The Quiet Man05.11.2018, Mathias Oertel
The Quiet Man

Im Test: Stille Gewalt

Auf der diesjährigen E3-Pressekonferenz von Square Enix gab es ein paar Titel, die mich neugierig gemacht haben. Einer davon war The Quiet Man, eine Mischung aus Echtfilm-Sequenzen und Prügler. Ob das Konzept aufgeht, das von den Human Head Studios (Rune, Prey) entwickelt wurde, verraten wir im Test.

Stille als Stilmittel

Die einzigen Worte, die man in The Quiet Man bis zum Abspann zu hören bekommt, den man nach etwa dreieinhalb bis vier Stunden erlebt, werden in den ersten fünf Minuten gesprochen. Es gibt einmal eine Warnung eines Hot-Dog-Verkäufers, der gleichzeitig auch als Informant dient und einen in New York City in den richtigen Distrikt lotst. Und dann kriegt man noch eine Drohung eines Anführers einer mexikanischen Gang. Doch ab dem Moment, an dem der Protagonist Dane dem Gegenüber anzeigt, dass er gehörlos ist, nimmt er den Spieler mit in seine akustische Welt. Und ab hier wird The Quiet Man zuerst interessant, bevor Human Head das Konzept vollkommen unlogisch umsetzt- und das meine ich erst mal nur inhaltlich.

The Quiet Man setzt auf einen Wechsel zwischen Realfilm- und Spielszenen - und dies zumeist gelungen.
Dass man z.B. bei den folgenden Nahkampf-Gefechten, die mitunter sehr schonungslos umgesetzt werden und brachiale Knockouts beinhalten, nur das krachende Aufeinandertreffen von Körperteilen als dumpfes „Pfump“ hört, ist eine gute Idee und zieht einen in die Welt der Gehörlosigkeit. Das mitunter subtile Rauschen, das darüberhinaus ein steter Begleiter ist und nur von den gedämpften Schritten unterbrochen wird, die man eher spürt als dass man sie hört, unterstützt das Gefühl, sich in einer vollkommen anderen Welt zu befinden. Ähnliches haben mit ihren jeweils eigenen Stilmitteln auch Beyond Eyes oder Perception geschafft – Spiele, die sich mit Blindheit beschäftigen.

Wenigstens das Konzept ist gut

Doch wo diese beiden Titel den Spieler stets mitgenommen aber nicht vergessen haben, dass der Teilnehmer vor dem Bildschirm nicht mit einer körperlichen Beeinträchtigung kämpft, sorgt The Quiet Man mit seinen Designentscheidungen dazu, dass man sich vom Spiel entfremdet. Dabei ist das Drehbuch inhaltlich durchaus ok, erinnert mit seiner Geschichte eines Psychopathen, der in New York City eine Nachtclubsängerin entführt, in Grundzügen mal an Das Schweigen der Lämmer, dann wiederum an David Cages Fahrenheit. Doch im Umgang mit Dane, der in der Kindheit durch einen tragischen Unfall seine Mutter verloren hat, sowie vor allem in der Interaktion mit seiner Umgebung, verliert Human Head den Faden und

Das Drehbuch um den gehörlosen Racheengel Dane ist gut und auch mit übersinnlichen Elementen gefült, die Umsetzung überzeugt deutlich weniger.
dadurch der Spieler das Interesse. Sämtliche Gesprächsszenen sowie alle Momente, in denen man als Gehörloser in der realen Welt durch Vibrationen etc. seine Umgebung sinnlich wahrnehmen würde, werden hier auf Stille sowie merkwürdig melodische Klänge bei Dialogen reduziert. Dass man als Stilmittel auf Untertitel verzichtet hat, kann ich bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen, da man den Spieler komplett in diese gänzlich fremde Welt ziehen möchte. Doch sehr schnell wird es unlogisch. Dane kann Lippen lesen. Und trotzdem darf ich als Spieler nicht erfahren, über was er sich mit den anderen Charakteren unterhält. Nicht einmal, wenn Gebärdensprache eingesetzt wird, bekommt man Hinweise. Und absurd wird es in dem Moment, wenn Dane sich tatsächlich auch verbal einschaltet. Theoretisch sollte er doch wissen, was er sagt oder zu artikulieren versucht. Doch auch hier steht man vor einer Sprach- bzw. Stummbarriere, so dass letztlich wichtige Zusammenhänge unklar bleiben. Ist der Polizist der leibliche Vater von Dane, nur eine Vaterfigur oder was jetzt? Und während ich mir noch diese Frage stelle, interessiert es mich irgendwann nicht mehr.  

Alles wird trotz der prinzipiell guten Darsteller sowohl in den Echtfilm-Sequenzen als auch ihren virtuellen Ebenbildern in der Spielgrafik zu schnell zu anstrengend. Da zudem alles sehr konventionell inszeniert wird und auch hier keine Überraschung zu erwarten ist, hat mich The Quiet Man selbst in dramatischen Momenten verloren. Zu langatmig, zu anstrengend und mitunter schlichtweg uninteressant habe ich Human Head über beinahe die gesamte Spielzeit verflucht, aber vor allem im letzten Drittel, wenn die Geschichte dramaturgisch an Fahrt aufnimmt, gewünscht, dass man mal den Blick über den Industrietellerrand gewagt und geschaut hätte, wie Hollywood mit dem Thema umgeht. Denn wie es anders und vor allem besser geht, zeigt der Thriller Hush aus dem Jahr 2016, in dem eine gehörlose Autorin mit einem erbarmungslosen Killer konfrontiert wird. Auch hier wird man immer wieder durch die gut inszenierte Stille in die Welt der Gehörlosen gezogen. Doch man spielt mit dem Wissen, dass der Zuschauer nicht taub ist und setzt sowohl untertitelte Gebärdensprache als auch Geräusche ein, wenn es der Dramaturgie hilft. Und auch wenn A Quiet Place das Theme Stille anders angeht und vor allem aus anderen Gründen nutzt, ist auch hier die Intensität ungleich höher als bei The Quiet Man. Das Konzept ist zweifellos gut. Doch schließlich hat Human Head beinahe das gesamte Drama diesem Konzept geopfert – sehr zu Lasten des Spaßes. Dass demnächst ein Patch erscheinen soll, der bei einem zweiten Durchspielen die „normale“ Akustik verfügbar macht, ist für mich auch nur eine Notlösung. Denn statt einer „Ganz oder gar nicht“ Option hätte ich eine von Beginn an durchinszenierte Spielerfahrung vorgezogen. Eine, bei der aus gezielt eingesetzten dramaturgischen Gründen zwischen stillen und lauten Momenten gewechselt wird.

Bieder und problematisch

Die Prügelsequenzen werden brachial inszeniert, kranken aber in erster Linie an Tiefgang sowie einer überzeugenden Kollisionsabfrage.
Das alles könnte man jedoch noch akzeptieren, wenn wenigstens der mechanische Teil von A Quiet Man überzeugen würde. Doch auch hier hapert es – wenngleich nicht so stark wie in dramaturgischer Hinsicht. Prinzipiell an eine Mischung aus The Bouncer aus dem Jahr 2000 (PS2, seinerzeit veröffentlich von Squaresoft) sowie Das Bourne Komplett (PS3/360, 2008) erinnernd, wandert man mit Dane von Raum zu Raum bzw. Arena und kämpft dort gegen Gegnerwellen, wobei man auch die Umgebung nutzen darf. Sprich: In bestimmten Situationen kann man die Feinde z.B. gegen an der Wand hängende Flachbildschirme, Schränke etc. hämmern, um sie auszuschalten. Das Kampfsystem ist überschaubar, hätte aber dennoch von einem kleinen Tutorial profitiert, anstatt den Spieler ohne Kenntnis der Tastenbelegung ins Gefecht zu schicken. Ohne Hinweis, dass neben der Quadrat-Taste für schnelle Schlag-Kombos die X-Taste zum Ausweichen bzw. Konter der wichtigste Knopf ist, kassiert man in den ersten Auseinandersetzungen zu viele Treffer. Das wiederum kann vor allem auf dem hohen der zwei zur Verfügung stehenden Schwierigkeitsgrade sehr schnell zu einem KO führen. Das auf klassische Bildschirmanzeigen wie Gesundheitsleiste etc. verzichtet wird, ist in Ordnung. Doch die Art und Weise, wie Kollisionsabfrage und Abstufungen der Lebensanzeige von Dane umgesetzt werden, führt dieses System ad Absurdum. Immer wieder hat man das Gefühl, dass man nicht einmal getroffen wird und dann ein einziger Schlag das Aus bedeutet.

Schauplatz des Dramas ist New York City.
Auch der starke Schlag und noch mehr die Fokusfunktion, die sich nach und nach auflädt, was aber auch nur durch eine kurze Veränderung der Kontraste sowie einen leichten Farbstich ins Blaue markiert wird, bleiben erklärungslos, sind aber imminent wichtig, da sehr effektiv. Denn vor allem mit den Schlagkanonaden, die Dane mit aktiviertem Fokus loslässt, kann man die wenigen Bosse knacken, die einem in den sechs Kapiteln begegnen. Bei allen anderen hilft eigentlich ein leicht taktischer Wechsel zwischen leichten Kombos und dem Ausweichen. Dank geschmeidiger (aber unter dem Strich nur wenige) Animationen und der erwähnten brachialen Umsetzung der Treffer (inkl. Crashzooms und Zeitlupen) machen die Kämpfe zumindest visuell einiges her. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Kollisionsabfrage ihre Funktion aufgibt und die Figuren durcheinander clippen und damit den guten Eindruck zunichte machen, der sich auch durch die nahtlosen Übergänge zwischen Echtfilmsequenzen und von Unreal Engine angetriebener Spielgrafik ergibt.

Fazit

Ich möchte mit The Quiet Man Spaß haben. Zum einen, weil ich die Kombination aus Realfilm und nahtlos eingebundenen Kämpfen konzeptionell immer noch für einen gute Idee halte. Zum anderen, weil das Kernthema um den gehörlosen Racheengel Dane von einem unter dem Strich zwar leicht vorhersehbaren, aber dennoch guten Drehbuch angetrieben wird. Doch Human Head hat mit nur wenigen Designentscheidungen dafür gesorgt, dass mir die Lust sehr schnell verloren geht. Wird der Einstieg in die akustisch mitunter bedrückend gedämpfte Welt noch clever inszeniert, verliert man sich zunehmend in diesem Konzept und lässt den Spieler außen vor. Ohne die Fähigkeit des Lippenlesens oder des Verständnis von Gebärdensprache werden selbst dramatische Szenen durch den stummen Fokus entwertet. Wo Filme wie A Quiet Place und noch vielmehr der Thriller Hush mit der Stille oder Gehörlosigkeit spielen und Töne aus dramaturgischen Gründen einsetzen, passiert hier gar nichts. Der Protagonist Dane hat durch seine vorhandenen, aber nicht über den Bildschirmrand transportierten Fähigkeiten einen deutlichen Vorteil gegenüber dem Spieler, der ihn kontrolliert und eigentlich mit ihm sympathisieren soll. Und das nervt mich bis zu dem Punkt, an dem ich mich nicht mehr für ihn interessiere. Dass demnächst ein Patch erscheint, mit dem man nach dem ersten Durchspielen (was in etwa dreieinhalb bis vier Stunden in Anspruch nimmt) die komplette Akustik anschalten darf, ist auch nur auf dem Papier ein gelungener Schritt. Denn viel lieber als diese Ganz-oder-gar-nicht-Lösung wäre mir eine durchdachte Inszenierung, in der die Gehörlosigkeit nicht nur so lange als Element gepusht wird, bis es absolut keinen Sinn mehr ergibt, sondern ein dramaturgisch überzeugender Wechsel zwischen ruhigen und lauten Momenten stattfindet, bei dem ich nicht nach nur wenigen Minuten das Konzept durchschaut habe und mein Interesse verliere. Ach ja: Ein besseres Kampfsystem hätte auch nicht geschadet. In Ansätzen zwar brauchbar und mit seinen Umgebungsinteraktionen durchaus angenehme Assoziationen an Das Bourne Komplott weckend, sorgen fragwürdige Kollisionsabfragen und ungenaue Schlagfolgen ebenfalls für zunehmenden Frust. Schade, hier wäre in jeder Hinsicht so viel mehr möglich gewesen.

Pro

nahtlose Übergänge zwischen Echtfilm-Sequenzen und Spielszenen
interessantes Drehbuch
massiv reduzierte Klangkulisse vermittelt Gehörlosigkeit recht gut
eingängiges Kampfsystem
Umgebung kann bei Auseinandersetzungen einbezogen werden
Bosskämpfe
übersinnliches Element in der Erzählung

Kontra

dramaturgisch sowie inhaltlich unlogische Designentscheidungen entwerten die Inszenierung
fragwürdige Kollisionsabfrage in den Kämpfen
schwache Kameraführung in Spielsequenzen
fehlende Bildschirmanzeigen nur theoretisch eine gute Idee, da nicht nachvollziehbar umgesetzt
erzählerische Spannung verliert sich zu schnell

Wertung

PlayStation4

Auf dem Papier klingt vor allem das Konzept der Gehörlosigkeit richtig gut. Doch The Quiet Man schafft es nicht, alle angerissenen Elemente überzeugend und dramaturgisch glaubwürdig unter einen Hut zu bringen.

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