Special: Kampf gegen Jack the Ripper
Serienmorde in London
"Die Akte Whitechapel" ist für zwei bis sechs Spieler und gerade für knapp 30 Euro beim Heidelberger Spielverlag erschienen. |
Nur ist es hier nicht Mr. X, der vor der Polizei flieht, sondern Jack the Ripper: Er gewinnt das Spiel, wenn er in vier Nächten fünf Morde verüben kann, ohne geschnappt zu werden. Das Knifflige ist, dass der Killer nach einer Tat unbedingt zurück in sein Versteck muss, das er sich vor Spielbeginn aussuchen darf. Er darf also nicht einfach endlos querfeldein abhauen wie sein Taxi-U-Bahn-Fähre-Vorbild aus dem Jahr 1983, sondern muss spätestens nach 15 Zügen wieder in seine Basis zurück finden.
Ein Labyrinth aus Gassen
Und hier beginnen die interessanten Unterschiede zum Klassiker, denn Jäger und Gejagter nutzen auch nicht exakt dieselben Routen oder Verkehrsmittel auf dem dicht vernetzten Stadtplan: Die Polizisten patrouillieren nur zu Fuß und nur zwischen den engmaschigen schwarzen Feldern. Der Killer nutzt hingegen bei Bedarf auch Spezialbewegungen und bewegt sich ansonsten nur zwischen den weißen Zahlenfeldern – außerdem muss er seinen nächsten Zug nicht öffentlich belegen wie Mr. X anno dazumal, sondern notiert ihn geheim.
Erst wenn Jack sich für eines der potenziellen Opfer entschieden hat, wird der Tatort mit einem blutroten Marker versehen. Erst dann wissen die Polizisten: Okay, da war er! Jetzt besteht die Herausforderung darin, erstmal an diesen Ort zu kommen, denn sie stehen zunächst überall verteilt in Whitechapel. Aber wie sollen sie ihn bloß schnappen? Sie dürfen keine Kutschen nutzen, haben keine individuellen Spezialfähigkeiten und kommen ja nur relativ langsam voran! Der Killer hat gerade in den ersten beiden Nächten einen klaren Vorteil – und das ist gut für die Spannung.
Ein Netz aus Hinweisen
Bis zu fünf Ermittler jagen Jack the Ripper durch ein Straßenlabyrinth. |
Da man als Ermittler manchmal ein halbes Dutzend Orte auf diese Weise abklopfen kann und im besten Fall taktisch mit seinen Kollegen kooperiert, lässt sich mit der Zeit ein regelrechtes Netz aus Hinweisen aufbauen - das allerdings nach einer Mordnacht wieder vom Plan verschwinden muss. Zu Beginn scheint es noch so, dass Jack ein nicht zu fassendes Gespenst ist, aber wenn sich die Polizisten nicht auf die direkte Festnahme, sondern auf die Eingrenzung seines Verstecks konzentrieren, wird der Killer in den folgenden Nächten gehörig ins Schwitzen gebracht – zumal er in der dritten Nacht zweimal töten muss.
Der gehetzte Killer
Das Spiel bietet viel Historisches: Darunter die offiziellen Ermittler und eine Chronologie der Morde im Anhang der Anleitung. |
Spätestens dort wechselt die Spielbalance zu Gunsten der Ermittler, falls sie sein Heimatgebiet in den Nächten zuvor bereits eingegrenzt haben. Manchmal entkommt man als Killer wirklich nur um Haaresbreite, was zwar unheimlich Spaß macht, aber gegen gewiefte Mitspieler verdammt schwer ist. Daher sollte man Jack über die optionale Zusatzregel der Anleitung etwas stärken: Dann kann er Polizisten im Vorfeld verschieben, um ihren Patrouillenstart weit weg vom Tatort zu bringen, oder bewusst falsche Hinweise geben. Denn ansonsten hat er vor jeder Nacht nur die Möglichkeit, die potenziellen Tatorte über das Auslegen verdeckter Frauenmarker zu markieren; darunter sind auch immer einige falsche zum Bluffen.
Ganz wichtig für ein faires Spielerlebnis ist allerdings, dass sich Polizisten und Jack streng an die Regeln halten. Das sage ich deshalb, weil wir in den ersten Abenteuern zwei zentrale, darunter eine missverständliche Regel nicht beachtet haben, so dass die Balance etwas ins Wanken gebracht wurde. Zum einen darf Jack auf seinem letzten Zug zum Versteck auf gar keinen Fall eine Spezialbewegung wie Kutsche oder Flucht durch einen Häuserblock nutzen – sonst ist es für ihn zu einfach! Zum anderen, und darüber kann man streiten, weil die Anleitung da nicht ganz klar ist, darf ein Polizist den Killer scheinbar nicht festnehmen, selbst wenn er gerade auf dessen Feld nach Hinweisen sucht. Er muss also gezielt „Festnahme“ als Aktion wählen – so wird es für die Polizisten natürlich kniffliger, was zwar wenig plausibel anmutet, aber der Balance entgegen kommt. Wer es ihnen einfacher machen will, kann auch dazu eine optionale Regel einsetzen.
Ausblick
Das ist bisher der aktuellste Brettspiel-Tipp: Die Akte Whitechapel ist gerade erst erschienen. Und ich kann diese morbide Jagd allen Freunden von Scotland Yard wärmstens empfehlen. Das Artdesign im Stile des 19. Jahrhunderts ist edel, das Regelheft anschaulich umfangreich, es gibt optionale Regeln und das Spielprinzip bietet mit den getrennten Routen, der Pflicht zur Basisrückkehr sowie der Hinweissuche interessante deduktive Ergänzungen gegenüber der recht einseitigen Flucht von Mr. X – wobei die regionale Eingrenzung des Verstecks von Jack the Ripper hier die eigentliche Herausforderung ist. Zwar hängt die Balance stark von der Disziplin des Killers ab, außerdem habe ich spezielle Fähigkeiten für die einzelnen Ermittler vermisst. Aber Gabriele Mari und Gianluca Santopietro ist eine sehr stimmungsvolle Weiterentwicklung des klassischen Katz- und Mausspiels gelungen, die man auch zu zweit immer wieder gerne auf den Tisch bringt. Und keine Bange, liebe Eltern: Das Spiel ist zwar offiziell ab 16 Jahren erhältlich, aber weder die Illustrationen noch die Aktionen sollten deutlich jüngere Kinder vom Tisch fern halten.
Für alle, die eine Wertung vermissen: Wir werden hier nur unsere Highlights vorstellen. Natürlich gibt es auch in der Brettspielwelt einen bunten Mainstream und billigen Murks, aber wir haben keine Zeit für Verrisse. Das ist zunächst ein Angebot, das wir euch zusätzlich bieten. Deshalb konzentrieren wir uns auf die empfehlenswerten Vertreter und die kreativen Geheimtipps, die man vielleicht nicht in jedem Kaufhaus findet.
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