Vampyr24.06.2016, Benjamin Schmädig

Vorschau: Töten mit Konsequenzen

Stephane Beauverger will den Spielern von Vampyr (ab 7,60€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) ein schlechtes Gewissen machen: “Man kann mit einer trauernden Frau reden“, führt der für die Erzählung verantwortliche Narrative Director an, „und dabei feststellen, dass man ihren Mann getötet hat.“ Dass man töten muss, ist unausweichlich – als Vampir im London nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Doch im neuen Spiel der Macher von Life is Strange soll jede Entscheidung schwer fallen. Und anders als in Life is Strange ist jede Entscheidung endgültig!

Die Geburt eines Vampirs

Dontnod hat sich wohl in das Spiel mit Entscheidungen verliebt, denn nach Life is Strange geht das französische Studio auf diesem Weg weiter. Dabei verfolgen sie allerdings ein ganz anderes Konzept, denn Vampyr ist weder eine geradlinige Erzählung mit gelegentlichen Verzweigungen noch wird ein in Episoden geteiltes Abenteuer, sondern ein Rollenspiel an einem frei begehbaren Schauplatz. London ist offenbar keine große offene Welt wie jene in The Witcher 3. Man kann sich aber frei in der Stadt bewegen und ihre Einwohner kennenlernen, während man Vampirjägern aus dem Weg geht.

Diese Jäger sind selbst Vampire, wenn auch mutierte niedriger Klasse und mächtiger als der frisch „geborene“ Protagonist. Dieser erwacht zu Beginn der Geschichte ohne Erinnerung an seinen Tod und wird sich seiner Identität

Als Vampir erwacht man im London nach dem Ersten Weltkrieg.
als Blutsauger schnell bewusst, weil der Roman „Dracula“ im damaligen England populär war. Als Arzt gibt er sich jedoch nicht mit seiner Situation zufrieden und will ein Gegenmittel finden – für sein eigenes Leiden sowie das der Spanische Grippe, die von 1918 bis 1920 grassierte.

Blut oder Moral?

Dieser Berufung folgt man also und Aufgaben im Zusammenhang damit werden durch das Abenteuer führen. Man darf aber stets eigene Untersuchungen anstellen, muss sich gegen die Vampirjäger wehren und erlebt, welche Auswirkungen der eigene Blutdurst auf die Angehörigen der Opfer und auf London hat. Könnte man darauf verzichten, Menschen zu töten? Möglich ist das. Möglich ist sogar das Trinken von Rattenblut...

... doch nur durch menschliches Blut wird man stark genug, um sich gegen die Jäger zu wehren. Man könnte nicht einmal geistig stärkere Menschen angreifen, denn die widersetzen sich der mentalen Fähigkeit, mit der man sie in eine abgelegene Ecke lockt, um sie in Ruhe auszusaugen. Ständig wägt man also ab, ob man einen Menschen umbringt oder ihn am Leben lässt – ob man sich die Suche nach einem Gegenmittel leichter oder schwerer macht.

Das Schicksal der Anderen

Und wie will Beauverger dafür sorgen, dass man nicht einfach im Schnelldurchlauf literweise Blut trinkt, um als übermächtiges Fabelwesen unbehelligt durch London zu wüten? Zum einen durch anfangs viele geistig stärkere Menschen und zum anderen durch besondere Personen, die einen großen Einfluss auf den Stadtteil haben, in dem sie leben. Eine solche Frau stiehlt etwa Geld und Medizin, um Arme und Kranke zu versorgen – bringt man sie um, wird man Zeuge der Auswirkungen ihres fehlenden Wirkens.

Mehr noch: Der Mord an einer bedeutenden Person wirkt sich auf ihre Familienmitglieder und Bekannte aus. Man kann also beobachten, wie das eigene Handeln sowohl einzelne Schicksale als auch das ganz Londons beeinflusst. Interessanterweise gibt es dabei nur einen Spielstand und jede wichtige Aktion wird sofort gespeichert. In Vampyr probiert man also nicht verschiedene Lösungen durch, um irgendwann die effektivste zu wählen; man trifft wie im echten Leben eine Entscheidung, mit deren Folgen man leben muss.

In finsteren Kulissen jagt man nach Blut und wird selbst von Vampirjägern verfolgt.

Die Wahl der Qual

Ins Blaue spekuliert man dabei nicht hinein, immerhin darf man sich mit allen Charakteren unterhalten. Der Beruf des Arztes war Anfang des vergangenen Jahrhunderts ein hoch angesehener, weshalb der Protagonist sehr leicht das Vertrauen seiner Gegenüber gewinnt, erklärt Beauverger. So erfährt man von ihren Familien sowie ihrem Tun und verschafft sich so ein Bild davon, welche Auswirkungen ihr Ableben haben könnte oder ob man den Tod eines anderen vielleicht besser rechtfertigen kann. Oder hat man es gar leichter, wenn man auf die Recherche verzichtet und die Opfer stattdessen „blind“ ermordet? Wohl kaum, denn viele Details erfährt der Vampir beim Stillen seines Blutdurstes automatisch. Konsequenzen sind also immer sichtbar.

Ein ganz anderer Aspekt der Unterhaltungen sind die „Zustände“, in denen sich alle Figuren befinden, denn die hängen von den bisherigen Ereignissen ab. Immerhin verhalten sich alle Menschen auf unterschiedliche Art – je nachdem, wie sich London zum Zeitpunkt des Gesprächs entwickelt hat und ob Bekannte oder Verwandte der Gesprächspartner ums Leben kamen. Ihre Reaktionen sollen sich aus zahlreichen Faktoren zusammensetzen, denn Beauverger legt großen Wert auf plausible Charakterzeichnungen.

Ausblick

Können die Life-is-Strange-Macher tatsächlich die innere Zerrissenheit eines Vampirs so einfangen, dass auch Spieler vor die schwere Entscheidung gestellt werden: töten oder die Gefahr in Kauf nehmen, mächtigen Vampirjägern zum Opfer zu fallen? Immerhin will Dontnod ein Drama inszenieren, in dem das Laden eines früheren Spielstandes nicht möglich ist und in dem man Zeuge dessen wird, wie Familie und Freunde unter dem Tod eines Opfers leiden. Die Stadt soll sich zudem verändern – je nachdem, welche Schlüsselfiguren man tötet und welche man am Leben lässt. Bislang ist es leider nur eine Einschätzung reiner Fakten und Versprechen. Auf dem Papier arbeitet Dontnod aber an einem der interessantesten Spiele der diesjährigen E3!

Einschätzung: sehr gut

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