Life is Strange: Before the Storm23.06.2017, Benjamin Schmädig

Vorschau: Briefe an Max

Die gute Nachricht zuerst: Die Vorgeschichte zu Life Is Strange gleicht dem Original so sehr, dass man sich beinahe im selben Spiel wähnt. Statt der damaligen Protagonistin spielt man zwar deren beste Freundin – äußerlich und spielerisch hat sich allerdings nicht viel verändert. Deshalb die noch bessere Nachricht: Auf der E3 habe ich mich mit dem federführenden Autor, Zak Garriss, darüber unterhalten, wie Chloe ihren eigenen Weg gehen soll.

Drei Jahre und kein bisschen blau

Auch wenn das vor zwei Jahren der Aufhänger des übersinnlichen Krimis war: Die dreiteilige Miniserie Before the Storm wird nicht zeigen, wie Chloes Freundin Rachel entführt wird. Sie erzählt vielmehr ihre eigene, vom damaligen Spiel losgelöste Handlung. Drei Jahre vor Life is Strange steht dabei Chloe Price im Mittelpunkt, die Rachel kennenlernt, nachdem ihre beste Freundin Max ihren Heimatort Arcadia Bay verlassen hat.

Mit zwei Szenen vermittelte Square Enix auf der E3 einen Eindruck davon, wie sich die beiden annähern; erst auf dem Konzert einer Independent-Band, dann auf einem Schrottplatz, auf dem sie die Schule schwänzen. Chloe – noch ohne blau gefärbte Haare, aber schon ähnlich forsch wie man sie kennt – klaut ein T-Shirt, 200 Dollar obendrauf und kauft sich von ihrer Beute eine Tüte Haschisch.

Oder doch nicht? Was die 16-Jährige tut, hängt davon ab, wie man sie spielt, wobei die Anzahl an Entscheidungen, Aktionen und Verzweigungen der des Vorgängers ähneln soll. Das erklärt jedenfalls Lead Writer Garriss, als ich ihn danach frage. Dass sich die Vorgeschichte weder strukturell noch äußerlich von Life Is Strange unterscheidet, ist dem Autor wichtig.

Drei Jahre vor Life Is Strange erzählt Before the Storm von Chloe und ihrer Freundin Rachel.

Wer macht was?

Das junge Studio Deck Nine arbeitet übrigens nur deshalb an Before the Storm, weil Dontnod, also die Entwickler des ursprünglichen Adventures, gerade dessen „echten“ zweiten Teil erstellen.

„Square Enix wollte den Wünschen der Fans nachkommen“ und „wir haben nach einer Möglichkeit gesucht an einem erzählstarken Adventure zu arbeiten“, beschreibt Garriss die neue Zusammenarbeit. Immerhin habe Deck Nine, das zuvor unter Idol Minds firmierte, seit mehr als drei Jahren auf diesen Schritt hingearbeitet und zu diesem Zweck ein Programm namens Storyforge entwickelt, das aus zwei Teilen besteht: Während Storyteller ähnlich wie eine Videobearbeitung das Erstellen filmischer Szenen in dem digitalen Arcadia Bay ermöglicht, gleicht Playwright einer Drehbuch-Software. Es fügt den geschriebenen Handlungsfolgen einfach verständlichen Programmcode hinzu, so dass die Autoren um Garriss interaktive Szenen strukturieren können.

Deck Nine hatte von Beginn an sehr genaue Vorstellungen von der Art Spiel, das das Team erschaffen wollte und diese gefielen Square Enix wohl so gut, dass die Zusammenarbeit schnell beschlossene Sache war. Mitarbeiter des Publishers, die an Life Is Strange beteiligt waren, arbeiten dabei eng mit den Kreativköpfen zusammen, während sich Dontnod voll und ganz auf den zweiten Teil konzentriert. Als Story Consultant ist außerdem Ashly Burch beteiligt, die aufgrund eines Gewerkschaftsstreiks diesmal nicht Chloe ihre Stimme leihen kann.

Ein emotionales Tagebuch

Doch wer ist Chloe eigentlich, wenn man sie selbst spielt? Anders als Max kann sie schließlich weder die Zeit zurückdrehen noch fotografiert sie interessante Motive ihrer Umgebung. Tatsächlich drehen sich fast alle Neuerungen „um die Art und Weise, auf die sich Chloe von Max unterscheidet.“

Garriss erinnert mich an eine Szene aus einem der auf der E3 gezeigten Abschnitte, in der Chloe ein Sägeblatt mit einem Graffiti beschmiert hat – weil sie als Max nicht nur beobachtet, sondern ihre Gefühlswelt aktiv auslebt. Man kann sogar wählen, welche Sprüche man wo hinterlassen will: „Es wird euch überraschen, wo sie alles Graffiti erstellen kann.“

Viel mehr als das gefällt mir aber eine ganz andere Neuerung; Chloe führt nämlich kein Tagebuch, wie Max es tut. Stattdessen schreibt sie Briefe an ihre verlorene beste Freundin – Briefe, die sie nie abschickt, weil sie glaubt, dass

Arcadia Bay dient erneut als Schauplatz des erzählstarken Adventures.
Max nichts mehr von ihr wissen will. „Das sagt viel darüber aus, wie es in ihrem Leben gerade aussieht“, sagt Garriss und ich finde diese Verbindung auf dem Papier schon wundervoll!

Erleben statt durchspielen

Hat der Autor eigentlich Angst davor, dass Spieler frustriert sein werden, falls sich die Geschichte anders entwickelt, als sie es wollen? Immerhin konnte man in Life Is Strange selbst nach wichtigen Entscheidungen die Zeit zurückdrehen – diese Fähigkeiten besitzt Chloe allerdings nicht. Tatsächlich bereitet ihm das aber wohl keine Kopfschmerzen, denn ob man die richtige Wahl trifft, hänge nicht davon ab, ob man sie wiederholen kann, sondern davon, ob die Wahlmöglichkeiten treffend formuliert sind.

Sein Ziel sei aber ohnehin, dass Spieler Before the Storm nicht mit Blick auf das Ergebnis spielen, um vielleicht also möglichst alle Verzweigungen mindestens einmal zu erleben. Vielmehr sollen sie sich so verhalten, wie ihr Gefühl es sagt. Aus diesem Grund halte er seine Schreiber auch dazu an, die Spieler nicht ausführlich über das

Wir wollen, dass unsere Charaktere nie etwas sagen, das sie in den entsprechenden Augenblicken nicht sagen würden", beschreibt Lead Writer Zak Garriss seine Aufgabe.
Geschehen oder mögliche Konsequenzen zu informieren, sondern stets die emotionale Seite einer Situation oder einer Person zu beleuchten. „Wir wollen, dass unsere Charaktere nie etwas sagen, das sie in den entsprechenden Augenblicken einfach nicht sagen würden“, meint er.

Hella girl

Und was ist eigentlich mit der Sprechweise der Teenager, für die Life Is Strange mit am stärksten kritisiert wurde? Die Jugendsprache aus der Feder von Christian Divine wirkte oft künstlich – ist das etwas, das Garriss ändern will? Seine Antwort ist interessant, denn er vergleicht Divines Art Dialoge zu schreiben mit der Arbeit eines Choreografen: „Niemand kritisiert Tänzer dafür, dass sie sich nicht so bewegen, wie es Menschen im Alltag tun. Die Erwartung an das Tanzen als Kunstform ist […], dass Bewegungen auf besondere Art eingesetzt werden. “ Er habe die Unterhaltungen daher als ein Stilmittel wahrgenommen, das die überhöhte Gefühlswelt von Teenagern widerspiegelt.

Die Antwort ergibt Sinn. Und in der Tat will Garriss wenig an Divines Blaupause ändern; ruhige, natürlich wirkende Augenblicke sowie überzeichnete dramatische Momente sollen sich abwechseln. Ich wünschte trotzdem, die Figuren würden durchgehend auf eine natürlichere Art miteinander reden.

Gefühle auf Stufe elf

Bewusst geworden ist mir das in einer Szene der E3-Präsentation, denn als Chloe und Rachel auf dem Schrottplatz aneinander geraten, explodiert Chloe auf allzu melodramatische Weise. Dass sie im selben Zug gleich noch verschiedene Gründe ihrer Verzweiflung darlegt, widerspricht nicht zuletzt dem, was Garriss an anderer Stelle meinte: dass die Charaktere dem Spieler nicht die Handlung erklären, sondern über ihren aktuellen Gemütszustand reden sollten.

Auch Kenner von Life Is Strange werden nicht wissen, wie die dreiteilige Miniserie ausgeht.

Ich habe die Szene nicht als schlechten Moment empfunden. Als etwas bedauerlich empfand ich den allzu zweckmäßigen Wutausbruch allerdings schon. Und immerhin gibt es besonders in Film und Fernsehen zahlreiche Charaktere, die weniger sperrig wirken als Max oder Chloe und trotzdem starke Momente haben.

Ein Ende, das keins ist?

Etwa sechs bis neun Stunden soll die Vorgeschichte lang sein und am Ende werde man wieder vor einer schweren Wahl stehen. „Wir wollen mit allen drei Episoden auf eine ganz bestimmte Entscheidung hin arbeiten“, so Zak Garriss, dem es gar nicht so wichtig ist, dass sämtliche Entscheidungen irgendwann zusammengerechnet werden, um sukzessive den Weg ins Finale vorzuzeichnen. Er hat Before the Storm vielmehr ähnlich konzipiert wie Life Is Strange, nämlich als eine Reihe von Ereignissen, mit denen man so in das Leben der Hauptfigur abtaucht – um irgendwann in der Lage zu sein einen wegweisenden Entschluss zu fassen.

Ausblick

Zum größten Teil freue ich mich darüber, dass Before the Storm dem ersten Life Is Strange bis auf Kleinigkeiten sehr ähneln wird. Das Interessante ist die neue Hauptfigur und ihre Geschichte, von der selbst Kenner des Originals in dieser Form noch nichts wissen. Arcadia Bay bleibt als Kulisse unverkennbar, die Musik hinterlässt einen bisher vertrauten Eindruck und die Vorgeschichte soll ähnliche Interaktionsmöglichkeiten sowie Entscheidungen enthalten wie das Original. Dass manche Dialoge wohl erneut seltsam anmuten, empfinde ich als durchaus bedauerlich, dennoch dürfen sich Fans des Teenager-Krimis allem Anschein nach auch mit der jüngeren Chloe wohl fühlen. Ich bin gespannt darauf, wohin der Weg führt, den sie ohne ihre beste Freundin sucht!

Einschätzung: gut

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