BioShock Infinite03.04.2013, Benjamin Schmädig
BioShock Infinite

Special: Kraftvolle Dissonanzen

BioShock Infinite (ab 14,90€ bei kaufen) geht nicht nur erzählerisch neue Wege, auch die Musik sollte anders klingen als die der Vorgänger. Ist es da eine gute Idee, dass erneut Garry Schyman komponiert? Es steht außer Frage, dass seine kraftvollen Dissonanzen zu den wichtigsten Soundtracks ihrer Zeit gehören. Es steht allerdings auf einem ganz anderen Blatt, dass er in einem ganz neuen Szenario ähnliche starke Emotionen wecken kann, ohne sich zu wiederholen.

Kleine Note – großer Klang

Wer Augen und Ohren vor der Geschichte verschließen will, bevor er das Ende des Spiels erreicht hat, sollte über die Namen einzelner Titel des Soundtracks hinweglesen. Ich werde sie ebenso wenig nennen. In diesem Augenblick höre ich jedenfalls den finalen Klavierton, mit dem Schyman die musikalische Erzählung überraschend abschließt – und damit

vielleicht mehr ausdrückt, als Levines Drehbuch in tausend Zeilen sagen könnte.

Denn das ist seine große Stärke: So viel Platz in der fantastischen Wolkenstadt Columbia auch zwischen Hier und Horizont liegen mag, so wenig verstopft ihn Schyman mit einem ausladenden Orchester. Stattdessen beschränkt er sich auf wenige Instrumente, meist eine Auswahl weniger Streicher (Violinen, Celli, Bratschen oder Bässe), um starke Akzente zu setzen. Und um sich deutlich von seiner früheren Arbeit an BioShock abzusetzen.

Hinter dem Vorhang

Besonders eindrucksvoll sind Momente, in denen er eine ruhige Melodie mit Dissonanzen unterwandert. Kurz vor dem Finale gelingt ihm das z.B. hervorragend, dabei blickt seine Musik schon zu Beginn hinter die prachtvollen Fassaden: Während Columbia in "Lighter Than Air" noch von friedvollem Sonnenlicht umspielt wird, fliegt im leisen Hintergrund schon ein nervöser Bienenschwarm emsig umher. Dieses präzise Spiel mit den "schiefen" Klängen beherrscht Schyman beinahe meisterhaft!

Großartig auch das Thema des Lutece-Pärchens, das nie so recht in dieses Columbia passen will. Erst verleiht ihnen ein neugieriges Akkordeon einen fremdartigen Charakter, dann flüstern die Streicher, als würden sie mit vielsagender Mine ein verbotenes Geheimnis hüten. "Girl in the Tower" umreißt hingegen binnen einer halben Minute alles, was man beim ersten Anblick Elizabeths über sie wissen muss: Als wäre das ein Kinderspiel wechselt Schyman vom neugierigen Entdecken über das Beschreiben ihrer Lieblichkeit zu ihrer Vergangenheit.

Klassiker

Immer wieder lockern dabei verschiedene Interpretationen des im christlichen Kontext entstandenen "Will the Circle Be Unbroken" auf. Auch Samuel Lovers irisches Tanzstück "Saddle the Pony", der den Militärdienst feiernde Marsch "The Readiness Is All" sowie die Musik des kleinen Schwarz/Weiß-Kinos, welches über die Geschichte und Philosophie Columbias aufklärt, erweitern die erzählerische Bandbreite der Musik.

Verfügbarkeit

Der Soundtrack zu BioShock Infinite ist derzeit nicht einzeln, sondern nur als Bestandteil der Premium Edition sowie der Ultimate Songbird Edition verfügbar.

Käufer einer entsprechenden Version erhalten einen Code, über den sie die Download-Ausgabe der Musik herunterladen dürfen.

Die im Spiel verwendeten Melodien von Mozart oder Bach fehlen allerdings ebenso wie die großartigen Interpretationen bekannter Rock- und Popstücke der vergangenen Jahrzehnte – von "Girls Just Want to Have Fun" über "Tainted Love" sowie "God Only Knows" bis hin zu "Shiny Happy People". Vielleicht überstiegen die Lizenzkosten das Budget; der Vollständigkeit halber hätten sie dazu gehört.

Donnernder Singvogel

Was mich besonders freut: Schyman beherrscht nicht nur die leisen und schrägen Töne, er weiß auch um die Action. Gleich fünfmal wird es laut auf seinem Album und immer nennt er es "Battle for Columbia". Da malträtiert er die Saiten seiner Streicher, treibt sie im eiligen Sprint voran. Vor allem aber kommt er ohne eine Percussion aus, die mehr an modernen Rock und Pop als ein Orchester erinnert.

Im Gegenteil: Schymans Schlagwerk erinnert stellenweise an herabrieselnde Kieselsteine oder hektisch geschlagene Alarmglocken. So gibt er den aufgeschreckten Streichern ein Fundament, das die Spannung begleitet, ohne sich musikalisch aus Columbia zu entfernen. Besonders aufregend ist das pochende Hämmern, unter dem "The Songbird" attackiert – ein rasanter Trip, auch ganz ohne die Bilder!

Auf der einen Seite fehlen dem Album nicht nur die famosen Interpretationen bekannter Popmusik, manche Stücke sind mit einer Spielzeit von etwas mehr als einer Minute auch so kurz, dass man sich kaum hineinhören kann. Auf der anderen Seite überzeugt Garry Schyman einmal mehr mit ausgezeichneten Kompositionen, die im Bereich der Spielemusik ihresgleichen suchen. Mit wenigen Instrumenten erschafft er gefühlvolle Melodien, mit dissonanten Stimmungsbrüchen verleiht er ihnen eine einzigartige Tiefe. Seine Musik ist mit einem Blick auf das Wesentliche hervorragend arrangiert, laute Momente sind mehr als schnödes Percussion-Rumpeln. Ein Marsch, ein irischer Tanz oder nur von einer Gitarre begleiteter Gesang gehen mit der klassischen Untermalung Hand in Hand – selbst wenn das Album mehr sein könnte, die Qualität der Komposition und Arrangements sollte wegweisend für die Spielemusik sein.

Einschätzung: ausgezeichnet

 
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