Spielkultur11.01.2005, Jörg Luibl
Spielkultur

Special:

"Raus aus der Schmuddelecke. Ein Feuilleton für Spieler."

Ein Gastbeitrag von Bernd Schmid-Ruhe

Kulturpessimistische Apokalyptik

Der Literatur- und Medienwissenschaftler Karl Prümm hat 1996 im Hinblick auf die neuen Medientechnologien geschrieben: "Das Unbehagen in der Bilderkultur, so läßt sich gegenwärtig aus den Feuilletons und Kulturzeitschriften heraushören, wächst sich aus zu einer wahren Revolte gegen die Bilder, zu einem neuen Bildersturm." Was Prümm vor wenigen Jahren noch auf "Datenautobahnen" und "digitales Fernsehen" bezogen hatte, ist inzwischen vor allem für den Umgang der Medien mit dem Computerspiel bezeichnend. Ob es das Feuilleton der Süddeutschen Zeitung ist oder das ZDF mit seiner Sendung Frontal21: Das Computerspiel ist derzeit Gegenstand kulturpessimistischer Apokalyptik; seine Inhalte und Rezeptionsbedingungen führten geradewegs ins Fegefeuer kulturloser Bedeutungslosigkeit und noch dazu stellten sie eine Bedrohung für Leib und Leben - aber schlimmer noch: für den "Geist" - der Kinder und Jugendlichen dar.

Beschworen wird hierbei die "Macht der (digitalen) Bilder", die eine ständige Gefährdung für den Rezipienten darstelle, insbesondere dann, wenn es sich bei dem Rezipienten um ein Kind handle. Dabei fühlt man sich erinnert an das Misstrauen, das bisher jeder neuen Medientechnologie entgegen gebracht wurde, sei es Buchdruck, Telephon, Photographie oder Film; dieses Misstrauen besteht in der generellen angstvollen Vermutung, dass hinter der Medienoberfläche ein geradezu geheimnisvoller Hintergrund liege, der sublim und "unterbewusst" den Rezipienten - quasi gegen seinen Willen oder gegen das, was die Vernunft gebieten sollte - manipuliere. Das "Unter Verdacht" (Boris Groys) stehende Medium reiht sich damit aber nur in die lange Tradition der einst nicht kanonisierten Technologien ein und muss nur lange genug auf seine Nobilitierung warten können, um als "Kunst" und "Kultur" wahrgenommen zu werden. Oder doch nicht?

Ignorierte Wissenschaft

Jenseits des (Fernseh-)Feuilletons gibt es eine durchaus produktive und ernsthafte Auseinandersetzung mit Computerspielen, die sich zwar auch mit sozialen Auswirkungen von Spiel beschäftigt, aber sich nicht in kulturpessimistischen Verlustklagen ergeht, sondern zum Beispiel das Spiel als Kulturphänomen zu fassen versucht. Ob sie sich "Ludology", "Video Game Theory" oder einfach nur "Medien- und Kulturwissenschaften" nennen, versuchen diese Disziplinen das Phänomen des Spiels im Hinblick auf unterschiedliche Horizonte zu deuten. Da werden ganz grundlegende Fragen behandelt, nämlich z.B. die danach, warum der Mensch überhaupt spielt, aber auch inhaltliche wie formale Aspekte des Spiels werden untersucht. Dabei kann die wissenschaftliche Untersuchung auch auf Aspekte der Gewaltaffizierung in und durch Computerspiele eingehen, aber sie ist längst nicht (mehr) das vordringlichste Frageinteresse wissenschaftlicher Auseinandersetzungen.

Typischerweise befassen sich die akademischen Untersuchungen mit Fragen nach der Beschreibbarkeit simulierter Welten, mit kunsthistorischen Deutungen, ikonographischen Darstellungen, der Frage nach persönlicher Immersion und Zeit- und Raumkonzeptionen oder wendet sich selbstreflexiven Methodenbeschreibungen zu und untersucht Simulations- und Narrationstheorien auf die Verwertbarkeit im eigenen Theorierahmen. "Computerspielwissenschaften" erfreuen sich nicht nur einer rasanten Entwicklung, sondern in der scientifc community auch immer größer werdender Beliebtheit, nicht zuletzt deshalb, weil Frageinteresse und Fragegegenstand bei den meisten Forschern einen lebensweltlichen Rückhalt finden. Von einem Literaturwissenschaftler erwartet man schließlich auch, dass er gerne liest und die Bücher gelesen hat, über die er spricht.

Auffällig ist die Asymmetrie, mit der Computerspiele in der öffentlichen Wahrnehmung (nicht) vertreten sind. Der Wissenschaftsdiskurs scheint nahezu vollständig ausgeblendet zu sein, im Gegensatz zu anderen Medien wie zum Beispiel dem Film ist die Medienberichterstattung auf soziale und individuelle Folgen der Rezeption eingeschossen und blendet andere Aspekte rigoros aus. Würde der Film auf diese Weise im Feuilleton besprochen werden, wir würden vermuten, es handle sich um einen Witz oder um die ironische Wiedergabe des historischen Umgangs mit neuen Medien. Kennzeichnend für die Asymmetrie ist allerdings nicht, dass sie rein ökonomische Gründe hat. Massenmedien berichten nicht ausschließlich deshalb über bestimmte Themen, weil darin ein bestimmter finanzieller Gewinn liegt, wie man ihnen immer wieder vorwirft, sondern deshalb, weil sie ihren Themen Relevanz zusprechen. Die Massenmedien sind hierbei vielmehr ein Spiegel des öffentlichen Bewusstseins bzw. des kollektiv Unterbewussten, wie über Computerspiele gesprochen werden kann. Im medienwissenschaftlichen Sinne konstruieren Medien Wirklichkeit und machen sie gleichzeitig ablesbar: Unsere Gesellschaft weiß derzeit nicht anders mit Computerspielen umzugehen, als so wie sie es tut.

Selbstverschuldete Unmündigkeit

Was nach negativen Medienberichten über Computerspiele vor allem im Internet zu beobachten ist, könnte man - vorsichtig formuliert - als "Aufgebrachtheit in Spielerkreisen" beschreiben. Da werden Telefonnummern von Redakteuren in Internet-Foren veröffentlicht (nicht ohne die Aufforderung, strafrechtlich relevante Handlungen zu begehen), Beschwerde-Mails werden versandt, Unterschriftenlisten initiiert und sogar Boykottaufrufe lanciert. Die meisten Computerspieler identifizieren sich allerdings weder mit den Vorwürfen, noch mit denen Spielern, die besonders extrem auf diese Berichte reagieren. Computerspieler bleiben in der Regel relativ anonym und kommunizieren ihre Interessen und Vorstellungen über die ihnen bekannten und affinen Medien wie Internetforen und Mailinglisten. Computerspieler, so könnte man leicht spöttisch formulieren, sind eine Herde von Einzelgängern, die in der öffentlichen Meinung kaum eine Stimme haben und sich selbst kaum repräsentieren, sondern auf die Darstellung anderer angewiesen sind.

Spielepresse ohne Spielkultur

Auch die "offiziellen Organe" der Spielefans versagen an dieser Stelle. Bis auf ein paar rühmliche (auflagenschwache) Ausnahmen handelt es sich bei den meisten Spielemagazinen um Rezensionsorgane, die vor allem ökonomische Interessen verfolgen. Zumeist zielen diese Magazine in ihrer bunten, bildlastigen Aufmachung auf eine Vollständigkeit der Darstellung der zu einem Zeitpunkt zu erwerbenden Spiele. Das heißt, dass sowohl möglichst alle, sowie nur neue Spiele zum Gegenstand einer Besprechung werden können. Diese Form der Publikation stellt hauptsächlich eine Kauforientierung für eine interessierte Leserschaft dar, die regelmäßig und viel spielt und darüber hinaus auch regelmäßig viel Geld in Spiele investieren kann. Aufgrund dieser Orientierung ist alles in diesen Magazinen - auch die formale, sprachliche Gestaltung - auf die Aktualität einer Gebrauchsmentalität zentriert, die für historische oder kulturelle Zusammenhänge blind ist. Räsonierende oder gar nachdenkliche Rubriken und Passagen finden sich kaum und oft weicht man selbst schon dem Ansatz von Seriosität durch den deplatzierten Einsatz pubertären Humors gezielt aus. Das Interesse, lediglich Inhalte nachzuerzählen und technologische Informationen anschaulich zu machen, wird meist durch eine sprachliche Invarianz begleitet. Formelhafte, standardisierte und zur Redewendung geronnene Floskeln sind charakteristisch für solche Rezensionen, die letztlich versuchen, Rezeptionserfahrungen zu versprachlichen, die paradoxerweise in "objektiven" Geschmacksurteilen münden. Kurz: Die auflagenstärksten Spielemagazine tragen kaum zum Ansehen der Computerspieler in der öffentlichen Meinung bei.

Die Außendarstellung der Spieleszene ist denkbar ungünstig und was sich primär daraus ergibt ist, dass die etablierten Medien weder Anlass noch Rechtfertigung haben, um anders zu berichten als sie es derzeit tun. Der Tatbestand ist so simpel wie einleuchtend: Computerspiele sind keine Kultur, sie sind bestenfalls Unterhaltung. Zumindest, wenn man den etablierten Medien - so zum Beispiel dem Feuilleton - Glauben schenken will. Der Begriff "Kultur" hat dabei nicht nur eine deskriptive Komponente, sondern stellt gleichzeitig immer eine Wertung dar. Kultur ist das, was Unterhaltung im Status erhöht, nämlich dorthin, wo man allgemein davon ausgeht, dass mehr als nur der "niedere Trieb" angesprochen wird, sondern Denkarbeit erforderlich ist. Ein "Unterhaltungsmedium" wird durch dieses Titel nicht sonderlich geadelt und die Bezeichnungen "Unterhaltungsfilm" oder "gutes Unterhaltungskino" sagen uns vor allem: "Ganz nett, aber nicht besonders klug oder anspruchsvoll." Solange die Computerspieler sich aber selbst in der Ecke der Unterhaltung so sehr gefallen, so lange wird eben auch diese Kluft von Hoch- und Trivialkultur nicht zu überschreiten sein. Man kann dieses Verhältnis noch so sehr bedauern, noch so sehr die Differenz anzweifeln, noch so sehr bestreiten, dass Computerspiele nur unterhaltend sind, trotzdem wird sich an der öffentlichen Wahrnehmung nichts ändern, so lange "die Szene" nicht bereit ist, aus der selbst gewählten Isolation zu entkommen.

Synthesen

Es liegt kaum im Interesse der Spielerschaft, ausschließlich auf dem Niveau wissenschaftlicher oder feuilletonistischer Publizistik zu veröffentlichen. Wünschenswert wäre eine Synthese aus allen drei Bereichen, nämlich Wissenschaft, Feuilleton und Magazin auf der Ebene einer kommunikativen Plattform. Eine solche Synthese könnte zumindest ein Anfang sein, der fatalen Außendarstellung der Spiele entgegen zu treten und zu vermitteln, dass Spiele jenseits der Fixierung auf die reine Unterhaltung durchaus ein Mehr an Kultur vermitteln bzw. ein wichtiger Verhandlungsort für Wissen sind. Spiele bieten eben Handlungskoordination im Sinne soziologischer Theoriebildung. Spiele sind ein Spiegel für das in der Gesellschaft verhandelte Wissen. Spiele geben Aufschluss darüber, welche Handlungen normativ sanktioniert sind oder welche ethisch-moralischen Vorstellungen in unserer Medienlandschaft akzeptiert sind und welche nicht. Spiele sind mehr als klicken, tippen und ballern, sondern vielmehr auch theoriefähiger Hintergrund medialer Berichterstattung jenseits kulturpessimistischer Klagen.

Bisher gab es wenig Bemühen, um die Außenwirkung der spielenden Zunft. Die Wissenschaftler dieser - im doppelten Sinne - jungen Disziplin sind derzeit an den Universitäten (noch) kaum etabliert und suchen noch nach Publikationskanälen. Die Feuilletons konzentrieren sich auf das Versagen des Jugendschutzes und die Magazine reagieren geradezu allergisch und mit Einigelung auf Kritik.

Mut zum Feuilleton

Eine Plattform für Spieler - man kann sie auch gerne "Feuilleton für Spieler" nennen - sollte vor allem die Fallen ökonomischer Bindung meiden. Das braucht Mut und Ausdauer, denn über Spiele zu berichten, die sich nicht unmittelbar verkaufen lassen, nicht durch "Click & Buy" und Partnerprogramme bei Onlinewarenhäusern zu bewerben sind, ist sicherlich zunächst ein Prestigeprojekt. Aber eine Darstellung der Spielkultur könnte - ohne auf den ausgetretenen Pfaden zu wandeln - endlich andere Aspekte des Computerspiels aufgreifen. Ein Feuilleton für Spieler müsste sich nicht daran binden, nur Spiele zu besprechen, die gerade im Regal liegen, sondern könnte auch historische Aspekte darstellen. Es könnten auch andere (Spiel-)Kulturen bzw. andere "Märkte" erschlossen, ganze Genres könnten beleuchtet werden und Computerspiele könnten vielleicht endlich in ihrer Ganzheit als Kulturphänomen besprochen werden, das nicht nur auf den Wirtschaftsseiten der Zeitung und auf dem Aktienmarkt für positive Schlagzeilen sorgt.

Insbesondere wäre es wünschenswert, wenn der "Häppchenjournalismus" der etablierten Magazine mit ihrer technikaffinen Zentrierung auf Äußerlichkeiten durch fundierte und durchaus einmal umfangreiche Analysen ersetzt würde, wenn die eingefahrenen und langweiligen Schemata in Inhalt und Form aufgebrochen würden. Der Charakter des Spiels ist das Spielen und in dieser Tautologie liegt der Schlüssel zu dem notwendigen journalistischen Umgang mit Computerspielen: Kein Text kann die Erfahrung des Spielens vorweg nehmen, sie kann nur selbst gemacht werden. Simulation lässt sich nicht simulieren. Journalismus für Spiele muss das erkennen und leisten. Der ideelle Gewinn wäre maximal.

Mehr dazu im Interview ; mehr zu Bernd Schmid-Ruhe im Porträt!

         

 
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