Architektur & Spiel16.08.2006, 4P|Team
Architektur & Spiel

Special:

 Die virtuelle Freiheit?

Ein Gastbeitrag von Tanja Köhler

In der virtuellen Welt ist alles anders.

Tanja Köhler im Gespräch

Über Spiele, Architektur und große Erlebnisse...

Lust auf mehr Architektur? Unser Thema:

Als Architektin für virtuelle Bauwerke muss ich mich nicht mehr mit Bauvorschriften, Abstandsflächen, Traufhöhen oder Wohnflächen-Geschosszahlen herumschlagen, sondern kann einfach so drauf los bauen. Und der ganze Bauprozess geht auch noch viel schneller! Während sonst mit Produktionszeiten von mindestens einem halben Jahr für ein einfaches Einfamilienhaus bis zu mehreren Jahren für ein Hochhaus zu rechnen ist, ziehe ich jetzt die Wände einfach selbst hoch, setze ein Dach drauf und fertig ist mein Haus. In der virtuellen Welt kann ein Gebäude innerhalb von Tagen, ja sogar Stunden entstehen.

Soweit die Theorie. In der Praxis sieht es dann doch etwas anders aus:

Am Anfang eines jeden Bauwerkes steht ein Entwurf. Das kann in der realen Welt das Konzept für ein Einfamilienhaus sein, in der virtuellen Welt vielleicht eine mittelalterliche Burganlage.

Entscheidend für den Entwurf sind neben der Funktion feststehende Randbedingungen wie Klima und Topologie des Grundstückes (Bauen in Grönland stellt andere Bedingungen als Bauen in der Wüste), aber auch wirtschaftliche und kulturelle Aspekte. Beim Einfamilienhaus könnten die Bedingungen zum Beispiel so aussehen: Wohnen, Süddeutschland, Steilhang, preiswert. Der Bauherr beschreibt noch grob, welche Räume er gerne hätte und einige Extras wie z.B. großer Kamin, Walmdach, bayerischer Landhausstil. Bei der Entwurfsplanung stehen neben den Vorstellungen des Bauherrn und der verfügbaren Technik (Baumaterialien, Haustechnik) die Kosten stark im Vordergrund. Ist der Entwurf sowohl vom Bauherrn, als auch von der örtlichen Baubehörde freigegeben, kann die Realisierung beginnen. Dem technisch möglichen setzt häufig dass verfügbare Budget die Grenzen.

Auch die virtuelle Welt stellt Randbedingungen: die Landschaft ist meist schon vorgegeben, hinzu kommt noch das Zeitalter (z.B. Steinzeit oder Mittelalter, Gegenwart oder Zukunft) und die Funktion. Während diese Bedingungen von den Game Designern vorgegeben werden, legen die technischen Grenzen (z.B. Polygonanzahl, Texturgröße, Shadertechnologie) die Programmierer fest.

Innerhalb dieser Grenzen sind alle Entwürfe möglich, wie es das Spiel gerade verlangt: ob mittelalterliche Dörfer, futuristische Raumstationen oder ganz normale Alltagsarchitektur der Sims.

Es kann eine ideale Welt gestaltet werden, in der alle Gebäude zueinander passen, sich perfekt in die Landschaft einfügen und so zu einem harmonischen Gesamteindruck beitragen.

Im Gegensatz dazu ist die reale Welt nicht homogen, sondern ein buntes Durcheinander an möglicher und unmöglicher Architektur: Moderne Hochhäuser stehen neben Häusern aus der Gründerzeit, rote Klinkerstein-Fassaden grenzen an moderne Betonbunker, restaurierte Fachwerkhäuser stehen neben grellfarbig gestrichenen Putzbauten.

Kommt dem Architekten nicht gerade die rare Chance zu, eine von Grund auf neue Stadt zu schaffen (wie früher Brasilia und heute in China) muss der Architekt versuchen, das neue Gebäude ins vorhandene Stadtchaos zu integrieren.

Der Architekt trägt hierbei eine große Verantwortung, nicht umsonst wird Architektur die öffentlichste aller Künste genannt: während wir uns Malerei, Musik, Theater oder Literatur nach freiem Ermessen zugänglich machen können, sind wir der Architektur gnadenlos ausgeliefert. Während es in der realen Welt kein Entkommen gibt, hat man es in der virtuellen Welt einfacher: ein Spiel mit einer Landschaft und Architektur die einem missfällt, kann einfach mit einem Mouseklick beiseite gelegt legen. Bietet die virtuelle Architektur höhere Freiheitsgrade im Bezug auf Umsetzbarkeit von neuen Ideen und revolutionären Visionen?        

In der Realität finden die dekonstruktivistischen Gebäude von Coop Himmelb(l)au Akzeptanz, wir lassen uns nicht von den einstürzen zu drohenden Fassaden der Architektengruppe SITE provozieren, und versuchen vielleicht sogar die Formensprache und Symbolik der Bauten von Daniel Liebeskind zu verstehen.

Warum funktioniert das nicht in der virtuellen Welt? Warum können z.B.  ein Ego-Shooter oder ein Autorennspiel, die ja beide je nach Thema durchaus zeitgenössische Architektur bieten könnten, nicht auch ungewöhnliche und neuartige Bauwerke enthalten? Schlicht und einfach weil dies den Erwartungen des Spielers widerspräche.

Diese Architektur würde ihn verwirren und vom eigentlichen Spielfluss ablenken. In Computerspielen steht das Gameplay im Vordergrund, deshalb brauchen die Spiele eine klare, ablesbare Architektur. So muss sich der Spieler in einem Autorennspiel voll auf die Rennstrecke konzentrieren können, und darf nicht durch architektonisch wertvolle Gebäude am Straßenrand abgelenkt werden.

Virtuelle Architektur darf als "Beiwerk" nicht irritieren oder verwirren, sie muss vertraut und bekannt sein solange die Architektur nicht zentrales Thema des Spiels ist wie z.B. bei City-Live oder Tycoon City New York als Beispiele für zeitgenössische Architektur, aber auch mittelalterliche Architektur in Die Siedler oder in der Anno-Reihe.

In der Regel spiegeln die Gebäude in Computerspielen die Architektur wieder, die der Spieler kennt und erwartet. Diese muss nicht unbedingt der Realität entsprechen. So sieht eine mittelalterliche Burganlage in einem Spiel häufig fröhlicher und farbenfroher aus, als sie historisch betrachtet eigentlich jemals war. Auch im Fantasy-Bereich, der eigentlich ein großes kreatives Potential bieten würde, gibt es gewisse Vorstellungen, denen entsprochen werden sollte: Zwerge leben in oder an Bergen, und Elfen in Wäldern. Behausungen für Elfen sollten filigran wirken während Zwerge eher in klobigeren Steinbauwerken untergebracht werden. Sich hier die kreative Freiheit zu nehmen, und ein Elfenvolk in einem dunklen Bergwerk anzusiedeln, würde beim Spieler Befremdung hervorrufen.

Unter diesen Aspekten bietet die virtuelle Welt also doch nicht die absolute Freiheit der Architektur. Die Freiheit ist eine andere. In der realen Welt versucht der Architekt die Architektur mit jedem Bauwerk neu zu definieren. Prinzipiell ist alles ist möglich, solange es bezahlbar und technisch machbar ist, was auch bedeutet, dass es den Gesetzen der Physik standhält. Eine mittelalterliche Burganlage originalgetreu nachzubauen funktioniert in der heutigen Welt allerdings höchstens in Disney Land.

Die virtuelle Freiheit erlaubt es, vergangene Zeiten neu aufleben zu lassen, in die Zukunft zu blicken und sogar die Grenzen der Physik auszuschalten; Häuser könnten sogar fliegen, wenn es im Spiel eine Gameplay-Relevanz hat.

Solange die Anforderungen und Bedingungen, die an virtuelle Architektur gestellt werden, zu stark an das Gameplay gebunden sind, wird es schwierig, herausragende Architektur in Computerwelten zu schaffen.

Tanja Köhler

(Architektin und Game Artist bei Bluebyte)

  

 
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