Yakuza Kiwami 229.08.2018, Benjamin Schmädig

Im Test: Alte und neue Stärken

Stellt euch vor ihr macht als Kazuma Kiryu die Stadt unsicher. An eurer Seite: eine bezaubernde Frau, die ganz langsam so etwas wie Zuneigung entwickelt. Auf den Straßen herrscht eine ausgelassene Stimmung, Neonreklame spiegelt sich im nassen Asphalt. Ihr könntet Dart spielen, Essen gehen, Golfbälle schlagen, etwas trinken gehen und vieles mehr – das ist Yakuza. Also kommt ihr schließlich an einer Karaoke-Bar vorbei, in der jede Gruppe ihr eigenes Zimmer bekommt. Und was macht Kazuma da? Ruft seinen Kumpel an! Die Frau bleibt draußen. Ja... auch das ist Yakuza.

Litfaßsäulen als Missionsgeber

Nun war wirklich nicht zu erwarten, dass Yakuza Kiwami 2 (ab 17,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) das Rad dieser offenen Welt neu erfindet. Immerhin handelt es sich „nur“ um das Remake eines zwölf Jahre alten PlayStation-2-Spiels. Trotzdem fällt doch ein ums andere Mal auf, dass Ryu ga Gotoku Studio (die Serie heißt in Japan nicht Yakuza, sondern wie das nach ihr benannte Entwicklerstudio) zwar stets um Neuerungen bemüht ist, von einer modernen interaktiven Erzählweise aber weit entfernt ist. Und so hält auch die Neuauflage des zweiten Teils am starren „Gehe dorthin und klicke eine Mission an!“ fest.

Dutzende Geschichten und Kurzgeschichten erlebt Kazuma sowohl im Vergnügungsviertel Kamurocho als auch in Sotenbori...

Immerhin: In der Welt von Yakuza gibt es traditionell eine gigantische Menge solcher Missionen. Womit vor allem die vielen optionalen Beschäftigungen abseits des roten Fadens gemeint sind, sprich das Baseball-Training, Besuche in der Spielhalle, beim Second-Hand-Händler sowie Dutzende Kurzgeschichten, die Kazuma dort erlebt, wo er sich mit (eben fast immer starr postierten) „Passanten“ unterhält und einwilligt, sich ihrer Probleme anzunehmen.

Neue Technik, altes Spiel

Die Lösung findet er meist im Verdreschen gemeiner Bösewichte, die sich daraufhin gerne geläutert und dankend aus dem Staub machen. Kein Wunder: Auch Yakuza Kiwami 2 dreht sich um das brutale Prügeln mit Kleinganoven, mittelmäßig begabtem Mafia-Personal sowie dessen Bossen. Herr Kiryu reiht also Kombos aneinander, richtet mit Finishern besonders großen Schaden an und nutzt diesmal auch wieder Waffen.

"Diesmal", weil das in Yakuza 6 nicht ging – eins muss man nämlich wissen: Während Kiwami 2 selbstverständlich die in Kiwami erzählte Geschichte fortführt, nutzt es die in dem direkt davor veröffentlichten Yakuza 6 eingeführte Dragon-Engine. Und weil „Engine“ mehr ist als nur Grafik, betrifft das auch sämtliche Inhalte. Sprich, die Minispiele fühlen sich im Wesentlichen so an, wie man es seit Teil sechs kennt, die Steuerung ebenfalls und auch die

... die meisten davon löst er selbstverständlich auf diese Art, woraufhin mancher Bösewicht schon geläutert ist.
Kämpfe laufen im Grunde so ab wie im technischen Vorläufer.

Die Peitsche der Domina

Kazuma wechselt daher nicht zwischen verschiedenen Kampfstilen, kann aber wie gehabt auf dem Boden liegende Fahrräder, Pylonen usw. als Waffen nutzen. Zusätzlich rüstet er jetzt aber auch bis zu drei Messer, Sprühdosen oder andere Gegenstände dauerhaft aus, die ihm dann per Knopfdruck zur Verfügung stehen.

Neu sind außerdem Finisher, die man freischaltet, nachdem man bestimmten Personen in verschiedenen Stadtteilen einen Gefallen getan hat. Diese unterstützen ihn dann, wenn er in ihrer Nähe einen solchen Finisher auslöst. Kampfentscheidend sind ihre Aktionen nicht – für unterhaltsame Abwechslung sorgt es aber allemal, wenn ihm die Domina eine Peitsche zuwirft.

Wann geht’s denn los?

Nicht zuletzt haben die Entwickler Angriffe bzw. Konter entschärft, die in Yakuza 6 noch sehr mächtig waren. Alles in allem fühlen sich die Schlägereien dadurch eine Idee fordernder an und viele Kämpfe gegen stärkere Feinde verlangen mehr als zuletzt aufmerksames Blocken bzw. Ausweichen. Was dabei leider gewaltig stört, sind die relativ engen Räume, in denen viele der Prügeleien stattfinden. Klar: Die wurden vom Original vorgegeben. Vielleicht hätte Ryu ga Gotoku Studio in solchen Momenten aber gut daran getan, stärker davon abzuweichen. Die Übersicht war vor zwölf Jahren schon keine Offenbarung; mit dem aktuellen Kampfsystem ist sie in manchen Augenblicken unzumutbar!

Seltsam außerdem, dass man wie früher recht lange warten muss, bevor man nach dem Entdecktwerden eine Bande Gangster auch vermöbeln darf. Konnte man in Teil sechs sofort drauflos schlagen, was dem Spiel auf angenehme Weise Schwung verlieh, steht man jetzt einige Sekunden lang tatenlos rum, bis es endlich losgeht.

Groß- und Kleinstadt

Überhaupt ist Kiwami 2 nicht in jeder Hinsicht eine Weiterentwicklung. Anders als im indirekten Vorgänger wurde etwa nicht jeder Text vertont. Das ist nicht schlimm, fällt aber auf. Und immerhin läuft Kazuma wieder durch das vollständige Kamurocho einschließlich Park und Champion District, also die virtuelle Version des originalgetreu nachgestellten Vergnügungsviertels Kabukicho, in dem die Handlung zu großen Teilen stattfindet.

Der andere Teil der Handlung findet in Sotenbori statt, was dem Stadtteil Dotonbori in Osaka nachempfunden wurde. Und eins fällt dort auf: War der zusätzliche Schauplatz in Yakuza 2 noch eine gelungene Abwechslung zu Kamurocho, wirkt er heute wie ein weniger interessanter Ableger des namhaften Vergnügungsviertels. Das liegt zum einen daran, dass die kleineren Orte Okinawa sowie Onomichi im dritten und sechsten Yakuza eine erfrischende Erholung von den rechteckigen Straßenzügen einer Großstadt waren. Zum andern spielten auch Yakuza 5 und Zero in Sotenbori, weshalb die allzu vertraute Umgebung nicht gerade aufbauend wirkt. Auch hier gilt: Das kann man einem Remake schlecht vorwerfen. Aber es fällt nun mal auf.

Genau wie Yakuza 6 wirken die Kulissen so plastisch wie in keinem vergleichbaren Spiel.

Einen Schritt vor, einen zurück

Schade auch, dass manche Objekte erst spät auftauchen. Es ist nicht die Regel, wirkt aber störend. Die Spiegelungen im Wasser von Sotenbori hätten zudem ohne Screen Space Reflexions besser ausgesehen. Die gespiegelten Objekte sind nämlich so groß und klar sichtbar, dass man sie beim Spaziergehen gerne genauer anschaut – woraufhin sie naturgemäß abgeschnitten werden. Und das schadet dem Eindruck stärker, als es ausschließlich die vorgefertigten Spiegelungen getan hätten.

In kleinen Pfützen ist der Effekt hingegen perfekt aufgehoben, denn nicht nur dadurch sehen besonders Kamurocho, aber auch Sotenbori fantastisch aus und vermitteln den plastischen Eindruck realer Straßenzüge besser als jedes andere Spiel!

Nur spielerisch macht auch die Umgebung in Kiwami 2 einen kleinen Schritt zurück, weil es die zahlreichen, aus Yakuza 2 bekannten Schlüssel übernimmt, dank derer Kazuma Bonusgegenstände aus Schließfächern erhält. Fand man in Yakuza 6 nur hin und wieder mal einen Schlüssel zu Tresoren, ist man jetzt wieder ständig auf der Suche nach etwas Blinkendem. Stimmt: Theoretisch könnte man diesen Sammelwahn ignorieren. Praktisch ziehen die Schlüssel aber genug Aufmerksamkeit auf sich, dass die Umgebung stärker als in Teil sechs wie eine funktionale Kulisse wirkt, anstatt als glaubwürdiger Schauplatz für sich zu stehen.

Fragmentierte Tower Defense

Lebendig wirken sowohl Kamurocho als auch Sotenbori dafür einmal mehr durch etliche Beschäftigungen, die mit der erzählerischen Entwicklung nicht das Geringste zu tun haben – von denen viele aber spätestens seit Yakuza 6 bekannt sind und mitunter sogar in schlechterer Form auf das Remake übertragen wurden. Das Baseball-Training wird jetzt z.B. von einer ausgesprochen nervigen Melodie begleitet, während die Clan-Kämpfe stark verändert wurden.

Griff man zuletzt nämlich andere Clans an, verteidigt man jetzt ein Gebiet gegen Gegner-Wellen. Dafür stellt man erneut einen Trupp aus acht Männern zusammen, die alle über eine Spezialfähigkeit verfügen. Nur vier Kämpfer können ihre Fähigkeit aber im Kampf nutzen, bei den anderen sind grundlegende Werte wie Angriffsstärke daher stärker als ihre Begabungen. Das verleiht dieser Art Tower Defense eine interessante Portion Taktik.

Im Gegenzug sortiert man die Charaktere jedoch nicht in ein hierarchisches System, um sie zusätzlich zu stärken; diese Ebene fehlt also. Auch Online-Duelle mit den Trupps anderer Spieler gibt es diesmal nicht und leider sind vor allem die Gefechte selbst längst nicht so unterhaltsam wie in Teil sechs. Denn erstens verliert man hin und wieder die Übersicht, wenn man die Kamera in alle vier Richtungen anstatt nur nach vorn bewegen muss, und zweitens ist die Steuerung seltsam fragmentiert. Jede Spezialfähigkeit darf man nämlich auslösen, ohne den entsprechenden Kämpfer anzuwählen. Ist die entsprechende Figur in dem Moment nicht aktiv, weiß man aber oft nicht, wo sie sich eigentlich befindet.

Die veränderten Clan-Kämpfe sind längst nicht so unterhaltsam wie in Yakuza 6. Es fehlt Übersicht und einer intuitiven Steuerung.
Diese seltsame Trennung von Charakter und Fähigkeit sowie die ohnehin schlechte Übersicht stellen leider oft größere Herausforderungen dar und behindern dadurch das eigentliche Taktieren.

Was Herrn Majima so umtreibt

Mit dem Managen eines Cabaret-Clubs kehrt schließlich ein ganz anderes Minispiel zurück, denn anstatt selbst zu flirten (nur gegen Ende trifft sich Kazuma kurz mit verschiedenen Hostessen) führt der feine Herr Kiryu diesmal sein eigenes Lokal. Dort kleidet er Angestellte ein, kauft ihnen Schmuck und teilt sie schließlich ankommenden Gästen zu, die gelegentlich Sonderwünsche äußern oder anderweitig Aufmerksamkeit verlangen. Es ist das gleiche Verwalten, das man als Goro Majima in Yakuza Zero erlebt hat – und damit auch ähnlich unterhaltsam.

Apropos: Eine ganz andere Art Zeitvertreib findet man abseits des eigentlichen Spiels, genauer gesagt in einem zweiten Modus namens Majima Saga. Der Publikumsliebling erhält nämlich einmal mehr seine eigene Geschichte, die es vor zwölf Jahren in der Form noch gar nicht gab. Man schaltet also nach und nach einzelne Kapitel frei, in denen man aus Majimas Sicht in geradlinigen Abschnitten erlebt, was Kazumas „Lieblingsfeind“ damals hinter den Kulissen widerfahren ist.

Ob Goro Majima bald sein eigenes Spiel erhält? In Kiwami 2 spielt man ihn auch wieder selbst.

Dafür alleine lohnt sich das Remake freilich nicht und die Episoden sind ohnehin so kurz, dass man sie erst nach Abschluss der eigentlichen Geschichte starten sollte; die Wartezeit zwischen dem Freischalten neuer Teile kann sonst unangenehm lang werden. Interessant ist der zusätzliche Einblick aber schon.

Keck statt aufgeklärt

Überhaupt ist die Handlung die große Stärke des Remakes – hauptsächlich, weil sie das schon damals war. Sie beleuchtet immerhin wie üblich die politischen Wirrungen der Yakuza, bleibt gleichzeitig aber mehr als jeder andere Teil näher an den persönlichen Geschichten der Hauptfiguren. Und zu denen zählt ausnahmsweise auch eine Frau: Kaoru Sayama, die als Polizistin einen alten Fall aufklären will und Kazuma dabei auf mehr als eine Weise näherkommt.

Schade, dass Kaorus damalige Sprecherin nicht mehr zur Verfügung stand! Sämtliche Filmszenen wurden ja wie in Kiwami neu vertont und ihre jetzige Stimme klingt kecker, bissiger – und lässt damit die aufgeklärte Ruhe vermissen, die Kaoru damals auszeichnet hat. Doch sei’s drum: Auch mit neuer Stimme erzählt Kiwami 2 die bis heute beste Geschichte der gesamten Serie!

Fazit

Alles in allem haucht Sega dem ursprünglich auf PS2 veröffentlichten Yakuza 2 auf gelungene Art neues Leben ein. Vor allem, weil die Geschichte bis heute die beste der Serie ist, lohnt sich die Rückkehr ins virtuelle Japan des Jahres 2006. Dabei sorgt die Dragon-Engine dafür, dass die Neuauflage ein beeindruckendes Gefühl der Immersion entstehen lässt – auch wenn der Fortschritt nicht überall spürbar ist. So wurden diesmal nicht alle Texte vertont und die Minispiele sind in ähnlicher Form bekannt, teilweise aber weniger unterhaltsam als zuletzt. Die interaktive Welt wirkt zudem seltsam starr und viele für die Handlung wichtige Prügeleien finden in so engen Räumen statt, dass man zu oft den Überblick verliert. Abgesehen davon überzeugen die brachialen Kämpfe aber, zumal man in wichtigen Duellen nicht gedankenlos auf einen Gegner einschlagen sollte. Unterm Strich ist Yakuza Kiwami 2 also ein ganz typischer Vertreter der langjährigen Serie: So viel Spaß es auch macht, sich die Zeit in der detaillierten und spielerisch vielseitigen Welt zu vertreiben, so vertraut und altmodisch wirkt all das.

Pro

sorgfältige Restauration eines zwölf Jahre alten Spiels mit zusätzlichen spielerischen und erzählerischen Inhalten
große, persönliche Geschichte die beste der gesamten Serie
grafisch aufwändige und spielerisch umfangreiche Schauplätze
freie Charakterentwicklung mit vielen Fähigkeiten und Werten
viele optionale, mal kuriose, mal ernste Kurzgeschichten bzw. Missionen
teils fordernde, herrlich brachiale Prügeleien
wahlweise Herumlaufen aus Ego-Perspektive

Kontra

fehlende Übersicht in vielen wichtigen Kämpfen
relativ langes Warten vor Prügeleien auf Straße
starres Anklicken von Missionsgebern statt dynamische offene Welt
praktisch alle Inhalte werden aus Vorgängern recycelt
unübersichtliche Clan-Kämpfe mit seltsamer Steuerung
etliche sammelbare Schlüssel lenken von ruhigem Erkunden ab
weder deutsche Sprache noch Texte

Wertung

PlayStation4

Yakuza Kiwami 2 ist ein gelungenes Remake des erzählerisch besten Teils, das inhaltlich aber einen Schritt zurück macht.

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