World of Final Fantasy04.11.2016, Mathias Oertel
World of Final Fantasy

Im Test: Heldentreffen in Grymoire

Ein Hauch von Pokémon weht durch die Kulissen von World of Final Fantasy (ab 19,95€ bei kaufen), wenn man mit gefangenen Monstern durch die Dungeons wandert und Feinde bekämpft. Doch der Ableger einer der erfolgreichsten Videospielserien setzt nicht nur auf Knuddelfaktor und Sammelwut, sondern möchte auch mit einer stimmungsvollen Geschichte sowie taktischen Auseinandersetzungen punkten. Ob dies gelingt, verraten wir im Test.

Neue Fans braucht das Land

Final Fantasy richtet sich traditionell an ältere Spieler, die auch mit den mitunter reiferen Themen der Geschichten etwas anfangen können und nicht davon abgeschreckt werden. Was aber macht man mit den jüngeren Rollenspielern, die vornehmlich mit Titeln wie Pokémon, Digimon oder Yo-Kai Watch taktische Kämpfe erleben? Diese Frage will World of Final Fantasy beantworten. Denn zum einen ist die Geschichte um die Zwillinge Reynn und Lann weder so vielschichtig noch so melodramatisch aufgebaut wie viele andere Final Fantasys vor allem seit dem siebten Teil. Stattdessen setzt sie auf leichte Zugänglichkeit, niedliche Figuren wie z.B. den leicht an die Mogrys der Hauptserie erinnernden Tama mit seinem süßen Sprachfehler und mitunter sogar platte Albernheit. Diese äußert sich meist über den nicht immer sehr hellen Lann und dessen Kommentare, die mir aber nach einigen Stunden nicht nur wegen der Vorhersehbarkeit zunehmend auf den Geist gingen, während jüngere Zuschauer und Mitspieler auch nach dem x-ten Missverständnis oder fehlerhafter Wortinterpretation immer noch glucksten oder lächelten. Allerdings ist bedauerlich, dass nur die Untertitel lokalisiert wurden (dafür aber meist sauber), während die Sprachausgabe weiterhin nur in Englisch zur Verfügung steht – Käufer der digitalen Day-One-Edition können zusätzlich noch die japanischen Stimmen herunterladen.

Die Figuren in ihrer "Normalform" könnten auch aus Kingdom Hearts stammen.
Auch das Grafikdesign wurde mit dieser Zielgruppe im Kopf geplant. Einerseits mit seinem Figurendesign an die Kingdom-Hearts-Serie erinnernd, spielen andererseits in vielen der besuchbaren Bereiche Charaktere im kindlichen Chibi-Design die Hauptrolle. Obwohl bei diesen Figuren die Mimik eher rudimentär bzw. plakativ und nicht so ausgefeilt ist wie bei den Zwillingen, der Schutzpatronin Enna Kros oder bei Gastauftritten einiger Helden alter Final-Fantasy-Spiele, schließt man sie sofort ins Herz. Ihre Emotionen übertragen sich rasend schnell, man leidet und freut sich mit ihnen. Dass erzählerisch alles bis auf wenige Ausnahmen oberflächlich bleibt, hat in diesem Fall auch Vorteile. Die zwei Fokuspunkte der Geschichte sind schnell erklärt: Auf der einen Seite haben wir das Schicksal der beiden Zwillinge, deren merkwürdige Markierungen auf dem Arm sie als Miragen-Meister definieren. Doch sie haben ihr Gedächtnis verloren, haben keine Ahnung, wieso um sie herum alles menschenleer ist und müssen in der Welt Grymoire wieder bei null anfangen. Dass Grymoire hingegen von einer bösen Macht heimgesucht wird, die vermutlich mit ihrem Gedächtnisverlust zusammenhängt, ist nicht besonders einfallsreich, reicht aber im Zusammenspiel mit dem Kernthema aus, um einen ordentlichen Hintergrund für die etwa 40 bis 50 Stunden zu liefern, die man mit World of Final Fantasy verbringen kann.  

Zufällige Stapeltaktik

Die Figuren können ihren Größen entsprechend gestapelt werden, wodurch in den Kämpfen Fähigkeits- und Lebensboni aktiviert werden.
Während man durch die nicht besonders großräumigen und meist linearen Gebiete, Dungeons und Gewölbe läuft, kann man nicht nur über Truhen stolpern, in denen sich bekannte Gegenstände wie Phönix-Federn (zur Wiederbelebung) oder Potions (Heiltränke) finden lassen. Man bekommt als Belohnung nach einem Kampf auch die allseits bekannte Final-Fantasy-Währung Gil, die man u.a. benutzen kann, um in den Shops Waren zu erstehen. Die Kämpfe wiederum werden wie in der guten alten FF-Zeit größtenteils per Zufall ausgelöst. Allerdings hat man hier eine akzeptable Frequenz gefunden: Man wird nicht alle paar Schritte von den Feinden attackiert, wobei man mitunter auch die Gegner mit einem Initialangriff überraschen kann. Und dennoch kann man sich vor allem in Höhlen nicht auf die faule Haut legen, da die Speicherpunkte zum Aufladen der Aktionspunkte und Lebensenergie hier dünn gesät sind.

Die Mirage-Boards zur Entwicklung der Monsterfähigkeiten oder Attribute erinnern an kleine Ausgaben des Sphärenbretts aus Final Fantasy 10.
Sobald man sich in den Auseinandersetzungen befindet, verwendet World of Final Fantasy das so genannte ATB-System (Active Time Battle). Das bedeutet, dass die rundenweisen Züge bzw. Entscheidungen der Figuren nicht statisch nacheinander ablaufen, sondern dass auf einer Zeitlinie die Porträts der Kampfteilnehmer nach oben wandern - mitunter mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Hat ein Bild die Angriffslinie erreicht, darf der Spieler für seine jeweilige Figur die Aktion bestimmen oder muss mit anschauen, wie die Gegner attackieren. Mit dieser Variante klassischer rundenbasierter Gefechte kommt eine zusätzliche Dynamik in die Kämpfe, da sich die Reihenfolge durchaus ändern kann, so dass die eine oder andere Figur schneller wieder antreten darf und so vielleicht sogar zwei Züge unterbringt, bis die Feinde reagieren können. Allerdings kann es auch zu Situationen kommen, in denen alle Beteiligten innerhalb kurzer Zeit "dran" sind und dann erst einmal eine nicht zu unterschätzende Pause einsetzt, bis das nächste Porträt wieder nach oben gespült wurde. Zwar gibt es auch eine Taste für "schnellen Vorlauf", um diese Phasen zu überbrücken. Doch so schnell wie es sich anhört, ist es dann doch nicht. Sprich: man hätte für ungeduldige Naturen auch ein "Springe zur nächsten Kampfaktion" einbauen können, vielleicht sogar müssen.

Miragen und Hochstapler

Das eigentlich klassische ATB wird durch die Miragen massiv aufgewertet, die man wie Nintendos Taschenmonster erst einfangen muss, bevor man sie im Kampf einsetzen kann. Nahezu jeder Gegner, dem man begegnet, kann für die eigenen Zwecke akquiriert werden. Dazu müssen mitunter bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, manchmal muss man auch bestimmte Angriffe nutzen, aber bei den Standard-Feinden reicht es meist, die Lebensenergie unter ein bestimmtes Niveau zu bringen, damit man sie in das für sie vorgesehene Prisma einsperren kann. Um die initiale Beschaffung muss man sich allerdings keine Gedanken machen, da man für die erste Gefangennahme stets ein entsprechendes Behältnis bekommt. Bis zu zehn dieser Miragen darf man mit sich führen, weitere werden an einem zentralen Ort aufbewahrt, auf den man von jedem Speicherpunkt aus Zugriff hat. Die Auswahl der Helfer im Kampf wird aber nicht nur von ihren Fähigkeiten maßgeblich beeinflusst. Denn jede Figur hat auch eine Größe von S (klein) bis L (groß) - es gibt sogar ein paar XL-Varianten wie Bahamut, Tiamat oder Cerberus, die man über einen besonderen Punkt im Kampfmenü aufrufen muss.

Die Kämpfe laufen nach dem klassischen ATB-System ab (Active Time Battle).
Die Größe der "normalen" Miragen spielt beim "Stapeln" der Figuren eine Rolle. Denn auf eine Figur der Kategorie L kann man eine aus dem Bereich M stellen, die wiederum von einer S-Klasse getoppt werden darf. Der Clou: Diese "Stapel" haben nicht nur mehr Lebenspunkte als die einzelnen Figuren, sondern können je nach Zusammenstellung und individueller Weiterentwicklung zu besonderen Kombo-Fähigkeiten führen. Selbstverständlich steht es einem auch frei, den Stapel jederzeit aufzulösen und die Figuren mit ihren eigenen Fähigkeiten und Boni angreifen zu lassen. Mitunter wird man sogar dazu gezwungen, denn bestimmte Attacken der Feinde können dafür sorgen, dass der Figurenturm zuerst bedenklich zu wackeln beginnt und dann auseinander fällt - was unter dem Strich eine deutliche Schwächung darstellt. Da aber auch die Gegner mitunter gestapelt auftauchen können, ergeben sich hinsichtlich der Angriffspriorisierung ebenfalls Situationen, in denen man seine Taktik anpassen muss. Das gilt auch für die Einbeziehung der Aktionspunkte, die bei gestapelten Figuren ebenfalls höher sind als bei den Einzelfiguren und die für das Auslösen bestimmter Angriffe nötig sind. Diese Punkte können durch bestimmte Kampfaktionen oder durch Warten wieder aufgeladen werden. Schön: Trotz all der Möglichkeiten, die einem zur Verfügung stehen, fühlt man sich nie überfordert, wenngleich manche Möglichkeiten nicht unbedingt optimal erklärt werden. Allerdings stellt sich abseits der Bosskämpfe sowie der besonderen, nicht per Zufall, sondern an bestimmten Kartenpositionen wartenden Spezialgegner nach ein paar Stunden eine gewisse Routine ein.

Mini-Sphärobretter

Auch als "Chibi"-Version machen die Helden anderer Final-Fantasy-Spiele eine gute Figur.
Zusätzlichen Reiz hingegen gewinnen die Mirages durch ihre von den Hauptfiguren losgelöste Entwicklung. Steigen sie mit entsprechender Erfahrung eine Stufe an, bekommen sie Punkte, die auf einem Spielbrett für neue, teils aufeinander aufbauende Fähigkeiten oder passive Boni eingesetzt werden können. Moment? Spielbrett? Das dürfte Final-Fantasy-Veteranen aufhorchen lassen. Denn schon in Final Fantasy 10 hat man mit dem Sphärenbrett eine umfassende Charakterentwicklung angeboten, die diesem Prinzip folgt. So umfangreich wie dort ist der Figurenfortschritt hier nicht - und auch nicht so verzahnt. Dennoch sorgt diese Verbeugung vor einem der besten Teile der Serie für wohltuende Erinnerungen. Dass man die Figuren ab einer bestimmten Stufe per Metamorphose in eine neue, natürlich verbesserte Form bringen kann, rundet die überschaubare, aber dennoch motivierende Entwicklung der Miragen ab.

Übrigens zeigt man sich bei der Verteilung der in den Kämpfen errungenen Erfahrungspunkte durchaus großzügig: Der Hauptteil fällt natürlich auf die Zwillinge und die eingesetzten Helfer. Doch auch die nicht verwendeten der zehn mitgeführten Unterstützer bekommen für ihr Nichtstun Erfahrung. Einzig die Wesen, die im Prismentresor aufbewahrt werden, gehen leer aus. Möchte man diese entwickeln und modifizieren, kann man aber bereits besuchte Gebiete erneut aufsuchen – auch per zweckmäßigem Teleportsystem. Das ist übrigens auch nötig, wenn man trotz der Versuche, ein passables Balancing auf die Beine zu stellen, an bestimmten Feinden wieder und wieder scheitert. Es ist schade, dass auch in dieser modernen Interpretation der Final-Fantasy-Elemente mit Zufallskämpfen und Grind zwei Mechaniken aufgegriffen werden, die eigentlich veraltet sind. Andererseits gehören sie aber irgendwie zu der Serie wie die Summons (Beschwörungen), z.B. Shiva oder Ifrit, so dass ich nicht lange böse sein kann.

Mehr wäre schön

Man sollte sich nicht vom Niedlichkeitsfaktor täuschen lassen: Cerberus ist und bleibt gefährlich.
Abseits der Figuren hätte ich mir allerdings ein visuell zeitgemäßeres Umfeld gewünscht. Die Gebiete wurden zwar abwechslungsreich gestaltet und bieten mitunter Anspielungen auf andere Serienableger. Doch auch wenn die Dungeons mit leichten Schalterrätseln, Höhenunterschieden sowie dem einen oder anderen Geheimnis punkten, hängt über allem das Gefühl, dass World of Final Fantasy auch weitgehend problemfrei auf der letzten Konsolengeneration erscheinen hätte können. Ob dies mit der Multiplattform-Entwicklung zu tun hat und der Titel auch auf Vita erscheint, lässt sich nicht genau sagen. Doch bei Dragon Quest Builders blieb ebenfalls der Beigeschmack, dass auf der PS4 visuell nicht alles herausgeholt wurde, da es ansonsten mit der Vita-Version kollidiert wäre.

Das soll nicht heißen, dass World of Final Fantasy hässlich ist. Ganz im Gegenteil. Es verströmt ähnlich der ersten Kingdom-Hearts-Spiele einen ganz eigenen Charme. Aber vor allem bei den häufig im Kampf verwendeten Effekte bleibt bis auf wenige Ausnahmen das Gefühl, das man sich hier künstlich zurückhält, um die Vita-Fassung nicht zu gefährden. Die jüngere Zielgruppe wird es nicht stören – auch angesichts der insgesamt doch knuddeligen Stimmung, die trotz der Bedrohung bei den Wanderungen durch Grymoire entsteht. Doch da die beiden Zwillinge mit ihren Mirages auch für ältere Spieler interessant sind, die bestimmte Standards mit dem Namen Final Fantasy assoziieren, hilft es, wenn man seine Erwartungen etwas zurückschraubt.

Fazit

Keine Schwermut, keine übermäßige Dramatik. Fast möchte man meinen, dass die sich eher an jüngere Spieler richtende Geschichte mit dem zu albernen Lann als eine Hälfte eines eigentlich interessanten Geschwisterpaares den finalen Fantasien der letzten Jahre überhaupt nicht zu Gesicht steht. Doch wenn man über die Albernheiten hinwegsieht, die bei der vermeintlichen Zielgruppe gut anzukommen scheinen, kann man in der Welt von Grymoire viel Spaß haben. Und Veteranen werden sich nicht nur an den Gastauftritten des versammelten „Who’s who“ von Final Fantasy erfreuen, sondern auch zahlreiche Details erkennen, die den inhaltlichen Schulterschluss zur Hauptserie herstellen. Das mechanische Umfeld weiß ebenfalls zu motivieren: Das im Kampf verwendete ATB-System wird durch die Monster, die man ähnlich der Pokémon sammeln und aufpäppeln kann sowie dem Stapeln der Figuren samt Freischalten neuer Fähigkeiten aufgewertet. Das kann aber eine gewisse Routine nicht verhindern, die sich abseits der Bosse und spezieller Gegner einstellt, wodurch auch der gelegentlich nötige Grind zusätzlich verschärft wird. Dennoch ist World of Final Fantasy ein unterhaltsames Rollenspiel (fast) alter Schule, das einen zwischen 40 und 50 Stunden auf Trab hält, visuell allerdings opulenter ausfallen könnte.

Pro

gelungene Variante des ATB-Kampfsystems (Active Time Battle)...
Stapelsystem der Figuren birgt zusätzliche taktische Komponente
viele Auftritte bekannter Figuren aus den Final-Fantasy-Universen
stimmungsvolles Artdesign, das mitunter leicht an Kingdom Hearts erinnert
gleichermaßen stimmungsvolle wie niedliche Chibi-Figuren
gute englische Sprachausgabe
Fangen und Sammeln der Miragen erinnert an Pokémon
vielschichtige Entwicklung der Miragen auf reduzierten "Sphärenboards"

Kontra

... das aber trotz schnellem Vorlauf mitunter sehr langwierig ist
Umgebungen mitunter steril
Zufallskämpfe
immer wieder Grind nötig
nur deutsche Untertitel, keine deutsche Sprachausgabe
für Final-Fantasy-Verhältnisse schwache Geschichte

Wertung

PlayStation4

Runderum gelungener Abstecher in die etwas "andere" Final-Fantasy-Welt Grymoire, der klassische Tugenden mit Monstersammeln à la Pokémon vereint.

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