch interessanter und "authentischer" gestaltet. Denn mittlerweile benötigt man, um mit der rechten oder linken Schultertaste ein "Schwungnetz" absetzen zu können, Ankerpunkte in Form von Gebäuden oder Bäumen. Wenn nichts in der Nähe ist, hört man nur ein leeres "Klick!" und einen Kommentar von Peter, der einen an die Grundlagen erinnert. Interessanterweise ist dies der gleiche logische Fortschritt, den seinerzeit die Spider-Man-Spiele zu den Sam-Raimi-Filmen durchgemacht haben: Im ersten Spiel der vorletzten Konsolengeneration konnte man noch "überall" schwingen, während in der Fortsetzung Haltepunkte in der Nähe sein mussten.

Man kann auch versuchen, die Gegner nach Schleichaktionen auszuschalten.
Während man so durch die Gegend schwingt, wird man über Markierungen auf der Karte immer wieder auf Notfälle aufmerksam, die ein Eingreifen Spider-Mans erfordern. Dies können kleine Verbrechen wie Autodiebstähle oder Drogenschiebereien sein, die man erledigt, indem man die Miniganoven verprügelt. Es können aber auch etwas schwerwiegendere Delikte wie Bombenattentate sein, die man verhindert oder Feuergefechte zwischen Gesetzeshütern und Gangstern sein, die man auflösen sollte. Oder aber Rettungsaktionen, bei denen man eine Geisel aus einem fahrenden Auto befreien bzw. Zivilisten aus einem brennenden Haus retten muss. Als Belohnung wartet nicht nur ein kurzer Einspieler, in dem das Geschehen kommentiert wird, sondern bei Erfolg ein Anstieg der „Heldenleiste“. Dahinter verbirgt sich das Ansehen, das Spider-Man bei der Zivilbevölkerung und der Taskforce genießt. Der Clou: Kümmert man sich nicht in ausreichender Menge um die Rettungsbedürfnisse oder scheitert immer wieder, werden nicht nur die Bewohner New Yorks mürrisch bei ihren Aussagen. Zusätzlich verliert man auch schnell seinen Heldennimbus. Und kommt man in negative Bereiche, wird man schließlich von der Taskforce mit technischen Gadgets gejagt, bis man wieder durch heldenhafte Taten die Gunst wiedererlangt hat.

Wie Batman? Nein!

Durch dieses kleine Stilmittel bekommt man ansatzweise ein Gefühl für die ständige Verantwortung, die ein Superheld mit sich trägt. Eigentlich möchte man sich auf den Weg zum nächsten Hauptziel machen, darf aber nicht die Belange der Bevölkerung außer Acht lassen. Und das Konzept geht größtenteils auf - auch sich ab und zu der Eindruck einschleicht, dass Beenox es nur eingebaut hat, um den Spieler auf dem Durchmarsch durch die Geschichte etwas zu bremsen und so die Spielzeit zu verlängern. Es hätte allerdings nicht geschadet, noch mehr Missionstypen einzubauen und abwechslungsreiche Einspieler einzusetzen, an denen man sich schnell satt gesehen hat und die man leider auch nicht abbrechen kann.

Ebenfalls nicht geschadet hätte ein Update des Kampfsystems. Das orientiert sich wie beim zwei Jahre alten Vorgänger im Wesentlichen an dem, was Rocksteady mit der Batman-Arkham-Serie etablierte: Taktische Prügelaction, bei dem man mit gutem Timing und Konterfähigkeiten gegen die Gegner bestehen muss. Allerdings bleibt man wie vor zwei Jahren deutlich von der Klasse entfernt, die der Schwarze Rächer gesetzt hat und ist weiterhin viel zu oberflächlich. Spider-Man richtet sich weitgehend automatisch auf den nächsten Gegner aus und den Rest der Zeit ist man mit dem Hämmern der Angriffstaste beschäftigt, nur gelegentlich vom Betätigen der Kontertaste unterbrochen - sorry, das ist mir zu wenig. Zwar gibt es später Gegner, die eine leicht andere Taktik bzw. den Einsatz von Sonderfähigkeiten fordern, doch auch das reicht nicht aus, um das Kampfsystem über biederen Durchschnitt zu hieven. Selbst bei den Bosskämpfen, die auf dem Papier mit abwechslungsreicheren Angriffsschemata punkten, laufen sich die Buttonmash-Attacken von Spidey irgendwann tot.

Klebender Schleicher mit Kleidungsdilemma

Spidey ist immer Herr der Lage - auch weil der Schwierigkeitsgrad selbst auf "Superheld" zu niedrig ist.
Dank einer soliden Entdeckungs-KI der Feinde können immerhin die Schleichsequenzen Punkte sammeln - auch wenn hier wie bei vielen Elemente das "Light"-Siegel deutlich zu spüren ist. In diesen Sequenzen, die vorzugsweise gegen eine große Gruppe schwer bewaffnete Feinde stattfinden, sollte der Spinnenmann tunlichst außer Sichtweite bleiben und seinen Gegnern auflauern. Denn wenn man von einem guten Dutzend Kontrahenten mit Projektilwaffen gejagt wird, zu denen sich vielleicht noch der eine oder andere mächtigere Feind gesellt, hat man meist das Nachsehen. Also gilt: Einen nach dem anderen ausschalten und so die Gefahr minimieren. Leider verpasst es Beenox neben der guten Entdeckungs-KI auch eine Änderung der Verhaltensmuster einzubauen. In den letzten Batman-Spielen hat es eine Auswirkung auf die Gegner, wenn sie einen geknebelten oder KO geschlagenen Feind entdecken. Hier werden sie nur kurz aufmerksam und wenden sich danach wieder ihren vorgesehenen Pfaden zu.

Wenn man dennoch Schwierigkeiten mit diesen Sequenzen haben sollte, könnte man probieren, ob man mit einem anderen Superheldenanzug mehr Glück hat. Denn die verschiedenen Outfits, die man sich erspielen kann, haben nicht nur optische Auswirkung. Sie weisen unterschiedliche Charakteristika auf und können z.B. den Nahkampf verstärken, die Schwunggeschwindigkeit oder die Schleichfähigkeit verbessern. Und sie steigen kontinuierlich im Level auf, wenn man sie verwendet, was wiederum die damit verbundenen Werte steigert. Um die Anzüge zu wechseln, muss man sich allerdings in Tante Maes Haus begeben, für das man die Metro bemühen muss. Unter dem Strich ist der Klamottenwechsel zwar kein Element, das aus dem Titel ein Pflichtspiel macht, aber es ist zumindest eine kleine Option, das Spiel an seine Bedürfnisse anzupassen.

Spinne mit Systemwandel

Je nach System hinterlässt die Technik einen unterschiedlichen Eindruck, kann sich aber weder positiv noch negativ in Form von Wertungsveränderungen niederschlagen. Auf der einen Seite haben wir die Versionen für PS3, 360 und Wii U. Und die haben  Kantenflimmern, größtenteils saubere Animationen sowie eine stabile Bildrate gemeinsam. Während die Microsoft- und Sony-Konsolen immer wieder Tearing zeigen, zerreißt das Bild beim Nintendo-System nicht. Dafür jedoch werden hier Objekte beim Schwingen durch die Stadt deutlich später ins Bild gepackt - es kann immer wieder passieren, wenn man in höheren Gefilden schwingt, dass die Straßen unter einem beinahe leer erscheinen, bis man eine bestimmte Distanzgrenze zum Boden unterschritten hat und dann Fahrzeuge usw. ins Bild ploppen. Auf der 360 oder der PS3 gibt es dieses Phänomen auch, allerdings ist die Sichtweite hier deutlich höher, bis es zu den störenden Pop-ups kommt.Zudem wirken die Farben hier deutlich knalliger und comichafter als in der gedämpften Kulisse auf Wii U. Vor allem, wenn man durch die geschäftigen Straßen Richtung Sonnenuntergang schwingt, fühlt man sich fast wie ein Vogel.

Hier wurde Electro gefangen gehalten. Dessen Einsatz ist eine wohl nötige Einbindung des Kinofilms, die aber den Spielfluss stört.
Hier schafft es das Spiel nahezu mühelos, die Intensität der entsprechenden Filmsequenzen einzufangen, die sowohl die Streifen mit Toby McGuire als auch die mit Andrew Garfield kennzeichnen. Es gibt allerdings weder dynamisches Wetter noch Tag-/Nachwechsel - die Stimmung wird von der jeweiligen Hauptmission vorgegeben.

Immerhin wird das Wii-U-Gamepad adäquat genutzt: Während des Spiels wird die Übersichtskarte großformatig abgebildet, so dass man eine bessere Übersicht über die Notfall-Brennpunkte bekommt. Und in Spielpausen kann man auch per Berührung durch die Menüs navigieren. Wer auf diesen Schnickschnack verzichten kann, darf auch den Pro Controller nutzen. Entgegen der Erwartung können sich die Fassungen für PC und PlayStation 4 auf der anderen Seite des Hardware-Spektrums nur unwesentlich absetzen. Das Gesamtbild ist zwar sauberer und die Pop-ups sind wie das Kantenflimmern minimiert – aber auch auf dem PC nicht völlig ausradiert. Und das war es dann im Wesentlichen mit den visuellen Verbesserungen. Denn bei den Texturen wurde unter dem Strich zu wenig gemacht. Das wird vor allem dann deutlich, wenn man sich in der Umgebung umschaut, die im Detail immer wieder mit ähnlich schmutzigen Texturen unterwegs  ist wie auf den "alten" Konsolensystemen. Hier ereilt die Spinne der Fluch der Multiplattform-Produktion.

Fazit

Beenox macht sich - allerdings nur in kleinen Schritten. Wie im Vorgänger ist das freie, hier nochmals optimierte Schwingen durch das offene Manhattan immer noch der Hauptaufhänger für die Motivation. Das Gefühl, als Spidey an Netzen durch die Straßenschluchten zu jagen, sucht seinesgleichen und schafft es, die entsprechenden Filmsequenzen adäquat nachzustellen. Dies ist auch der sauberen Kulisse zu verdanken, deren stabile Bildrate auf den "alten" Systemen durch Pop-ups (Wii U) und Tearing (360, PS3) erkauft wurde. Mit dem Moralsystem, das einen "zwingt", neben dem Verfolgen der Hauptgeschichte "normale" Heldentaten zu vollbringen, damit man nicht von den Vertretern des Gesetzes als Selbstjustizler gejagt wird, schafft man ebenfalls eine interessante Grundlage. Doch leider wird sie zunehmend verwendet, um die Spieldauer auf die Marke jenseits von zwölf bis 14 Stunden zu schrauben - auch weil sowohl die Aufgaben als auch deren Auflösung bereits mittelfristig zu wenig Abwechslung zeigen. Selbst innerhalb der Kampagne verzettelt man sich schließlich und setzt gegen Ende auf einen unpassenden Boss-Marathon. Den größten Nachholbedarf hat Spider-Man jedoch nach wie vor im Bereich des Kampfsystems. Das orientiert sich zwar an den letzten Batman-Spielen, erreicht aber weder deren Tiefgang noch Intensität. Die Richtung stimmt, doch um die Klasse zu erreichen, die Spidey in der vorletzten (!) Konsolengeneration hatte, hat Beenox zu wenig an entscheidenden Schrauben gedreht.

Pro

die Geschichte wird unabhängig vom Film erzählt...
das eingängige Kampfsystem orientiert sich an den Batman-Arkham-Spielen ...
das Schwingen durch Manhattan sorgt für einen achterbahnhaften Geschwindigkeitsrausch
ansehnliche Kulisse
zahlreiche Nebenaktivitäten...
verschiedene Anzüge, die Fähigkeiten modifizieren
Moralsystem
gelungener Cameo-Auftritt von Stan Lee
ordentliche Entdeckungs-KI bei Schleichsequenzen
passable deutsche Lokalisierung

Kontra

... verzettelt sich aber in Unwichtigkeiten und inszeniert alles zu fragmenthaft
... erreicht aber weder dessen Tiefgang noch seine taktische Qualität
Pop-ups und Tearing stören (Wii U, 360, PS3)
kaum Texturanpassungen für PS4 oder PC
Figuren werden häufig ohne erzählerischen Zusammenhang eingeführt und entfernt
... die weitgehend nach Schema F ablaufen und immer gleich aufgelöst werden
Dialogoptionen ohne Auswirkung
bis auf wenige Ausnahmen kaum Herausforderung
zum Ende hin ein unnötiger Bossmarathon

Wertung

360

Solide Superhelden-Action in einem offenen Manhattan, der es vor allem an Anspruch und einer ordentlichen Story mangelt.

PC

Solide Superhelden-Action, der es vor allem an Anspruch mangelt. Leider werden die technischen Möglichkeiten des PC nicht ausgenutzt, um sich von den "alten" Systemen abzugrenzen.

PlayStation4

Solide Superhelden-Action, der es vor allem an Anspruch mangelt. Leider werden die technischen Möglichkeiten der PS4 nicht ausgenutzt, um sich von den "alten" Systemen abzugrenzen.

Wii_U

Solide Superhelden-Action in einem offenen Manhattan, der es vor allem an Anspruch und einer ordentlichen Story mangelt.

PlayStation3

Solide Superhelden-Action in einem offenen Manhattan, der es vor allem an Anspruch und einer ordentlichen Story mangelt.

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