Doom - Das Brettspiel04.06.2010, Jörg Luibl
Doom - Das Brettspiel

Special:

Welcher gemütliche Spielabend beginnt knietief in Leichen? Mit Kadavern, Kettensägen und Kills? Das ist schon etwas anderes als Agricola oder Galaxy Trucker. Schon die wuchtige Box mit ihrer fauchenden Fratze macht klar, worum es hier geht: Knallharte Action. Was id Software 1993 als düsteren Ego-Shooter konzipierte, wird hier für die ganze Familie ab zwölf Jahren inszeniert - in Runden, mit Würfeln, modularem Spielplan und 66 Figuren, die sich in Katakomben jagen. Kann der futuristische Kampf auf dem Brett überhaupt Spaß machen?

Monster stürmen den Mars

Alarmsirenen schrillen, Sicherheitstüren werden geschlossen, Waffen werden verteilt. Scheinbar ist irgendetwas mit den Dimensionstoren schief gelaufen, denn seltsame Kreaturen schlurfen, krabbeln und donnern plötzlich durch die Marsstation der Union Aerospace Corporation (UAC). Die Lage ist so brisant, dass die komplette Basis evakuiert werden soll. Das Problem für bis zu drei frisch zum Dienst erschienene Marines ist nur: Die verdammten Rettungsschiffe befinden sich auf der anderen Seite der Station! Und auf dem Weg dorthin lauert der Tod in vielen Varianten.

Doom ist ein taktisches Kampfspiel für zwei bis vier Spieler ab zwölf Jahren. Die deutsche Version erschien schon 2005 beim Heidelberger Spielverlag und ist für knapp 50 Euro erhältlich.
Wer will, lässt seiner Fantasie freien Lauf und erstellt mit den 59 Bauteilen und 14 Türen auf Standbeinen eigene Spielpläne samt Story, lädt sich im Internet andere Szenarien runter oder greift auf das vorgefertigte Abenteuer zurück - leider gibt es davon nur eines, wenn auch unheimlich langes in der Box. Doom ist aber modular aufgebaut, so dass man mit all den farbig bedruckten und angenehm stabilen Pappteilen zig Katakomben entwerfen kann. Der Inhalt der Box kann sich sehen lassen: Neben knapp 200 Spielsteinen und Plättchen, die Munition, Waffen, Leben oder Gegenstände symbolisieren gibt es als Highlight 66 monströse Plastikfiguren in drei Farben - von klein bis übergroß, von Zombie bis Cyberdemon. Die sind so markant modelliert, dass man sie auch sehr gut anmalen kann, wenn einem das Rot, Grün oder Blau zu monoton ist.

Eindringlinge unter Menschenführung

Die 66 Plastikminiaturen sind das Highlight, denn sie sind so gut modelliert, dass man sie auch detailliert anmalen kann - wir haben mal den Versuch gemacht.
Aber bevor man selbst Hand an den Pinsel oder die Story legt, sollte man sich ins beiliegende Abenteuer stürzen - und das hat es in sich. Sehr schnell wird klar, dass man nur als schlagfertiges Team in den engen Korridoren überleben kann: Die Spieler der Marines (man kann auch zu zweit oder dritt loslegen, dann wird die Anzahl der Monster reduziert oder einer übernimmt einfach alle Marines) müssen ihre Waffen und Fähigkeiten optimal ausnutzen, denn sie sind von Anfang an in der Unterzahl. Und im Gegensatz zum Shooter reicht die Hand-Auge-Koordination nicht aus: Es geht um clevere Taktik und auch etwas Würfelglück.

Die knallharte Kampagne besteht aus fünf erzählerisch verknüpften Szenarien, die von einem Spielleiter inszeniert werden: Er bewegt nicht nur die Monster, sondern baut Stück für Stück das gerade sichtbare Gelände auf und liest dann die Gebietsbeschreibung oder Texte von gezogenen Karten vor - ähnlich wie anno dazumal in Hero- oder StarQuest. Es kann z.B. plötzlich dunkel werden, ein Verletzter schreit vielleicht oder verräterische Geräusche ertönen hinter einer Tür. Es gibt jedoch einen ganz wichtigen Unterschied zu einem Rollenspielmeister klassischer Prägung: Er gewinnt, wenn er die Marines killt. Was natürlich auch eine gewisse Motivation ist...

Der Meister der Monster

Und dafür kann er nicht nur böse Ereignisse ausspielen, die für Munitionsknappheit, Hinterhalte oder Bewegungshemmung sorgen, sondern acht Monstertypen auf sie hetzen: Die schlurfenden Zombies, die schnellen Tritenspinnen oder die Hundemutanten sind noch das geringste Übel. Gefährlicher sind jene, die wie der Imp, der Archvile oder der Mancubus über Distanz angreifen - und das kann weh tun. Schließlich kann der Spielleiter auch die Klitschkos unter den Monstern auf die Marines hetzen: Ein Treffer bedeutet manchmal schon den Tod, wenn man in den Korridoren auf einen Hell Knight oder einen Cyberdemon trifft. Erstere besitzen auch noch die Fähigkeit des Zurückwerfens und der Rundumattacke,die gleich alle Feinde trifft: Abstand ist gesund...

Das erste Szenario beginnt noch friedlich: Drei Marines stehen in einem Korridor, können sich mit Waffen und Munition eindecken. Aber dann geht der Alarm los...
Um es kurz zu machen: Die Marines haben es verdammt schwer. Allerdings haben sie deutlich mehr Lebenspunkte als ihre Widersacher und verlieren das Spiel erst, wenn sie sechs mal innerhalb eines Szenarios sterben; sie können im Gegensatz zu den sofort zerfetzten Monstern reanimiert werden, verlieren dann aber ihre bis dahin erbeutete Rüstung. Jede Waffe bringt übrigens besondere Fähigkeiten mit sich: Die Kettensäge etwa den Rundumangriff sowie Zusatzschaden, die Schrotflinte das Zurückwerfen und die Durchschlagskraft - damit kann man mehrere Feinde hintereinander treffen. Besonders cool ist das Aufspüren der Granate: Damit kann man sie ohne Sichtkontakt um die Ecke werfen!

Was verbirgt sich hinter der nächsten Tür? Der Spielleiter deckt nur das auf, was im Sichtbereich liegt und liest kleine Beschreibungstexte vor.
Hört sich alles nach Krawumm und Rabatz  an? Ist aber in der Praxis heikel, denn erstens muss man die entsprechenden Waffen erstmal haben und dann kann auch noch die Munition knapp werden - von Ladehemmungen ganz zu schweigen! Die Marines können dem schnellen Tod nur entgehen, wenn sie die Waffensysteme von der Pistole über Schrotflinte, Granate, Kettensäge und Raketenwerfer bis hin zum mächtigen Energiespucker BFG sowie ihre militärischen Fähigkeiten effizient einsetzen - am besten im schlagfertigen Team. Um einen Vergleich für Videospieler zu bemühen: Doom erinnert vom Spielrhythmus eher an einen Taktikshooter wie Rainbow Six: Vegas als an Run & Gun der Marke Serious Sam . Aber das ist gar nicht schlimm, sondern sorgt nur für mehr Kommunikation unter den Spielern. Und wer das ernst nimmt, kann schon mal drei bis fünf Stunden an einem (!) der fünf Kapitel hocken.

Friedhof für Einzelgänger

Wer hier als Egoist nur an reflexartiges Geballer denkt, wird nicht mal das erste Szenario "Knietief in Leichen" überleben, geschweige denn das Finale "...und dann kam die Hölle" überhaupt erreichen. Schon an diesen Levelnamen erkennt man: Doom hält sich sehr nah an die Vorlage von id Software. Es fühlt sich aufgrund des hohen Bodycounts auch wie ein Shooter an, ist aber Rundentaktik in Reinkultur mit futuristischem Rollenspielflair: Die

Sichtlinien, Bewegungstaktik, Reichweitenermittlung - die gute deutsche Anleitung erklärt alles mit Beispielen.
vorgefertigten Szenarien bieten erzählerisch zwar keine umwerfende, aber im Rahmen der Doom'schen Welt dennoch spannende Story mit teilweise angenehm ausführlichen Beschreibungstexten und bösen Überraschungen, die für Stimmung sorgen - alle fünf Abenteuer sind logisch miteinander verbunden. Natürlich kommt es darauf an, in welchem Ambiente und mit welchem Spielleiter man das Ganze erlebt; sehr hilfreich ist immer, einen passenden Soundtrack laufen lassen. Das Potenzial für Rollenspiel ist jedenfalls vorhanden: Man sammelt Schlüssel und Passwörter für Türen, hortet drei Munitionsarten, bekommt Hinweise von Überlebenden, löst auf bestimmten Feldern Ereignisse aus, notiert die eigenen Killpunkte und kann seinen Charakter damit weiter entwickeln, so dass er mehr Munition, Rüstung oder Fähigkeiten wie "Heckenschütze" , "Kundschafter" oder "Arzt" bekommt. All das wird für das nächste Abenteuer am besten per Stift gespeichert, damit man gestärkt weiter machen kann.

Man kann sich hier wesentlich schneller zurechtfinden als in den komplexen Regelnetzen von StarCraft - Das Brettspiel . Das Spielprinzip ist einfacher, bietet aber wesentlich mehr Finessen als die Klassiker Hero- oder StarQuest: Man bewegt seine Spielfigur waagerecht, senkrecht oder diagonal in verschachtelten Korridoren, muss Sicht- und Schusslinien beachten und dabei zwischen Attacke, Lauerhaltung und Rückzug entscheiden: Wer sprintet, kann zwar acht statt vier Felder weit voran kommen, aber nicht schießen. Wer angreift, darf zwar bis zu zweimal feuern, aber muss stehen bleiben. Und nur wer vorrückt, darf vier Felder gehen und dann noch ballern. Sehr hilfreich kann die unterbrochene Bewegung sein: Mann kann erst um eine Ecke gehen, dann die Rakete abfeuern und sich wieder aus der Schusslinie zurückziehen.

Würfel für alle Waffen

Der Kampf wird über farbige Würfel entschieden - jede Waffe verlangt eine andere Zusammensetzung: Man erklärt, welchen Feind man attackiert, prüft den Sichtkontakt, zählt die Felder der Entfernung und würfelt. Interessant ist, dass das Ergebnis sowohl die Reichweite über Zahlen als auch den Munitionsverbrauch sowie den Schaden über Einschusslöcher anzeigt - man muss bei einer Entfernung von vier Feldern bis zum Ziel mindestens vier Punkte auf den Würfeln erreichen. Es kann also sein, dass man mit seiner Schrotflinte nur ein Feld neben einem Dämon steht und nicht trifft. Es kann sein, dass man nach einem Wurf keine Munition mehr hat. Und es kann sein, dass es eine Ladehemmung gibt, wenn man ein X würfelt. Das alles erhöht natürlich den Schwierigkeitsgrad des Spiels; wer es leichter mag, der ignoriert einfach die Reichweite.

Der Spielplan ist modular aufgebaut: Man kann ganz eigene Dungeons entwerfen.
Hat man getroffen, wird der Schaden ermittelt: Hier zählt man die Einschusslöcher auf den Würfeln zusammen und vergleicht diese mit dem Rüstungswert des Monsters - sie müssen ihn mindestens erreichen, damit man auch trifft und einen Lebenspunkt vernichtet. Während eine kleine Tritespinne nur eine Rüstung und ein Leben hat, liegt er beim Cyberdemon schon bei fünf und vier. Wer Letzteren treffen will, braucht erst gar nicht zur Pistole greifen: Die kann wie die Kettensäge maximal vier Schaden anrichten. Hier sollte man schweres Geschütz wie den Raketenwerfer, das Plasmagewehr oder noch besser die mächtige BFG wählen - da wirft man satte sechs Würfel und könnte theoretisch bis zu fünfzehn Schadenspunkte anrichten. In diesem überaus glücklichen Fall würde der Cyberdemon mit seinem Rüstungswert von fünf allerdings nur drei Lebenspunkte verlieren. Habe ich schon gesagt, dass Doom schwer ist?

Taktische Finessen

Alles, was der Shooterherz begehrt: Auch auf dem Brett rattert die Kettensäge.
Aber das sind nur die Grundlagen des Kampfes. Taktisch interessanter wird es, wenn man als Marine die Alarmbereitschaft einsetzt. Dann ist man zwar etwas eingeschränkt in der Bewegung und kann nur einmal feuern, aber darf einen Befehlsstein an seinen Marine legen. Und der ermöglicht überaus hilfreiche Spezialaktionen, die nicht nur in der eigenen Runde, sondern auch während der Runde des Spielleiters zum Einsatz kommen können: Zielen ermöglicht erneutes Würfeln beim eigenen Angriff, Absichern ermöglicht sofort einen eigenen Angriff, Ausweichen zwingt Monster zum erneuten Wurf und Heilen ist selbsterklärend. Wenn drei Marines diese Befehle gut abstimmen und die besonderen Fähigkeiten einsetzen, können sie den Monstern trotzen. Zu Beginn des Spiels zieht jeder Marine auch zwei Karten, die Fähigkeiten darstellen: Wer "Vorhut" besitzt, darf z.B. auch beim langsamen Vorrücken zweimal angreifen; und der "Generalangriff" erlaubt sogar dreimaliges Feuern bei kurzer Bewegung.

Allerdings entscheiden hier auch die Würfel, wie weit man schießt, wie viel Munition man verbraucht und ob man überhaupt trifft.
Wenn sie in den Korridoren überleben wollen, sollten sie auch explosive Fässer, Teleporter und Versorgungsschächte beachten: Erstere treffen alles in ihrer Umgebung, Letztere können von schleichenden Monstern für Hinterhalte genutzt werden - diese sollte man immer in Schussreichweite haben oder umgehen. Leider verzichtet man auf innovative Ideen, was Licht und Dunkel angeht - da ist das Brettspiel Tannhäuser z.B. etwas fortschrittlicher. Dafür muss man hier die Streuung von Waffen sowie den Explosionsradius bedenken, denn es herrscht Friendly Fire. Hier überzeugt Doom mit einem guten System zur Ermittlung des Schadens, der nach einem Fehlschuss auch ein wenig Glück verlangt: Jedes Dungeon wird zu Beginn des Spiels mit einem Richtungsmarker auf Norden geeicht. Wer mit seinen Granaten nicht trifft, zieht eine Karte, die den Ort der Detonation angibt - das kann natürlich nach hinten losgehen und deshalb steigt die Spannung bei jedem Zug.

Fazit

Dieses Spiel ist ein Volltreffer für Figurensammler und vor allem für Freunde taktischer Kämpfe! Sobald man die Box öffnet, strahlt man angesichts des üppigen Inhalts und markanten Artdesigns: Das ist ein Tischabenteuer amerikanischer Art, bei dem es alles in XXL mit doppelt Käse gibt. Und noch schöner als die Monsterfiguren, der modulare Spielplan, die Armee von Plättchen sowie das düstere Flair ist das Erlebnis auf dem Brett. Das ist kein Run&Gun-Fastfood, kein Lizenzblender, sondern ein Think&Move-Epos mit Rollenspielflair, bei dem ein Szenario schon bis zu fünf Stunden fesseln kann. Doom erinnert zwar umgehend an die Klassiker Hero- oder StarQuest, ist aber komplexer und vielseitiger. Drei tapfere Marines treten gegen einen Spielleiter und seine höllischen Bestien an - und das ist ein verdammt harter Kampf: Hier diskutiert man über jeden Befehl, denn der Tod lauert gleich nebenan! Ich halte StarCraft - Das Brettspiel zwar für die etwas bessere Umsetzung eines Computerspiels. Aber obwohl ich eher zur Fantasy als Szenario tendiere, ist Doom für mich einer der besten Dungeoncrawler der letzten Jahre.

Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir haben keine Zeit für Verrisse. Das ist zunächst ein Angebot, das wir euch zusätzlich bieten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die empfehlenswerten Vertreter und die kreativen Geheimtipps, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.

Weitere Brettspieltests im Archiv: Galaxy Trucker, StarCraft - Das Brettspiel, Agricola, Hive.

 
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