Vorschau: Gestandener Held auf der Suche
Eine Spinne für alle Fälle
Das Videospiel-Dasein von Spider-Man ist beinahe so alt wie Konsolen: 1982 erschien auf dem Atari 2600 das erste Abenteuer von Peter Parker. Die erste Hochphase, für viele Spidey-Fans sogar die einzige, wurde allerdings erst 2000 von Neversoft im Auftrag von Activision eingeleitet, die dem Netzschwinger seinen ersten 3D-Auftritt verpassten. Ihren Höhepunkt erreichte sie mit den Spielen, die zum ersten Film-Reboot von Sam Raimi mit Tobey MacGuire in der Hauptrolle unter der Regie von Treyarch entstanden und die einen durch das offene New York City jagen ließen. Zuletzt konnte Activision dem beliebten Superhelden jedoch kaum etwas abgewinnen – vielleicht auch, weil Warner mit Rocksteady und den Batman-Abenteuern Arkham Asylum sowie Arkham City das Superhelden-Spiel in der Zwischenzeit neu definierten.
Aller Einstieg ist leicht
Und zu denen gab es auf dem Vorschau-Event von Sony genug Informationen. Man wird weder die Ursprungsgeschichte neu erzählen noch sich an alten, neuen oder noch kommenden Filmen entlang hangeln. Der Anzug, den Peter Parker im Spiel trägt, hat zwar die beweglichen "Augen", die auch in Spider-Man Homecoming auf dem Kostüm angebracht waren und auch die Musik klingt in ein paar dramatischen Momenten ähnlich wie im Film, der Spidey dem MCU (Marvel Cinematic Universe) hinzufügte. Doch das sind die einzigen Berührungspunkte. Insomniac hat sich in enger Zusammenarbeit mit Marvel auf eine neue Geschichte geeinigt, in der Peter sich schon seit acht Jahren als Superheld durch New York schwingt, während er in einem Zweitjob als Assistent in einem Labor arbeitet und seinen wissenschaftlichen Neigungen nachgeht. Dass er hier nach Feierabend auch seinen Anzug repariert und verfeinert oder hilfreiche Gadgets entwickelt, gehört zu den neuen Geheimnissen, mit denen er im Laufe der Erzählung konfrontiert wird. Abgesehen davon, dass es auch dazu genutzt wird, sich erzählerisch von Homecoming und den von Tony Stark gesponserten technischen Errungenschaften entfernt. Viele andere
Dadurch wird ein interessantes Spannungsmoment aufgebaut, das Insomniac in die beiden erzählerischen Hauptthemen einbettet: Die Suche nach einem Mentor und die Suche nach einem Partner, die ihn bzw. die jeweils andere Seite seines Wesens (Spidey/Peter) antreiben. Ein Kernsatz, der für die Entwicklung nach Aussage von Insomniac eine große Rolle spielte, war „Die beste Spider-Man-Erfahrung ergibt sich, wenn Spideys und Peters Welten kollidieren.“ Und in den etwa zweieinhalb Stunden, in denen wir sowohl den erzählerischen Einstieg als auch die ersten Schritte in der offenen Welt unternehmen durften, scheint dieses Konzept aufzugehen. Nicht nur, dass man nach einer schick inszenierten Einstiegssequenz ohne große Einleitung durch den urbanen Dschungel schwingt, um „Kingpin“ Wilson Fisk dingfest zu machen. Man lernt während des Tutorials auf dem Weg dorthin nicht nur, wie man sich möglichst effektiv in allen Lebenslagen fortbewegt – was letztlich sehr einfach vonstatten geht und visuell stets ansprechende Ergebnisse liefert. Man wird in ersten unproblematischen Auseinandersetzungen mit dem ebenfalls leicht erlernbaren Kampfsystem konfrontiert. Das setzt im Detail zwar nominell auf weniger Knöpfe als die scheinbar als Vorbild dienenden Gefechte in Rocksteadys Batman-Serie. Dies kompensiert es aber dadurch, dass man die Umgebung stärker einbeziehen und natürlich seine Netzfähigkeit nutzen kann und so schon in der Anfangsphase spektakuläre Gefechte genießen darf. Mit den obligatorischen Levels, die Spider-Man aufsteigen darf, kommen nach und nach neue Kampfmöglichkeiten hinzu, während Spezialfähigkeiten der Anzüge (davon gibt es über 20 freizuschalten) und Upgrades ebenfalls Auswirkungen auf den Verlauf der Auseinandersetzungen haben können.
Gute offene Welt?
Und das wird alles sehr schick inszeniert. Allerdings ist mir vor allem im ersten Bosskampf aufgefallen, dass es zwischen dem Drücken der "Ausweich"-Taste und der Umsetzung der Bewegung häufig eine Verzögerung gab, die in zu vielen Momenten zu Lebensenergie-Verlust und sogar einigen Bildschirmtoden führte. Ob dies jetzt evtl. an der aufgebauten Technik lag und bei den 4K-Bildschirmen der Spielemodus inaktiv war oder ob dies ein Designproblem ist, bleibt noch unklar und wird sich mit der Testversion klären. Doch auch mit diesem kleinen Manko war Kingpin irgendwann erledigt und man wurde auf die offene Welt losgelassen. Und die sieht mit ihrem virtuellen New York City, in dem man allerdings auch den Avengers-Tower findet, größtenteils fantastisch aus. Die Straßen sind ansprechend belebt, die Passanten reagieren auf einen und es gibt eine Menge zu tun, wobei es einem natürlich offen steht, ob man jetzt Nebenaufgaben folgt oder die Haupterzählung fortsetzt. Ein kleines negatives Detail: Während Zwischensequenzen und Hauptfiguren komplett und so überzeugend lokalisiert sind, wie man es aus den letzten First-Party-Titeln von Sony kennt, schreien einem viele Passanten englische Aufmunterungen zu – doch das kann sich natürlich in der endgültigen Version noch ändern und wäre selbst in dieser Verfassung auch kein Wertungsbeinbruch.
Abwechslung ist Trumpf
Zwar nutzt man hauptsächlich die duale Dynamik bei schwingender (bzw. kletternder) Erforschung der Spielwelt sowie den Kämpfen, um das Tempo zwischen schön inszenierten Zwischensequenzen zu bestimmen. Doch wie beim Dunklen Ritter von Rocksteady wird man immer wieder auf Mechaniken stoßen, die für Abwechslung sorgen sollen. Dies kann durch das Schlüpfen in eine andere Figur passieren – in den etwa zweieinhalb Stunden der Anfangsphase durfte man in einem Abschnitt auch mit Mary Jane unterwegs sein. Aber auch wenn man mit Spidey bzw. Peter steuert, hat Insomniac auf Variation geachtet. Als Zivilist in seinem Wissenschaftler-Job darf man sich z.B. an intelligenten Puzzles versuchen. Dass diese auch Auswirkung auf den übrigen Spielverlauf haben, versteht sich fast von selbst – und sei es nur durch die Gewährung von Erfahrungspunkten, die akkumuliert zum Figurenaufstieg führen. Und auf Spider-Man warten u.a. Schleichsequenzen à la Batman, in der man mitunter überhaupt nicht gesehen werden darf, da ansonsten z.B. eine Geisel getötet wird. In solchen
An Gegner-Variation scheint es ebenfalls nicht zu mangeln. Sowohl bei den Hauptmissionen als auch bei der „zufälligen“ Verbrechensbekämpfung in der Stadt wurde Spider-Man mit einer ansprechenden Anzahl an Feinden konfrontiert, deren Angriffs- und vor allem Verteidigungs-Verhalten ständige Anpassungen und Nutzung von Spezialfähigkeiten erfordert. Zudem warten mit den bereits im E3-Trailer gezeigten Sinister Six mindestens ein halbes Dutzend Bosse, die es auf Spidey abgesehen haben. Und spätestens hier dürften alle Fäden zusammenlaufen: Levelaufstiege, neue Fähigkeiten, das Sammeln von Gegenständen in der offenen Welt als Basis für die umfangreichen Upgrade-Systeme, die über 20 Anzüge (darunter auch Noir oder Scarlet Spider) und nicht zuletzt die mit Aufgaben sowie Missionen üppig gefüllten acht Distrikte, in denen man sich zum Superhelden aufschwingen kann. Wenn Insomniac bei der Definition einer eigenen, alles zusammen fügenden Story-Identität ebenso sorgfältig gearbeitet hat, wie bei der Kreation des neuen spieleexklusiven Spinnenanzugs, hat Spider-Man große Chancen, Batman als Vorzeige-Superheld abzulösen.
Ausblick
Auf den ersten Blick scheint Insomniacs Spider-Man nur eine bunte Variante dessen zu sein, was Rocksteady vor allem mit Batman: Arkham City abgeliefert hat: Ein unterhaltsames Action-Adventure mit Superhelden-Flair, einer offenen Welt und brachialen Auseinandersetzungen. Und das würde mir eigentlich schon beinahe reichen. Doch bei aller Ähnlichkeit hinsichtlich des dynamischen Kampfsystems und des Umgangs mit dem erstaunlich großen Manhattan als offenem Spielplatz scheint man es zu schaffen, diesem Peter Parker sowie seinem Alter Ego eine eigene Identität geben zu können. Die Inspiration, die man hinsichtlich der Mechaniken nahezu überall spürt, wird nicht nur einfach kopiert, sondern in einigen Bereichen verbessert bzw. zielgerichtet auf Spidey zugeschnitten. Und das Ergebnis macht zumindest in der ausgedehnten Anfangsphase eine Menge Spaß. Auf lange Sicht muss sich zwar noch zeigen, ob die Auseinandersetzungen auch nach zig Stunden noch die nötige Abwechslung mitbringen. Oder ob der für offene Welten obligatorische Sammelkram auch in späteren Phasen so clever und sinnvoll eingebunden ist, wie es anfänglich den Anschein hat. Ebenfalls wichtig wird die Story sein, die hoffentlich nicht nur die Kampagne zusammenhält, sondern idealerweise ähnlich wie bei Rocksteadys Batman auch die Nebenaufgaben mit einem erzählerischen Bogen versieht. Nach dem, was ich bislang von Spider-Man sehen und spielen konnte, ist der neue Titel von Insomniac für mich das beste Superhelden-Abenteuer seit Arkham City.
Einschätzung: sehr gut
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