Voez06.03.2017, Mathias Oertel
Voez

Im Test: Unerwartetes Rhythmus-Juwel

Es begann damit, dass ein Kollege im Vorfeld der Switch-Veröffentlichung ein Video innerhalb der Redaktion herumschickte, mit dem Hinweis, dass dieses "skurrile Musikspiel" etwas für mich sein könnte - und er lag mit seiner Einschätzung richtig. Denn abseits von Breath of the Wild hat mich bisher kein Spiel auf der jungen Konsole so lange beschäftigt wie Voez (ab 82,49€ bei kaufen). Die Gründe dafür werden im Test verraten.

Klavier, Sequenzer, Drumkit

Da Voez, ich spreche es für mich wie "Voice" aus, da ich mich weigere, Vo-eazy oder so etwas daraus zu machen, exzessiv auf den Touchscreen als Eingabegerät setzt, lässt sich das Musikspiel nicht im TV-Modus der Switch starten. Doch das ist schon das Skurrilste an diesem Rhythmusprojekt des taiwanesischen Indie-Teams von Rayark, das letztes Jahr auch schon auf iOS veröffentlicht wurde, dort aber vornehmlich mit Mikrotransaktionen auf sich aufmerksam machte. Die fallen mit den fast 120 vom Fleck weg verfügbaren Songs mit je drei Schwierigkeitsgraden auf Switch weg. Die Bandbreite ist dabei erstaunlich: Von beinahe klassisch anmutenden Melodien im Walzertakt über beinahe westlich klingenden Pop bis hin zu elektronischer Musik mit hohen BPM werden zahlreiche Register gezogen. Allerdings muss man sich bewusst sein, dass vor jegliche Stilrichtung noch ein J- gesetzt werden muss. Wer also mit Nippon-Pop oder Vocaloid-Dancefloor nichts anfangen kann, wird hier geschätzt mit nicht einmal 30 Songs glücklich werden.

Das Rhythmus-Konzept setzt auf halten, rutschen und tippen der Noten - und das zumeist mit mehreren Fingern.
Doch ungeachtet der musikalischen Vorlieben sollte man Voez eine Chance geben. Denn das Konzept, das nahezu perfekt auf den Touchscreen gebracht wurde, hat es in sich und sorgt für eine hohe Immersion. Dabei macht Voez auf den ersten Blick gar nicht so viel anders – und schon gar nicht neu. Auf einem Notenhighway , der sich über die gesamte Bildschirmbreite zieht, fallen Symbole von oben nach unten. Um den Punktestand sowie den Kombozähler nach oben zu schrauben, sollte man tunlichst in dem Moment auf sie tippen, wenn sie sich auf der unteren Linie befinden. Das kennt man in dieser oder einer anderen Form auch aus anderen Rhythmus-Spielen von Hatsune Miku bis Theatrhythm: Final Fantasy. Auch die Anforderungs-Varianten sind nicht unbekannt: Mal muss eine Note gehalten werden. Mal muss man nach links oder rechts wischen. Und bei den kleinen Punkten "slidet" man die Linie entlang – natürlich alles passend zum musikalischen Rhythmus, wobei immer wieder andere Elemente akzentuiert werden. Mal spielt man den Gesangspart, dann wiederum das Klavier oder tippt den Drum-Takt.  

Genial einfach. Beinahe einfach genial

Die Zahl der Notenbahnen sowie ihre Position werden ständig verändert.
Dabei wechselt man aber nicht wie z.B. bei Harmonix‘ Amplitude oder den mobilen Version von Rock Band zwischen den Spuren hin und her. Und dennoch gehört Voez für mich zu den interessantesten Musikspielen der letzten Jahre. Denn hier wird man dank des kapazitiven Touchscreens richtig gefordert und muss eine verdammt gute Hand-Auge-Koordination haben, wenn die gehaltenen Noten noch leicht nach links oder rechts wandern, dabei andere Takte mit mehreren Fingern getippt werden wollen und die Slidenotes kurz darauf Wege kreuzen. Zudem variiert die Zahl der nach unten führenden Spuren ständig, so dass mal nur eine auf Eingaben wartet, diese aber dynamisch auch mal bis auf zehn oder zwölf ansteigen und dabei auch noch die Position wechseln. Uff. Klingt so, als ob man überfordert würde? Nein, eher gefordert. Gerade auf den oberen zwei Schwierigkeitsgraden pro Song kann man ganz schön ins Rotieren kommen. Doch wenn man es schafft, eine Kombo aufzubauen und in die Zone gerät, fühlt man sich mal wie ein Pianist, dann wieder wie ein DJ am Sequencer oder Mischpult - klasse!

Man kann die Songs nur nach Schwierigkeitsgrad bzw. alphabetisch sortieren.
Noch schöner wäre es allerdings gewesen, wenn man bei Rayark nicht nur darauf geachtet hätte, die Songs sehr gelungen sowie anspruchsvoll mit den Tipp-Spuren auszustatten, sondern ein paar kleine Schönheitsfehler ausgebügelt hätte, zu denen auch die sehr eingeschränkte Sortierfunktion der Tracks gehört. Man kann alphabetisch sowie nach generellem Schwierigkeitsgrad sortieren. Schön wären aber auch Genre, BPM oder die Anzeige bereits gespielter Songs. Die Menüfunktion innerhalb des Songs hätte man durchaus markanter sichtbar machen können - oder gleich auf die Plus-Taste legen. Und es hätte definitiv nicht geschadet, wenn man sich bei einem der Kernmerkmale von Harmonix‘ Musikspielen orientiert und für eine Möglichkeit gesorgt hätte, nicht nur besseres visuelles, sondern vor allem akustisches Feedback gegeben hätte. Doch egal, ob man richtig tippt, nur eine "Ok"-Wertung bekommt oder ganz falsch liegt, ändert sich die Akustik des Songs nicht. Damit hätte dem erfrischenden Rhythmus-Spektakel die letzte Facette hinzugefügt werden können. Doch auch so zieht es mich immer wieder an die Switch. Allerdings weniger wegen der  skurrilen Tagebucheinträge, die man gelegentlich freischalten kann und die einem mit Geschichten rund ums Erwachsenwerden unterhalten wollen, aber keine klassische Kampagne ersetzen. Sondern vielmehr wegen der Einfachheit, mit der auf dem Bildschirm Musik und Kulisse zu einem minimalistischen Kunstwerk verschmolzen werden.

Fazit

Voez ist für mich die größte Überraschung im schmalen Launch-Lineup für Switch. Denn ich hatte nicht damit gerechnet, dass sich hinter der taiwanesischen Indie-Entwicklung mit dem ungewöhnlichen Namen ein derart faszinierendes Rhythmus-Spiel verbirgt. Bei der Benutzerführung hat man zwar noch Nachholbedarf, da es für die gut 120 Songs nur zwei Sortiermöglichkeiten gibt und die Pausefunktion im Spiel superklein ist. Doch mechanisch feuert Voez aus allen Rohren und macht selbst den Project-Diva-Spielen um Hatsune Miku, Theatrhythm sowie den mobilen Musikspielen von Harmonix Konkurrenz. Die perfekt auf kapazitive Touchscreens zugeschnittenen Anforderungen mit mehrfingrigem Tippen, Halten oder Slides auf den sich dynamisch verändernden Notenbahnen sorgen für eine mitunter steile Herausforderung, aber im Gegenzug auch für eine hohe Immersion, wenn man sich vorkommt wie ein Pianist oder DJ. Es ist allerdings schade, dass die fragmenthafte Geschichte keine Kampagne ersetzen kann. Noch bedauerlicher ist allerdings, dass Fehler keinerlei Auswirkungen auf die ausgegebene Akustik haben. Doch auch ohne dieses I-Tüpfelchen ist Voez ein Riesengeheimtipp für Rhythmus-Fans – allerdings sollte man J-Pop, Vocaloids und fernöstlichem Elektrosounds mit hoher BPM-Ratio nicht abgeneigt sein.

Pro

fast 120 Songs unterschiedlicher Stilrichtungen
durchdachte Nutzung des Touchscreens
saubere Erkennung
drei Schwierigkeitsgrade
erstaunlich hohe Immersion
minimalistische Kulisse

Kontra

nur zwei Sortiermöglichkeiten
keine Favoriten einstellbar
kein Feedback, Fehler werden akustisch nicht dargestellt
eingebundene Story-Fragmente etwas wirr

Wertung

Switch

Fast 120 Songs und ein durchdachtes, perfekt auf den Touchscreen zugeschnittes Kontrollkonzept machen Voez zu einem Geheimtipp für Fans von Rhythmus-Spielen à la Hatsune Miku oder Theatrhythm.

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